Produktion

BRECHTFESTIVAL AUGSBURG 2013 (4)

Montage für 1 Person + Schießbude/Volksfest + Wurlitzer. – (Skizze) :

Heiner Müller: Die Funktion von Kulturpolitik ist, Ereignisse zu verhindern.

Thomas Brasch: Das ist das Lied vom Ende, das ist das Ende vom Lied: Wer weiter singt und Sprüche klopft, wird sehn, was ihm noch blüht.

Jayne County: I was masturbating a lot when Lady Di went back to mother earth. We had a lot of fun. We were rockin round the clock all the time. I really loved the glamour. (Wurlitzer: Waiting For The Marines)

Herbert Achternbusch (fortgeführt): Wer die Chance, die er nicht hatte, genutzt hat, dem wird es dann auch wieder nichts genutzt haben.

Hias Schaschko: Nichts ist besser als gar nichts.

Heinz Braun: Von mir aus kannt auch ein Segelboot kommen.

Brecht: Mag Mond und zugleich Sonne scheinen: Man hat Gesang und Messer satt!

Leon Payne: You think I´m psycho, don´t you, Mama?

(Erweckt durchgehend den Anschein, lang zu dauern…)



CATWALK SMALLTALK (VI)

– Viel zu kompliziert, glaub ich dir nicht.

– Isso.

– Dein alter Herr war jenseits von soffisticatit.

– Kein vorehelicher Briefverkehr!

– Wie romantisch! Ich liebe ihn ins Grab hinein!

– Ja, ich auch.

– Schatz, du bist betrunken.

– Ja, ich auch.



PLÄNE MACHT MAN

damit man was hat, was man aus dem Fenster werfen kann. (Tucholsky? Amy Winehouse?? Muhammad Ali???)

Hier sind die von mir, die es dann anscheinend doch überlebt haben, wenn mich nicht alles täuscht:

Am Samstag, 22.12., erscheint in der Weihnachts-/Wochenendbeilage der Tageszeitung junge Welt meine brandneue Erzählung „Heimat ist da, wo man sich aufhängt“, die, was ´n Wunder, Eine Weihnachtsgeschichte ist. (In Städten unter 750tausend ggf. nur am Bahnhof erhältlich). Tatsache: Die Story gibt Ihnen auch einen Eindruck von dem Roman, an dem ich derzeit arbeite und der, voraussichtlich im Frühjahr 2014, bei Klett-Cotta-Tropen erscheint.
Die Schweiz-Tournee im Januar mit den von mir übersetzten Erzählungen „In den Straßen von Los Angeles“ von Ry Cooder (Edition Tiamat) steht: 27. Schaffhausen, 28. Bern, 29. Luzern, 30. St.Gallen (Details auf meiner Homepage). Etwas später bin ich dann endlich wieder mal im El Lokal von Zürich. Hier im Block können Sie den Text lesen, den ich zu Buch und zur deutschen Veröffentlichungsgeschichte für das Magazin Core der Verlagsabteilung Heyne Hardcore schrieb, wo das Taschenbuch am 12.8.2013 erscheint: „Ry Cooder (5).
Organisiert wurde die Tour von meiner neuen Managerin: Evelyn Rahm von der Berliner Kulturagentur Rahm. Wer mich kaufen möchte: http://www.kulturagentur-rahm.de/?page_id=11
Und was Besonderes: im Rahmen des Literaturaustauschprogramms „Polska/Bawaria“ bin ich am 6.2. im Literaturhaus Oberpfalz in Sulzbach-Rosenberg Gastgeber, Moderator, Dojczleser und Bodyguard von Andrzej Stasiuk. Ich habe keine Ahnung von polnischer Literatur, bin aber seit Jahren Fan von Stasiuk, einem der größten. Ich weiß nicht womit, aber ich habe das verdient.
   


RY COODER (5)

Seine Erzählungen „In den Straßen von Los Angeles“ erscheinen am 12.8.2013 bei Heyne Hardcore als Taschenbuch, und für deren Magazin Core habe ich diesen Text dazu geschrieben:

DER GITARRERO RY COODER: AM WORTSCHATZ

Ohne den Leser hier mit intimen Details überfordern zu wollen: als ich 1986 meine Frau heiratete, brachte sie noch etwas mit in die Ehe, für das ich ihr bis heute sehr dankbar bin, zwei Platten des mir damals unbekannten Gitarristen Ry Cooder. Was mich schon damals beschämt eingestehen ließ, dass ich beim Film Paris, Texas wohl mehr auf Nastassja Kinski als auf den Schöpfer der Filmmusik geachtet hatte. Aber wer von euch Bibelkennern wirft jetzt ´nen Stein?

