Produktion

COLLAGE 67 PLUS

Von mir gebaut und am 24.7. als Einleitung zur Veranstaltung „50 Jahre 1967“ mit Tania Martini, Thorwald Proll und Volker Weiß vorgetragen:

COLLAGE 67 PLUS

Noch immer gehe ich in die Filmakademie, wenn ich kein Kleingeld für die Telefonzelle habe. Es zieht mich an diesen Ort, obwohl ich weiß, dass ich den Vater meines Kindes dort treffen könnte. Ich schaue in die offenen Schneideräume, wo Spulen mit Filmmaterial leise surrend hin- und herlaufen. Manchmal will es der Zufall, dass auf dem Bildschirm am Schneidetisch ein Gegenstand aus meiner Wohnung auftaucht, eine Lampe, die sich Studenten für eine Szene bei mir ausgeliehen haben, ein Tisch, an dem ein Schauspieler sitzt, oder mein aus der Mode gekommener Pelzmantel, den jetzt irgendeine Frau trägt, als sie aus dem Auto steigt. -Ulrike Edschmid

Im Nachkriegsdeutschland behaupteten sich die Eliten, die in der Nazizeit gedient hatten, mit ihren Tugenden: Pflicht, Gehorsam, Ordnung, Fleiß. Arbeit macht frei. Gegen diese Elite, gegen das Establishment, das von meiner Generation wie eine Besatzungsmacht empfunden wurde, richtete sich die Revolte, zunächst als emotionaler Protest, als eine individuelle, ästhetisch-moralische Revolte. Sie berief sich ähnlich wie Camus auf das Leben, ein freies, ein nicht durch gesellschaftliche Konventionen, Ideologien und durch religiöse Gebote geregeltes Leben. -Uwe Timm

Das einzige, was das Bild der Ruhe manchmal störte, war der schon wieder zerschmetterte Glaskasten des SDS an der Wilhelmstraße, wo für den Kampf gegen Atomwaffen, Wiederaufrüstung, alte Nazis in neuen Ämtern geworben worden war. Aber selbst dieser Akt der Zerstörung war mehr ein Jux als eine politische Aussage, wer kannte schon den SDS, oder gar die Subversive Aktion, die sich in Plakaten im Adorno-Stil an Tübingens Bevölkerung wandte (während Adorno selbst bereits den Missbrauch seines Namens geißelte). -Bernward Vesper

Die Seminare, die ich besuchte, glichen eher Ritualen, als dass wirkliche Auseinandersetzungen stattfanden. Bei Adorno herrschte im Oberseminar dezente Stille, fast weihevoll; bei Habermas traf sich die soziologische Elite, gegen die nichts zu sagen gewesen wäre, wenn sie nicht ihren frisch erlernten Jargon bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit sich herumgetragen hätte, bei Festen, in Kneipen, beim Vögeln, im SDS, und ihn nicht vorwiegend dazu verwandt hätte, andere damit einzuschüchtern. -Inga Buhmann

Die meistverkauften Singles in der BRD 1967: Platz 10 Penny Lane von the Beatles, 9 All you need is Love von the Beatles, 8 Ha!Ha! Said the Clown von Manfred Mann, 7 Frag nur dein Herz von Roy Black, 6 Let´s spend the night together von the Rolling Stones, 5 I´m a believer von the Monkeys, 4 Meine Liebe zu dir von Roy Black, 3 Dear Mrs. Applebee von David Garrick, 2 San Francisco von Scott McKenzie, 1 Puppet on a string von Sandie Shaw.

