Musik

EIN AUFERSTANDENES ALBUM

kann man „They Call Us Country“ von DM Bob & The Deficits nennen. Der Artikel erschien Ende April in Junge Welt zum „letzten Konzert“ der Band, die´s schon lang nicht mehr gibt. Hallo, jetzt gibt es noch´n letztes Konzert! In Hamburg am 27. Juli an Bord der MS HEDI, welche liegt bei den St. Pauli Landungsbrücken 10 (Innenkante), 20359 Hamburg

ALBUM AUS DEM GRAB GEHOLT Völlig ahnungslos öffnete ich das Päckchen von Off Label Records, eine sehr kleine Firma aus dem tiefen Süden Germanistans, die bisher zwei Vinyl-Singles von The Dad Horse Experience veröffentlicht hat. Was mir nun erschien, war die schwere Langspielplatte „They Called Us Country“ von DM Bob & The Deficits. Und ich war gerührt.

Es erinnerte mich an diese Todesanzeigen, die bei genauerem Hinsehen keine Todes-, sondern Erinnerungsanzeigen sind. „Unvergessen“ oder sowas ähnliches steht in diesen Anzeigen, und die meisten erinnern an jemanden, der vor einem oder vor zehn Jahren verstorben ist. Vor bald zehn Jahren hat die Band aus Hamburg sich aufgelöst. „After 7 long fun but stressful years“, schreibt DM Bob in den Liner Notes.

Es muss 1996 gewesen sein, als ich zum ersten Mal ein Konzert der Garagen-Swamp-Rocker um Bob Tooke aus Louisiana überlebte, und ich kann mich an keine Band erinnern, die einen mit Cajun- und Countryklängen und -songs angeheizten funky Trash derart hinbekommen hätte. Dabei damals – wie auch jetzt – kein Gedanke an Retro, dazu war der Sound einerseits zu dreckig und zugleich verwirrend charmant. Ich weiß nicht, wie sie das hinbekommen haben, aber man kann sich zu Tode üben, ohne Soul geht wie immer gar nichts.

Die Aufnahmen, die jetzt auf LP/CD erscheinen, haben sie „vermutlich zwischen 1999 und 2002 aufgenommen“, schreibt Deutschmark, und wenn ich mich richtig erinnere, hat er mal erzählt, dass es nach den Platten u.a. für Crypt oder Voodoo Rhythm und, nicht zu vergessen, „Nikki & The Big Deficits“  mit Nikki Sudden, die neue, fünfte werden sollte, aber es fand sich kein Label. Das Zeug sei zu Country oder zu dies gewesen und dann plötzlich eben zu spät.

Natürlich ist „They Called Us Country“ nicht „zu Country“, sondern der typische Deficits-Sound über Countrysongs. Liebevoll, keineswegs kaputt, aber natürlich schon so, dass astreine Countryfans umkippen würden. Aber schon so, dass John Peel jedoch, der die Band mehrmals eingeladen hat, zum Mitsingen hingerissen war. Wenn man so will, passend zur unverwüstlich gültigen Forderung: „put the cunt back in country“. Was man bei den Deficits jedoch nie mit breitbeinig plumpem Countryrrrock übersetzt hat. Vielleicht sehen sie deshalb auf dem beiliegenden Foto eher aus wie die Mitglieder einer Sekte, die sich, möchte ich interpretieren, im Kampf gegen die Reinrassigkeit in der Musik formiert hat.

