Produktion

NOTIZEN EINES HOFFNUNGSLOSEN ALTEN BASTARDS

Dass diese AfD-Leute gegen den endlich aus der türkischen, vollkommen unberechtigten Haft entlassenen Journalisten Deniz Yücel aufgrund seiner Texte, die sie nicht verstehen, hetzen würden, war zu erwarten … von mir aus hätte sich Yücel damals für seinen Text auch nicht entschuldigen müssen, in dem er dem behinderten Sozialdemokraten Sarrazin aufgrund seiner rassistischen Texte einen wirkungsvolleren Schlaganfall wünschte, denn das war Notwehr und eben auch nur Wunschdenken; falls eine Voodoo-Puppe zum Einsatz kam, hat´s nicht funktioniert.

In der Süddeutschen vom 22.2. kommentiert Heribert Prantl am 75. Jahrestag der Verurteilung der Geschwister Scholl und Christoph Probsts eine AfD-Aktion härteren Kalibers, die der Kreisverband Nürnberg-Süd/Schwabach im Januar mit dem Slogan „Sophie Scholl würde AfD wählen“ abgefeuert hatte, mit der Aufforderung: „Es bedarf des kleinen Widerstands.“ Was ist kleiner Widerstand? Flugblätter werfen ist kleiner Widerstand – der allerdings auch groß sein und mit dem Tod bestraft werden kann. Ist eine Voodoo-Puppe kleiner Widerstand? Aber wenn´s funktioniert?

Falls man die Befürchtung hatte, die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano, die in der Zeit neulich sagte „eigentlich ist der menschenverachtende Geist der Nazis nie verflogen“, könnte von finaler Paranoia befallen sein, kann man also beruhigt sein. Also was den Geisteszustand der alten Dame betrifft.

Mehr und zum Teil viel weniger bekannte Details aus dieser Themenzone liefert wie immer die großartige Jungle World-Kolumne „Notizen aus Neuschwabenland“ von Volker Weiß, die soeben zum 25. Mal erschienen ist und dankenswerterweise wie immer auch Online steht: https://www.jungle.world/artikel/2018/08/wer-deutsch-ist-bestimmt-die-afd

Die Serie des Historikers Weiß (eine Ergänzung und permanente Aktualisierung zu seinem Buch „Die autoritäre Revolte – Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“) sollte als Buch erscheinen: auch, um endlich ein Personenregister zu bekommen. Was für den Einsatz von Voodoo-Puppen zwingend benötigt wird. „Für den Einsatz von anderen Puppen natürlich auch“, sagt James Bond, der zwar von gestern ist, aber weiß, wie sowas geht bzw. was alles gehen könnte, wenn was gehen muss.

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VERDREHT (8)

Für das Benno-Ohnesorg-Theater #5 habe ich meine „Verdreht“-Kolumne überarbeitet:

1 Bei den Angaben zu DVDs steht ja nicht nur Regie usw., sondern auch REGION. Jetzt habe ich zuerst RELIGION gelesen. Das war ein Blick in die Zukunft.

2 Immer wieder dieser Fassbinder. Gibt eben eine Menge her. Sogar Iggy hat ihn jetzt erwähnt, habe ich gehört. Ganz klar, Iggy und Berlin – aber auch, was man gern vergisst, Iggy und München. Dazu passend Fassbinder sein Film: Faustrecht der Freiheit. Der Film, den ich von Fassbinder sehen möchte, hatte in diesem Moment jedoch den Titel: Frustrecht der Freiheit.

3 Der Zeitschriftenmarkt wird bekanntlich immer irrer, deshalb war ich für eine halbe Sekunde erfreut, als ich den Titel MOTOWNWELT erblickte. Wow!! – Aber noch ehe meine Geschichtskenntnisse aufgrund des extrem erhöhten Absurditätsgehalts Alarm schlagen konnten, schlug die Realität mit einem trockenen MOTORWELT zurück.

