Musik

NILS KOPPRUCH (28)

Nils Koppruch, Singer-Songwriter und Maler, starb am 12. Oktober 2012 völlig unerwartet wenige Tage vor seinem 47. Geburtstag.

An dem Tag wollte ich morgens grade aus der Tür gehen, um zum Bahnhof zu gehen, um unsere Tochter in München zu besuchen, als ihr Anruf kam, und ich dachte, es wäre ihr was dazwischen gekommen, aber uns allen war was dazwischen gekommen, Nils ist gestorben, sagte sie, das habe sie grade von einem Musikerfreund erfahren, aber ich konnte es nicht glauben, aber dann hatte ich auch schon eine Mail mit der Nachricht, und dann konnte ich nicht mehr rausgehen, stand mit Mantel und Mütze so da, und es kommt mir manchmal so vor, als würde ich immer noch so dastehen und nicht rauskönnen und  kanns immer noch nicht glauben, wenn ich immer mal wieder an ihn denken muss, das kann doch nicht wahr sein, ich wache jetzt auf und habe mal wieder irgendeinen verdammten Unsinn geträumt.

* * *

Nils Koppruch veröffentlichte mit seiner Band Fink von 1997-2005 sieben Alben, danach drei Solo-Alben, ehe er mit Gisbert zu Knyphausen die Band Kid Kopphausen gründete, deren Album „I“ im August 2012 erschien. Koppruch starb wenige Wochen nach der ersten und sehr erfolgreichen Tournee. 2014 erschien bei Trocadero eine Werkausgabe inklusive der Doppel-CD „A Tribute to Nils Koppruch + Fink“ mit Einspielungen von Fehlfarben, Bernadette La Hengst, Olli Schulz, Kettcar u.v.a. NEU im September 2022 bei Trocadero Records: Alle Fink-Alben auf Vinyl anlässlich des 10. Todestags von Nils und des 25-jährigen Jubiläums der Band.



KRIS KRISTOFFERSON REST IN PEACE

Der große und (neben Harlan Howard) größte Poet unter den (Country-)Songwritern verstarb vorgestern im Alter von achtundachtzig Jahren, und seine Songs sind so groß, dass sie auch von seiner großen Filmkarriere (* siehe unten) nicht überschattet wurden, sie sind forever. Manche Songs wurden mit Elvis, Janis, Johnny, Ray oder Waylon so legendär, dass sie ihnen und nicht Kris Kristofferson zugeschrieben wurden, und sie wurden und werden quer durch alle Reihen von Reggae bis Punk immer wieder und weiter gespielt.

Songs mit soviel Blues, dass man Warnschilder aufstellen könnte – und Songs wie „The Law is for Protection of the People“ (und nicht, um blindwütig prügelnde Cops zu schützen). Er hatte die Courage, sich auch, ohne Musik, frontal mit dem reaktionären Amerika anzulegen. Ein Beispiel: „Das Indian Movement konnte nach der Belagerung von Wounded Knee 1973 nur in gemäßigter Form weiterarbeiten. Einer der Anführer, Leonard Peltier, ist bis heute trotz katastrophaler Beweislage inhaftiert wegen Mordes an zwei FBI-Beamten… Willie Nelson und Kris Kristofferson haben mehrmals Benefizkonzerte für Peltier unterstützt…“ (zitiere ich aus meiner Cash-Biographie).

* Wie es in der Tagesschau-Meldung so schön heißt: „In Sam Peckinpahs Western ‚Pat Garrett and Billy the Kid‘ von 1973 spielte er zusammen mit James Coburn die Rolle des berüchtigten Outlaws.“



ECHOKAMMER VOL 100 FEIER

Das Münchner Label Echokammer, die Zentrale für The Sound of Munich Underground, feiert nach 24 Jahren seine 100. Veröffentlichung mit einer Doppel-LP (für die ich die Ehre hatte, Liner Notes beizusteuern) – und feiert live im Giesinger Bahnhof am 20.9. ab 19 Uhr: „22 Echokammer Bands spielen live je 1 Song“ (*)

