Literatur

KRISTOF SCHREUF UND DIE PRINTMEDIEN

Ein paar Notizen dazu, weil wir uns wenige Tage vor seinem Tod am 9.11. auch darüber unterhalten haben. Er war ja seit einigen Jahren als Feuilletonschreiber wahrscheinlich bekannter als der Sänger und Rocker, dessen bahnbrechende Band Kolossale Jugend über 30 Jahre, die weniger bekannte Nachfolgeband Brüllen 25 und sein einzigartiges Soloalbum Bourgeois With Guitar über 10 zurückliegen.

Der erste Nachruf war in der jungen Welt erschienen, über die wir an diesem letzten Abend tatsächlich diskutierten, für die Kristof und auch ich viele Jahre geschrieben haben. Immer stark verbunden mit der Feuilleton-Redaktion, früher Christof Meueler und Kristofs Frau Conny Lösch, heute Peter Merg. Eine Menge Diskussionsstoff hatten wir allerdings wegen der vom Politik-Teil dominierten Israel-Haltung des Blatts, die wir sozusagen für mindestens nicht ganz koscher hielten, und Kristof hatte in den letzten Jahren nicht mehr so viele Artikel wie früher abgeliefert, während ich mich ganz verabschiedet hatte … Schon seltsam, als hätten wir an diesem letzten gemeinsamen Abend, „was ich noch zu sagen hätte…“, mal über die so gut wie überall zu beobachtenden Konflikte zwischen Politik- und Feulleton-Redaktionen diskutieren müssen.

Kein Fußbreit den Israel-Feinden (oder den angeblich ein bisschen gemäßigteren BDS-Freund*innen) war ein nicht verhandelbarer Grundsatz für Kristof Schreuf, und dass er in den letzten Jahren verstärkt für Neues Deutschland schrieb, hatte außerdem den Grund, dass der langjährige und von uns sehr geschätzte junge-Welt-Feuilletonredakteur Christof Meueler diese Position beim Neuen Deutschland übernommen hatte. (Passend hier auch die Erwähnung: Autor und Journalist Markus Liske teilte auf f-book den junge-Welt-Nachruf auf Schreuf mit der Bemerkung, er teile keine jW-Artikel mehr und mache jetzt nur mal eine Ausnahme).

Seit etwa einem Jahr erschienen Schreuf-Texte auch in der Welt und oho sagen jetzt viele Linken und wohl ganz besonders die Linken, mit denen wir nichts (bzw. nichts mehr oder nicht mehr so viel) zu tun haben wollten. Soll bloß niemand auf die Idee kommen, Kristof Schreuf hätte irgendeinen Text irgendwo abgeliefert, ohne vorher zu checken, für wen er da arbeitet. Er habe, durchaus überrascht, festgestellt, erzählte Kristof, dass bei der Welt auf jeden Fall Israel-Bashing offensichtlich nicht erlaubt sei. Und außerdem sei man dort zu einem freien Autor äußerst freundlich und man rede ihm nichts drein. Dort erschien am 2.11. sein vielleicht letzter Artikel über „das Konzert des Jahres“ von Danger Dan, und der Artikel ist, wie üblich bei Kristof, viel mehr als nur so´n schnell mal weggetippter intelligenter Text.

Auch die Tageszeitung tageszeitung aka taz kann stolz darauf sein, dass Schreuf bis zuletzt eine Menge Text reingeliefert hat, und Musikredakteur Julian Weber wusste zweifellos genau, welches Schreiber-Kaliber er mit Schreuf hatte, und der Titel seines Nachrufs, „Der Text war seine Party“, trifft das exakt.  Während man ihn – noch ´ne Zeitung – bei der Jungle World vergrault habe, erzählte Kristof, durch sich häufende Diskussionen oder Ablehnungen wie ach-das-ist-doch-nicht-so-interessant oder das-kann-man-aber-doch-nicht-so-sagen, also diese nicht seltene Besserwisserei von Redakteur*innen, die davon ausgehen, sogar erfahrene Autor*innen wüssten eigentlich nicht so recht, worüber sie was schreiben oder was sie damit meinen und (to make a long story short) die damit gerne ihre Position untermauern. (Oder wie es Fußballfan Schreuf vielleicht gesagt hätte, die denken, an denen kommt niemand vorbei, außer vielleicht Messi an seinem besten Tag).

Wie auch immer, ich dachte, weil sich ja nun (fast) der ganze Zeitungswald verbeugt und nachruft, das dürfte ja wohl noch kurz gesagt werden. Auch wenn es jetzt so verdammt unwichtig ist. Ehe ich mit dem Wunsch rausgehe, bald ein Buch mit Schreuf-Texten in die Finger zu kriegen. Von seinem so umfangreichen wie unvollendeten Roman im Moment ganz zu schweigen.