4 Meldung: „Weniger Wiesnbrüder erwartet“. Ich dachte zuerst, ich hätte mich bei ERWARTET verlesen und es müsste ERWACHET heißen. „Wenigstens Ihr Wiesnbrüder erwachtet und kämpft gegen den Islam!“ oder sowas. Aber es ging um eine andere Bruderschaft und hatte natürlich auch was mit dem Islam zu tun: „Weniger Wiesnbesucher erwartet.“

Bildergebnis für faustrecht der freiheit Bildergebnis für faustrecht der freiheit Bildergebnis für faustrecht der freiheit

5 IMMER MEHR VERBRECHER KAUFEN IM NETZ EIN! Das wundert mich nicht, Verbrecher sind auch nur Menschen. Und auch der folgende Satz schien mir vollkommen logisch zu sein: „Damit steigt auch die Zahl der Retouren – gerade nach Weihnachten“. Das Ding mit den Retouren war also der neuste Dreh der Verbrecher. Moment mal, was sollte daran denn neu sein! Die Wahrheit war Folgendes: „Immer mehr Verbraucher kaufen im Netz ein.“ Shit. Ich sah nach, von wann die Zeitung war – sie war neu. Mit Lügenpresse kann man ja klarkommen – aber Lügenpresse und dermaßen verschlafen: das geht gar nicht!

6 Wer kennt diese Träume nicht, wahre Actionfilme, laut und blutig. Man wacht auf und geht mit Nadel und Faden zum Spiegel, um sich selbst zu verarzten. Aber man hat immerhin das Monster mit den roten Augen und Armen wie Rotorblättern besiegt und die Welt von diesem Fluch befreit. Deswegen leuchtete mir das unbekannte Wort „Fluch-träume“ sofort ein – ganz genau: Fluch-Träume! Geisel der Menschheit! Oder ging es vielleicht um Flucht-Räume? Oder sie hatten ein T vergessen und meinten die guten alten Flucht-träume. Wäre ein Deutschtest für Deutsche vor der Passverlängerung: zum Diktat!: In Fluchträumen sind Flucht-Träume Fluch-Träume.

7 Jajaja, ich weiß schon selber, dass es wahnsinnig original ist: SCHLÄGER, DIE SIE KENNEN SOLLTEN! Aber es ist halt doch wieder einmal ziemlich Fäsching. Ich geh heuer als illegitimer und missratener Sohn von Bodo Strauß. Das heißt, ich singe bekifft mit Vollbart für diese schlauen Schläger Schlager wie „Keine Schlacht für Niemand“.

 



IM RÜCKSPIEGEL

Heute vor 30 Jahren schrieb ich das Nachwort zu meinem ersten Buch Falschspieler, das einige Wochen später bei Edition Nautilus erschien, sechs Erzählungen, 120 Seiten. Ich habe das Datum nicht im Kopf, aber am 9. Februar 1948 starb Karl Valentin, und dann steht´s in der Zeitung.

Ich schrieb auch über diesen Valentintag im Nachwort: „Am Tag nach seinem Tod leerte jemand den Inhalt seiner Nachttischschublade auf einen Tisch, richtete es so hin, daß alles zu erkennen ist, und machte ein Foto: (…) eine Pfeife, ein Merk1948Buch, ein Schild mit einer 14, und, neben anderen Gegenständen, ein Phönix Kanonenschlag. (…) einige Dosen mit Spielzeugmunition, ein Entenkopf aus Messing, der zu einem Spazierstock gehört, mit dem ich mich nicht auf die Straße traue, und eine fast leere Rolle Traubenzucker liegen auf meinem Schreibtisch ganz oben auf einer Unmenge Zeug …“

Der Titel des Nachworts, „In der Badewanne ist der Schwimmreifen kein Rettungsring“, ist eine Anspielung auf den seltsamen Tod des damaligen Ministerpräsidenten Uwe Barschel wenige Monate zuvor (vgl. die sog. „Barschel-Affäre“). Die Behauptung, es wäre der Titel meines kommenden Theaterstücks sollte sich als Fälschung erweisen. Dennoch konnte das Buch 2015 bei Fuego als ebook erscheinen.

