Literatur

KATHY ACKER

muss man natürlich gelesen haben bzw. lesen, wenn man sich für moderne Literatur interessiert, auch wenn man nicht in einem Plagiatsprozess als Zeuge aufzutreten hat. Dabei ist keine schlechte Voraussetzung, wenn man ein Gegner der Sitte ist, dass  z.B. Homosexuelle mit Steinen zu Tode befördert werden sollten, um ihnen vermeintlich ordentliche Sitte beizubringen; falls ihr wisst, was ich meine.

Ein toller Orden, den die viel zu früh verstorbene Kathy Acker (1947-1997) bekam, war die Vertonung von „Pussy, King of the Pirates“ durch die Mekons.

Alles, was an Kathy Acker erinnert, die inzwischen doch fuckin viel zu sehr in Vergessenheit geraten ist (und im deutschen Bereich überlagert wird von z.B. Ärzten, die offensichtlich zuviel Freizeit haben und deshalb in dieser Texte/Bücher schreiben),  ist gut.

Auch bizarre Gimmicks in Erinnerung an Kathy A. sind gut, z. B. die ziemlich erfolgreiche neue Inszenierung von Frank Castorf. Mehr gibt es zum Fall „Häkelmann“ (wie wir vom Kathy A.-Fanclub von den Trinkhallen und Imbissbuden und Diskotheken, die Kindern keinen Eintritt gewähren, ihn nennen),  ehe wir uns mit der Literatur-Marketing-Abteilung zu Tode langweilen, nicht zu sagen.

Einfacher formuliert? Haha.

Eine so umfassende wie großartige Darstellung der literarischen Technik „Cut-Up“ hat Dr. Sigrid Fahrer veröffentlicht: Cut-Up / Eine literarische Medienguerilla. 260 S. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2009.

Lassen wir mal den Zufall einen Pass (in die Tiefe des Raums) schlagen und klappen das Werk auf: „Die Literatur sieht sich zunächst mit generellen Zweifeln an ihrer Wirkungskraft konfrontiert, gekoppelt an den Vorwurf, vom Elfenbeinturm aus zu agieren (397). Bei Cut-Up entzündet sich diese Kritik hauptsächlich an der experimentellen Form, die sich jeder Benutzerkompatibilität entziehe und die sich der ‚Ich-Süchtelei‘ verdächtig mache …“.

Was also tun? Warten. Warten auf Carl Weissners Roman Manhattan Muffdiver, der vermutlich in dieser Sekunde vom Milena Verlag ausgeliefert wird. Auszug aus dem Katalog: „Ich habe ein neues Stammlokal, eine Straße hinter dem Edgar Allan Poe Café. Es nennt sich NO PORK ON MY FORK, d.h. es ist eine Islamistenkneipe. Ich komme also reingeschlendert und sage: ‚Tach, ihr Windelköpfe. Ich bin euer lokaler Provokateur von der Politischen Polizei, der euch zu was anstiften soll. Ich finde, wir sollten den Trump Tower in die Luft jagen. Was haltet ihr davon, hm?“



DIE LITERATURABTEILUNG

des Augsburger Modular-Festivals 2010 habe ich zusammengestellt. Hier das Programm:

15.4. Marina Bartolovic (Heidelberg) und Juli Zucker (Regensburg)

16.4. Jasmin Ramadan (Hamburg)

17.4. Schwabinger Schaumschläger Show (München): Moses Wolff, Michael Sailer, Jaromir Konecny



DAS JAHR WAR

auch deswegen erheblich besser als 1938 oder wenn man 2008 in Reichweite der aus Gaza abgefeuerten Bomben war, weil man lesen konnte

Maxim Biller/Der gebrauchte Jude & Edo Popovic/Die Spieler &  Ludwig Fels/Die Parks von Palula & Andreas Niedermann/Log & Gabriele Goettle/Wer ist Dorothea Ridder? & Jasmin Ramadan/Soul Kitchen & Miron Zownir/ Parasiten der Ohnmacht & Friedrich Ani/Mitschnitt & Dominik Graf/Schläft ein Lied in allen Dingen & Harry Crews/Nackig in Garden Hills & Leonard Cohen/Das Lieblingsspiel & Wiglaf Droste/Am Nebentisch belauscht

und lauschen konnte The Dad Horse Experience/Electric Gates of Heaven & Various Artists/Roll Your Moneymaker & Bob Log III/My Shit Is Perfect & Mama Rosin/Black Robert & Steve Earle/Townes & 3Shades/Thank God For Beatniks & Smokestack Lightnin/Roadmasters & Roland Heinrich/Lichterloh & King Automatic/In The Blue Corner & Rickie Lee Jones/In The Evening Of My Best Day & Soundtrack Soul Kitchen & The Popes feat. Shane MacGowan, wenn man selbst fern von Outlaw Heaven war.