Auf dem Band-Höhepunkt mit großer Songauswahl, neben Traditionals und Tooke-Songs auch Lee Hazelwood („They Call Me Country“), Al Ferrier, Buck Owens, als Ausreißer Lou Reeds „Satellite Of Love“. Glen Sherleys absolut jugendgefährdende Verbrecherhymne „FBI´s Top Ten“ (meines Wissens der einzige Song, der schon mal veröffentlicht wurde, auf der Split-Single zu einer Split-LP von Silky/DM Bob) wurde wunderbar verdreht, aus dem „Ich“ des langjährigen Häftlings Sherley – der vor allem durch Johnny Cashs „San Quentin“-Aufnahme für ein paar wenige Tage berühmt war, dann erfolglos, unterschätzt und bald vergessen, ehe er sich mit einem Gewehr erschoss – macht Tooke eine „Sie“, die stolz auf diese Nr.-1-Position ist (fast wie ich auf diesen fast nicht zu rettenden Satz).

Das Album ist „wahrscheinlich das letzte“ der Band. Die im Hamburger Komet ebenso wahrscheinlich heute nacht ihr letztes Konzert gibt, um die „wahrscheinlich letzte“ Platte zu feiern. Nach der „wahrscheinlich letzten“ Platte ging die Musikgeschichte weiter, die von DM Bob mit The Watzloves und Jem Finer, die von Susie Reinhardt mit Hoo Doo Girl, die von Tank-Top mit Rock´n´Roll Hotel. Ein Salut auf sie alle. Und auf Off Label Records´ Johnny Hanke natürlich, der die „wahrscheinlich letzte“ Platte aus dem Grab geholt hat. Lobet den Herrn, frohe Ostern!

DM Bob & The Deficits: They Call Us Country. LP/CD, Offlabelrecords.de



OUTLAW BLUES

Zum 70. von Bob Dylan erschien in der jungen Welt eine Serie über einzelne Songs, von Kristof Schreuf, Frank Schäfer, Christof Meueler u.a. (teilweise online, der Link zur jW siehe rechts). Ich nahm den „Outlaw Blues“:

VERGESSEN UND VERROTTET

Von der Höhe eines anderen Jahrhunderts aus gesehen, sieht Bob Dylans „Outlaw Blues“ heute aus wie eine gehisste Flagge. Die im Gegensatz zu anderen seiner Flaggen heute zerrissen, verrottet und vergessen ist. Sieht so aus, als wäre der „Outlaw Blues“ eben nur ein Sandkörnchen im großen Werk. Vielleicht weil er nicht zu den Songs gehört, die einen von Dylans Riesentexten zu schleppen haben, deren Ausdeutung einem Beschäftigung für ein ganzes Leben verschaffen können. Ich weiß es nicht und werd´s nie wissen und das macht nichts.

Begraben liegt der Blues seit dem Frühjahr 1965 auf Dylans fünfter LP „Bringing It All Back Home“. Doch der Blues ist kein Blues, sondern ein Rhythm´n´Blues, der solide und hämmernd nah am Rock´n´Roll gebaut ist, nicht weit weg von den Rolling Stones, die im Jahr zuvor mit der britischen Beatinvasion die amerikanischen Charts geentert hatten. Auf der Platte präsentierte Dylan sich wie bisher mit akustischen Songs wie „It´s All Over Now, Baby Blue“, aber ebenso viele waren  elektrisch wie „Subterranean Homesick Blues“. Damit hatte er sein Entfernen von der Klampfe angekündigt. Später im Jahr kam es zum berühmten Aufruhr beim Newport Folk Festival, als Dylan nicht den ehrlich-bescheidenen Folk, sondern den kommerziell-schrillen Rock und damit den Feind machte. Oberfolker Pete Seeger tobte, versuchte fast alles (außer mit der Axt die Stromkabel zu kappen, wie oft erzählt wird), um den Scheißkrach zu stoppen, berichtete der Festivalmitarbeiter und später gefragte Produzent Joe Boyd.

