Musik

RY COODER (3)

Sein Buch „In den Straßen von Los Angeles“ geht im Moment in die Läden; Edition Tiamat, 288 S. Wir bleiben damit wie angekündigt beim Thema „Geschlecht und Mobilität“: In der Erzählung „Töten Sie mich, bitte“ geht´s vor allem auch um Billy Tipton, eine Musikerin, die als Mann auftritt und lebt (und in einer anderen Erzählung einen kurzen Auftritt als Geist bzw. Fake-Geist hat). Die Person hat Ry Cooder nicht erfunden, und ich bin im Glossar, das ich für das Buch geschrieben habe, darauf eingegangen:

„S. 102 Billy Tipton war kein Geist, sie wurde 1914 als Dorothy Lucille Tipton  geboren, begann mit etwa zwanzig als Mann aufzutreten und zu leben, und starb 1989 in jenem Spokane, Washington, zu dem er am Ende dieser Story aufbricht.  Zu Lebzeiten kannten ihre Geschichte wenige, nach dem Tod ging die Story durch die halbe Welt. „Billy wurde buchstäblich zum Aushängeschild eines neuen, zwischen Sex (biologisch) und Gender (gesellschaftlich) differenzierenden Bewusstseins, als er kurz nach seinem Tod auf dem Cover eines Ratgebers für Transvestiten und Transsexuelle erschien“, schreibt  Biografin Diane W. Middlebrook in Er war eine Frau (München, 1999). Was nichtmal alle seine fünf Ehefrauen wussten, von denen eine ein unerfahrener Teenager, eine andere jedoch ein Callgirl war. Keine hatte den Eindruck, eine Lesbe geheiratet zu haben, weil Tipton eben keine war, sondern ein „Nachahmungstalent“ und „geniale Illusionistin“, die nicht nur das Talent, sondern sozusagen die Aufgabe hatte, „sowohl die Rolle wie auch den Schauspieler, der sie spielte“, zu spielen. Tipton selbst hat keine Bekennerschreiben, nur Spuren hinterlassen. Unter den vielen, nie ganz greifenden Erklärungen, die sich um diesen Fall von „gender blending“ ranken, ist auch diese sicher nicht falsch: Was sollte ein weißes Mittelschichtmädchen sonst tun, wenn es in einer Jazzband spielen wollte? In dem einen Moment, als aus einer jenseits der Musikzentren sehr gut beschäftigten Band vielleicht eine bekannte hätte werden können, zog sich Tipton in die Provinz zurück und verlagerte seine Arbeit in eine Musikagentur. Er hatte Angst vor Popularität, sie hätte die Gefahr gesteigert, dass ihn jemand aus seinen Mädchentagen erkannte. Billy Tipton starb verarmt in seinem Wohnwagen, in den Armen des jüngsten seiner drei Adoptivsöhne. Der nach der Enttarnung bekannte, für ihn würde diese Frau immer sein Dad bleiben.“



PSYCHOFERNSEHEN

Der neue Burroughs-Dokumentarfilm von Yony Leiser ist allein schon wegen dem Auftritt von Genesis Breyser P-Orridge (Psychic TV/Throbbing Gristle) sehr zu empfehlen. Seine Kommentare sind die besten, gehaltvollsten, ernsthaftesten. Wohl auch, weil er mit seinen Arbeiten den Techniken von Burroughs am nächsten war, d.h. sie waren/sind für ihn tatsächlich wichtig (dagegen faseln Iggy Pop oder Patty Smith nur sinnloses Zeugs).

Und hier, nur noch paar Tage zu sehen, das großartige Portrait „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“ von Marie Losier.

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/sendung-verpasst#/beitrag/video/1565640/The-Ballad-of-Genesis-and-Lady-Jaye

Weiterführende Literatur zum Background: Rock Session 6, Hamburg 1982. Mit: Reinhold Brunner: Lähmende Begegnung mit der Gewalt – Throbbing Gristle am 10.11.80 im Frankfurter Städel; Walter Hartmann: Show me thee bunker darling… (Artikel und P-Orridge-Interview).

Genesis: „Damals, 76, bevor die Pistols Platten machten, haben unsere Songs den Punks da im ICA noch einen ziemlichen Schrecken eingejagt.“

Mehr zum Thema „Geschlecht und Mobilität“ gleich hier nach der Werbung!