Auszug aus meinem Jubiläumstext: Was unheimlich Bizarres passierte mir, als ich jetzt die 100 Echokammer-Teile (und damit einen erheblichen Teil meines Musiklebens) durchcheckte und plötzlich dachte: „Deutschland. Aber normal.“ Dieser Slogan der Neonazis ballerte mir in den Kopf. Verdammt fuck you, fluchte ich, kann man denn nicht mal mehr in Ruhe dieses Jubiläum feiern! Warum hat mich dieser so blöde wie feindselige Spruch angefallen wie ein Kampfhund? Weil aus der Echokammer die Tracks & Songs & Sounds kommen, die diese „Aber normal“-Germanen verachten und, wenn sie könnten, verbieten würden. Sie hassen die Lebensmittel, die uns die Echokammer liefert: das Unberechenbare-Unerwartete-Unfassbare, und das alle möglichen Grenzen Einreißende, und das Traditionen Durchleuchtende und Zerlegende, und das über angebliche Normen Lachende, und nicht zu vergessen diese Experimente, die sich sogar bis in Gelände vorwagen, in die vielleicht kaum noch jemand mitgeht, was man ja aber nicht wissen kann, wenn man´s nicht riskiert. Die Freiheit der Kunst wird nicht nur mit klaren Worten zu schönen Pianoklängen verteidigt.

(*) Aus gut unterrichteteten Kreisen habe ich erfahren, dass für jede Band eine eigene Arena aufgebaut wird, die nach dem Song sofort wieder abgebaut wird.



PUNK DAMALS&HEUTE

Über diverse Veröffentlichungen zu Punk in der DDR ein ausführlicher (und wie immer sehr guter) Artikel von Ulrich Gutmair – der übrigens am 4.6. im Kleinod (Berlin/Neukölln) auf Einladung von „Punks Against Antisemitism“ zusammen mit taz-Redakteurin Tania Martini das Buch über den Hamas-Terrorangriff „Nach dem 7. Oktober – Essays über das genozidale Massaker und seine Folgen“ (Edition Tiamat) vorstellt.

https://taz.de/Geschichte-von-Punk-in-der-DDR/!6009166&s=punk+ddr/

Darum gehts zu „damals“:

„Magnetizdat DDR“ und „Tanz den Kommunismus“, Verbrecher Verlag 2023/24. Zu „Magnetizdat“ wurde eine gleichnamige Dreifach-LP veröffentlicht.

„Betreten auf eigene Gefahr. Schleimkeim-Songcomics“, Ventil Verlag 2023.

Der Schlagzeuger von Zwitschermaschine: „Rom“, Rundling, 2021.

Rosa Extra: „Extrakte 1980–1984“, Edition Iron Curtain Radio / Major Label, Edition Tapetopia / aufnahme + wiedergabe 2023.



TRIKONT HAUT INS AUGE

und lässt bei allen gegenwärtigen Produktionen auch das Beste aus der Vergangenheit nicht ruhen, denn: Good taste is timeless! Deshalb ist Trikont das unverwüstliche älteste deutsche Independent-Label:

# Alle vier Alben der großartigen Hamburger Rockfrauenband Die Braut haut ins Auge (mit Bernadette LaHengst und Peta Devlin) sind digital wieder erhältlich (nachdem die Vinyls von einem Major-Label in den 90ern verschrottet wurden, wie man´s eben so macht, wenn man sich nicht für Musik interessiert).

# Das 85 auf Trikont erschienene Album „Lovin´Is Easy“ von DreiEier gibt es wieder auf Vinyl, weil es bis heute so elegant wie intelligent ist und keine Spur verstaubt von irgendeiner deutschen Welle.

https://trikont.de/shop/artists/drei-eier/dreieier-lovinis-easy-reissue-coloured-vinyl/

https://trikont.de/allgemein/die-braut-haut-ins-auge-alle-alben-digital/



KAMMERSPIELE MÜNCHEN MIT A MILLION MERCIES

11.5. 20h: Ein besonderes Konzert von A Million Mercies in den Münchner Kammerspielen: weil es selten passiert, dass das Werk „Electrictric“ mit großem Ensemble aufgeführt werden kann: eine sensationelle Besetzung (ich habe die Ehre, als Sprecher dabei zu sein) und ein Familientreffen des legendären Hausmusik-Labels.