Wer den „Outlaw Blues“ kannte, wird da nicht „Verräter“ gebrüllt haben (es sei denn, um dem Freund nicht zu verraten, dass man inzwischen selbst zum Folk-Verräter geworden war). Denn Folkheld Dylan hatte doch die neue Flagge gut sichtbar gehisst, sich auch im Text zur LP relativ klar ausgedrückt. Doch wie dann der kürzlich verstorbene große Dylan-Fan Günter Amendt vor wenigen Jahren verblüfft bemerkte, es ist ja selbst heute noch der Klampfen-Bob, der das allgemeine Gehirn beherrscht, nicht  der Rocker-Bob. Der Solo-Klampfer, den ich als Teenager vermutlich 1975 mitbekam, verbaute mir den Weg zum Rocker und dem sonstigen Dylanwerk ziemlich gut; erst sein Spätwerk, speziell ab „Love & Theft“, trieb mich neugierig in den Keller meines Halbwissens, um dann solche Songs auszugraben. Ich bin kein spezieller Dylan-60er-Jahre-Fan und wundere mich, dass in der Tonne Artikel, die grade erschien, so wenig vom Spätwerk die Rede ist. Zu dem der „Outlaw Blues“ eine starke Brücke baut, an deren Ende mein Lieblingssong „Summer Days“ bereit steht.

Es ist nicht leicht, singt der Sänger, so rumzustolpern und in einem komischen Sumpf zu landen, „und ich sehe vielleicht aus wie Robert Ford, aber ich fühle mich wie Jesse James.“ Er fühlt sich wie der legendäre Outlaw, der als Erfinder des Eisenbahnraubs gilt und, im Gegensatz zur Legende, ein mieses Stück war, das keine Robin Hood-Ambitionen hatte. Und er sieht aus wie Robert Ford: ein Möchtegernmitglied der James-Bande, diente und wanzte sich langsam näher und erschoss den Boss von hinten, als ihm klar war, dass er nur durch den Mord berühmt werden würde. Tolles Drehmoment in zwei Zeilen, sozusagen Jesse James gespielt von Dylan in Robert Ford-Maske.

Falls Dylan auf sich anspielt, dann sieht es also so aus, als wäre er der Verräter (der die Folkszene killt), ist tatsächlich jedoch der Outlaw, der gejagt wird, keinen Platz hat und auch noch vom vermeintlichen Kumpel erledigt wird. Ford schießt in dem Moment, als James ein Gemälde an seine Wohnzimmerwand hängt, deswegen die Zeile „Ich werde kein Bild aufhängen“. Verräter überall: Ford verrät James, James verrät den Staat und seine Gesetze, Dylan die Folkmusik. Außerdem gibt´s auch noch den Mann, schreibt Dylan im Text zur LP, der ihn anbrüllt: „Du bist derjenige, der an den Aufständen drüben in Vietnam schuld ist.“

Man muss da nichts interpretieren. Aber von der Strophe versteht man nichts und den Witz sowieso nicht, wenn man nicht weiß, was sich hinter diesen Details aufbaut. (Bis in die hintersten Fußnoten getrieben: der sensationelle Mord wurde damals sofort als Theaterstück durchs Land geschleift, mit dem echten Mörder Robert Ford als Darsteller des Robert Ford, der dann in echt von einem Typen erschossen wurde, der als Mörder des Mörders von Jesse James berühmt werden wollte).

Aus der schnell skizzierten James-Tragödie macht Dylan keine Outlaw-Romanze, es geht mehr um das Gefühl verschwinden, sich entziehen, abtauchen zu wollen. „Ich wünschte, ich wäre auf einem Gebirgszug in Australien“, singt der Sänger, „gibt keinen Grund, dort zu sein, aber ich kann mir vorstellen, dass es eine Veränderung wäre.“ Gespiegelt im LP-Text heißt das mit schwerster Outlaw-Romantik: „Verantwortung/Sicherheit, Erfolg bedeuten absolut nichts.“ Da lacht der harte Rhythm´n´Blues und schlägt sich weiter durch.