HACK MACK JACKSON

waren ebenfalls wieder an der Arbeit, was uns zur Zeit, und bei dem Wetter besonders, auf den Gedanken bringt: wer solche Freunde hat, braucht selbst nicht mehr zu arbeiten… Hier ihr Heimatfilm zu „Country Heroes“ mit Andrew Jackson als Hank IV.

http://www.youtube.com/watch?v=-pzeMvmBcaU

 

 

 



DIE AERONAUTEN

sind nach 20 Jahren besser denn je, obwohl sie schon immer so gut waren. Wie uns Olifr M. Guz beim Konzert in Schrobenhausen (Name geändert) versicherte: „Wenn das Netz kaputt geht, machen wir wieder Cassetten.“

In dieser ungebrochen intelligent-intellektuellen Haltung spielten sie auch eine dumpfe, im übelsten Police-Style aufgetakelte Version des alten Hits „Freundin“. Das Format zum Jubiläum angemessen groß: Doppel-LP, Doppel-Single-CD, Doppel-Mp33/45 (Namen geändert) und was sonst noch geht! Hier noch ein Bild aus ihrer Jugend:



RY COODER (2)

Die angeblich ruhige Zeit kurz hinterm Baum ist wie immer eine gute, um an die zu denken, die oft weniger beachtet werden. Nein, diesmal ist von Schlagzeugern die Rede. Über die vielen verwirrenden Informationen, denen sie ausgesetzt sind – nichtmal für blonde Präsidentenchicks (um die es so gefährlich ruhig ist, als würde da ´ne Zündschnur schon brennen) restlos packbar, würde ich mal behaupten -, steht schon in Ry Cooders Erzählung ‚Bitte, töten Sie mich‘ geschrieben:

<Außerdem hatte ich Musikunterricht bei einem alkoholsüchtigen Zwerg namens Ray Diker. Das war zu der Zeit, als Gene Krupa der Held war, alle Schlagzeuger in der Stadt waren verrückt nach ihm. Ray aber sagte mir Folgendes: „Vergiss Krupa. Er spielt mit den Händen oben am Gesicht, als würde er Chop Suey essen. Wenn du isst, dann iss. Aber wenn du Schlagzeug spielst, lass deine Hände unten.“> (Das ganze und alle Abenteuer im März bei Edition Tiamat).

Wobei man nicht vergessen sollte, dass Topper Headon 1986 auf seinem Solo-Album Waking Up ‚Drummin´ Man‘ interpretierte.

Um unseren Freund Andreas Neumeister pi mal Daumen zu zitieren: Was macht eigentlich Headon heute? – Wenn er nicht Bob Geldofs Tochter Schlagzeugunterricht erteilen oder sonst einen Drecksjob in irgendeinem Hannover machen muss, wären wir schon mal etwas beruhigt.

 



BAD LUCK MAN

heißt das neue Album von unserem neuseeländischen Freund Delaney Davidson auf Voodoo Rhythm Records. Aber es klingt nach dem Glück, mit vier Trucks voll Talent gesegnet zu sein zum rockin soulfull Folkblues, sagt der Blockmusikredakteur. Ob der Ex-Dead Brothers besser denn je ist? Bis auf weiteres mal wieder ganz sicher. Ein Haushalt, der glaubt, das nicht zu brauchen, sollte sich nicht zu sicher fühlen.

                      

http://www.myspace.com/delaneyfdavidson

 



RY COODER

übersetzen ist meine zweite Übersetzungsarbeit – (die erste, Hans Söllners´ „bloß a gschicht“ ins Hochdeutsche, ist natürlich im Härtegrad nicht zu schlagen) -. „Los Angeles Stories“ wird nächstes Jahr im März bei Edition Tiamat erscheinen (als „In den Straßen von Los Angeles“), später als Taschenbuch bei Heyne Hardcore.

Ich hab das Ding selber angeschoben, ich dachte, das muss sein. Ehe das aufm großen Schrottplatz von Familien- und Vampir- und Literaturhaus-Literatur-Romanen untergeht. Vollkommen richtige Entscheidung, hat sich inzwischen bestätigt. (Hat man ja, wenn der Deal auf die Bahn geht, nicht bis ins letzte Detail gelesen und bedacht).

Ich bin natürlich großer Fan von Ry Cooder seinen Werken als Musiker/Songwriter und Soundtracker – (würde man Walter Hill-Filme ohne seinen Sound mögen? Ja. Aber nicht so) – und Produzent seit tausend Jahren. Die Sammlung von Erzählungen ist allerdings nicht seine persönliche Musikgeschichte, sondern erzählt, wie schon auf seinen letzten Alben mehr oder weniger ausführlich thematisiert, vom Los Angeles der 40er und 50er Jahre (z.B. „Chavez Ravine“). Mit starkem Touch zur mexikanischen Szene. Musik und Musiker sind immer mindestens in der wichtigen Nebenrolle. Aber ich bin sicher, man kann´s auch einfach als gute Erzählungen lesen, ohne die (musikalischen) Hintergründe kennen zu müssen.