Als ich dann 25 Jahre später mit Heynes Hardcover-Boss Patrick Niemeyer bei einem Kaffee am Münchner Hauptbahnhof saß, hatte ich ein paar Cooder-Platten mehr; falls jemand mehr hat, kann das nur Niemeyer sein. Wir palaverten in der Sonne so rum und ließen Gott einen guten Mann sein, als er plötzlich eine Information preisgab, die mich und den Tisch umhaute.

„Das ist ja ein verdammter Hammer!“, schrie ich.

Wir waren uns sofort einig, dass Cooders Los Angeles Stories (die zu diesem Zeitpunkt noch nichtmal im Original erschienen waren) auch bei uns veröffentlicht werden mussten, auf Biegen und Brechen und im Angesicht der Papierbuchkrise sowieso. Basta! Wir gaben uns die Hand drauf, jeden Hebel, den wir kannten, in Bewegung zu setzen. Und es kam genau so, wie wir es uns in diesen Minuten gewünscht hatten, und es war, bis hin zu dieser Hardcore-Ausgabe, eine Aktion unter Freunden.

Produkt-InformationTB

„Ziemlich bescheuert, sich sofort so weit aus dem Fenster zu lehnen, ohne das Ding gelesen zu haben!“, hätte man damals zu uns sagen können, „warum bitte soll ein 63 Jahre alter Mann, der 50 Alben eingespielt und produziert hat, ein gutes Buch schreiben, das nichtmal seine Autobiografie ist und keine wilden Details seiner frühen Jahre mit Cpt Beefheart oder den Stones und keine schönen Fotos von seinen Kuba-Abenteuern mit dem Buena Vista Social Club auffährt?!“

Aber allein die Tatsache, dass Cooders Erzählungen in Lawrence Ferlinghettis legendärem Verlag City Lights erschienen, war ein Dutzend Beweise für Qualität. Und Ry Cooder selbst hat dazu diese Anekdote: Es war Bob Dylan, der ihm klar machte, er müsse sich mehr ums Merchandising kümmern und ihn überredete, seine Stories selber drucken zu lassen und bei Konzerten zu verkaufen. Tja, das Ergebnis sei Pfusch und die Einnahmen null gewesen. Jedoch: City Lights trat in die Tür und bat, das Buch jetzt mal richtig verlegen zu dürfen.

Produkt-InformationCity Lights

Und nicht irgendwo, sondern in der Noir-Serie. Bei den dunklen Krimis. Die viel weniger Hoffnung enthalten als die Stories von Ry Cooder. Die allerdings alle auch von Verbrechen und Mord erzählen – viel mehr jedoch von taffen Damen, Arbeitslosen, diskriminierten Mexikanern, Gangstern, Transvestiten, Glücksrittern und Spinnern im L.A. der 40er und 50er Jahre. Die vielen Musiker nicht zu vergessen. Und mit: John Lee Hooker!

Mal ganz einfach gesagt: Es hätte mich doch etwas nachdenklich gestimmt, wenn der Mann, der den meisten Werken des großen Actionfilmers Walter Hill den Soundtrack verpasste, ein schlechtes Buch geschrieben hätte. Dass es eine Art Rückendeckung ist zu seinen neueren, im Woody Guthrie´schen Sinn gegen den reaktionären Teil der USA agitierenden Alben, hatte man erwarten können – dass es so gut ist, nicht unbedingt.

Produkt-Informationaktuell bei Edition Tiamat

Ry Cooder selbst betrachtet sein Schreiben übrigens ohne diesen verklärten Blick, der für die meisten Autoren überlebenswichtig zu sein scheint: „It’s just me fooling around, like with music in the same way. Like writing a song.”



STEVE TRAIN & HIS BAD HABITS

(Veröffentlicht in junge Welt v. 7.12.:)

ROCKABILLY ÜBERLEBT ALLE

In Berlin am 7.12. mit Steve Train & His Bad Habits

 Es war Rocko Schamoni, der vor einigen Jahren in einem Booklet verkündete: „Rockabilly ist das nächste große Ding!“ Dass er sich auskennt, wusste man seit Schlagern wie „Sex, Musik und Prügeleien“, doch die Vehemenz des Statements verblüffte. Oder war´s nur Rocko-Humor? Wie schon Miles Davis meinte: So what.