„Ich trag meine dunkle Sonnenbrille, ich hab, weil´s Glück bringt, einen Zahn schwarz angemalt“, singt der Sänger. Und kommt damit als Pop-Gestalt oder R´n´B-Typ ins vage Outlaw-Bild; der geschwärzte Zahn war ein alter Entertainer-Trick, damit kriegte man immer ein paar Lacher. Man sieht mit so drei schwarzen Löchern im Gesicht auch unberechenbar aus, und der Sänger schickt am Ende der vierten Strophe eine Warnung hinterher: „Don’t ask me nothin’ about nothin’, I just might tell you the truth.“ Robert Shelton, dessen Lebenswerk von 20 Jahren, die ausufernde Biographie „No Direction Home“ gerade neu aufgelegt wurde, interpretiert es als persönliche Aussage. Dylan hatte den immergleichen Fragenschrott der ahnungslosen Journalisten satt und allgemein seine Position als Wegweiser, Leitfigur, Ratgeber, Auskenner. Die sollten ihn bloß nichts mehr über gar nichts fragen, sonst würde er ihnen noch die Wahrheit reinhauen!

Doch was ist die Wahrheit? Mit den von Produzent Tom Wilson gebuchten Studiomusikern Kenny Rankin, Al Gorgoni, Joseph Macho, William E. Lee, Paul Griffin, Bobby Gregg und Bruce Langhorne nach kurzer Besprechung in einem Lauf den „Outlaw Blues“ zu spielen, obwohl es „keine wirklichen Proben, kein Programm und keinen Plan“ gab, auf eine brennende Art, als hätten sie nie was anderes gespielt, brüderlich angetrieben von Dylans einpeitschender Stimme – ist sie das? Zu der in der letzten Strophe noch eine ganz bodenständige Wahrheit kommt über den Krieg der ungeschriebenen mit den geschriebenen Gesetzen.

„Ich hab eine Frau in Jackson, ich werde ihren Namen nicht sagen“, singt der Sänger, „sie ist eine dunkelhäutige Frau, aber ich liebe sie eben“ („She´s a brown-skin woman, but I love her just the same“). 1965 war das kein so harmloser Vers, wie´s für uns heute klingt (falls wir nicht in einem Streifen leben, wo irgendeine Scheißsittenpolizei kontrolliert, ob wir einen verfluchten Hurenlippenstift tragen…). Wenige Wochen davor hatte Dylan bei einem Besuch in New Orleans die Lage checken können, berichtet Shelton. Sie wollten mit einem Schwarzen in eine Kneipe gehen, kamen aber nichtmal gemeinsam in schwarze Kneipen rein und Dylan rastete aus. „Wir wollen keinen Ärger“, erklärte ihm ein schwarzer Barmann, „die Bullen werden kommen und uns alle einlochen. Geh weiter, Sohn. Irgendwo liegt deine Mutter auf den Knien und betet für dich.“

Dieser Outlaw im Song rastet nicht aus, er ist charmant und verspielt. Und passt zu dem „Alias“, den Dylan dann in Sam Peckinpahs „Pat Garrett & Billy The Kid“ spielte, ein undurchsichtiger Typ, der zu Billys Bande stößt, kaum je was sagt und so nett wirkt, dass man sich nicht vorstellen kann, wie schnell der mit dem Messer ist. Und doch (und irgendwie passend zum Titel) wurde der kleine „Outlaw Blues“ von allen verstoßen. Der Sänger hat seinen Song, sagen die unglaublichen Zählwerke der eifrigen Dylanologie-Homepages, nie gespielt, erst vor wenigen Jahren dann einmal live mit Jack White. Auch die Dylanforschungsarmee beachtet ihn nicht. Wir wissen nicht warum, aber das macht nichts.

Hohes Gericht, dieses dünne Ding von 3:06 Minuten hat lange genug in dunkler Zelle gesteckt! Es wird kein Gesetz mehr brechen und keine Best-Of-Sammlung zerballern, lasst es ins Freie wegrocken, die Zeiten haben sich doch geändert! Aber wohin? Und wem sag ich das?