Ich habe ein derart gestörtes Verhältnis zum Gesetzesbruch, dass ich schon zu zittern beginne, wenn ich im Supermarkt einen Flachmann in die Hand nehme, in der Absicht, ihn zu klauen. Menschen wie ich haben nur dann nichts gegen die Anwendung von Gewalt, wenn sie nicht selber Gewalt anwenden müssen und ihr nicht ausgesetzt sind. -Peter O. Chotjewitz

Ich habe eben früher auch viele Kneipenkeilereien mitgemacht, bei denen behältst du, obwohl die oft hart sind, einen Teil von Fairness. Ich habe auch mal ´ne zeitlang geboxt, bin im Boxerverein gewesen und so und habe dadurch immer ein anderes, vollkommen klares Verhältnis zur Gewalt gehabt, und so ´ne Sache war für mich einfach glatter Mord. Irgendwie hat mir das ein irres Ding gegeben damals, Benno Ohnesorg. Echt, sein Sarg, wo der an mir vorbeigefahren ist, hat´s richtig kling gemacht. Da ist einfach irgendwas abgefahren. -Bommi Baumann

Es ist schwer, nach fast vierzig Jahren die eigenen Erinnerungen zu trennen von der Überlagerung durch Beschreibungen anderer und die Flut der Bilder. Aber schon unmittelbar nach dem 2. Juni wurde mir klar, wie bruchstückhaft meine Wahrnehmungen vom Geschehen dieses Abends waren. Bruchstückhaft deshalb, weil ich, von einer Mischung aus Panik und Wut überwältigt, wie in einem „Tunnelblick“ nur meine unmittelbare Umgebung erfassen konnte. Dieser Schockzustand begann nicht erst, als ich einen jungen Mann im Hof eines Wohnhauses blutend auf dem Boden liegen sah, sondern von dem Augenblick an, als die Polizei die Anti-Schah-Demonstranten auseinandertrieb, die gegenüber der Deutschen Oper zwischen spanischen Reitern und einem Bauzaun eingezwängt waren. -Friederike Hausmann

Ein Angehöriger dieser Greiftrupps war der langjährige Mitarbeiter der Politischen Polizei und Meisterschütze Karl-Heinz Kurras. Er erschoss gegen 20.30 Uhr den von drei Polizeikollegen schon halb totgeschlagenen 26jährigen Studenten der Romanistik und Germanistik Benno Ohnesorg in einem abgelegenen Hof. Der Regierende Bürgermeister Albertz ließ am nächsten Tag eine Erklärung verbreiten, die das tatsächlich Geschehene auf den Kopf stellte. –Hannes Heer

Das möchte ich noch mal unterstreichen, dass den Polizisten von ihren eigenen Vorgesetzten, nachdem diese Versuchsanordnung schon aufgebaut war, gesagt worden ist: Die haben einen von uns umgebracht. Das ist überhaupt der entscheidende Schlüssel, um zu verstehen, dass diese Polizisten, die dann losgeprügelt haben – ich weiß nicht, wie viele Verletzte es genau gegeben hat, die Verletzungen waren teilweise sehr schwer –, dass diese Polizisten überhaupt so entfesselt losprügeln konnten. Man kann das Doping nennen. -Uwe Soukup

Wir haben gefragt, wann die Vertuschung begann. Das muss schon direkt nach dem Schuss angefangen haben. Da haben Polizisten – man muss sagen – dafür gesorgt, dass der Krankenwagen nicht direkt zum Krankenhaus fuhr, sondern eine große Runde durch die Stadt machte, der Polizeiwagen fuhr voraus. -Margot Overath

Berlin und der 2. Juni nehmen sich wie Sandkastenspiele aus neben der Manifestation der farbigen Rassen, für die die Frage der Gewalt keine Frage ist, da sie seit Jahrhunderten unter der Gewalt der rassistischen Weißen leben und sterben. Und als ein verängstigter liberaler Weißer fragt: „Aber was sollen wir denn tun, um Euch zu helfen?“ brüllt Stokely ihn an: „Go home, kill father and mother, hang up yourself!“ -Bernward Vesper

Er drängt sich durch die Gruppe, die das Pult umsteht, ans Mikro und formuliert seinen Antrag: Dem zweiten Antragsteller soll das Wort entzogen und der schon gestellte Antrag zurückgezogen werden. Einer behauptet, das sei falsch formuliert, weil der zweite Antragsteller gar keinen Antrag vormuliert habe. Jemand ruft hinsetzen. Einer schreit: Scheiße. Einer ruft: Godzilla. Jemand will verzweifeln. Einer schlägt vor, die Rednerliste aufzulösen und so zu tun, als sein gar kein Antrag gestellt worden. Einige meinen, das sei inkonsequent. Einer behauptet, es handle sich hier um ein Scheinproblem. Er wird niedergeschrien. Jemand ruft: Alles muss ausdiskutiert werden. -Uwe Timm