„If you´re drivin tonight, don´t forget your car!“



WILL DENN IN CHINA

gar kein Sack Reis mehr umfallen?“ – die 2007er Sammlung von Wiglaf Droste ist jetzt als Taschenbuch bei Reclam erschienen. Und ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir beide im Rennen um den Preis für den längsten Titel des Jahrzehnts ziemlich gut liegen.

Zu seinem neusten Buch „Im Sparadies der Frisöre“ bei Edition Tiamat schrieb Henryk M. Broder (und hatte damit, wie fast immer, recht): „Seine Art der Sprachkritik funktioniert wie eine Schrottpresse, die alles, was ihr zum Fraß vorgeworfen wird, auf einen kompakten Haufen reduziert“.

Während das  China-Buch vor allem auf den beiden Etagen spielt, die Droste nicht weniger wichtig sind bzw. von Sprachkritik sowieso auch nicht zu trennen: Musik und Poesie.

Ein Hinweis für alle Nichtleser der Märkischen Allgemeinen: dort ergab sich, durch seinen Aufenthalt als Stadtschreiber in Rheinsberg, seine neuste Kolumne „Drostes Dienstag“; s. maerkischeallgemeine.de



SINNLOSE GEWALT

Wie entsteht sie eigentlich? Vermutlich öfter als vermutet durch anhaltenden starken Baulärm in der Nähe. Sie kann sich direkt äußern oder sich einen anderen Kanal suchen.

„Tiny Bock sah den Waschbären und legte die beiden Eierhälften auf ein Grasbüschel. Während Tiny zur Fahrerkabine ging, kam der Waschbär, ein Weibchen, näher und packte die beiden Eierhälften. Der Waschbär trug die Eierhälften zu einer schlammigen Pfütze und wälzte sie im Wasser, um sie vor dem Fressen zu waschen. Tiny Bock, der seine Flinte aus der Kabine genommen hatte, feuerte einmal. Acht der zwölf Schrotkugeln trafen den Waschbären und verwandelten ihn in einen undefinierbaren Klumpen aus Fell und Blut“.

So schlägt es einem ins Gemüt auf der ersten Seite von Charles Willefords Roman „Wie wir heute sterben“. Der vierte und letzte Teil der Hoke Moseley-Serie scheint mir der beste zu sein. Und ein Autor, der nicht bereit ist, mit verzweifeltem Heulen und Zähneklappern und unter den irrsten Versprechungen seine persönlichen Götter anzuflehen, Bücher wie Willeford schreiben zu können, ist allerhöchstwahrscheinlich ein Vollidiot.

Mit einem aufreizenden Motto von William S. Burroughs: „Niemand besitzt das Leben. Aber jeder mit einer Bratpfanne besitzt den Tod“.

Aber eine Bratpfanne wäre zu wenig, um mit den Baumlärmmännern dort drüben zu diskutieren. Mit der Flinte von Tiny Bock könnte man sich verständlich machen.



GERADE HAT MEIN TENNISLEHRER

angerufen. Seit einem halben Jahr versucht er, meine Haltung zu korrigieren. Ich soll meine Schulter fallen lassen. ‘Lassen Sie die Schulter fallen!’, ruft er immer wieder. ‘Sie sind doch nicht Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt!’ Aber genau das ist es. Auf den Schultern der Anfänger ruht die Welt, denn ohne Anfänger geht sie nicht weiter”.

Jörg Fauser, 16. Juli 1944 – 17. Juli 1987

(aus: Der Strand der Städte. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959-1987. 1594 S., Alexander Verlag, Berlin 2009).

