Produktion

AUS DEM TAGEBUCH EINES ÜBEREIFRIGEN MUSIKSTUDENTEN (14)

Ich weiß nie, wann er mich wieder mal besucht – plötzlich steht The Lonesome Discjockey in meinem Wohnzimmer und legt los. Er trägt nicht nur wie gestern, sondern immer eine Maske. Ich habe nichts geraucht, weil ich nichts mehr rauche. Er sagt nichts und beantwortet keine Frage; auch nicht ob er den Unterschied zwischen nichts und nicht kennt. Ich sage, er soll mich öfter besuchen, aber er sagt nichts. Ich weiß nie, was er dabei hat und auch nicht, ob er je wiederkommt. Das war´s gestern: 

Drive my car – The Beatles # How far can too far go – The Cramps # Today and tomorrow – Charlie Feathers # Kizmiaz – The Cramps # Honey don´t – The Beatles # Tina, the gogo queen – Tav Falco Panther Burns # Hey good lookin´ – Buckwheat Zydeco & Dwight Yoakam # I can´t stand the rain – Ann Peebles # Loretta – Steve Earle # Without your love – Chuck Higgins # Honky Tonkers don´t cry – Dale Watson # Gentle on my mind – Waylon Jennings # Hard road – Lucinda Williams # Don´t come home a drinkin´ (with lovin´ on your mind) – Loretta Lynn # I´m a lonesome fugitive – Merle Haggard # Trouble in mind – The Pine Valley Cosmonauts # Mind your own business – Hank Williams # Cajun fugitive – Belton Richard # Kaw Liga – G.Rag & Die Landlergschwister # Restless – Emmylou Harris # Ballad of Little Fauss and Big Halsey – Johnny Cash & Carl Perkins # Lately I´ve been leanin´ toward the blues – Johnny Cash



EIN SCHLAG INS GESICHT (23)

Hier sieht man wie sich Murathan Muslu, der Hauptdarsteller in Nina Grosses Verfilmung Nicht tot zu kriegen meines Romans Ein Schlag ins Gesicht, bei einem Stunt-Training (für eine andere Produktion) macht (aber Achtung, don´t do this at home, auch wenn da nicht Lisa Maria Potthoff zurückschlägt). Man sieht auch, warum ich mir keinen besseren Mann für die Hauptrolle wünschen könnte. Man sieht leider noch nicht, wann man den Film sehen kann (demnächst) …



CATWALK SMALLTALK (14)

ICH WEISS NICHT MEHR, WOHER ICH DEN KENNE. IST MIR SCHON ÖFTER PASSIERT.

ER WOLLTE DIR NÄHERKOMMEN, SEINE HAND HAT SCHON GEZUCKT.

MEIN GOTT.

SIEHT AUS WIE‘ N TYP, DER JETZT BEREIT IST, SICH GANZ HART FÜR BÜRGERRECHTE EINZUSETZEN.

WAS HEISST DAS?

WEISS ICH NICHT GENAU.

UND UNGENAU?

LEUTE, DIE SICH DIE GANZE ZEIT EINEN SCHEISS UM BÜRGERRECHTE GEKÜMMERT HABEN, STEIGEN DANN PLÖTZLICH GANZ HART EIN, WENN SIE SICH ENTSCHLOSSEN HABEN, JETZT ABER MAL EINZUSTEIGEN.

OHO, HAB ICH IHM NICHT ANGESEHEN, GLEICH GEH ICH IHM NACH.

DEINE MASKE IST VERRUTSCHT.

MIR IST NOCH WAS GANZ ANDERES VERRUTSCHT. (Sie fummelt auffällig an sich rum…)



AUS DEM TAGEBUCH EINES ÜBEREIFRIGEN MUSIKSTUDENTEN (13)