Denn die kamen mit vorgehaltener Pistole, Fritz Teufel und Ulrich Enzensberger, und haben gesagt: ‚Wenn ihr uns kein Geld gebt, ihr habt ja so wahnsinnig viel, dann knallen wir euch über den Haufen. Ihr verramscht nämlich unsere Revolution!‘ Die sind also tatsächlich bei uns in der Highfisch-Kommune aufgekreuzt, um Geld einzutreiben für ihre Lehrlingsarbeit im Untergrund, wie es hieß. -Rainer Langhans

Erkenne ich die Signale richtig, dann ist der Augenblick gekommen, an dem die Neue Linke ihre Positionen radikal revidieren, eine Selbstdefinition auf neuen Grundlagen erarbeiten, eine brauchbare, für die Welt entzifferbare Imago finden muss. Die Kritik an der Theorie und Praxis neolinker Aktivität kommt zuhauf – und die Warner, Unzufriedenen, die resigniert Abwinkenden sind vielfach „repressiver“ und „faschistoider“ Tendenzen unverdächtig. -Jean Améry

Auch wer damals, wie zum Beispiel ich, niemals ein Fatah-Tuch trug oder an einer anti-israelischen Demonstration teilgenommen hat, las die Untergrundzeitung Agit 883 doch sehr gern und verdrängte wesentliche Teile des Gelesenen später. Bis zur Lektüre des aufklärenden Buchs von Wolfgang Kraushaar über die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus im Jahr 2005 hatte ich alle Details vergessen, selbst die Tatsache, dass es überhaupt einen solchen Bombenanschlag gegeben hatte. Der Spiritus Rector der Aktion, Dieter Kunzelmann, galt innerhalb der Berliner Linken, dann auch als Abgeordneter der Alternativen Liste im Berliner Abgeordnetenhaus, lange Zeit als ein zwar übergeschnappter Subversiver, aber in seiner Authentizität akzeptabler, in seiner entschlossenen Antibürgerlichkeit bewundernswerter Kampfgenosse. -Götz Aly

Kaum war ich von der Spritze runter, tappte ich in die nächste Falle: die Revolution. Die Revolution hieß Louise, hatte unglaublich schmale Hüften, blitzende Augen, flatterndes schwarzes Haar, kam aus Paris und war Trotzkistin. Wir wohnten zusammen in einem der besetzten Häuser, hielten uns glänzend in Schuss, hielten es sogar für Liebe, und ich palaverte, wenn Palaver gefragt war, schwenkte Fahnen, wenn Fahnen gefragt waren, und frühstückte entgegen allen Lehren des Großen Vorsitzenden mit einer Flasche Wermut und einem netten dekadenten Gefühl im Bett. -Jörg Fauser

es gibt zwei welten, die eine ist die kapitalistische, die andere die sozialistische, die eine ist immer noch eine, die andere ist immer noch keine. produktive manie erzeugt eine manische produktion. ein toller tag, proll hat mehr gewollt, durch lachen verändere ich die welt. -Thorwald Proll

Überlegungen, die es in Berlin schon gab, haben wir in München zu realisieren versucht: die Idee eines Popkonzerns, so habe ich das genannt. Die Idee war folgende: Wir müssen mit den Medien arbeiten. Das können wir nur, wenn wir die schöneren Bilder entwerfen und herstellen, also auch multiplizieren und weitergeben. Dafür brauchen wir Videokameras und Produktionsräume. Dann werden wir dieses schönere Leben, das wir leben, per Bild in die Häuser bringen. Per Krieg wirst du ihnen nichts verkaufen können, du musst es mit den Medien tun, mit den modernen Medien. Es ist sowieso besser, statt eine Bank zu berauben, selber eine zu gründen. -Rainer Langhans