Das Buch passt vollkommen in die großartige Amerikanische Serie bei Edition Tiamat. Und selbst wenn die Erzählungen dereinst nur mein Patenkind und meine Oma und Wim Wenders und ich gelesen haben: die Arbeit ist´s so wert wie das Erscheinen von Jack Johnson. Auch wenn einige meiner Nervenstränge

manchmal doch strapaziert werden. Ein Beispiel, ein Schneider erzählt (und wie bei allen Stories handelt es sich um eine Kriminalgeschichte): „„Ray Montalvo, der Maßschneider für Hipsterkleider! Denn ist es hip, ist es der Hit!“ Der Spruch war Slim Gaillards Idee. Dem gefällt alles, wenn´s nur´n hipster-tauglich heißes rootie-und-reetie-pootie-Ding ist. “

Den ganzen unmöglich auch nur halbwegs eins-zu-halbeins übersetzbaren Quasselwahnsinn kann man nicht nur beim originalen Cooder, sondern tatsächlich genauer unter Slim Gaillard nachschlagen. Aber naja, das war nur ein Angeberbeispiel ganz unter uns. Ich glaube, ich saß eine Stunde da, um auf die hip/hit-Kombination zu kommen.

Gott schütze Euch mal wieder! (Und unsern Block auch, wenn er Zeit hat).



WIR SIND ELEKTRISCH

heißt das neue Album von Wolfgang Petters Projekt A Million Mercies. Wird am 22.10. in München im Hausmunik, Pariserstr. 22, vorgestellt. Live mit Petters & Freunden und mit mir als Stütze-DJ, gefangen im Motto „Ein Mann mit genug 45ern hat keine Probleme, glaubte Mickey Spillane“. Außerdem hatte ich Ehre & Vergnügen, die Liner Notes zum Album zu schreiben, und das geht so:

AUF DAS, WAS UNS NOCH PASSIERT

Manchmal kommt unerwartet ein spezielles Angebot geflogen und hat die Wirkung eines Sonnenstrahls, der sich an einem Regentag durch den dunklen Himmel schneidet. Das neue A Million Mercies-Album mit einigen Worten zu begleiten, das ist sowas Besonderes, das mich besonders freut.

Wolfgang Petters ist zurück mit seinem Projekt A Million Mercies, und hinter „Wir sind elektrisch“ ist ein langer Weg zu erkennen, der sich oft mit meinem Weg gekreuzt hat; wir waren Teile einer Veranstaltung oder ich war Konzertbesucher. Seit Wolfgang und einige Freunde 1991 in Landsberg das Label Hausmusik gründeten, waren es eine Menge Konzerte und Platten, die mein Leben besser machten. Hausmusik – und die Art, Musikproduktion als Gesamtkunstwerk zu behandeln, über das die Künstler allein bestimmten – war eine wichtige Orientierung.

Dass „Wir sind elektrisch“ erst das zweite Mercies-Album ist, ergibt sich aus dieser Geschichte – das erste, „Elektrizität – (hält dich in Bewegung)“, erschien 1996; mit einigen Singles und Compilation-Beiträgen (darunter das mit Calexico entstandene  „Freunde“, die wiederum den schon älteren Mercies-Song „Fear“ coverten, der hier erstmals von Wolfgang selbst veröffentlicht wird) könnte man noch ein Album machen – denn beim Hausmusik-Clan ging es eigentlich um permanente Kollaboration, und die meiste Musikenergie des Elektromeisters Petters, der auch zum Mastermind des Labels wurde, floss in die Bands Village Of Savoonga und mehr noch Fred Is Dead. Das alles ergibt dann doch einen schönen Stapel Vinyl, für den er eine Menge Musik und Texte geschrieben hat. File under history, spannend bis heute.

Das kleinere Projekt A Million Mercies stand für mich musikalisch schon immer zwischen diesen Bands (die hier sozusagen zwischen den Rillen des neuen Albums durchscheinen) und entwickelte an dem Punkt seinen speziellen Charme, nicht so experimentell-krachend wie Village Of Savoonga, rauer und freier, skizzenhafter als Fred Is Dead. Folk und Streicher und Elektronik, Song und schräg verlegter Tanzboden – Verbindungen, die sich über die Jahre bis zum zweiten Album gehalten haben. Viele Verbindungen, die leicht viel zu weit (bis dorthin, wo´s nicht mehr geht), hätten führen können, auch wenn sie durch zwei Plattenseiten Struktur bekommen. Und ich bin wieder verblüfft und begeistert, dass das bei A Million Mercies eben geht. Dass eins zum andern kommt und alles zusammenpasst und sehr gut geht.