BEAR FAMILY BOSS

und mehr noch das Herz der einzigartigen Plattenfirma, the one and only Richard Weize, hat anlässlich des 35jährigen Firmenjubiläums im SZ-Magazin-Blog von Johannes Wächter ein sehr interessantes Interview gegeben. Wie immer gradraus und informativ.

Eine Bemerkung zu Johnny Cash: Er werde „inzwischen hochgejubelt ohne Ende – ich halte ihn nicht so für eine Lichtgestalt. Sein Problem war, dass er von 365 Tagen im Jahr 330 auf Tour war, weil er sich nichts anderes vorstellen konnte.“ So ist es, da gibts gar nichts rumzujammern für Fans, die Cash für ’ne Art Ersatzjesus halten, der den Abflug irgendwie nicht geschafft hat.

Als wir vor ein paar Jahren gemeinsam auf Tour waren, saßen wir zusammen mit Nils Koppruch spät nachts in einer Hotelbar und Richard erzählte was über die Cash-Dylan-Tapes, von denen offiziell nur ein Song jemals erschienen ist. Er glaube, er sei der einzige, der wisse, wo die Originalaufnahmen im Bunker von Columbia zu finden seien, sagte Richard (und vermutlich fügte er sowas hinzu wie: die ganze Bande hat doch eh keine Ahnung). Wir glaubten ihm voll und ganz.

Von seinen vielen Großtaten fand ich in letzter Zeit die Serie „Dim Lights, Thick Smoke And Hillbilly Music“ besonders. Von 1945-55 je ein CD-langer Blick auf die „Country & Western Hit Parade“ des Jahres, ausgewählt und jeder Song ausführlich kommentiert von Colin Escott, und deshalb sind da nicht nur Hits, sondern auch Nicht-Hits, die jedoch starke Wirkung zeigten.

Gipfel von Richards totaler Leidenschaft, die nicht selten geradezu kommerzfeindlich zu sein scheint, ist für mich Jenks „Tex“ Carman, „the Hillbilly Hula“, vielleicht auch „Cow Punk“, wie ein Album benannt wurde, in jedem Fall maximal ab-, über- und aufgedreht, nicht nur, wenn er auch noch im vollen Indianerkopfschmuck hawaiianisch-texanisch spielt. Dabei Hasil Hadkins technisch absolut erreichend, also ebenfalls jenseits üblicher Gitarrentechnikvorstellungen. Die Messlatte für alles, was sich crazy Musiker nennt bzw. das anstrebt.

Das ganze Interview mit Richard Weize: sz-magazin.sueddeutsche.de/blogs



ROCK’N’ROLL FEVER II

Text aus dem Buch, Ergänzung zur vorhergehenden Eintragung:

RICHARD BERRY (Abb. 102) Noch ein One-Hit-Wonder. Doch bei ihm steht ein großes Werk hinter einem der besten Hits, die je geschrieben wurden: „Louie, Louie“. Der 20-jährige Sänger und Komponist hatte es 1955 in der Pause zwischen zwei Auftritten geschrieben, das Potential hörte niemand. Erst 1957 veröffentlichte er sein Original mit den Pharaos, und weil er dabei war, seinen Sound zu verändern, gab er zum R´n´B eine Spur Calypso. Als mir Guido das vorspielte, kam es mir sofort wie die beste Version vor, die ich je gehört hatte.