Du kannst vor deinem Land nicht davonlaufen. Du trägst es immer mit dir herum. Doch es ist mir nur möglich, dieses Land mit mir herumzutragen, wenn es mir fremd bleibt. -John Cale



KRAUDN SEPP

In der neuen Ausgabe des Magazins MUH (muh.by) der saulange Text, den ich zum Doppel-Album Kraudn Sepp: Sonntag geschrieben habe, das Hias Schaschko 2005 bei Trikont herausgegeben hat. Mit vielen Fotos. Weil Bayern jetzt seit 40 Jahren tot ist, also Schmarrn, also er natürlich, der Kraudn.

Bildergebnis für kraudn sepp



HUNTER S. THOMPSON SAGT:

Wenn die Sache irre wird, werden die Irren zu Profis.

Heyne Hardcore 2.10.


DAS BENNO-OHNESORG-THEATER

startet am 10. Oktober 2017 in seine vierte Spielzeit, die von Friedrich Ani und Franz Dobler erstmals am Theater Augsburg präsentiert wird. Gäste zur Eröffnung sind: Simone Buchholz (die Hamburger Autorin präsentiert ihren neuen Roman Beton Rouge), André Bücker (der neue Intendant im Gespräch), und live „autonome Wirtshausmusik“ von der Trikont-Frauengruppe Mrs. Zwirbl. Die Gastgeber sind mit den Neuigkeiten Ermordung des Glücks (Ani) und Die Trikont-Story: Musik, Krawall und andere schöne Künste (Dobler) vertreten. Das detaillierte Programm ist dennoch kein Widerspruch zum neuen Theater-Wahlspruch: Du weiß nicht was dich erwartet, aber es wird nicht ganz blöd sein.

Das Benno-Ohnesorg-Theater wurde 1991 von Wiglaf Droste und Michael Stein nicht im Keller des Hamburger Ohnsorg Theaters, sondern in Berlin gegründet. Die erste Phase der „Politshowlesebühne“ wurde im Eiszeit Kino und an der Volksbühne durchgeführt, wo Wiglaf Droste in Phase 2 ab 1994 allein und weiterhin mit Gästen bis 2000 weitermachte. 2007/8 leitete Franz Dobler in Phase 3 die schon mit den Theater-Gründern vage anvisierte Filiale in München im Vereinsheim und an den Kammerspielen. Auch in der nunmehr konzipierten Phase 4 wird die Grundausrichtung der Einrichtung – politische Nachdenklichkeit mit familienfreundlichem Humor – naturgemäß beibehalten.

Abb.: ja/nein



AM VATERTAGE

habe auch ich einmal ein selbstverfasstes Gedicht geschrieben und 2008 in das schmale Buch Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg T-Shirt hineingesteckt, und das geht so:

VATERTAG IM SPORTHEIM

Es war nichts los

an diesem Sonntagnachmittag im Sportheim

die Mannschaft kämpfte auswärts

um den Aufstieg in die B-Klasse

zwei Männer an einem Tisch

in einer müden Stimmung

und nur weil einer sagte

dass früher mehr los war am Vatertag

bekam ich mit, es war Vatertag

und war genauso betroffen.

Ich weiß auch nicht, sagte der Ältere

soll ich dieses blöde Haus renovieren

oder soll ich´s abreißen?

Ich kann mich einfach nicht entscheiden

so geht das seit vier Wochen

es ist zum Wahnsinnigwerden

aber mit dem Alter

wirst du immer schwuler

da kannst du nichts machen.

Die junge Bedienung

ging durch den Raum

in einem engen Oberteil mit Tigermuster

auf dem geschrieben stand

Miss Wet T-Shirt!

Das sah glaubwürdig aus und

alle Augen stimmten für sie.

Was meinst du denn damit?

fragte der Jüngere und lachte unsicher

soll ich vielleicht immer schwuler werden!?