Sicher ist, dass Rockabilly den Superbruder Rock´n´Roll überlebt hat. Was wohl auch daran liegt, dass Rockabilly wenige dieser Megahits hatte, die das Genre Rock´n´Roll platt machten. Auf „Die Knaller der 50&60er“-Samplern findet sich kaum je ein Rockabilly-Klassiker, außer Carl Perkins´ „Blue Suede Shoes“ natürlich.

Im Grunde hat „Rockabilly´s Main Man“ Charlie Feathers alles dazu gesagt: Sowohl Rockabilly als auch Elvis waren nach Elvis´ ersten fünf Sun Records-Singles fertig. Dass der Raum hinter seiner Aussage allerdings riesig ist, sieht man schon daran, dass zu dem Zeitpunkt Feathers´ eigenes Werk gerade mal angedeutet war.

Rockabilly wurde/wird immer wieder ausgegraben und renoviert und wird alle überleben. Weil es eine offene, kompatible Form ist. In die sich jeder Ska-, Jazz-, Gypsy-, Country- oder versierte Popmusiker leicht einmischen kann. Das ist auch, aber auch gern mehr als eine Nostalgienummer; es ist Retromania, aber für manche eben eine Maschine, um weit zu reisen. Joe Strummer kann man dazu nicht mehr befragen, aber bei Konzerten von Jon Spencer oder Smokestack Lightning kriegt man´s mit.

Oder bei deren Freunden Steve Train & His Bad Habits  Freitagnacht im Berliner Bassy Cowboy Club. Wo man nicht nur zu ihrem so heißen wie eleganten Rockabilly abgehn wird, sondern auch eine gute Dosis Garagenbeat und Swingbilly bekommt. Anfang des Jahres erschien ihr erstes Album „The Lost Jack Rhodes Tapes“. Damit verbunden ist eine schöne Geschichte. Ich habe sie in den Liner Notes erzählt.

Diese Songs sind scheinbar vom Himmel gefallen. Vor vielen Jahren hat sie drüben in Texas Jack Rhodes (mit-)geschrieben. Für wen? Von mir aus vielleicht für diese Bayern, die man wegen ihrer schlechten Gewohnheiten zurecht die Texaner Germanys nennt, dachte sich Rhodes, die sollten endlich mal was Gutes tun! Dann warf er die Aufnahmen in die Luft. Eine riskante Methode: prompt wurden die meisten dieser neun Songs nie veröffentlicht. Ehe sie in der Ex-US-Militärbasis Augsburg in guten Händen landeten. Spielte keine Rolle, dass bei Jack Rhodes´ Tod 1968 keiner von Steve und seinen Freunden geboren war. Denn die wissen, was Webb Pierce einst gesagt hat: Good taste is timeless! Und Yessir, es wurden schon weniger seltsame Begebenheiten zu Wundern erklärt.

In Süddeutschland ist Steve Train als langjähriges Mitglied des DJ-Teams Go-Go-Club bekannt, und ich darf hinzufügen, dass die actionfreudige und äußerst musikinteressierte Rockabilly-Truppe im eher etwas dämlichen Augsburg eines der wenigen Highlights ist. Außerdem ist der gelernte Grafiker ein großer Plattenjäger von Geburt an. Und so entdeckte er eines Tages im Weltnetz, dass jemand Kartons mit Tonbändern aus Jack Rhodes´ Studio verscherbelte.

Train hatte kein Tonband, aber ´nen guten Instinkt. Zu der Zeit probierte der viel mehr gefragte als bühnengeile Sänger und Gitarrist mit Freunden ein bisschen rum, die sich als Band The Snaaake Charmers nennen, oder auch mal Howlin´ Max Messer oder Beef Jerky; in jedem Fall können sie dem Teufel beide Ohren abspielen. Um sie als seine Bad Habits zu rekrutieren, musste ihnen Steve nicht erklären, wer the fuck dieser Jack Rhodes war.

Der 1907 geborene Texaner ist heute ziemlich vergessen. Obwohl jeder was von ihm kennt. An der Spitze „A Satisfied Mind“, 1955 ein Nr.-1-Hit für Porter Wagoner, gecovert von Dylan bis Jonathan Richman und mit Cash in „Kill Bill 2“. Der ältere Herr konnte das neue Ding Rock´n´Roll nicht besonders leiden – und wurde einer der großen „Rockabilly Poets“. Er war eigentlich kein Musiker, sondern „Songwriter/Songplacer“ (Kevin Coffey), ein Geschäftsmann, der Songs schrieb, um sie zu verkaufen. Gene Vincent wurde sein wichtigster Abnehmer, zuerst mit „Woman Love“; nicht nur „Rock-n-Bones“ und „Action Packed“ wurden zu Klassikern.