TRAILER: https://www.youtube.com/watch?v=K0XWc3yhyLM

TICKETS:

https://www.muenchner-kammerspiele.de/de/programm/30278-a-million-mercies-electrictric

Theater-Info: „Was ist Hausmusik? Per Definition ist sie eine musikalische Zusammenkunft der Familie, ein Ritual und eine gemeinschaftliche Erfahrung. Wenn wir Musikverrückte aus München bis tief ins bayerische Hinterland fragen, kommt eine andere Antwort: Hausmusik — das ist ein legendäres Plattenlabel, ein Mailorder, eine Künstler*innenvereinigung, eine kreative Explosion, ein musikalisches Lebensgefühl, ein dickes Stück der eigenen Jugend oder der Inbegriff von Subkultur. Für Andere ist Hausmusik ein Musikvertrieb, der irgendwann pleite ging — ja, was denn nun? Die Hausmusik, von der wir heute sprechen ist all das in vier Phasen. Ihre turbulente Geschichte beginnt im Jahr 1991 und endet mehrmals. Und doch ist Hausmusik noch da. Immer wieder — und das feiern wir heute mit ‘A Million Mercies’ von Hausmusik-Gründer Wolfgang Petters. Dieses Projekt ist eine der Keimzellen des Labels. Eigentlich als Solo-Projekt gedacht, kam es bei Aufnahmen und Konzerten immer wieder zur Zusammenarbeit mit Musiker*innen aus den unterschiedlichsten Winkeln. Schubladisierbares kam dabei selten heraus. Lieber frönten sie der Vielfalt der Formen.

Für die Präsentation des Albums ‘Electrictric’ wächst das Projekt zu einem 13-köpfigen Ensemble an, es ist sozusagen eine Art Familientreffen, der aktuellen Hausmusiker*innen. Im gegenwärtigen Gefäß des Ensembles stecken Bands wie die Moulinettes, Sound of Money, Tied and Tickled Trio, Hochzeitskapelle, Carlo Fashion, Fred is dead und viele mehr. Dazu kommen ewige Begleiter wie der Schriftsteller Franz Dobler oder der Landsberger Filmemacher Ricardo Molina — und immer wieder auch neue Familienmitglieder. Ein Familienfest der besseren Sorte wird das!

Und das dreht sich um ein Konzeptalbum, das hier aufgeführt wird. ‘Electrictric’ handelt vom Schlaf. Es geht um das Träumen, das Albträumen oder das Nicht-schlafen-können und auch um den ewigen Schlaf. Musikalisch wandelt das Werk elegant an den Grenzen von Song, Jazz, Kammermusik und Klangexperimenten entlang. Gesungen wird in deutscher und englischer Sprache.

Die Aufführung von Electrictric ist wie ein Theaterstück angelegt und fasst unterschiedliche Darbietungsformen zusammen. Lesung, Musik und Filmeinspielungen gehen ineinander über, lösen sich ab und auf oder öffnen neue Türen.“

Mit Bariton Horn Andreas Kästle, Schlagwerk Carl Oesterhelt, Kontrabass Christian Auer, Gitarre, Gesang Claudia Kaiser, Stimme Franz Dobler, Gesang, Percussion Kiki Wossagk, Geige, Mundharmonika Martin Lickleder, Posaune Mathias Götz, Percussion, Ngoni Moussa Lô, Filme Ricardo Molina, Bassklarinette, Barritonsaxophon Stefan Schreiber, Bratsche, Gesang Ulrike Glinsböckel, Gesang, Gitarre, Komposition, Leitung Wolfgang Petters



THELONIOUS MONK GEGEN TV

Großartige Doku, so komisch wie traurig, der einzigartige Monk wird von einem TV-Team gequält und bleibt höflich und sieht aus, als würde er jeden Moment explodieren, rettet sich bzw. dieses Team aber mit dem Klavier…

https://www.arte.tv/de/videos/103053-000-A/rewind-and-play/

„Dezember, 1969: Im Vorfeld seines legendären Konzerts in Paris wurde der amerikanische Jazzpianist Thelonious Monk von französischen Journalisten mit der Kamera begleitet. Das archivierte Filmmaterial zeichnet das Porträt eines überaus nahbaren Künstlers, der sich dagegen wehrt, von den Journalisten und der Musikindustrie in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden.