Falschspieler - Erzählungen: Dobler, Franz 



NEUES VOM AUFKLÄRUNGSSTAB

„Die Männer des Ersten Weltkriegs – Teil 158: Franz Dobler wurde als Sohn eines Bauern in Rothof, heute ein Teil der Gemeinde Neuhaus am Inn, geboren. Im Ersten Weltkrieg diente er als Infanterist in der 11. Kompanie des 16. bayerischen Infanterie-Regiments. Am 28.08.1914 wurde er bei Gefechten in den Rücken getroffen und galt von da ab als vermisst. Später meldete die französische Seite, dass er in Kriegsgefangenschaft seinen Verletzungen erlegen und bei Menil-Rambervillers begraben worden sei. Der Volksbund gibt als Ort des Verschwindens Anglemont an. Die Gemeine von Franz Dobler ruhen heute auf dem Soldatenfriedhof Bertrimoutier in Block 1 Grab 225.“

+ A.d.V.: Dank an Abonnentin M. aus B. + Quelle: http://geschichte-hautnah.de/www/?p=2687 + Auch zu betrachten als geistiges Ufo zum derzeitigen Studium von Alfred Döblins „November 1918“ + Dsbzgl. Details folgen. + Versalien nicht beachten. + Stop. +



KAFKA UND ICH

Wie fast immer können sich die besser gestellten, inklusive der renommierten deutschen Tageszeitungen von der Samstagsausgabe der jungen Welt eine (dicke) Scheibe abschneiden, speziell was den Kulturteil mit der Wochenendbeilage „faulheit & arbeit“ betrifft. Aktuell vertreten sind z.B. Wiglaf Droste (tägliche Kolumne), Beiträge zur „Philosophie der Revolution“ und zum neuen Album von Textor & Renz (von Christof Meueler), ein Nachruf auf Christian Burchard von Embryo (s. gestern hier), 2 Seiten über den Mitbegründer der kritischen Theorie Leo Löwenthal, 2 Seiten Interview mit Theaterregisseur Volker Lösch, wie jeden Samstag 2 Seiten Literatur (heute aus einem neuen Roman von Stefan Wimmer, Teil 1 von 3), der Cartoon von Rattelschneck, die einzigartige Film&Food-Kolumne „Pol & Pott“ von Ina Bösecke, und außerdem an jedem verdammten Samstag die Rubrik „Gedicht zeigen“, welches heute von mir gezeigt wird:

KAFKA UND ICH

Auch ich kenne

Den berühmten Satz von Kafka:

Im Kino gewesen. Geweint.

Bei mir war es neulich

Ein bisschen anders:

Im Theater gewesen. Eingeschlafen.

Es war nur ein Sekundenschlaf

Und ich dachte: Zum Heulen

Dass ich nirgendwo richtig schlafen kann.



WARUM ICH LIEBER ZUR HÖLLE FAHREN WÜRDE ALS JEMALS VON ULF POSCHARDT VERTEIDIGT ZU WERDEN

Diesen Kommentar habe ich am 9.1.2018 im Benno-Ohnesorg-Theater vorgetragen (mit der einleitenden Erwähnung, dass die anwesenden Kollegen Friedrich Ani und Ludwig Lugmeier wie ich rechtzeitig aus dem Wahlkreis 226 flüchten konnten):

DER TEUFEL KOMMT JETZT AUS DEM WAHLKREIS 226

Der Chef der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt aus Peißenberg, das mitten in seinem Wahlkreis 226 liegen muss, hat vor einigen Tagen in der Tageszeitung Die Welt einen „Essay“ (so wird das auf der Homepage der CSU-Landesgruppe genannt) veröffentlicht, der seitdem heftig diskutiert und vor allem zerlegt wird.