2-4-2020: Malcolm McClaren, Duck Rock (A) + Thee Headcoats, Headcoatitude (A) + Wild Billy Childish and the blackhands, live in the netherlands (A/B) + Hochzeitskapelle, the world is full of songs (C/D) + G.Rag & Die Landlergschwister, Neue Stadt (A) + Das Hobos, Random Home (A) + Zündfunk und danach TV-Doku über Ratinger Hof und anschließend NDW-Doku, trotz quälender Zeitzeugen wie Heinz-Kunze Rudolph, aber mit interessanten Überschneidungen zur Ratinger-Doku wie Der Plan und Fehlfarben, und ja genau, ganz vergessen, dazwischen auch noch eine Doku über die Hagen-Szene um 80 rum mit Extrabreit und Nena, was mich alles noch nie interessiert hat, aber ich habe ja Nena in der Zeit sogar mal kennengelernt (etwas übertrieben gesagt), als ich Statist bei Wolfgang Bülds Gib Gas ich will Spaß-Film war, und jemand musste mich darauf hinweisen, dass Nena in dem Moment abging wie ne verdammte Gasrakete, aber dann standen wir auf einer wirklich dünnen Filmparty herum, und Nena war nicht etwa umringt von Fans, sondern langweilte sich ziemlich allein und wollte, das konnte man sehen, eigentlich nur tanzen und etwas Spaß haben, und verdammt, ich wollte ja auch nichts anderes, und Wolfgang Büld anzuquatschen war übrigens auch kein Thema, weil ich einerseits seinen London-Punk-Film noch nicht kannte und sein Hank-Williams-Film noch lange nicht gedreht war, der mir aber auch in dem Moment noch nichts gesagt hätte, weil ich ja weit davon entfernt war, Hank Williams zu kennen, also jedenfalls hatte ich nicht die Eier, auf Nena zuzugehen, um sie bei ihrem Tanztrieb zu unterstützen, denn sie sah schon wirklich extrem sexy aus, ja, mein Leben ist eigentlich letztlich doch nur eine Ansammlung von verpassten Gelegenheiten, und im Moment versuche ich mich extrabreit zu trinken und höre Charles Mingus, den ich übrigens dann auch mal auf einer Party…(nicht mehr sicher) ¿¿



ICH BIN KEIN PROPHET ABER

ich möchte mir mal erlauben zu erwähnen, dass ich schon in jungen Jahren gewisse Ahnungen hatte (okay, das verbindet mich ein wenig mit anderen Propheten), die man heute als fundierte Analysen verkaufen könnte, als ich die politischen Verhältnisse in meiner oberbayrischen Heimatstadt beschrieb:

„Wenn die Lichtverhältnisse in dieser Gegend so wären wie die politischen, dann wäre es dort so dunkel, dass nicht mal Einzeller anzutreffen wären; das betrifft auch die SPD, denn am schlimmsten überhaupt ist der, der im Dunkeln erstens behauptet, eine Taschenlampe zu haben, zweitens diese nicht rausrückt und drittens gelogen hat.“

(Aus: Bierherz, in: Falschspieler, 1988) Nichts zu danken.



AUS DEM TAGEBUCH EINES ÜBEREIFRIGEN MUSIKSTUDENTEN (12)

Nach dem Einkaufen, kaum anders als sonst und kein Klopapier, schlagartig den Entschluss gefasst, die Anweisung, möglichst meistens zuhause zu bleiben, mit mehr Musik zu nutzen, genauer gesagt den schon lange gefassten, aber eigentlich bescheuerten Plan umzusetzen, links oben bei den Zahlen-Bands anzufangen und von A bis Z durchzumachen und mit den Kompilationen abzuschließen.

Wenn man zu nichts verpflichtet ist, fällt einem so böses Zeug ein wie eine Generalinventur. Dazu gehört: jedes Teil komplett abhören.

Geht also los mit 2Pac/Greatest Hits. Dann 3 Shades/Thank God For Beatniks. Dann 801/Live (wo mir klar wird, dass es auch eine Strafe ist, alles komplett abzuhören – wie man ja auch sagt, dass der Completist der Feind des Musikfans ist… aber der Plan war eben schon gefasst und schnelles Aufgeben ist meistens Shit).

Ich frage mich, wie weit ich damit kommen werde. Ich könnte eine Pi-mal-Daumen-Kalkulation aufstellen, aber das finde ich langweilig, geradezu feige. Komm ich bis Merricks/In Schwierigkeiten oder hat mich der Sensenmann – von dem ich glaube, dass er auch eine Frau sein könnte – schon vorher besucht?