Der Dokumentarfilm erzählt die Geschichte des 1917 in den USA geborenen Jazzpianisten Thelonious Monk, dessen Lebensinhalt die Musik war. Er wirft auch ein Schlaglicht auf die Medienmaschinerie und auf die Berichterstattung der Journalisten, bei der nicht der Künstler und sein Schaffen im Mittelpunkt stehen, sondern nur bestimmte Stereotype oberflächlich bedient werden. Das Bildmaterial erlaubt einen neuen, unverstellten Blick auf den beeindruckend vielseitigen Musiker, der bereits zu Lebzeiten eine Legende war. Der Dokumentarfilm lässt erahnen, wie viel Überwindung es ihn in der Vergangenheit gekostet haben muss, sich wieder und wieder den Journalisten zu öffnen, die ein Bild von ihm zeichnen würden, auf das er keinerlei Einfluss hat…“


SU YONO ALBUM WELLEN OUT NOW AT TRIKONT

Immer eine besondere Sache, wenn eine Band beim one and only Label Trikont landet: Jetzt ist das erste Album „Wellen“ von Su Yono draußen. Und schon Newcomer der Woche bei DLFKultur.

Und „Platte der Woche“ bei Münchens Optimal Records: „Su Yono ist ein Trio aus München. Nun präsentieren sie ihr Debütalbum „Wellen“ auf Trikont. Hier schweben hypnotische Harmonien, Avant-Folk und Indie nebeneinander gedankenverloren durch ihren ganz eigenen Pop Kosmos. Pola Dobler (Witches of Westend), Marcus Grassl (Aloa Input) und Chris Hofbauer (Micro Circus) sind Su Yono. Synths, Bass, Drums und Vox bilden live das musikalische Konstrukt. Sie lassen sich von Outsider Pop, Electronica, Psychedelia, Kraut & No-Wave inspirieren und entlehnen Elemente aus diesen Genres, um die losen Stränge dieser Fäden zu einem mystischen, dunkelgrün geflügelten Umhang zu verweben der in blauem Honig tropft.“

https://trikont.de/shop/artists/su-yono/su-yono-wellen/

Neues Video by Anton Kaun: https://www.youtube.com/watch?v=_9JJvOUpMRQ

Die Album Liner Notes von Pico Be (Das Weiße Pferd):