Titel: „Für eine bürgerliche Wende“, angebliche Lesezeit (das ist eine schöne Einrichtung auf Welt-Online): 9 Minuten. Da muss man sich aber schon ranhalten und sollte sich beim Lesen nicht fragen, ob es in Deutschland seit dem Krieg (ich meine den II.) jemals eine andere als eine bürgerliche Regierung gab. Bei dieser Lesezeit darf man sich gar nichts fragen, und wenn man sich dabei auch nur einmal und nur ganz flüchtig an der Nase kratzt, schafft man es nicht.

Der 47-jährige ehemalige Verkehrsminister und Diplom-Soziologe wusste natürlich, dass sein Titel „Für eine bürgerliche Wende“ die Frage aufwirft, ob auch seine letzte Tasse im Schrank schon einen Sprung hat, und deshalb meinte er was anderes – er fordert nämlich eine „konservative Revolution“.

Zitat: „Fünfzig Jahre nach 1968 wird es Zeit für eine bürgerlich konservative Wende in Deutschland. Linke Ideologien, sozialdemokratischer Etatismus und grüner Verbotismus hatten ihre Zeit. Der neue Islamismus attackiert Europas Freiheitsidee und Selbstverständnis und darf seine Zeit gar nicht erst bekommen. Darum formiert sich in Deutschland eine neue Bürgerlichkeit. Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger. Wir unterstützen diese Revolution und sind ihre Stimme in der Politik.“

Mich erinnert das zuerst daran, dass mein Vater, wenn Willy Brandt im Fernseher auftauchte (der übrigens auch im Wahlkreis 226 stand), immer „dieser Vaterlandsverräter“ brüllte, wahrscheinlich auch noch „der linke Dreckhund“ (wobei ich glaube, der „Dreckhund“ ist als Schimpfwort inzwischen nicht mehr geläufig). Ich will die Lesezeit hier im Moment nicht mit einer genauen Analyse allein dieses Abschnitts verschwenden – nur zwei Punkte: mit einem „grünen Verbotismus“ war´s offensichtlich nicht so schlimm, und „die linke Revolution der Eliten“ habe ich auch verschlafen – und auf diese also „folgt eine konservative Revolution der Bürger“, da ist sich Dobrindt ebenfalls ganz sicher, was mich auf die Idee bringt, der Mann könnte jetzt Innenminister werden wollen. Das wäre logisch: denn wenn die Bürger den Arsch nicht richtig hochkriegen, was ja mit dem Begriff Revolution zwingend verbunden ist, könnte er dann mit seinem Verfassungsschutz etwas nachhelfen. Was auch die Frage aufwirft, ob der Soziologe, der aus der Jungen Union kommt, jemals über den Unterschied zwischen Revolte und Revolution nachgedacht hat und ob er vielleicht die G20-Proteste als Aufstand bezeichnet, und ob er – noch etwas weitergedacht, soviel Lesezeit nehme ich mir jetzt, vielleicht ist das „sozialdemokratischer Etatismus“, ich habe keine Ahnung! – der Meinung ist, dass der Welt-Türkei-Korrespondent Deniz Yücel gut im Istanbuler Knast aufgehoben ist, was ja die Meinung von AfD-Leuten ist.

Der Historiker Volker Weiß, Autor des Bestsellers „Die autoritäre Revolte – Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“, hat sich durch den Dobrindt-Textdschungel geschlagen und beleuchtet im ZDF-Interview den Begriff „Konservative Revolution“: „Der Begriff der „konservativen Revolution“ ist historisch ja eindeutig bestimmt. Der gehört in die Vorgeschichte des Faschismus. Wenn Dobrindt nun damit hantiert, zeigt er deutlich, dass er sich den Wählerkreisen der AfD öffnen möchte, in denen diese Begriffe normal sind (…) Und es signalisiert auch die Bereitschaft, Politik im Stile eines Donald Trump, Viktor Orban oder Wladimir Putin zu führen. Das sind heutzutage nämlich die Träger der sogenannten „konservativen Revolution“. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass dieser Begriff lange einen festen Platz in der CSU hatte. Der Schöpfer des politischen Begriffes der „konservativen Revolution“ war Armin Mohler, und der war Berater von Franz Josef Strauß. Was Dobrindt sagt, ist also nicht neu.“