DER MANN DER AUSM FENSTER SPRANG

hat damals nicht seinen Verstand verloren, sondern wurde zu einem der interessantesten Erzähler, die da draußen frei rumlaufen – und wenn dieser Ludwig Lugmeier ein neues Buch veröffentlicht, ist das was Besonderes, weil er nicht so viel veröffentlicht, wie wir uns das wünschen. Aber mehr kann man sich eigentlich auch nicht wünschen als ab und zu ´ne große Sache in den Regalen mit den Buchstabentütensuppen: „So der Herr mit Zylinder“. 18 „Abseitige Geschichten“ über 150 Seiten:

http://verlag-expeditionen.com/product/so-der-herr-mit-zylinder/

So der Herr mit Zylinder – Abseitige GeschichtenDie Leben des Käpt'n Bilbo - Lugmeier, LudwigDer Mann der aus dem Fenster sprang: Ein Leben zwischen Flucht und Angriff  : Lugmeier, Ludwig: Amazon.de: BücherWo der Hund begraben ist: Roman : Lugmeier, Ludwig: Amazon.de: BücherUnd eines (schönen?, das weiß ich nicht mehr) Tages schrieb ich das Gedicht „Gefährliches Leben“ mit Lugmeier in der Hauptrolle (auf S.20 in meinem letzten Buch), es fängt damit an, wie wir eines schönen Tages Freunde wurden und endet so: „Später hat er in einem Interview was gesagt das mir sehr gut gefallen hat. Dass es genauso gefährlich ist einen Roman zu schreiben wie einen Millionenraub durchzuführen. Ich kann das nicht beurteilen. Aber das klingt so gut das muss die Wahrheit sein.“ Und wir sind dann auch Freunde geblieben.

 



PEN-BERLIN: SCHREIBEN GEGEN AUTOKRATIE

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PEN-BERLIN@MÜNCHEN 26.10. FREE JULIAN ASSANGE !

PEN Berlin in München:

EIN ABEND FÜR JULIAN ASSANGE – FREE JULIAN ASSANGE!

26.10.2022 um 19 Uhr im Club Rote Sonne

Ich habe noch nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengeschlossen hat, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit bewusst zu isolieren, zu dämonisieren und zu missachten.“ (UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, über Julian Assange)

Seit über zehn Jahren lebt WikiLeaks-Gründer Julian Assange in Unfreiheit sieben lange Jahre als politischer Flüchtling in der ecuadorianischen Botschaft in London, seit 2019 in britischer Einzelhaft. Er ist inzwischen körperlich und seelisch schwer geschädigt, ein Ende des Alptraums ist nicht in Sicht. Weil Assange mit Wikileaks US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan öffentlich gemacht hat, verfolgen ihn die Vereinigten Staaten mit unerbittlicher Rachsucht. Auch europäische Staaten haben sich durch Handeln (Großbritannien, Schweden) oder Unterlassen (Deutschland) mit diesem Justizskandal gemein gemacht. Darum veranstaltet PEN Berlin einen Abend für sein Ehrenmitglied Julian Assange. Denn Journalismus ist kein Verbrechen.

Das Programm des Abends:

Dokumentarfilm: „Hacking Justice“ (aktualisiert) von Clara López Rubio.

Podium: Margit Ketterle (IG Meinungsfreiheit im Börsenverein des Deutschen Buchhandels), Angela Richter (Regisseurin, Free-Assange-Aktivistin), Ralf Nestmeyer (PEN-Berlin/Writers-In-Prison), Knut Cordsen (BR, Moderation), Patrick Bahners (FAZ), Friedrich Ani (Autor).

Live-Zoom: Chicks On Speed feat. Jeremiah Day performing „Two Songs (for Julian Assange)“

Sprache: Deutsch, Eintritt: 12 Euro

Eine Veranstaltung von PEN Berlin. Wir stehen im Wort.

(Für das Board: Ralf Nestmeyer und Franz Dobler)



WENN EINE BDS-AKTIVISTIN DEN LITERATURNOBELPR

eis bekommt, interessiere ich mich nicht für ihr Schreiben, sondern für ihre israelfeindlichen antisemitischen Äußerungen zur Unterstützung der verdammten BDS-Kampagne. Mich interessiert schon auch, warum ich das bisher nicht mitbekommen habe, obwohl ich genug deutsche Medien mitbekomme, und warum ich das nicht irgendwie geahnt habe, obwohl ich einige Seiten von ihr gelesen habe, aber beides ist jetzt auch nicht so interessant. Wer für Israelkritik den Ausdruck „Apartheid-Politik“ benutzt, ist für mich mehr als komplett out.