Merricks´ Mastermind Bernd Hartwich ist vor wenigen Tagen gestorben, mit 53. Ich kannte ihn nicht gut, aber wenn wir uns mal irgendwo getroffen haben, unterhielten wir uns freundlich, einmal auf diesem Münchner Club-Gelände (Name fällt mir nicht ein) um 4h morgens, ich glaube, wir hatten beide irgendwo aufgelegt, jedenfalls war er stocknüchtern und musste noch weitermachen, während ich alles (oder auch alle) erledigt hatte und deshalb was intus haben durfte.

Seinen Merricks-Song „Schwierig Schwierig“ hatte ich für meine Trikont-Perlen-Compilation #2 bekommen, und von Der Englische Garten „Ein ehernes Gesetz“ für #4. Das In Schwierigkeiten-Album wurde „aufgenommen bei Radio Hartwich“, was das Geschäft seiner Eltern war, und war 1993 ein spezieller München-Reiseführer (mit Titeln wie „Club 2“ oder „Gabanyi“), der heute natürlich einen anderen Informationsgehalt hat.

Ich bin also mit dem alphabetischen Anfang meines Musikzeugs beschäftigt und würde sofort lieber bei M wie Merricks weiterhören. Die Entscheidung, mit CDs anzufangen, war bescheuert. Grundlos. Aber schon jetzt den ganzen Plan umschmeißen ist auch bescheuert… Es ist überhaupt alles bescheuert… Fuck the world and mind your own business. Würde ich außerhalb meines Tagebuchs sagen. Aber ich muss ja zuhause bleiben. Fuck this shit (dick unterstrichen).

Bildergebnis für merricks in schwierigkeiten

Bernd Hartwich mit Sonnenbrille: Ruhe in Frieden



DEUTSCHLAND IST KRANK

Ich habe meine Rede im Dienst des Flüchtlingsrats für die Demonstration am 9.3. etwas über- und ausgearbeitet:

DEUTSCHLAND IST KRANK

ABER ES GIBT EINE GUTE NACHRICHT: NICHT UNHEILBAR KRANK

(Eine Wahlempfehlung für alle, die keine andere Wahl haben)

Wir werden in diesen Tagen nicht nur von e i n e m Virus bedroht, sondern von einigen. Und gegen den gefährlichlichsten von diesen uns attackierenden Viren hilft keine Pille und kein Händewaschen.

Dieser Virus greift die gesamte Europäische Union an und hat sich auch in Deutschland längst massiv ausgebreitet – diese tödliche Krankheit besteht aus Neuen Rechten und Neo-Nazis, und ihre Symptome sind Rassismus, Anti-Feminismus, Homophobie, Antisemitismus und Islam-Feindlichkeit.

Diese Erkrankung ist schon soweit fortgeschritten, dass man den Geflüchteten, die sich an der türkisch-griechischen Grenze in einer katastrophalen, lebensbedrohlichen Situation befinden, nicht nur keine Hilfe gewährt, sondern ihnen Knarren ins Gesicht hält, um sie an der Flucht zu hindern.

Diese totale humanitäre Bankrotterklärung Deutschlands und des Friedensnobelpreisträgers EU hatte sich schon mit dem Verrat an den kurdischen Peschmerga-Streitkräften, die Europa gegen den Islamischen Staat verteidigt haben, angebahnt, und ebenso mit dem im November 2015 vereinbarten „Aktionsplan zur Begrenzung der Zuwanderung über die Türkei“. Dass der Despot Erdogan im Rahmen des Syrien-Kriegs jetzt diesem dreckigen Deal, der bisher insgesamt sechs Milliarden Euro wert war, diese miese Erpressungsaktion hinzugefügt hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Türkei und Griechenland tatsächlich erheblich größeren Belastungen durch Fluchtbewegungen ausgesetzt sind als Deutschland.

Das ist der Deal: Das reichste EU-Land legt Geld auf den Tisch, um von möglichst wenigen Geflüchteten gestört zu werden, oder anders interpretiert, um der AfD, die hauptsächlich vom Thema Flucht und Asyl und dem permanenten Anfeuern von irrationalen Ängsten lebt, weniger Futter zu geben. Man nennt das eine Milchmädchenrechnung, und die Quittungen für derartig böse Verrechnungen sehen in der Regel übel aus.