Und das gilt für den ganzen „Essay“ (so wird das auf der Homepage der CSU-Landesgruppe genannt), den man, wenn die Lesezeit abgekürzt werden muss, auf Dobrindts Lebensthemen runterbrechen könnte: a) der Schutz der deutschen Familie vor b) den 68ern. Allerdings hat Dobrindt sich noch nie so deutlich ausgedrückt und den Teufel 68 so groß an die Wand gestellt.

Übrigens ist sogar die Stelle im Text, für die Dobrindt in die Essay-Geschichte eingehen wird, nicht wirklich neu: „Deutschland ist nicht der Prenzlauer Berg“. Mit dem Nachsatz phantastisch ergänzt: „aber der Prenzlauer Berg bestimmt die öffentliche Debatte“. Schon in einem Interview 2013 hatte der Minister an dieser Theorie zu arbeiten angefangen, als er sagte: „Was modern ist, wird demokratisch bestimmt und nicht elitär. Die Modernität einer Gesellschaft ergibt sich aus den Lebensphilosophien der Mehrheit der Menschen und nicht einer Minderheit, wie sie beispielsweise im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg zu finden ist.“ Die Frage, ob der Peißenberger die Kreuzberger anstatt der Prenzlauerberger meinte, wird uns ebenfalls noch länger beschäftigen wie die Frage, wie er wohl zu seinem Soziologie-Diplom gekommen ist.

In der weitreichenden Dobrindt-Diskussion ist die Tatsache untergegangen, dass keine alte Sau die Welt liest (so nennen das im Wahlkreis 226 die Leute), und deshalb ging auch ziemlich unter, dass Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt dem Dobrindt selbst für ein Springer-Blatt besonders eifrig die Stange hielt. Poschardt war vor einigen Jahren Chef der Springer-Magazine Rolling Stone, MusikExpress und Metalhammer, und tatsächlich arbeitet er seit Jahren wie kein zweiter daran, Elemente der Popkultur nach rechts zu verschieben – könnte sein, dass er nicht nur ein Buch über den „Porsche 911“ geschrieben, sondern ihn etwas zu oft an die Wand gefahren hat.

Originalton Poschardt: „Alexander Dobrindt ist der Fritz Teufel unserer Zeit. 50 Jahre danach tritt ein CSU-Politiker das provokative Erbe der 68er an. Das empört vor allem jene, die sich als Gralshüter der Studentenrevolte verstehen (…) Wieder einmal geht ihm die Gesinnungslinke auf den Leim. Sie formiert sich freiwillig als eine Art publizistische Volksfront (…) Dobrindt ist ein Diskurspragmatiker der Mitte, der gerne mit den Linken spielt. Die reagieren wie die Spießer damals auf Fritz Teufel. Dabei ist der CSU-Politiker den 68ern in seiner Art des Aufruhrs näher als dem selbstgerechten Establishment.“

Die Springer-Presse schlägt wieder zu, könnte man daraus schließen, oder: Poschardt versucht Dobrindt im Abfeuern von Worthülsen, Verzerrungen und unsinnigen Behauptungen zu schlagen. Nach dieser Dobrindt-ist-der-Teufel-von-heute-Logik könnte ich auch behaupten, dass Dobrindt heute den Hitler macht, weil er sich in den letzten Jahren so vehement wie kein anderer für die Rechte von Autobahnen einsetzte.

Ich gehe nicht in die naheliegende Falle, zu sagen, dass nicht einmal ein Dobrindt diese Verteidigung verdient hat. Im Gegenteil: Wer, wie Dobrindt, behauptet, „die christlich-jüdische Glaubenstradition (formiere) eine Wertegemeinschaft des Abendlands“, sollte eine Weile in den Knast gesteckt werden. Es muss ja nicht in Istanbul sein.