PULP MASTER JIM NISBET

ist am 28. September im Alter von 75 Jahren in San Francisco von uns gegangen und hat unter anderen auf deutsch fünf Romane im Verlag Pulp Master hinterlassen, „Powerball“ ist angekündigt, und wer was gelesen hat und nach fünf Seiten im Sog mitgerissen wurde, wird wie ich sagen can´t get enough.

Als Jim Nisbet-Leser*in landet man leicht bei der Frage, ob es nicht vielleicht doch zu viele Schriftsteller*innen gibt und warum bauen die, die dünne Buchstabensuppen verhökern, nicht lieber Wärmepumpen, fahren den Müll raus oder Autorennen? (Besonders fragt man sich das, wenn man ´ne Inhaltsangabe von so´nem Buch liest: „Die 24-jährige Karin verliebt sich in den jungen Schriftsteller Olof. Aber es gibt ein Problem: Karin ist mit Sven verheiratet, einem stürmischen, hochrangigen Schriftsteller mit einer grausamen Ader. Wagt sie es, ihren Mann zu verlassen und … 68 Jahre später fragt sich Karins Enkel Alex, ebenfalls Autor und dreifacher Vater, warum er eine so tiefe Wut in sich trägt?“ Weil seine drei Kinder auch Bücher schreiben – ist aber nur meine Vermutung als Hobbypsychologe.)

Powerball (Pulp Master) : Nisbet, Jim: Amazon.de: BücherDunkler Gefährte / Pulp Master Bd.28 (eBook, ePUB) von Jim Nisbet -  Portofrei bei bücher.deTödliche Injektion / Pulp Master Bd.32 (eBook, ePUB) von Jim Nisbet -  Portofrei bei bücher.de

www.pulpmaster.de



YURIY GURZHYS KRIEGSTAGEBUCH NR.66

Yuriy Gurzhys Kriegstagebuch (66): Charkiw ist die glücklichste Stadt der Welt. „Der ukrainische Autor, DJ, und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Hier schreibt er über den Krieg in der Ukraine.“

https://www.tagesspiegel.de/kultur/yuriy-gurzhys-kriegstagebuch-66-charkiw-ist-die-glucklichste-stadt-der-welt

Und der Künstler ist auf der Hotlist für „Die Bücher des Jahres aus unabhängigen Verlagen“: „Jetzt brauchen wir eure Stimme – wir freuen uns sehr, wenn ihr beim Publikumsvoting mitmacht“: https://www.hotlist-online.com/wahllokal-polling

Cover Richard Wagner und die Klezmerband, Yuriy Gurzhy



STAND WITH SALMAN

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PEN-BERLIN: WORDS AGAINST VIOLENCE – AN EVENING FOR SALMAN RUSHDIE

Der PEN Berlin und das Berliner Ensemble laden ein zu:

WORDS AGAINST VIOLENCE – SOLIDARITÄTSLESUNG FÜR SALMAN RUSHDIE

Sonntag, 21. August 2022, 18.30 Uhr, Berliner Ensemble, Neues Haus

„Die Kunst ist verwundbar, weil sie von Menschen gemacht wird und andere Menschen sie zerstören wollen. Seit dem Todesbefehl des iranischen Mullah-Regimes hat Salman Rushdie diese Verwundbarkeit bitter erfahren müssen – und niemand kann sagen, welche seelischen und körperlichen Wunden der Mordversuch vom 12. August hinterlassen wird.
Doch wir alle müssen das schützen, was Salman Rushdie immer am wichtigsten war: Die Freiheit des literarischen Wortes. PEN Berlin und das Berliner Ensemble haben kurzfristig eine Lesung organisiert, als Gene-sungsgruß an Salman Rushdie, einen der größten Schriftsteller unserer Zeit. Als Zeichen des Widerstands gegen Fanatismus und Gewalt, gemeinsam mit dem Publikum, mit seinen Leserinnen und Lesern.
Wie kein zweiter Schriftsteller seiner Generation musste Rushdie Jahrzehnte lang um seine persönliche und künstlerische Freiheit kämpfen. Was in unserer Welt oft hölzern und routi-niert daherkommt – das Reden über die Freiheit des Wortes – klingt bei ihm sinnlich und lebendig: „Wenn wir an die Freiheit glauben, wenn wir wollen, dass die Luft, die wir atmen, im Überfluss vorhanden und atembar bleibt, dann müssen wir das Existenzrecht der Kunst nicht nur verteidigen, sondern feiern.“

Am Sonntag im Berliner Ensemble feiern wir Salman Rushdies Kunst.