Die Quittung liegt an der EU- und NATO-Außengrenze, und dieser explosive Konflikt führt zu einer Steigerung des Nazi-Virus in Deutschland, die im Moment so noch nicht zu erwarten war – jetzt sieht es so aus, als hätten die Faschisten schon fast gewonnen: Neo-Nazis haben den bekannten antifaschistischen Slogan „Nie wieder Faschismus“ übernommen und mit ihrem „Nie wieder 2015!“ pervertiert. Das konnte man erwarten. Aber so gut wie alle PolitikerInnen der bürgerlichen Mitte stimmen ihnen zu – von CSU bis SPD und sogar von weiter links kommt der Schlachtruf „Nie wieder 2015!“ Als wäre der humanitäre Akt, die spontane Aufnahme von mehr Geflüchteten 2015, der symbolhaft mit Bundeskanzlerin Merkel verbunden ist, eine Katastrophe gewesen, unter der wir heute noch schwer zu leiden hätten.

Als damals von AfD-Politikern gefordert wurde, notfalls die EU-Grenzen gegen Flüchtende mit Waffengewalt zu sichern, war der Protest im bürgerlichen Lager groß – und heute wird die Grenze der „Festung Europa“ mit mehr Frontex-Soldaten dichtgemacht, und es wird nicht nur Tränengas eingesetzt, es wird geschossen. Die unsere Demokratie so tapfer bewahrenden PolitikerInnen finden das offensichtlich in Ordnung; das europäische Asylrecht, die Menschenrechte oder auch die sogenannten christlichen Werte interessieren sie offensichtlich nicht mehr besnders. Außer vielleicht, wenn eine Kamera in der Nähe ist.

Die auch mit Stimmen von ganz rechts gewählte EU-Präsidentin und ehemalige deutsche Verteidungsministerin Ursula von der Leyen bestärkt sogar die griechische Regierung darin, das EU-Asylrecht auszusetzen und damit zu brechen, denn das Problem Griechenlands ist vor allem die ausbleibende Unterstützung seiner EU-Partner, die tatsächlich glauben, allein mit ihrer Frontex-Truppe das griechische Problem lösen und die zunehmenden Flüchtlingsströme der Welt aufhalten zu können. Die Ermahnung der deutschen Präsidentin, dieses Asylrecht müsse bei aller verstärkten Sicherung der „Festung Europa“ gewährleistet bleiben, klingt etwa so wie das Flüstern eines psychopathischen Serienkillers, der seinem gefesselten Opfer versichert, es doch gar nicht töten zu wollen.

Eine ganz besondere, vor den AfD-Faschisten klein beigebende Aktion leistete sich der deutsche Bundestag: Ein am 4.3. von B90/Die Grünen eingebrachter Antrag(1), wenigstens 5000 besonders Schutzbedürftige aus dem Krisengebiet aufzunehmen, wurde mit fast allen Stimmen der Koalition plus jeweils allen Stimmen von AfD und FDP abgelehnt. Ist das vielleicht die Große Koalition der Zukunft? Nur die Grünen und Die Linke stimmten geschlossen dafür.

Nur 3 Stimmen der christlichen Parteien und nur 2 Stimmen der Sozialdemokraten waren für die Aufnahme der für Deutschland unproblematisch geringen Anzahl von 5000 Schutzbedürftigen. Da fallen mir keine auch nur halbwegs höflichen Kommentare mehr ein.

Falls dieses Abstimmungsergebnis für Sie wie eine Wahlempfehlung für die anstehende Kommunalwahl klingt, ist das Ihr Problem – tin Wahrheit ist es ein Kapitel aus den Geschichtsbüchern der Zukunft, die von HistorikerInnen geschrieben werden, die unabhängig von Parteieinflüssen von demokratischen Desastern aus der Zeit der Killer-Viren erzählen.