DIE TRIKONT-STORY (12)

Für die Dezember-Ausgabe des Magazins a3-kultur habe ich das dazu geschrieben:

DER SOUND DER FREIHEIT

Wenn es nicht echt gewesen wäre, könnte man es als gelungenen Einstieg für einen Actionmusikfilm betrachten: Wenige Stunden nach der Buchpräsentation von „Die Trikont-Story“ bekam Trikont-Gründer Achim Bergmann auf der Frankfurter Buchmesse von einem Nazi zwei Faustschläge ins Gesicht, weil er ein Interview über die bösen 68er am Stand der rechtsextremen Zeitung junge Freiheit mit dem Zwischenruf „du redest Scheiße!“ gestört hatte.

Es war kein Zufall, dass ausgerechnet dieser Musikverleger angesichts der auftrumpfenden Rechten nicht die Klappe hielt. Denn das Trikont-Label ist nicht nur eines der ältesten Independent-Labels der Welt, sondern die bedeutendste, von sog. 68ern gegründete Kulturfabrik, die überlebt hat und seit 50 Jahren für eine offene, antinationalistische Gesellschaft und die dazu passende Musik kämpft.

Mit den Machern des heute weltweit legendären Labels aus München-Giesing bin ich seit einem Vierteljahrhundert befreundet (kann hier also keinen Hauch von Objektivität bieten), habe einige Compilations herausgegeben und Texte geschrieben. Aber meine emotionale Bindung geht sogar noch viel weiter zurück.

Ich steckte in der oberbayrischen Kleinstadt fest, in der Franz Josef Strauß spätestens 1946 das Kommando übernommen hatte, als ich mit sechzehn endlich etwas nachdenklicher wurde und dabei das bis heute bekannteste Trikont-Buch in die Finger bekam, „Wie alles anfing“ von Bommi Baumann. Damit distanzierte sich der Mitbegründer der Bewegung 2. Juni vom bewaffneten Kampf. Und lieferte sehnsüchtigen Teenagern wie mir, nicht zuletzt durch seine bodenständig-verständliche Art, eine Menge Stoff für unsere Anti-Haltung gegenüber einem CSU-Bayern, das uns etwa soviel zu sagen hatte wie ein kaputter Toaster.

Von den Problemen mit diesem Buch wusste ich natürlich nichts. Kein Mensch hätte damals, 1975, einen Pfennig darauf gewettet, dass diese Firma jemals 50 werden würde. Das erfuhr ich erst jetzt von Achim Bergmann, der zusammen mit Eva Mair-Holmes das Schiff bis heute steuert. Trikont wurde einerseits von RAF-Leuten buchstäblich belagert und bedrängt, das Bommi-Buch nicht zu veröffentlichen, denn in ihrer verkorksten ultra-autoritären Denke war es das konterrevolutionäre Werk eines Verräters. Und andererseits wurde das Buch dann gleich beschlagnahmt und der Verlag von den Staatsorganen mit Durchsuchungen und Prozessen angegriffen. Dass sich Trikont von beiden Truppen nicht aufhalten ließ, ist eine Antwort auf die Frage, wie dieser kleine Independent auch nachfolgende Krisen überlebt hat, ohne von seiner ursprünglichen Haltung viel weg- oder sich an irgendeinen Musikantenstadl ranzuschmeißen.

Als ich 1979 nach München kam, fing ich mit dem Trikont-Musikstudium an, das ich bis heute nicht abschließen konnte. Zur selben Zeit trennte sich das Label vom Verlag, der sich schon eine Weile, passend zu den damals angesagten Trends, auf esoterischen Mumpitz verlegt hatte und ein paar Jahre später einging, während das Label immer noch einen Zahn zulegte. Selbst in den stärksten Punk- und New-Wave-Stürmen wurde man von diesem Leuchtturm Trikont immer daran erinnert, dass die (Musik-)Welt viel größer war als die kleine Punkwelt zwischen dem Milbenzentrum in Milbertshofen und der, ebenfalls schon lange verstorbenen, Wirtschaft zur Post in Ampermoching.