Was Steve Train auf den Bändern mit ca. 150 Songs hörte und in hellste Aufregung versetzte, war dies: Rhodes hatte in seinem Studio nur Skizzen aufgenommen, um Plattenfirmen einen Eindruck vom Song zu vermitteln. Den man auch anders interpretieren konnte. Und genau das machen die Bad Habits, sie spielen es, mit angemessenem Respekt, so wie sie´s für richtig halten. Die meisten der Songs auf dem Album kamen sozusagen noch nie vom Band und so kann sich jetzt jeder davon überzeugen, dass Rhodes mehr Perlen als die Hits, oder was später auf die Compilations von Ace und Norton kam, geschrieben hat.

Und damit ist unsere Stunde schon wieder um – jetzt geht raus und spielt schön und streitet euch nicht. Und wage es niemand, vor Sonnenaufgang wieder daheim zu sein.

 Konzert: Berlin, 7.12. Bassy Cowboy Club 21h. LP/CD beim guten Händler. “Voodoo Love” auf Youtube



NEUER BAYERNVOLKSPOP

Mit einigen Freunden, die sich mit dem anhaltenden Trend der neuen, jugendlichen, scheinbar so wahnsinnig lässigen, angeblich besonders talentierten bayerischen Volks- und Irgendwie-Popmusik ziemlich gut auskennen, hatte ich erst paar Diskussionen.

Die eigentlich keine Diskussionen waren, sondern Beschimpfungen in dieselbe Richtung. War keine große Überraschung, aber auch etwas beruhigend, dass der jeweils andere diesen pestartigen Trend im Fahrtwind von La Brass Banda, für die sich auch schon keiner begeistern konnte, auch nicht leiden konnte. Manchmal ist es eben ein okayes Gefühl, zu merken, dass man nicht ganz allein in der Meinungswelt herumsteht.

Ich erinnerte mich vage, dass ich über diesen ganzen Mistkarren schon mal geschrieben hatte. Und tatsächlich. In Trash No.9,  1994, hatte ich die erste Welle mal kurz ins Visier genommen, anlässlich der Veröffentlichung von Attwengers „Luft“ auf Trikont. Hat also nichts geholfen, aber hinzufügen kann ich dem auch nichts:

„Es macht mir keinen Spaß, eine offene Tür einzurennen, und deshalb fällt mir zur Neuen Alpenländischen Volksmusik (NAV) was anderes ein: Aus regional bedingten Gründen interessiert mich die NAV schon die ganze Zeit und mittlerweile habe ich die meisten ihrer Mitglieder bei Liveauftritten oder im Fernsehen mitbekommen.

Und inzwischen gehöre ich zu der Gruppe, die glaubt, dass das meiste von der NAV ziemlicher Humbug ist. Ich weiß schon – die SPD-Chefin Renate Schmidt sagt öffentlich was ganz anderes. Sie findet die NAV „im Großen und Ganzen“ ziemlich toll. Aber schon Engholm hat sich positiv zu Hiphop geäußert und ist trotzdem Baden gegangen.

Das alte und immer kotzigere Problem der SPD: zu Allem und Jedem den super-modernen Max raushängen lassen, und wenn dann die Asyldebatten anstehen, den Schwanz einziehen und den Schulterschluss machen mit jedem x-beliebigen reaktionären Dreck.

Als solchen kann man jetzt keinen NAV-Text bezeichnen, aber doch viel zu viele gehen stark in Richtung dusslige Naturverbundenheit und Träumerei von einem Alpenland in zart gemalten Farben. Wobei mich selber die Beobachtung verblüfft hat, dass, musikalisch betrachtet, die Altmodischen spannender sind als die Fraktion der Schlagzeug- und E-Gitarren-Benutzer.

Das ist schon fast eine Faustregel: Was an Rock- und Popmusik in die NAV reingeraten ist, ist naiv, lächerlich, vorgestrig – mit einem Wort: haarsträubend.

Hubert von Goisern kann so authentisch reden und sympathisch abrocken wie er will, aber mit seinen Alpinkatzen hat er fast nur Mist eingespielt. Den hätten Sparifankal schon vor 15 Jahren aus dem Zelt gefegt. Wobei ich – schlimm genug – klarstellen muss, dass ich nicht zu denen gehöre, die behaupten, die Alpinkatzen dürften nicht zur NAV gehören, weil sie schon zuviel Rockmusik machen; auweh – wenn man sich diese Gruppe der NAV-Anhänger mal genauer ansehen würde: keinen Pfennig würde ich da auf irgendwas wetten!