Mit Seyran Ateş, Priya Basil, Zoë Beck, Thea Dorn, Can Dündar, Eren Güvercin, Eva Menasse, Yassin Musharbash, Sven Regener, Judith Schalansky, Günter Wallraff, Deniz Yücel und mit freundlicher Unterstützung des C. Bertelsmann Verlages

Der Vorverkauf für die Lesung läuft ab sofort über die Theaterkasse des Berliner Ensembles, die Karten kosten 16 Euro, ermäßigt 9 Euro. 



EIN STARKER BASS (REVISITED)

Stolpern als Art der Fortbewegung, Lebensart oder Zeichen von Aufmerksamkeit wird unterschätzt und sogar belächelt, wenn nicht verachtet. Hier ein weiteres Lob des Stolperns: ich stolperte über einen Artikel, den ich vergessen hatte, veröffentlicht im Freitag 41/2015, den ich aus zwei Gründen hier wiederveröffentliche: 1. war mein Betreuer als Textchef mein kürzlich verstorbener Freund Thomas „Cäsar“ Kaiser, und 2. passt der Artikel zum damals erschienenen Buch Country von meinem Freund Andreas Niedermann auch ganz gut zu seinem neuen autobiografischen Roman Schreiben. Selbstbild mit Tier (von gewissen Details mal abgesehen, so hat er sich sieben Jahre später aus dem von ihm gegründeten Songdog Verlag zurückgezogen), wie auch meine allgemeinen Literaturbemerkungen weniger veraltet sind, als viele denken oder hoffen möchten. Es tut übrigens nicht so wahnsinnig weh, wenn man ein paar *** eigenverantwortlich hinzufügt:

EIN STARKER BASS

(im Freitag 41/2015 abgesegnet von Thomas Cäsar Kaiser)

Die deutsche Gegenwartsliteratur hat drei Krankheiten, die bei ihren Buchhaltern allerdings beliebt sind. Die Gute-Laune-Pest: Weil es heute mehr Kabarettisten als Sozialarbeiter gibt, will jeder Schreiber mitmachen, der schon mal einen Witz gehört hat. Fettleibigkeit: Auch wer nicht viel zu sagen hat, streckt das auf 400 plus Seiten, denn der Markt findet’s geil, redundantes Rumlabern ist vollkommen akzeptiert und neobiedermeierliche Häkelarbeiten werden gern ausgezeichnet – während die Kunst des Weglassens und der Schnelligkeit nicht mehr viel wert ist. Und drittens natürlich: diese Mittelschichtsautoren! Feridun Zaimoglu sagte in einem Interview kürzlich nichts anderes: „Ich habe nirgendwo sonst in der deutschen Gesellschaft so viel Hierarchie gesehen wie im Literaturbetrieb. Es konnte nicht sein, dass so ein dahergelaufener Unterschichtler“ wie er sich da einmischte, und an dieser Tour habe sich seit 20 Jahren nichts geändert.

Ich fange hier nicht damit an, weil ich vorhabe, eine Dichterinitiative zu gründen oder an so einem großen Essay arbeite, der jedes Jahr gebraucht wird, um nach kurzer Debatte die Archive zu ergänzen, und mir ist auch egal, ob ein Autor (nach Charles Plymell gesagt) Kuhscheiße an den Stiefeln oder einen Leipzig-Schreibkurs absolviert hat. Ich habe damit angefangen, weil Andreas Niedermann einer der wenigen deutschsprachigen Autoren ist, die keine dieser drei Krankheiten haben. Was Mittelschicht und -literatur betrifft, kann er sowieso keine der Voraussetzungen vorweisen. Von dem, was es sonst noch gibt, erzählt er in seinem neuen Buch Country eine Menge. Direkt mit der Musik hat das nichts zu tun, es war die berühmte Definition von Harlan Howard, Country sei nichts anderes als „three chords and the truth“, von der sich der Autor inspirieren ließ. Seine Themen wie Freundschaft, Liebe, Sex, Gier, Verrat, Rache sind countryesk, mit einem ländlichen Hintergrund und vielen Tieren, die auch gejagt und getötet werden.