So deutlich wie jetzt bei der Arbeit am Buch hatte ich nie erkannt, wieviel Pionierarbeit da geleistet worden war, zum Beispiel mit der ersten feministischen Platte („Lieder von Frauen“, 1974) oder der ersten Schwulenplatte („Schwul“ von Warmer Südwind, 1977). Es gab keine Afrobeat-Welle, als 1978 die erste LP der liberianischen Band Kapingbdi erschien – die man heute mit einer brandneuen Trikont-Produktion verbinden kann, dem ersten Album der Banda Internationale aus Dresden, die aus geflüchteten und deutschen Musikern besteht. Ein starkes Symbol für Trikonts unveränderte internationale Haltung und musikalisch-politische Bedeutung.

Das Label versucht weiterhin – im Verbund mit seinen Acts wie Hans Söllner, Attwenger, Bernadette La Hengst, Lydia Daher oder Kofelgschroa, um hier wenigstens einige zu nennen – die Grenzen zu durchlöchern, die Deutschland und Europa permanent dichter machen, um in ihrem nationalen Irrsinn möglichst wenig gestört zu werden.

Da mag es dann einige Leute überraschen, dass ausgerechnet dieses Label so gründlich wie nichts und niemand auch die bayrischen Roots von Bally Prell und Liesl Karlstadt über Karl Valentin bis Kraudn Sepp erforscht hat. Auch um zu zeigen, dass die bayerische Kulturgeschichte mehr hergibt als die Partei denkt. Von deren Heimatministerium mit Hausmeister Söder soviel kommt wie von einem kaputten Toaster. Ohne ein paar Institutionen wie Trikont wäre Bayern auf dem kulturellen Stand von Ende Mai 1945.



DIE TRIKONT-STORY (10)

In Konkret 12/2017 eine Seite in der Rubrik „platte des monats“ über die Trikont-Jubiläums-3cd-Box „Expose yourself to Trikont Vol. 6“ (die übrigens, kein Schreibfehler: 9,99 kostet), und im Artikel von Harald Justin auch eine Bemerkung zum Buch: „Es gehe darum, nach einem Wort Hannah Arendts mit dem Herzen zu hören und mit dem Denken zu fühlen. So verstanden, müsste man sich dem Label noch anders, nicht über die einzelnen Produktionen, sondern über die Gesamtheit des Programms nähern, historisch, kritisch und es als Seismographen einer Geschichte begreifend, die weit größer als Musik ist. Genau das haben Christof Meueler und Franz Dobler mit ihrem Buch zum Labeljubiläum (…) gemacht.“



CATWALK SMALLTALK (10)

WAS MEINST DU, WIEVIEL SIE IHM DAFÜR BEZAHLT HABEN?

ZU WENIG, AUF JEDEN FALL ZU WENIG.

GLAUBE ICH AUCH.

GLAUBST DU AUCH?

GLAUB SCHON.

SICHER?

ZIEMLICH SICHER. GANZ SICHER.



PASSAGIER 2017

heißt mein neustes Gedicht, veröffentlicht in der jungen Welt  vom 18.11. (nachdem ich es am 14. im Benno-Ohnesorg-Theater vorgetragen hatte, nachdem Friedrich Ani und ich beschlossen hatten, uns am Ende jeder Vorstellung mit einem neuen Gedicht zu verabschieden):

Im Supermarkt kommt aus den Lautsprechern

Iggy Pop mit The Passenger.

Vor 40 Jahren um 15 Uhr hätte ich das so gesehen:

Wir haben den Supermarkt eingenommen!

 

Jetzt haben sich die Rauchwolken verzogen

Und die Sache sieht anders aus:

Sie sind überall.

Es gibt kein Entkommen.

 

Eine Erkenntnis

Die mich nicht schockierte

Nur ganz kurz berührte.

Ich hatte mir schon sowas gedacht.