Zumindest eins ist dem Kenner jetzt natürlich klar: Die Interpreten kann er mit dem Gemaule aber nicht meinen! Meint er auch nicht. Und Attwenger natürlich sowieso überhaupt nicht. Ich kanns drehen und wenden, wie ich will, von Text bis Bühne, von Traditionskenntnis bis Tonträger und von Leidenschaft bis Modernität: Attwenger sind einfach in der Hitparade der NAV eine Klasse für sich. Sie waren das von Anfang an und daran hat sich auch mit dem neuen Album „Luft“ nichts geändert.

Wie lange sie das durchhalten, kann ich nicht wissen. Nur eins würde mich glaub ich nachdenklich machen: Wenn sie zur Eröffnungsgala einer bayrischen Ministerpräsidentin aufspielen mit einer Renate Schmidt am Saxophon.“

Tja, da war inzwischen ne Menge Kommen und Gehen da draußen. Nur eins ist klar: Attwenger überleben sie Gottseidank alle, und, möchte man so gesagt hinzufügen, mit einer extremst hohen Nachhalltigkeit.

If in doubt consult your local Heimatpfleger. Fangen Sie das Gespräch mit „Kraudn Sepp konnte ja bekanntlich kaum Notenlesen“ an, damit er/sie Sie auch gescheit ernst nimmt.



TÖDLICHE POSTKARTEN

Da es nun so gut wie keine Nazis mehr in Deutschland gibt (die allerletzten stehen bekanntlich grade vor Gericht) – wenn Sie uns nicht glauben, diskutieren Sie doch einfach mal mit dem für Ihren Bezirk zuständigen Verfassungsschutzbeauftragten – kann man den folgenden Artikel, den ich im März 2011 für die junge Welt schrieb, mit dem lockeren Gefühl lesen, das sich nach erfolgreich aufgearbeiteter Vergangenheit einstellt:

POSTKARTEN GEGEN NAZI-DEUTSCHLAND

Hans Falladas letzter Roman „Jeder stirbt für sich allein“ erstmals ungekürzt

Das ist eine schöne Geschichte, die man jedem guten Verlag wünscht. Erfolg haben mit einem tollen Roman. Und nicht mit dem neuen Heimatmist, der nun auf der Krimischiene und oft noch mit Comedy-Einflüssen angelabert kommt oder dieser Gegenwartsliteraturabteilung, die so neobieder-meierlich um das Familiennachtkästchen hingehäkelt ist, dass man schon nach den ersten Zeilen (mit Wolfgang Pohrt gesprochen) einen fünfstöckigen Espresso braucht.

Der Aufbau Verlag hat nun einen Hit, den niemand auf der Rechnung hatte, „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada, 1947 erschienen und seit Jahrzehnten ziemlich vergessen; eine Geschichte vom alltäglichen Wahnsinn im Nazi-Berlin und vom Widerstand eines einfachen, eigentlich unpolitischen Arbeiterehepaars. Woher das Interesse für diesen Stoff 2011 in Deutschland?

Es hat schon eine gewisse Komik, dass es der ungeahnte und fulminante Erfolg in Großbritannien, USA, Israel und anderen Ländern ist, der zu einer deutschen Neuausgabe geführt hat (die sich erstmals an Falladas ursprüngliche Fassung hält, die, schreibt Almut Giesecke im Nachwort, für die Erstausgabe geglättet worden war). Und woher das Interesse im Ausland?

Der Erfolg von „Jeder stirbt für sich allein“ bzw. in der englischen Ausgabe „Alone in Berlin“ zeige, „dass das britische Schwarzweißbild der Hitlerjahre endlich einer nuancierteren Wahrnehmung weicht“, schrieb Gina Thomas vor einem halben Jahr in der FAZ. Mag sein. Aber ich weiß nicht recht. „Endlich“ also; und endlich nuancierter. Endlich haben die Briten mal erkannt, so interpretiere ich das, dass es nicht nur den Stauffenberg-Widerstand gab, der sich so unglaublich mutig formierte, als das Regime schon am Ende war, sondern auch einen Widerstand bei den ganz einfachen Leuten. Ich bin mir sicher, dass jeder Brite das schon immer wusste, aber sich sagte, fuckin´so what, was hat´s geholfen, die Nuancen sind nun mal unter so einem großen Ganzen ziemlich egal. Was ja nicht heißt, dass so ein kleiner folgenloser Widerstand wie ihn Fallada beschreibt, jemals egal wäre.