An der Einschätzung, dass es sich dabei um eine Bundestags-Katastrophe handelt, ändert auch die Spiegel-Online-Meldung vom 9.3. nicht viel: Da hat die Große Koalition entschieden, dass „1000 bis1500 (…) besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche“ aufgenommen werden. Hut ab! Das ist eine echt irre Leistung für eines der reichsten Länder der Welt, auf die allenfalls ein paar besonders schutzbedürftige Sozialdemokraten stolz sein werden, während die Christdemokraten wie erwartet ignoriert haben, was ihnen eine verrückte Alte wie ihre ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth zum Thema Migrationspolitik ins Gebetbuch geschrieben hat: „Jesus hätte uns wahrscheinlich aus dem Tempel gejagt, wenn er gesehen hätte, wie wir mit dem C umgehen.“(3)

Natürlich haben auch wir (z.B. vom Augsburger Flüchtlingsrat) mit einem gewissen Respekt zur Kenntnis genommen, dass der bayerische Ministerpräsident kürzlich an einer Demonstration gegen die AfD teilgenommen und gesprochen hat. Aber wir hören auch seinen „Nie wieder 2015!“-Schlachtruf und werden auch so schnell nicht vergessen, dass er, wie der heutige Innenminister Seehofer, in den Jahren nach 2015 auf eine Art gegen die Aufnahme von Geflüchteten gesprochen hat, die von der AfD kaum zu unterscheiden war. Die Frage stellt sich zwangsläufig, was Söders Äußerungen gegen die Rechten wert sind, wenn die deutschen Behörden nicht einmal in der Lage sind, Neo-Nazis davon abzuhalten, an der griechisch-türkischen Grenze einzumarschieren und Geflüchtete und HelferIinnen und Antifaschisten anzugreifen.

Das ist der Trugschluss der demokratischen Mitte: Sie stimmen in den Slogan der Rechten „Nie wieder 2015!“ ein und glauben, damit den Vormarsch der Rechten aufzuhalten. Sie ignorieren das universelle Menschenrecht auf Asyl und glauben, damit Europa zu bewahren. Wenn das ihre Vorstellung von Deutschland und Europa ist, dann kann ich da kaum noch was erkennen, was man bewahren müsste – mit der deutschen Geschichte im Rücken ist das etwas schwierig, und falls jemand seine Zeit damit verschwenden will, mit Volksvertretern vom rechten Rand darüber zu diskutieren, dann wünsche ich ihm alles Gute.

Aber die Hoffnung stirbt ja, wie allgemein bekannt, nicht so schnell: In der Bundesrepublik haben sich inzwischen 140 Städte und Landkreise zu „Sicheren Häfen“ erklärt (2) und sind bereit, Geflüchtete aufzunehmen. In Bayern sind es 13 Städte, die sogenannte Friedensstadt Augsburg ist nicht dabei (entsprechende Versuche wurden vom noch amtierenden Oberbürgermeister als „Symbolpolitik“ abgetan, ein Ausdruck, der für besonders mutige Christen erfunden wurde).

Die Bereitschaft dieser 140 bekommt nun mehr Power durch das ganz neue Gutachten einer Rechtsanwaltskanzlei, das laut Redaktionsnetzwerk Deutschland zu dem Schluss kommt: „Sowohl das Grundgesetz als auch das einfache Recht gewähren den deutschen Bundesländern substantiellen Spielraum, Maßnahmen zur Aufnahme von Flüchtenden aus humanitären Notlagen zu ergreifen.“

Das würde bedeuten, dass Bayern sehr wohl etwas tun könnte, falls man endlich aufhören würde, sich auf die Erwartung einer generellen EU-Haltung rauszureden; und falls man sich auf das Recht auf Asyl und christliche Werte besinnen möchte; und falls der Ministerpräsident und die anderen Demokraten es ernst damit meinen, gegen die AfD vorzugehen, die bei einer Bestätigung dieser Expertise einen ans Herz gehenden Tobsuchtsanfall bekommen müsste, wenn es eine Gerechtigkeit gäbe.

Und das heißt natürlich auch, dass von der Stadt Augsburg verstärkt gefordert werden muss, egal wie der Stadtrat in wenigen Tagen aussehen wird, sich den Sicheren Hafenstädten anzuschließen und auf die Bayerische Staatsregierung so einzuwirken, wie es für eine Stadt würdig ist, die sich als „Friedensstadt“ bezeichnet.