„Wir sind elektrisch“ ist ein autobiografisches Album. Und bezeichnenderweise für so eine gewisse Stimmung, war es der Selbstmord eines alten Freundes von Wolfgang, der ihn an die Arbeit jagte (der Song „Man Behind The Drumkit“ erzählt vom langjährigen Fred Is Dead-Schlagzeuger Thomas Ganshorn). Unfall, Krankheit, Angst, Verlust, Verschwinden – der „Devil On Your Neck“ ist hier gut beschäftigt. Wahrscheinlich ist es die alte Geschichte: man muss mit ihm reden (hier auf deutsch, italienisch, englisch), um ihn packen zu können. Um dann singen zu können: „Wir tranken auf die, die wir einst verloren, und auf den Tag, an dem unsere Kinder geboren. Und auch auf das, was uns alles noch passiert.“

Die Platte entstand, nachdem Wolfgang Petters das Ende seines Labels, Ladens und Vertriebs Hausmusik, was ja mehr als nur Job und Arbeit und Spaß war, hatte hinnehmen müssen. Auch darüber kann man hier einiges raushören. Unüberhörbar jedoch, dass aus einer traurigen Geschichte was Gutes rauskam. Das es ohne diesen Verlauf wahrscheinlich jetzt noch nicht geben würde. Es trägt die Hausmusik-Nr. 77.

Endlich wieder ein ganzes Album von A Million Mercies zu bekommen, macht den Blick auf den Weg hinter uns erheblich angenehmer. Und die neue Musik wie die vorhergehende zu lieben, macht mich glücklich. Und ich hoffe, dass Sie mir folgen können.



TODAY LAUT

hören ist gute Medizin gegen Angriffe von Außer- und Innerirdischen jeder Art. Today war das Soloprojekt von Thomas Ganshorn, die 4-Track-Maxisingle „Secrets“ erschien 2000 als Hausmusik-Nr.47. Ganshorn war langjähriger Schlagzeuger bei Fred Is Dead und manchmal Gast bei anderen Hausmusik-Bands, ehe er sich Richtung Krautrockotronik, so könnte man´s nennen, veränderte und dann bei Broken Radio den Drumcomputer programmierte. Auf meiner Trikont-Compilation „Johnny Cash Revisited“ sind Fred Is Dead mit „Don´t Take Your Guns To Town“ von ihrem ersten Album „… Or Just In Preparation“ (1993) vertreten; es war Thommys Arrangement und der einzige Song mit ihm als Sänger.

Die Veröffentlichung des Broken Radio-Albums „Lone Star Highway“ 2010 hat Thomas Ganshorn nicht mehr erlebt, vor einigen Jahren beging er Selbstmord, „the album is dedicated to the memory of Thomas Ganshorn.“ Und auf dem im September erscheinenden neuen A Million Mercies-Album hat Wolfgang Petters seinem alten Freund den Song „Man Behind The Drumkit“ gewidmet.

Spuren, die nicht verwischt sind.

Wegweiser: http://www.hausmusik.com/today.html, http://www.brokenradio.de/photos.html (Foto, rechts Th.Ganshorn), http://brokenradio.bandcamp.com/album/high-fidelity (Broken Radio spielt Thommys Song „The Final Waltz“), http://www.hausmusik.com/fid.html (discographie Fred Is Dead), http://www.amazon.de/boy-named-Sue-Johnny-Revisited/dp/B0000636GJ/ref=sr_1_2?s=music&ie=UTF8&qid=1312716982&sr=1-2 (30 Sek. „Don´t Take Your Guns To Town“)



NOCH ZU DYLAN

ist nicht im Sinn von z.B. „Ich bin noch zu dylan, um heute schon vor die Tür zu gehen“ gemeint, sondern: ehe es hier erst wieder zu sagen wir mal seinem 75. (natürlich nur ggf., von beiden Seiten gesehen) was zu sagen geben wird, schnell noch auf vielfachen Wunsch meine Hitliste der Dylan-Covers, für die ich keine Sekunde nachdenken oder rumgraben musste und auch ehe mein Gehirn akzeptiert hätte, dass Dylan nun mit Mark Knopfler auf Tour geht, was tatsächlich nicht hier, aber dort „das Konzertereignis seit Jahrzehnten“ etc pp usw hh bzw shut up also:

1 Tobias Gruben & Die Erde: Hard Rain (=A Hard Rain´s A-Gonna Fall)

2 Jimi Hendrix: All Along The Watchtower

3 Erhard & Missouri: You Ain´t Goin´Nowhere

4 Mira Bilotte: As I Went Out One Morning

5 Albert Ayler: I Forgot More Than You´ll Ever Know About Her