Alles Spekulation. Man würd´s eben gern wissen; weil dieses Nazi-Deutschland in Griechenland, Italien, England und vielen anderen Ländern nicht so vergessen ist wie das die Deutschen gern hätten. Ich kann mir eher vorstellen, dass es sich irgendwie herumgesprochen hat, wie es Roger Cohen in der New York Times unter dem Titel „The Banality of Good“ beschrieb: Falladas Roman vereinige „den Horror von Conrad, den Wahnsinn von Dostoyevsky und das kühl Bedrohliche von Capotes ‚Kaltblütig‘“. Mehr Sprengkraft kann man hinter einem Roman nicht aufbauen. Und wenn er bei seinem Erfolgslauf einen Tarantino-„Inglorious Bastards“-Effekt bekommen hat und als Nazi-Thriller im Supermarkt mitgenommen wird, dann vollkommen zurecht.

Ich lasse den Text hier eine Stunde ruhen, und was passiert inzwischen? Weil der Sarrazin als Hetzredner grade etwas weniger herumkrakeelt, springt der Seehofer als dumpfer Hassredner ein. Keine Überraschung, aber immer wieder ekelhaft. Ja, Falladas letzter Roman ist bestens geeignet, um sich über die deutsche Leitkultur zu informieren.

Hans Fallada, berühmter Autor seit 1932, als er mit „Kleiner Mann – was nun?“ einen Welterfolg hatte, blieb während der Naziherrschaft in Deutschland. Ein verfemter Autor, der sich – Wiglaf Droste hat es im Juli 2003 in einer Serie für diese Zeitung beschrieben – mehr schlecht als recht durchschlug und -schrieb, mit viel Alkohol, Morphium, Tragödien. Mal musste er sich Dr. Goebbels vom Leib halten, dann war er als „gemeingefährlicher Geisteskranker“ im Irrenhaus. Immer verzweifelt auf der Linie arbeitend, den Nazis nicht ins Messer zu laufen und keine Naziliteratur zu schreiben. Es entstanden Werke, mit denen er nicht glücklich sein konnte.

Im Herbst 1946 konnte Fallada abrechnen. 668 Seiten, geschrieben in vier Wochen oder wohl besser gesagt reingehämmert, rausgekotzt; als hätte er geahnt, dass es seine letzte Chance war, es denen heimzuzahlen. Man spürt, dass er all seine Erfahrungen und seinen Hass reingepackt hat. Johannes R. Becher hatte ihm die Unterlagen über den Fall der Eheleute Hampel gegeben, die 1943 hingerichtet wurden, nachdem sie zwei Jahre lang Postkarten in Berlin ausgelegt hatten. Einige sind im Anhang abgebildet, auf der von der Gestapo als Nr. 176 registrierten heißt es: „Freie Presse! Fort mit dem Hitler Verreckungs System! Der gemeine Soldat Hitler und seine Bande stürzen uns in den Abgrund! Diese Hitler Göring Himmler Goebbels Bande ist in unser Deutschland nur Todes Raum zu gewähren!“

Um sein Ehepaar Quangel baut Fallada ein vollständiges Berliner Alltagsbild, macht einen kompletten Schwenk durchs Mietshaus, zu dessen Bewohnern auch eine alte Jüdin und SS-Männer gehören, und durch die Straßen. Sein Personal reicht vom Arbeiter Quangel über die kleine Nutte bis zur kleinen krakeelenden Nazigröße, die den Kriminalkommissaren vorgesetzt wurde. Eine Versammlung von Spitzeln, miesen Typen, verschlagenen, tretenden, kuschenden, herzlosen Drecksäcken. Eine überwältigende Trostlosigkeit, von der die wenigen Personen, die gegen das Pack sind, erdrückt werden. Oder wie Tucholsky über einen anderen Fallada-Roman schrieb, das ist „so unheimlich echt, daß es einen graut.“ Wer glaubte, ein besseres Bild vom Unterschichten-Berlin haben zu können, wird es nuancierter sehen.