Keiner weiß im Moment, was der Corona-Virus alles verändern wird – aber todsicher ist, dass eine Ausbreitung der rechten und faschistischen Viren viel gefährlicher ist und zu Veränderungen führen wird, die wir verhindern können und müssen. Für mich und wahrscheinlich die meisten Antifaschisten ist es nicht lebenswichtig, stolz auf Deutschland zu sein – wir wären schon zufrieden damit, uns weniger dafür schämen zu müssen.

(1)https://www.bundestag.de/presse/hib/685224-685224

(2)https://seebruecke.org/startseite/sichere-haefen-in-deutschland/

(3)Welt.de, 19.11.2019

Augsburger Flüchtlingsrat

FIGHT FOR EVERYBODYS RIGHT TO PARTY !



IN MEMORIAM MR. TRIKONT ACHIM BERGMANN

Vor zwei Jahren am 1. März starb mein Freund und Trikont-Gründer Achim Bergmann. Bei der Abschiedsfeier in München (in einer Halle für verstorbene Atheisten) am 9. März trug ich diesen Nachruf vor:

Nachruf auf Achim Bergmann (1943-2018)

In den gut 25 Jahren, die ich Achim Bergmann kannte, waren wir nie zusammen auf einer Veranstaltung wie dieser heute, wo jemand auch noch eine Rede hält. Aber es war dennoch keine Überraschung für mich, als mir Eva jetzt erzählte, dass Achim diese Reden immer gehasst hat. Was mich beim Verfassen natürlich zusätzlich aufgebaut hat.

Und wie lange soll ich denn reden?, fragte ich. Ja, also eine Dreiviertel Stunde sollte es schon sein, sagte Eva. Gut, das schaff ich, sagte ich.

Falls Achim das jetzt irgendwie mitbekommt, wird er fluchen und mich beschimpfen. Und wenn wir ihn jetzt nicht hören können, sagt das gar nichts. Ich bin zwar nicht gläubig, aber ich bin mir auch nicht so ganz sicher, wo die Seele von jemand ist, der grade noch bei uns war, und deshalb rechne ich lieber mit allem – und fasse mich vielleicht doch etwas kürzer.

Achim hat also derartige Reden gehasst, aber wenn wir uns trafen, haben wir viel geredet. Er hat viel und gerne geredet, weil er viel zu sagen, viel Erfahrung und Wissen hatte. Und sich vor allem darüber austauschen wollte. Es ging um Kommunikation, nicht um ein einsames vor sich hin quatschen oder jemanden zulabern.

Eine Anekdote wie sie einer seiner Helden, Herbert Achternbusch einmal beschrieb, wäre mit Achim Bergmann als Teilnehmer undenkbar gewesen: einmal habe er, Achternbusch, einen seiner Helden, Samuel Beckett in der Theaterkantine getroffen, und dann habe er eine Flasche Whiskey gekauft und sich zu Beckett gesetzt, und die Flasche hätten sie dann schweigend geleert.

Wir haben einige Flaschen zusammen geleert, aber vielsagendes Schweigen war nicht Achims Sache. Wir waren eher sowas wie Sparringspartner, und als Sparringspartner musst du ja was liefern. Es war also immer was los. Und gelegentlich musste sich Eva als Ringrichterin für mich einsetzen. Weil sie für Achim ja sowieso war.

1968 war zum Beispiel so oft ein Thema, dass ich inzwischen den Eindruck habe, selbst dabei gewesen zu sein. Wobei Achim übrigens den Ausdruck „68er“ bescheuert, weil als Generalbeschreibung nicht zutreffend fand. 67/68 war die prägende Phase in seinem Leben, auf deren antiautoritäre, anarchistische und basisdemokratische Inhalte und Erfahrungen er alles weitere aufgebaut und sie sozusagen nie eingemottet hat.

Diese Gespräche waren dabei nie nostalgisch, es ging immer um die Verbindung in unsere Gegenwart. Ein Vorwurf, den ich manchmal zu hören bekam, lautete: eine Generation später hätten wir uns nur noch für ästethische, aber nicht mehr für politische Rebellion interessiert, und – um das gings natürlich eigentlich sowieso immer – es sei weiterhin Trikonts Aufgabe, dieses Defizit auszugleichen.