Der starke Bass, der sozusagen unter allen fünfzehn Stories stampft, ist jedoch „harte Arbeit“: die Art Arbeit, bei der man fliegt, wenn man krank ist, und keinen bezahlten Urlaub hat, oder die man vielleicht gleich morgen hinschmeißt; und die mit dem alten Spiel „Such den Raps“ verbunden ist, weil’s jederzeit vorbei sein kann und man wieder Raps auftreiben muss, den Kies von der Maloche, die vom hebräischen Melacha kommt und dich meschugge macht. Und das Problem ist, dass man selten allein arbeitet …

„Weil ich etwas gegen das Töten von Schlangen hatte, hielten mich einige Kollegen für weichherzig, um nicht zu sagen für ein Weichtier, aber sie staunten jeden Mittag, wenn die Bündel gezählt wurden und ich immer einige mehr geschnitten hatte als jeder von ihnen. Jeden Tag schaffte ich mehr als sie, und sie wunderten sich, dass einer, der nicht töten wollte, mehr arbeiten und am Abend mehr trinken konnte als sie, die doch gerne töteten und tranken.“ Dann kommt mit einem Satz, wo der eigentliche Nerv der Geschichte steckt: „Nur Chiara schnitt mehr Bündel als ich.“ Und sie war der Boss.

Ein vielschichtiges Beziehungsdrama zwischen Arbeit und Sex, erzählt auf zehn Seiten. Ohne einen überflüssigen Satz. Das gilt für alle diese Stories, und das ist große Kunst – die Kunst, nur so viel wie nötig zu sagen, mit ein paar knappen Dialogen ein Panorama aufzubauen, einen schönen Gag wie ein Blitzlicht zu setzen (anstatt ihn aus- und niederzuwalzen), mit dem einen richtigen Satz (und nicht zehn Seiten Rumlabern) das Herz einer Geschichte zu zeigen (oder sie auf den Kopf zu stellen, um zu zeigen, dass der Schein trügt).

Es ist die Kunst, die bei uns nicht viel gilt. Auch weil solche Jobs wie in Country selten zu Literatur verarbeitet werden (es will sie ja keiner mehr machen). Natürlich steckt in dieser ersten Sammlung mit Short Stories, nach etwa zehn Romanen Niedermanns, eine Menge Biografisches. Er wurde 1956 in der Schweiz geboren und lebt seit 20 Jahren in Wien. Er ist viel durch Europa gereist, hat auf dem Bau gearbeitet, als Almhirte, Koch, Theatertechniker, hat die erste Bühne der Roten Fabrik in Zürich gezimmert, sich mit Ökospießern und Mittelschichtpunks gestritten und auch vom Boxen und Saufen in seinen Romanen erzählt (die übrigens alle um die 200 Seiten lang sind). Sein erster Roman Sauser (eine Anspielung auf den Schriftsteller und Abenteurer Blaise Cendrars), erschien 1987 bei Edition Nautilus. So wurden wir Verlagskollegen, danach Freunde, die sich längst alle möglichen Krankheiten erzählt haben.

Zum Profil eines Autors, der außerhalb vom sogenannten Betrieb einiges erlebt, gelernt und getan hat, passt, dass er vor zehn Jahren seinen eigenen Songdog-Verlag gründete (in dem er nicht nur seine Bücher produziert). Nach drei Romanen hatte ihn damals ein neuer Verleger hingehalten und abgeschoben, dann gingen ihm Lektoren auf die Nerven und er meinte, sie könnten ihn jetzt alle mal. Ich hatte ihm vom Verlag abgeraten, aber Andrzej Stasiuk hatte in Polen gerade seinen eigenen aufgestellt, und das war ein stärkeres Signal. Dass Niedermann Buchmessen nichts abgewinnen kann und das Klinkenputzen nie lernte, macht’s nicht leichter; dass er sich stoppen lässt, außer vielleicht durch eine Bombe in seine nicht existierende Bürofront, glaube ich nicht. Er hat genug trainiert, nicht nur als Pilger, wie er eine der Stories genannt hat.

„Der Hunger. Er war ein kleines, wütendes Tier, das gurgelnd und rumorend in meinem Gedärm rauf und runter tobte. So fühlte es sich an. Der Scheißhunger. Zuletzt hatte ich vor drei Tagen etwas gegessen. An einem Fest der Kommunistischen Partei, in das ich zufällig geraten war. Irgendjemand hatte einen Teller Spaghetti Carbonara vor mich hingestellt. Oder ich hatte mich vor einen ledigen Teller gesetzt. Was weiß ich. Drei Tage war das her. Ich besaß noch eineinhalb Schachteln Zigaretten und eine Flasche mit gechlortem Wasser. Und ich hatte noch 1200 Kilometer vor mir.“

Country. Fünfzehn Stories. Songdog, Wien 2015, 180 S. / Schreiben. Selbstbild mit Tier. Songdog, Bern 2022, 192 S.

ISBN 9783950355796: CountryCover Niedermann Schreiben