Jeder stirbt für sich allein (Abb.: Vivasvanpictures.wordpress.com)

Ich habe nicht so viel und lange nichts von Fallada gelesen. Und bin überrascht, wie modern der Roman daherkommt. Durch die Aufsplitterung in 73 Kapitel, die sich gegenseitig permanent weiterzujagen scheinen. Drive, Szenenwechsel, Sogwirkung, Tempo. Das Gespür des Profis für Action und Cliffhanger. Der Stoff, aus dem die Amerikaner eine ihrer großartigen neuen Serien machen würden. Als hätte Fallada sich gesagt, hier ist das Hoffnungsloseste, was es gibt, aber ich will, dass ihr es lest, ich kriege euch, es ist ein Thriller. Der auch immer wieder einen grotesken, schneidenden Humor entwickelt, der vielleicht erst heute so ankommt. Wenn zwei kleine Spitzel die Wohnung der jüdischen alten Dame ausräumen möchten, sich dabei betrinken und von einem Nazi-Papa mit seinen eifrigen HJ-Jungs gestellt werden, die denselben Plan hatten, dann ist das auch eine komische Nummer; die mit jeder Zeile ins Bösartigste kippen kann.

Schwarzweiß wäre zu hell, Falladas Blick zieht uns in die tiefste Schwärze. Lasst selbst den letzten Funken Hoffnung fahren. Selbst dieses Ehepaar ist ja trostlos mit seinen Postkarten, und erst nachdem der Sohn auf dem Schlachtfeld gefallen ist, beginnen sie mit ihrem Widerstand. Umgeben von kleinen Denunzianten, die hinter jeder Ecke auf ihren Verräter treffen, der schon von seinem Gestapo-Kontakt hängengelassen wird. Ausgerechnet Kommissar Escherich, der die Postkartenschreiber verfolgt, eine miese und mörderische Type, faszinierend in seiner Gerissenheit, begeht zuletzt Selbstmord und sieht sich als den einzigen Menschen, den Postkarten-Attentäter Quangel überzeugen konnte. Es gibt keine Klischeefiguren in diesem Roman, Fallada seziert jeden bis ins Genaueste, und deswegen nannte es Primo Levi „das beste Buch, das je über den deutschen Widerstand geschrieben wurde.“

Erst mit dem letzten Kapitel richtete der Autor den Blick nach vorn: „Aber nicht mit dem Tode wollen wir dieses Buch beschließen, es ist dem Leben geweiht…“ Kurz nach Kriegsende trifft ein Junge auf den Vater, der für ´ne halbe Zigarette alles und jeden denunziert hatte, und der Sohn war von derselben Art gewesen. Doch der Sohn hat sich inzwischen geändert, ein neues Leben angefangen. Und nun verprügelt der Sohn den Vater, um ihn sich vom Hals zu halten. Das war Falladas Hoffnung kurz vor seinem frühen Tod. Was die Deutschen von diesem Bild und von seinem Buch hielten, erlebte er nicht.

Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein. Ungekürzte Neuausgabe, mit einem dokumentarischen Anhang. 704 S., Aufbau Verlag, Berlin 2011



ROCK’N’ROLL FEVER (4)

„…you will be saved by Rock´n´Roll“, hat jemand ins Kondolenzbuch für Nils Koppruch geschrieben. Und ich will hoffen, dass es so ist.

Die Ausstellung „Rock´n´Roll Fever“ mit den Bildern von Guido Sieber wird, inzwischen (nach Frankfurt, Kassel, Berlin) zum 4. Mal, am 22. November in Schwerin eröffnet. Aus unserem bei Edel erschienenen Katalog hier der Text zu Washboard Sam, der am 6. November 1966 die Welt, die wir nicht kannten, verlassen hat:

„WASHBOARD SAM (Abb. 4) montierte den Teller eines Plattenspielers auf sein Waschbrett, um mehr Sound und Power zu haben. Im Chicago der 30er-Jahre wurde er zum beliebtesten Schrubber, nachdem er, wie üblich, die Ausbildung auf der Straße abgeleistet hatte. Seine jazzy pulsierenden Aufnahmen, die er auch als „Ham Gravey“ oder „Shufflin´Sam“ veröffentlichte, wurden mit Gitarre, Klavier, Klarinette verstärkt und waren erfolgreiche Vorläufer des heftiger werdenden Chicago Blues der 40er, in dessen elektrischem Trubel er nicht mehr mitmischte.

Eine frühe Blues-Karriere mit versöhnlichem Ausgang: Robert Brown alias >Sam machte bis 1947 Aufnahmen. Dann gab er die Musik auf und wurde in Chicago Polizist. Er führt mit seiner Familie ein ruhiges Leben im Süden der Stadt<, schreibt Samuel B. Charters, der vielleicht beim Schreiben so gerührt war, dass er ein paar spätere Aufnahmen zu erwähnen vergaß, ebenso das kleine Comeback, das den Cop sogar nach Europa führte, kurz vor seinem Tod 1966.“



NILS KOPPRUCH R.I.P.