Sollen nicht, aber sehen

wirst du es schon noch, sagte der Ältere

ich lasse mir immer mehr sagen

der sagt was und der sagt was

der eine sagt das Haus renovieren

der andere sagt abreißen

als ich so alt war wie du

mit 25 habe ich mir doch

von keinem was sagen lassen.

Ich zahlte und ging

und war traurig gestimmt

weil es früher am Vatertag besser war

als alle schnell so besoffen waren

dass keiner mehr wusste

wo ist hinten, was ist vorn.

Reiß doch das scheiß Haus ab

sagte ich im Rausgehen zu ihm

aber mach´s mit einer Ladung Dynamit

sonst heißt es noch

du bist schwul.



EIN SCHLAG INS GESICHT (19)

Die CrimeMag Top Ten 2016: Platz 3 Jon Bassoff: Zerrüttung (Corrosion; Polar) und Franz Dobler: Ein Schlag ins Gesicht (Tropen)

Rolling Stone 2/2017: „… mitunter gar an Döblin und Oskar Maria Graf erinnernde Meisterschaft.“



EIN SCHLAG INS GESICHT (18) HELL YEAH!

33. Deutscher Krimi Preis 2017 National

deutscher Krimi Ptreis Deutscher Krimi Preis deutscher krimipreis

 



EIN SCHLAG INS GESICHT (17)

Die von Tobias Gohlis herausgegebene monatliche Krimi-Bestenliste hat den Standort gewechselt und wird ab Januar von Deutschlandradio Kultur und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung präsentiert:

1 Patrick McGinley – Bogmail Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl, 344 Seiten, 24 Euro 2 Liza Cody – Miss Terry Aus dem Englischen von Grundmann & Laudan. Ariadne, 320 Seiten, 17 Euro 3 Franz Dobler – Ein Schlag ins Gesicht Aus dem Deutschen von Franz Dobler. Tropen, 366 Seiten, 19,95 Euro



EIN SCHLAG INS GESICHT (16)

mdr Kultur : Krimi des Monats

„Erzählt ist das alles wunderbar echt und atmosphärisch. Die Dialoge sitzen, man lacht sich schlapp … ‚Ein Schlag ins Gesicht‘ ist, ganz in der Tradition Fausers, ein großer Gegenwartsroman mit Kriminalhandlung.“ (Stefan Maelck)



HEUTE MAL DIESE POESIE

GEGEN ABSCHIEBUNGEN IN KRIEG UND PERSPEKTIVLOSIGKEIT

Wir protestieren heute gegen Abschiebungen, aber ich befürchte, dass es dabei auch darum geht, unser Land gegen eine Bedrohung zu verteidigen. Denn die wachsende Gefahr, dass das Asylrecht in Deutschland immer noch weiter abgebaut und ignoriert wird, und dass verstärkt und sogar in Kriegsgebiete abgeschoben wird, verläuft parallel zur Tatsache, dass unser Land immer stärker von Rechten, von Antidemokraten, von Rassisten bedroht wird.

Man könnte vermuten, dass Deutschland genug aus seiner NS-Vergangenheit gelernt hat, um damit fertigzuwerden, aber das ist offensichtlich nicht der Fall.

Für diese Neue Rechte ist vor allem der Hass gegen Geflüchtete eine ihrer Hauptantriebskräfte. Sie schaffen es mit so irren Behauptungen, dass Deutschland und seine angebliche Leitkultur von Migranten und Geflüchteten abgeschafft würde, eine Menge Stimmen zu holen. Sie holen so viele Stimmen, dass inzwischen Politiker von der CSU bis zur Linken auf diese Bedrohung von rechts dadurch reagieren, dass sie Sprache, Ziele und Behauptungen dieser Bewegung aufgreifen, um ihre Wähler am Abwandern zu hindern.

Unser Problem mit Abschiebungen bzw. mit den Katastrophen an den Außengrenzen der EU hat sich in den letzten Monaten verschärft, weil die Politiker der Mitte für ihr Ziel, ihre Wähler nicht der AfD zu überlassen, ebenfalls das Thema „Geflüchtete“ benutzen: die Behauptung, Deutschland müsste die Zahl an Asylanten und Geflüchteten reduzieren, um nicht existentiell bedroht zu sein, ist schon so gut wie Konsens.