Die Single war nur ein kleiner Erfolg in der Los Angeles-Region, und weil Richard Geld für die Heirat mit Dorothy brauchte, nahm die Tragödie ihren Lauf: für 50$ warf er alle Rechte aus dem Fenster. Der Ruf von „Louie Louie“ verbreitete sich unter den Nightclub-Bands, ehe die Beat-Version der Kingsmen 1963 dermaßen einschlug, dass sogar das FBI alarmiert wurde. Von besorgten Eltern, die ihre Teens davon gefährdet glaubten. Im Namen von „ITOM“ (Interstate Transportation of Obscene Material) wurde der Text zwei Jahre untersucht, auch bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Berry und einige Kingsmen wurden befragt. Offizielles Ergebnis: der Song sei „unverständlich bei jeder Geschwindigkeit“; man kann sich den ganzen Ordner bei Louielouie.net bestellen. Positiver Effekt: der Spezialeinsatz wurde von Radioboykotten begleitet, was Louie bekannt, berüchtigt, gefährlich machte. Aus dem Hit wurde ein Superhit, gefolgt von hunderten Covers.

Richard Berry, „one of the great underdogs in the American music story“, konnte erst am Ende seines Lebens ein wenig davon profitierten. Aus dem Berg von Einspielungen sei auf die außergewöhnliche der 39 Clocks verwiesen, die sozusagen den FBI-Einsatz in den Partyoldie wieder einbauten und, vom Ballermann der Neuen Deutschen Welle umzingelt, ein düster hämmerndes „Psychotic Louie Louie“ schufen.



EINE BOTSCHAFT AUS

der Hölle würde man das in einem romantischen Anfall nennen… Im Studio von Klaus Walter hatten wir an einem Endeseptemberabend ein paar Stunden lang eine Sendung zu „Rock’n’Roll Fever“ für Byte.fm aufgenommen. Gegen Ende unterhielten wir uns über den viel zu frühen Tod des geschätzten Kollegen Martin Büsser. Ein paar Tage vorher hatte es ihn erwischt; Klaus Walter hatte einen Nachruf für die junge Welt geschrieben.

Dann wählte ich den letzten Song aus, „Psychotic Louie Louie“ von den 39 Clocks, womit sie die einzige deutsche Band in der Sendung waren; das „Louie Louie“-Original von Richard Berry erhält als einer der größten Songs aller Zeiten im Buch etwas Raum.

Wir hatten die Sendung live aufgenommen, und als der Song beendet war, war auch die Aufnahme beendet. Klaus Walter speicherte ab, klickte dann auf seinen Posteingang und sagte eine Sekunde später: „Rüdiger Klose ist gestorben.“ Der oft für das Duo 39 Clocks Schlagzeug gespielt hatte. Auch er viel zu jung gestorben, weit vor einer Rente.

Später im Hotel, während ich im TV total ratlos beobachtete, wie gelassen sich Fatih Akin mit dieser Thea Dorn durch die Stadtlandschaft bewegte – warum macht’n der das mit?, fragte mich, und was erzählt’n die eigentlich die ganze Zeit? – hielt ich laut (obwohl ich allein war), betrunken von den Todesmeldungen – klingelt jetzt gleich das Scheißtelefon?, fragte ich mich – einen Sermon gegen die Ungerechtigkeit des Lebens.

Das Video auf Youtube.  „From Hell“ eingeben. Die beste Tonqualität hat’s natürlich nicht….



ROCK’N’ROLL FEVER

Der Band „Rock’n’Roll Fever“ mit Gemälden und Zeichnungen von Guido Sieber und Texten von mir ist ab jetzt im Handel. Edel Verlag, Caricatura Museum Edition. 240 Seiten, 348 Abbildungen, 39.90

Die Ausstellung bis Ende Januar 2011 im Caricatura Museum Frankfurt, danach in Kassel. Mehr dazu bei caricatura-museum.de und atelier-sieber.de

Erste Pressestimmen: „Kein Rocklexikon, sondern ein Buch voller Geschichten… das geht wunderbar zusammen“ (Klaus Walter). „Drastisch, fiebrig, übergenau“ (Ambros Waibel/taz).  „Zwar hat jeder schon einmal  vom großen Rock’n’Roll-Schwindel gehört, selten aber ist er von Gospel bis Prince so plakativ in Szene gesetzt worden“ (FAZ). „…enzyklopädisches Text-Bild-Kompendium aus radikal subjektiver Sicht“ (Welt).  „… mehr als eine ziemlich komische Seite“ (Frankfurter Rundschau). „****“ (von 5, Musikexpress). „Tolles Buch“ (Christos Davidopoulos/Optimal Records München).