SIEH MICH MAL AN 

So viel Schnee liegt jetzt draußen wie damals, als ich Nils mit der Band zum ersten Mal traf, nach der Vogelbeobachtung im Winter. Wir redeten was, aber vom Maler Sam hat mir Nils nichts erzählt. Sam kannte ich länger als Nils, aus verschiedenen Wohnungen in Hamburg. Die Schiffe im Hamburger Hafen und ein Gesicht und ein Tier. Ich erkannte seine Sachen immer sofort. Ich fragte mich, ob die Sonne da scheint. Irgendwann kamen wir auf die Verbindung.

Das Einfache gefällt mir, und dann die Frage, ob es wirklich so einfach ist, wenn man es länger ansieht, aber frag mich nicht, lass mich allein, ich kann dir nichts erzählen.

Wenn ich anderen Künstlern von Sam und den Bildern erzähle, die nicht so teuer wie möglich sein sollen und dann wenn möglich immer noch teurer, sondern zu kaufen auch mal für Leute, die sonst keine Kunst kaufen können, dann sind sie verständnislos oder finden es irgendwie komisch im Sinn von ganz lustig, als wäre es billig, wenn es mal nicht so teuer ist, und ich verstehe sie auch wieder nicht. Die anderen sehen es anders, sie mögen den Fisch in der Wohnung, das Mädchen mit der Handtasche, ein Straßennetz. Ich freue mich immer, wenn ich einen Sam in einer Wohnung sehe. Und man sieht einen Sam in einer Wohnung und weiß, dass man dann auch Nils hören kann. Ich beendete eine Tour in Hamburg, hatte ein Bündel Scheine in der Tasche und besuchte ihn im Atelier. Die Schaufensterscheibe gefiel mir. Ich kaufte den Diskjockey. Die Nacht davor lag ich wach und hab gefroren. Ich übertrug dem Diskjockey alle dummen Geschichten und trug ihn durch den Zug. Ich dachte, das ist der Junge von dem Liebespaar, das bei meiner Frau im Zimmer hängt, ich war mir nicht sicher.

Das Einfache gefällt mir, und dann die Frage, ob es wirklich so einfach ist, wenn man es länger ansieht, aber frag mich nicht, lass mich allein, ich kann dir nichts erzählen.

Wir saßen hinten im Bus und erzählten uns Geschichten. Mein Vater war bei der Polizei. Mein Vater war bei der Eisenbahn. Ich hab mal ein Bild geklaut. Ich hab mal ein paar Worte geklaut. Ich hab keinen Plan. Ich hab keinen Anschluss. Hier kannst du mich finden, wenn du mich suchst. Die nächste Stadt war auch nicht schlechter und in der nächsten war ich wieder allein. Hinter den toten Gleisen und der menschenleeren Industrie ging ich in den Wagenmeister und entdeckte im Gastraum einige Sambilder. Die Frau mit der Zigarette tat es mir an. Warum bist du hier und wohin wirst du gehn, irgendwo hab ich dich schon gesehn. Ich schrieb auf ein Blatt, was sie mir alles erzählte und auch, was sie mir verschwieg. Dass sie beim Ficken besonders gern oben ist, wenn sie eine Zigarette im Mund hat, erzählte sie, und wie sich das anfühlt, verschwieg sie.

Das Einfache gefällt mir, und dann die Frage, ob es wirklich so einfach ist, wenn man es länger ansieht, aber frag mich nicht, lass mich allein, ich kann dir nichts erzählen.

Neun Winter später pinkle ich es in den Schnee. Ein Vogel beobachtet mich, ich bin in Gefahr, es muss schnell gehen, es geht ganz schnell. I (Herz) Sam.

(In: Sam. Nils Koppruch: Dilettant. Hamburg, 2006)



MENSCHEN IM ZUG

Neben mir im Zug nach Hamburg sitzt eine Frau mit ihren Kindern, das Mädchen etwa acht, der Junge fünf. Sie waren die ganze Zeit am Essen oder Spielen und sehr friedlich dabei.

Seit ein paar Minuten versucht die Mutter Verständnis für ihre Idee zu bekommen, dass sie eine Stunde Schlaf gebrauchen könnte. Klappt natürlich nicht, sowas klappt nie. Trotzdem bleibt alles friedlich, und das ist eher die Ausnahme.

So Leute können aussehen, wie sie wollen, essen, was sie wollen und spielen, was sie wollen – ich habe immer großen Respekt vor ihnen.

(1994)