Das muss man sich mal klarmachen: das ist die vorherrschende Meinung in einem der reichsten Länder der Welt, das seine Rüstungsexporte weiterhin steigert in der naiven Annahme, dass es dafür keine Quittung in Form von Opfern gibt, die dann notgedrungen vor unserer Tür stehen. Wobei wir erheblich weniger Kriegsflüchtlinge aufnehmen als einige erheblich ärmere Länder.

Die Behauptung, Deutschland sei in Gefahr, ist eine Lüge. Ebenso wie der Glaube eine Illusion ist, Deutschland oder Europa könnte sich abschotten von den Krisengebieten der Welt, an deren Krisen es immer irgendwie beteiligt ist. Dass echte Probleme, wie die sich permanent verschärfende Kluft zwischen Armen und Reichen, in diesem Tumult untergehen, ist die spezielle Tragik dabei. Und wenn man Leuten wie uns dann vorwirft, wir würden die Arm/Reich-Problematik in Deutschland für weniger wichtig halten, ist das übrigens ebenfalls eine verdammte Lüge.

In der Problemzone Asyl-Abschiebungen-Sichere Herkunftstaaten sind im Moment Geflüchtete aus Afghanistan in besonderer Gefahr. Seit Oktober gibt es ein Abkommen zwischen der EU und Afghanistan, das seine Geflüchteten zurücknimmt und dafür finanzielle Unterstützung erhält. Was im Fall Deutschland heißt: 1,8 Milliarden Euro werden bis 2020 bezahlt, um die afghanischen Geflüchteten loszuwerden. Anders gesagt: das ist der Preis, um das Grundrecht auf Asyl zu löschen.

Denn die Situation in Afghanistan ist allgemein bekannt: Es ist Kriegsgebiet, und die Lage dort verschlechtert sich täglich. Gegen Abschiebungen dorthin protestieren nicht nur humanitäre Organisationen, sondern auch Gruppierungen der CSU und der christlichen Kirchen.

Eine Zeitung der Mitte, die Süddeutsche, hat es kürzlich nicht anders formuliert als wir: „Dass Vertreter der Bundesregierung nun erklären, die Afghanen sollten doch einfach in ihrem Land bleiben und nicht nach Europa fliehen, ist genauso zynisch wie die Einschätzung, es gebe sichere Gebiete, in die man Afghanen abschieben kann.“ (1) Und der UN-Beobachter Chaloka Beyani hat das nach einem Besuch in Afghanistan ergänzt, als er sagte: „Diese Leute zurückzuschicken, wird die Instabilität ganz sicher verschärfen.“ (2)

Die strikte Weigerung der Bundesregierung, angeführt von Innenminister de Maizière, ihre Haltung zu ändern, darf nicht hingenommen werden. Ausgerechnet in einem Land, das in den letzten hundert Jahren mehr als jedes andere Land weltweit das größte Elend verursacht hat, ist diese inhumane oder auch unchristliche Härte gegenüber Geflüchteten vollkommen unakzeptabel.

Diese Härte dient nicht einmal dazu, die Neue Deutsche Rechte ruhig zu halten, sondern wird sie im Gegenteil bestärken. Und das ist der Grund, warum wir Deutsche heute nicht nur für Geflüchtete und gegen Abschiebungen auf der Straße sind, sondern für uns selbst.“

Franz Dobler/Freundschaftskreis Augsburger Flüchtlingsrat e.V., Rede vom 26.11.2016

(1)12.11.2016: http://www.sueddeutsche.de/politik/anschlag-in-afghanistan-bundesregierung-traegt-mitschuld-an-der-situation-in-afghanistan-1.3244891

(2)The Guardian, 1.11.2016: https://www.theguardian.com/global-development/2016/nov/01/eu-deportation-of-migrants-adds-to-afghanistans-instability-says-un-united-nations