Das Thema 68 wurde dann ja permanent frisch gehalten, als die Neue Rechte die 68er als Hauptfeind wieder entdeckt hatte. Es war ein Symbol dafür, dass wir in dieser Vergangenheit (33/68 könnte man sagen) verhaftet sind, als Achim auf der letzten Buchmesse in Frankfurt an einem rechten Stand die Ausführungen zum Thema 68 mit dem Zwischenruf „Du redest Scheiße“ störte und von einem dieser Nazis geschlagen wurde. Auch was das betrifft, werden wir ihn vermissen als einen Mann, der sein Maul aufmacht, in jeder Situation.

Als Sparringspartner konnten wir uns über alles streiten und über Bayern auch noch. In den letzten Jahren hatte Achim sich vor allem mit den frühesten Aufnahmen bayerischer u.a. Volkssänger beschäftigt, und als einer von drei Herausgebern besonders intensiv mit der Serie „Stimmen Bayerns“. Ich war sicher nicht der Einzige, der etwas zurückhaltend reagierte, als Achim zum ersten Mal davon erzählte. Wahrscheinlich habe ich nur „aha“ gesagt. Ehe ich mehr als sonst in Deckung gehen musste. Man musste immer in Deckung gehen, wenn man bei einem neuen Trikont-Produkt oder -Plan als Einschätzung sowas wie „aha“ oder „okay“ sagte. Achim hat alles vehement verteidigt.

Die Bayern-Schiene erwies sich dann als großartig, vor allem auch, weil er einen anderen Blick auf die Sache hatte als wir, die wir von kleinauf hier sein mussten. Zum Glück haben ihm diese Leute vom Heimatministerium nie zugehört, um ihn, weil sie eh nichts kapieren, auf ihre Seite ziehen zu wollen. Ein Anbahnungsgespräch, das ich gerne gehört hätte.

Achim war ein großer Erzähler, der fließend von Meinungen in Anekdoten, Theorie und Geschichte wechseln konnte. Aber ebenso wie er aufbrausend und polternd und zugleich warmherzig und nie nachtragend war, konnte er zuhören. Jemanden, der nicht so temperamentvoll wie er reden konnte, redete er nicht nieder. Dann konnte er sich zurückhalten. Und er war auch nicht der Typ, der in einer Runde Aufmerksamkeit und Redezeit verlangte. Manchmal schwieg er dann, selbst wenn es eine Runde war, die ihn als Erzähler gebraucht hätte. Das fand ich so verblüffend wie sympathisch, als es mir irgendwann auffiel.

Und er war schweigsam bei Konzerten. Selbst wenn es ein Trikont-Artist war, den er schon zehnmal gehört hatte, hörte er zu und sagte nichts zu niemandem. Er war wirklich immer der größte Fan von dem, was bei Trikont erschien. Das klingt, als wäre es selbstverständlich, ist es aber keineswegs, sondern Beleg dafür, dass bei Trikont nichts aus Berechnung produziert wurde, sondern alles aus Überzeugung.

Er konnte mit seinem großartigen Lachen auch eingestehen, dass manches Alte heute etwas komisch klang, von gestern eben und passé – um dann vielleicht einen langen Sermon zu starten, dass es auch schon wieder aktuell war, siehe z.B. Krautrock, der weiterhin und immer wieder inspiriert, und siehe auch – wer könnte Musik von Gesellschaft trennen – die Nazis, die man als Partei im Bundestag eigentlich doch nicht mehr erwartet hatte.

Ohne jeden Zusammenhang – naja, vielleicht nicht völlig, wenn wir uns klarmachen, dass es mit Trikont weitergehen wird – meine Lieblingsanekdote, die es übrigens nicht ins Buch geschafft hat, weil wir sie nicht verifizieren konnten, was nicht heißt, dass wir alles verifizieren wollten oder konnten, egal: eine Geschichte aus den 70er-Jahren: Trikont hatte Geldprobleme, und eines Tages stand ein Trikont-Artist in Achims Büro und überreichte ihm eine Plastiktüte voll mit einem Kilo Gras. Es handle sich dabei um beste Ware und die könne Achim verkaufen, es sollten schon so Siebzigtausend dabei rauskommen.