„SU YONO »Wellen« hören und sterben!
Marcus schickt mir Aufnahmen einer neuen München-Band, ob ich denn eine Idee für einen Namen hätte. „Susi“ sei das Alibi-in-progress, unter dem sich Marcus mit Pola zum Musizieren verabredet. Also schlage ich vor, statt Susi doch gleich ihre echten Vornamen zu nehmen und zu einem neuen Kunstnamen zusammenzufügen: Marcus Pola. Nein, das geht nicht, denn schließlich gibt es noch den Chris! Am Anfang waren Marcus und Chris. Also ist Susi ein Trio, aber keiner von den Dreien nehme sich so wichtig, den eigenen Namen zum Bandnamen zu verklären. Gut. Daraufhin höre ich eine Weile nichts mehr von Susi.
Wochen später meldet sich Marcus, Susi sei „dead“, gestorben. Die Band hat jetzt einen neuen Namen: Su Yono. Und Pola Dobler, die Erythropoetin, singt: Du musst gehen und weißt gar nicht wann. Du musst leben und weißt nicht wie lang. Und weiter: Heute lieg ich noch wach in meinem Bett. Und morgen tragen sie mich weg. Sie tragen mich hinaus, aber nicht mehr herein. Sie tragen mich auf ewig in den Friedhof hinein. Der Tod ist ein Motiv, das sich durch alle Stücke zieht, und ich lese den neuen Namen erstmal spanisch als „Su yo no“ – „Ihr selbst nicht“ oder „Ihr ich nicht“ und finde ihn also sehr passend. Kein Vorname, kein Selbst, nur Tod. Und die Musik ist schön wie Engelshaar und Sternenstaub. Wasser ist ein weiteres Motiv. Also hören wir Wasser und Tod, und ich denke an einen Satz, den ich bei der Mailänder Dichterin Chandra Livia Candiani lese: „The sea drinks me – das Meer trinkt mich“. Das salzige Meer, aus dem alles Leben entspringt. Und das mediterrane Meer, das so vielen Menschen, die von einem neuen Leben in Europa träumen, das Leben nimmt. Im Süßwasser der bayerischen Seen aber sterben nur Könige. So klingen die Wellen von Su Yono nach Rokoko und Romantik. In ihnen schwimmt aber auch der Geist von Achternbusch, der im Walchensee für die Atlantiküberquerung übt.
Wieder und wieder tauche ich ein in die Musik, ziehe Bahnen. Und dann bade ich in der Musik. Dabei geschieht etwas mit mir. Die Wellen entfalten in mir dieselbe Wirkung wie Neroli. Alles Generve entspannt sich, wird ruhig, gelöst. Ich zerfließe. Neroli, kostbares ätherisches Öl, das seinen Namen von der sizilianischen Prinzessin Nerola trägt, die diesen Duft so liebte. Seine Herznote bildet das Petitgrain, das per Wasserdampfdestillation aus den Blättern, Zweigen und unreifen grünen Früchten der Bitterorange gewonnen wird. Seinen Grundton finden wir auch in Echter Katzenminze, in der Muskatnuss, Schwarzem Holunder, Lavendel und Rosen, aber vor Allem im Wermut.
Es ist das Erlebnis ekstatischer Verwirrtheit, das ich vom Absinth kenne und das auf dessen Hauptbestandteil, einen Auszug von Wermut, zurückzuführen ist: Beim Hören begegnet mir es wieder in Gestalt eines Déjà-écouté. Vielleicht ist der Grund hierfür, dass die Musik den Sauerstoffgehalt von Höhenluft atmet. Und vielleicht verliere ich mich gleich in einem fischgrünen Tagtraum, mit einer brennenden Kerze neben einem Totenkopf und anderen Vanitas-Motiven auf dem Küchentisch. Einem Memento Mori aus Masken, Spiegeln, Früchten, Dosen, einer Sanduhr und einem Echo: Gedenke der Sterblichkeit – Gestern mir, heute dir!Oder eben Querflöte, Klarinette, Trompete und Geigen, die durch den Türspalt dringen. „I want to fade out in the sun. I don’t belong to anyone.“ Hören, nicht gehören. Die Gegenseitigkeit von „Mutuelle“. Das Hin- und herfließende beim Musizieren als Reziprozität, vergleichbar dem Kula, Tausch-System der Bewohner der pazifischen Trobriand-Inseln. Diese melanesischen Inseln sind fast kreisförmig angeordnet, zwischen ihnen werden im Uhrzeigersinn soulava getauscht, Halsketten aus kleinen roten Muschelplättchen. In die andere Richtung, gegen den Uhrzeigersinn, werden mwali getauscht, Armbänder aus weißem Muschelring. Alle Gaben müssen nach einiger Zeit weitergetauscht werden.
So höre ich in den „Wellen“ von Su Yono den komplexen, nicht gewinnorientierten Tauschhandel der Trobriander. Höre, wie die Geber und Nehmer dabei in einer ständigen Position des Gastfreundes zueinanderstehen. Gute Melodie ist eben doch von wert. Danke, Su Yono!“



A MILLION MERCIES MEET NANCY & LEE PERFORMING „NANCY & LEE #3“

Nicht nur ein neuer Song von A Million Mercies (aka Wolfgang Petters), sondern totalneu die Version Nr.3 von „Nancy & Lee“: ein Handwerker-Song und das in mehrfacher Hinsicht. Und eine ebenso großartige Lektion über das Handwerk der Interpretation: weite Wege von Version 1 bis 3.

„Nancy&Lee #3“ eingespielt vom aktuellen AMM-Quartett: Claudia Kaiser (Bossa-Gitarre, Gesang) Martin Lickleder (Vibraphon) Ralf Nickolaus (Schlagwerk, Banjo) Wolfgang Petters (Gitarre, Bass, Glockenspiel, Gesang) – diese phantastische Band wird mit einem Konzert meiner Buchpremiere am 14.3. in München bei Heppel&Ettlich besonderen Glanz verleihen und ich sage jetzt schon mit Cannonball Adderley „merci merci merci“.