Und nach 25 Jahren im Buchstabensteinbruch bin ich endlich erstmals hier: „Schrecklich böse, entlarvend…“ (Bild).

Als Nachtrag zu den John Lennon-Feiern dieser Textauszug: „YOKO ONO (Abb. 253) Viele werfen ihr vor, die Beatles getrennt zu haben – warum wirft niemand diversen Stones-Frauen vor, dass sie nicht die Eier hatten, die Stones zu trennen?“



„AFGHANISTAN“

ist ein neuer Song von unseren rockenden Freunden Smokestack Lightnin´. Sie haben Country Joes Anti-Vietnamkriegssong „Fixin To Die Rag“ restauriert, zu hören auf ihrer MySpace-Seite. Da sagt der tapfere Countryfan, dass er sowas ja nicht, sondern nur Lieder über Saufen und Heulen oder diese anderen Dinger da hören will. Manchmal fragen wir uns, gibt es ihn denn eigentlich noch? Um sofort sicher zu sein, ja, und wahrscheinlich wird er uns alle und auch die Enkel unserer Enkel überleben und auf ihrem Grab lachend in den Ring of Fire pissen.



ZU DJANGO REINHARDT

seinem 100. Geburtstag ein Fundstück aus der Biographie „Chanson für Edith – Das Leben des Norbert Glanzberg“ von Astrid Freyeisen (List Verlag, 2003). Glanzberg war ein jüdischer Pianist und (Film-)Komponist, der 1933 vor den Nazis fliehen musste.

Ort: Paris, 1936 oder -37: „Der Gitarrist des kleinen Orchesters war ein Zigeuner, ein schwarzhaariger Mann mit tiefen Falten im Gesicht und einem dünnen schwarzen Menjou-Bärtchen. Er hieß Django Reinhardt. Im Vergleich zu den anderen Musikern und vor allem zu Glanzberg, dem jungen Flüchtling, war Django Reinhardt ein klingender Name in der Szene (…) Reinhardt war ein begnadeter Musiker, dessen Unzuverlässigkeit sprichwörtlich war. Verspürte er den Drang, einen schönen dicken Fisch zu angeln, machte er sich zu den Ufern der Marne auf, ließ sich dort irgendwo mit seinen Angelutensilien nieder und vergaß die Welt um sich herum. Auch die Uhrzeit. Auch die Auftritte am Abend. Die Mitglieder seines Orchesters lernten es, die Gewohnheiten des Meisters mit der Zeit zu erahnen und liefen, wenn er wieder einmal nirgends zu finden war, fluchend den weiten Weg bis zum Fluss, um Reinhardt hoffentlich noch rechtzeitig aufzustöbern.“

Dann der Abend, an dem Glanzberg Edith Piaf kennenlernt: „Glanzberg wandte sich gelangweilt ab. Doch dieses Wesen rief ihm plötzlich ein paar Brocken in einem Französisch zu, das er so gut wie gar nicht verstand. Offenbar handelte es sich um Anweisungen. Fragend sah er zu Django Reinhardt hinüber. Anstatt zu helfen, wandte der sich an die bucklige Person und sagte trocken zu ihr: ‚Gib dir mit dem boche keine Mühe, der versteht sowieso kein Wort.‘ Immer dasselbe! Reinhardts liebster Spaß war: Hey boche, du deutsches Sauerkraut, hast du überhaupt verstanden, was ich dir gesagt habe? Glanzberg musste grinsen und schüttelte den Kopf.“

Zum 100. ist bei Trikont die tolle Tribute-CD „Django´s Spirit“ erschienen, kompiliert von Susie Reinhardt (ex-DM Bob & The Deficits und heute bei  Hoo Doo Girl). 20 Covers/Annäherungen von u.a. Dotschy Reinhardt, Biréli Lagréne, Coco Schumann, Mama Rosin, Dead Brothers, G Rag Y Los Hermanos Patchekos und den unwiderstehlichen Hoo Doo Girl.