Wer war das?, fragte ich, mir kannst du es sagen. Ach, sagte Achim, ich weiß es doch nicht mehr, das war so´n Rockertyp, aber das hätte eigentlich jeder sein können.

Ich bin mir sicher, dass das Kilo, oder wenigstens ein halbes, noch irgendwo in seinem Büro liegt, liebe Eva, aber ich habe nichts gesagt.

Ich will nach dieser Einleitung endlich zum wichtigsten Thema kommen, das Achim Bergmann beschäftigt hat: 1860 München. Lieber Achim – ich gehe davon aus, dass du jetzt zuhörst: ich würde am liebsten noch eine Stunde über 60 reden, ich schwör´s. Aber ich muss jetzt weg hier. Und sage: Gute Reise!



EIN SCHUSS INS BLAUE (22)

In der Neuen Szene Augsburg 1-2020 gab ich für die Kolumne „5 Fragen“ diese Antworten:

Im pittoresken Oberbayern geboren, hat dich das Leben nach Augsburg verschlagen. Bist du nicht eigentlich mehr für echte Metropolen geschaffen? – In Bad Reichenhall kandidiert Hans Söllner bei der Wahl zum Oberbürgermeister. Das ist ein starkes Signal für alle antifaschistischen Bayern, da kann man jetzt nicht in irgendeine Metropole auswandern.

Mit deinen letzten beiden Kriminalromanen konntest du jeweils beim Deutschen Krimipreis reüssieren, hast 2015 mit “Ein Bulle im Zug” sogar den 1. Preis gewonnen. Hilft das beim Abverkauf? – Ja, aber wie schon Rosa von Praunheim gesagt hat: “Es war nicht einfach.”

In der letzten Spielzeit warst du im Kalender des Staatstheater Augsburg als Gastgeber von “Dichtung und Fortschritt” präsent. Gibt es hier konkrete Pläne für weitere Formate? – Mein Zeitfenster ist grade geschlossen, aber alle Beteiligten freuen sich darauf, wenn es wieder zu einer Zusammenarbeit kommt. Das Beste an Augsburg ist das Staatstheater.

Du hast als Schauspieler auch schon im Tatort mitgewirkt. Ist Krimi auch dein Lieblingsgenre? – Nein, weil das Genre zu 90% aus unerträglichem Blödsinn wie dem sogenannten Heimatkrimi besteht. Der Begriff “Heimat” scheint Blödsinn jeder Art anzuziehen wie ein Magnet.

Mit “Ein Schuss ins Blaue” hast du deine Kriminalromane um den Ex-Bullen Robert Fallner zur Trilogie erweitert. Wirst du mit kommerziellen Krimis in Rente gehen? – Eine sehr gute Idee! Ich habe jedoch grade meine Rente gesichert mit Beiträgen für das Buch “These Girls – Ein Streifzug durch die feministische Musikgeschichte” und kann deshalb auch anders weitergehen.



SCHILLERSTRASSE

in München bei fiesem Wetter. Die Flaschensammler arbeiten weiter. Der eine hat um zehn schon zwei große Taschen voll und einen Rucksack. Der Kollege eine halbe Stunde später findet in den Containern vor dem City Hotel nichts mehr. Er schiebt ein Einkaufswägelchen vor sich her und zieht eins nach.

Ich vergesse die Beleuchter nicht. Sie stehen den ganzen Tag bei ihren Butterflies, die von Scheinwerfern angestrahlt werden, um im Sport-Café Schiller ein gutes Licht zu machen. Die Beleuchter werden besser bezahlt als die Flaschensammler, falls es jemanden interessiert. Ich könnte ein Exposé für einen Flaschensammlerfilm schreiben, auch falls es keinen interessiert.

Das Sport-Café Schiller gibts nicht mehr in der Form, die wir kannten. Alis Boxhandschuhe wurden eingelagert. Das ganze Haus, in dem schon niemand mehr wohnt, wird im Oktober abgerissen. Das größte Motel One der Stadt wird gebaut. Falls das jemanden interessiert.