Alle weiteren Videos von A Million Mercies findet Ihr im Hausmusik-Kanal: https://www.youtube.com/channel/UC7WJ…

Hier das neuste 2-LP-Album „A Million Mercies : Unten im S​ü​den – Westerngedichte & Weg zur H​ö​lle“ (2023), auf dem „Hausmusik“-Gründer Wolfgang Petters 22 Gedichte von mir vertont hat:

https://amillionmercies.bandcamp.com/album/a-million-mercies-unten-im-s-den-westerngedichte-weg-zur-h-lle

Für das Album haben wir beide Liner-Notes geschrieben, meine gehn so unter dem Titel WIR WAREN, SIND, BLEIBEN UND WERDEN ELEKTRISCH GEBLIEBEN SEIN

A Million Mercies! Mehr kann ich dazu nicht sagen, dass Wolfgang Petters 22 Gedichte von mir vertont hat. Ich bin sprachlos, das haut mich um (und macht mich stumm). Allerdings bin ich seit vierzig Jahren mit dieser Sprachlosigkeit beschäftigt, die der Schatten des Schreibens ist, und kann auch schreiben, wenn ich sprachlos bin: wenn es sein muss. Der Trick dabei ist, sich an die Fakten zu halten, wenn du emotional so überwältigt bist, dass dir nichts mehr einfällt.

„Die seltsamen Tage nehmen einfach kein Ende“, schrieb mir Wolfgang am 6. Februar 2021, „aber ich nehme zumindest ziemlich oft meine Gitarre zur Hand und habe jetzt mal einer etwa 25 Jahre alten Idee etwas an die Hütte geklopft. Aufgrund Deines neuen grandiosen Gedichtbands, den ich schließlich doch noch unter der Ladentüre hindurch geschoben bekam, kam auch diese alte Idee wieder hoch mit den Westerngedichten und der Vertonung.“ Sogar intime Details wie „meine ersten Mundharmonikaversuche bei einer Aufnahme“ teilte er mir mit.

An dem Tag hätte ich nie zu hoffen gewagt und er ahnte es ja selbst nicht, dass er damit weitermachen würde, bis aus einem geplanten Song dieses Doppelalbum wurde. Für das er nicht nur Gedichte aus meinem 1991 publizierten Band Jesse James und andere Westerngedichte (der dann in Ich will doch immer nur kriegen was ich haben will als Bonustrack wiederveröffentlicht wurde) vertont hat. Auf seine inzwischen „alte Idee“ war er damals gekommen, als wir uns bei gemeinsamen Veranstaltungen von Hausmusik-Label und Trash-Magazin kennenlernten (dessen Herausgeber Peter Bommas auch meine Westerngedichte verlegte). Die Liste unserer Kollaborationen seitdem ist fast so lang wie der Weg zur Hölle, darunter ein gemeinsamer Auftritt bei einer Johnny-Cash-Ausstellung 2016 in der Hausmusik-Geburtsstadt Landsberg, bei dem wir mit einigen dieser Gedichte improvisierten, ohne zu wissen, wie es weitergeht.

In den Liner Notes zum Mercies-Album Wir sind elektrisch (2011) zitierte ich aus dem Titelsong: „Wir tranken auf die Menschen, die wir einst verloren, und auf den Tag, an dem unsere Kinder geboren, und auch auf das, was uns alles noch passiert.“ In seiner Youtube-Serie hat Wolfgang kürzlich eine Fortsetzung des Songs veröffentlicht, der Titel ist Programm: „Wir bleiben elektrisch“. Und genau das ist es, was wir tun. Sage ich vollkommen sprachlos, weil ich eine Auszeichnung bekomme, die größer nicht sein könnte.



JOHNNY CASH EIN FREUND ISRAELS

Wenn ich heute etwas in meine Johnny-Cash-Biografie an seinem Geburtstag reinschreiben würde:

Johnny Cash war ein großer Freund Israels, auch weil er sich der Bedeutung dieses Staates als „safe space“ bewusst war, und er hätte gesagt: Am Elend in Gaza sind diese Hamas-Typen schuld und sie könnten es beenden, wenn sie die israelischen Geiseln freilassen.

Wahrscheinlich hätte er wie ich hinzugefügt: Sie sollen zur Hölle fahren.