Der 92-jährige Saxophonist Emil Mangelsdorff saß mit seiner ebenfalls ganz in weiß gekleideten Frau in der ersten Reihe, als wir jetzt in Frankfurt im Museum Judengasse Hans Frick ehrten, der Schauspieler Till Weinheimer las großartig einige dieser furchtbar schwierigen Frick-Texte, Hanne Kulessa machte die Einleitung und diskutierte mit mir über den viel zu sehr vergessenen Schriftsteller. Emil Mangelsdorff war mühsam mit zwei Krücken reingekommen, und ich war gerührt, dass er sich den Abend über seinen alten Freund Frick trotz dieser Umstände nicht entgehen ließ.
Ich war ihm einige Stunden zuvor schon begegnet: „Am frühen Nachmittag holte Emil Mangelsdorff mich zu einer Spazierfahrt ab. Er brachte den unter LSD stehenden M. mit. Idiotische Gespräche über Musik und Literatur“, hatte Hans Frick am 26. Mai 1970 in seinem Tagebuch einer Entziehung notiert. Und in der Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum des Jazzkeller Frankfurt von 1977, die mir Frick bei unserer einzigen Begegnung 2001 geschenkt hatte, las ich in einem Text von Joachim E. Berendt: „Um Carlo, Horst Lippmann (heute: Konzertbüro Lippmann+Rau), um Emil Mangelsdorff (dem älteren Bruder von Albert) und um noch ein paar andere hatte sich während des Krieges, 1941, der Hot Club Frankfurt gebildet (…) Man spielte damals heimlich und in der für die Nazi-Zeit charakteristischen Camouflage Swing (…) die Musik sei manchmal so ‚heiß‘ und laut gewesen, daß die Jazzfreunde Posten aufstellen mußten, die die Musiker rechtzeitig warnen sollten, wenn sich irgendwo eine SS- oder SA- oder sonstige Partei-Uniform zeigte. Immerhin landete Emil Mangelsdorff 1943 für sechs Wochen im Gefängnis.“
Als ich dann zu ihm ging und mich bedankte, dass er gekommen war, und erwartete, mit einem gebrechlichen Mann zu sprechen, war ich überrascht, dass Emil Mangelsdorff mit fester Stimme redete und munter mit mir lospalaverte und mich zu einem Konzert einlud; er hat seine eigene Serie im Frankfurter Holzhausenschlösschen, wo er immer noch mit seiner Combo und Gästen mehrmals im Jahr loslegt, abfährt, jamt und outspaced und erzählt. Und ich dachte, hey, diese Jazzer, wenn sie nicht früh abkratzen, sind sie einfach nicht zu schlagen, und ein paar Leute wie er haben diesem Land mehr gegeben, als es je kapiert hätte. Und ich verneigte mich.