DAS JAHR WAR

auch deswegen erheblich besser als 1938 oder wenn man 2008 in Reichweite der aus Gaza abgefeuerten Bomben war, weil man lesen konnte

Maxim Biller/Der gebrauchte Jude & Edo Popovic/Die Spieler &  Ludwig Fels/Die Parks von Palula & Andreas Niedermann/Log & Gabriele Goettle/Wer ist Dorothea Ridder? & Jasmin Ramadan/Soul Kitchen & Miron Zownir/ Parasiten der Ohnmacht & Friedrich Ani/Mitschnitt & Dominik Graf/Schläft ein Lied in allen Dingen & Harry Crews/Nackig in Garden Hills & Leonard Cohen/Das Lieblingsspiel & Wiglaf Droste/Am Nebentisch belauscht

und lauschen konnte The Dad Horse Experience/Electric Gates of Heaven & Various Artists/Roll Your Moneymaker & Bob Log III/My Shit Is Perfect & Mama Rosin/Black Robert & Steve Earle/Townes & 3Shades/Thank God For Beatniks & Smokestack Lightnin/Roadmasters & Roland Heinrich/Lichterloh & King Automatic/In The Blue Corner & Rickie Lee Jones/In The Evening Of My Best Day & Soundtrack Soul Kitchen & The Popes feat. Shane MacGowan, wenn man selbst fern von Outlaw Heaven war.

„If you´re drivin tonight, don´t forget your car!“



VON DER GEBURT BIS ZUM TOD

könnte man sein Block-Leben verbringen, indem man nur Zeugs aus Magazinen kommentiert, und würde sich wohl schon nach einem Jahr aufhängen müssen, um in einen sinnvolleren Zustand überwechseln zu können.

Aber bei den sog. Intelligenzblättern ist es schon manchmal ganz interessant. Wenn sie so schlau herumtun, aber dann kräht einem die furchtbarste Kleingeistigkeit, Spießigkeit und Dummheit entgegen, zu der meine Oma, die keine Volksschule abgeschlossen hat, sich niemals hätte hinreißen lassen.

Dann gehn wir mal rein: eine (natürlich edel gemachte) Fotostrecke, mit dem Titel „Die Welt ist eine Scheibe“, die Fotos werden kommentiert. Foto von Amy Winehouse: „Fahrt ins Vergessen“. Aufgenommen nach einem Club-Konzert in London.

„Sie kämpft sich durchs Gedränge“, schreibt der Kommentarschreiber, „gerät mit einem Fotografen aneinander, spuckt, schreit. Vor nicht langer Zeit hat sie ihr Comeback desavouiert, weil sie betrunken auf der Bühne erschienen ist. Das Bild der am 17. September aus dem Auto pöbelnden Winehouse wird zum Dokument ihres Scheiterns – obgleich der Gig im Jazz After Dark brillant war“.

Darauf muss man erstmal kommen: nach einem brillanten Konzert pöbelt sie ein paar Säcke an, die sie nicht in Ruhe lassen, und ist deswegen gescheitert. Ist das Logik? Oder sollte man jemanden, der das darunter versteht, bei einem sog. angesehenen Wochenblatt, feuern? Oder den Chef vom Dienst? Der vielleicht seit 30 tapferen Jahren behauptet, Fotografen könnten keine griffigen Bildunterschriften verfassen? Würde der „griffig“ sagen? Kann ich mir vorstellen. Auch egal. Genaueres findet man wie immer an der Quelle: Die Zeit Nr. 51/2009.