Ambros Waibel, der mit Matthias Penzel bei Edition Tiamat die Fauser-Biografie veröffentlicht hat, schrieb für die Junge Welt einen schönen Artikel zum 65. Geburtstag, nachzulesen in seinem Blog (siehe Links).



UNZUCHT

ist der Titel des neuen Romans von Jan Off im Ventil Verlag, und es gilt absolut, was in der biographischen Notiz steht, er ist “der Bachmannpreisträger der Herzen”.

Es gibt solche und solche Stellen in ‘Unzucht’ – hier eine der weniger herzwärmenden, die, wie die anderen, nicht erst ab 18 zu verstehen ist:

“Als wir dann erneut mit dem Presslufthammer herumzuwerkeln beginnen, erscheint mir die Aufgabe am Anfang schier übermächtig. Jedes Mal, wenn ich an der Reihe bin und mich das Brennen in den Atemwegen fast den Verstand verlieren lässt, erwäge ich ernsthaft aufzustecken – einfach den Bohrer zum Stehen bringen, aus dem Graben klettern und Bernd noch frohes Schaffen wünschen. Aber mit der Zeit lässt das nach, weicht das Aufbegehren einer roboterhaften Duldsamkeit, einem stumpfen Gleichmaß aus Schmerz und Erlösung. Kurz vor fünf gesellt sich sogar ein Happen Euphorie dazu.”

Für die Berliner eine gute Nachricht: Jan Off liest am 11. Juli im Rosi’s. Und noch eine: Zusammen mit Thomas Kapielski. Und noch eine: bei schönem Wetter draußen. Und noch eine: bei schlechtem Wetter drinnen.



ZU HANS FRICK

eine gute Nachricht: Die Verfilmung seines Romans “Mulligans Rückkehr” läuft am 20.6.08 um 18.30h im Münchner Filmmuseum in der Reihe “Helmut Käutner zum 100. Geburtstag”. Hat Seltenheits-, nein Oberseltenstheitswert.

1978 erschienen, hatte der Film eine große Besetzung: Frick selbst schrieb das Drehbuch, Musik: Albert Mangelsdorff, Helmut Qualtinger in der Hauptrolle, und u.a. mit Günter Kaufmann und Georg Kreisler.

“Mit ‘Mulligans Rückkehr’ schuf (der bereits schwer erkrankte) Käutner, passend zur nervösen, improvisierten Jazzmusik von Albert Mangelsdorff, einen furiosen Abschluss seiner Karriere als Filmemacher … ein surreales Horror-Trauerspiel … ” (Programm).

Hans Frick (1930-2003) hatte den Roman 1972 bei Luchterhand veröffentlicht. – Zum Inhalt: “Plötzlich, gerade noch Generaldirektor und Vorsitzender eines Aufsichtsrates, steht Mulligan mit Koffer und Aktentasche in einer trostlosen Gegend mitten im Regen und hat keine Ahnung davon, wo er sich befindet und wie er in diese Lage geraten ist … Es ist eine Gegend, in der Mulligan nicht mehr zählt … Auf nichts ist Verlaß, nicht einmal auf das Scheckheft. Der große Chef, der sich die kleinen Leute nur als Abhängige und Untergebene vorstellen kann, ist machtlos.”

Jörg Fauser hat über den heute ziemlich vergessenen Autor Hans Frick  geschrieben: “Ich weiß, daß es in meinem Land nur einige wenige Schriftsteller gibt, die das Papier wert sind, auf dem ihre Bücher gedruckt sind. Einer von ihnen ist Hans Frick”.



ZWEI BÜCHER

mit denen man, bin ich mir sicher, besser durchs Leben gehen kann:

# Peyton Quinn: Das Strassenkampf Handbuch – Verteidigung gegen Überraschungsangriffe, Schlägertypen und Hinterhalte. Michael Kahnert Verlag. 198 S., Buchholz 2003. (Der amerikanische Originaltitel: A Bouncer’s Guide to Barroom Brawling: Dealing with the Sucker Puncher, Streetfighter, and Ambusher).

# Edo Popovic: ausfahrt zagreb-süd. Verlag Voland & Quist. 188 S., mit CD: Robert Weber und Edo Popovic lesen.



DIE ENTE UND DAS KROKODIL

Wer glaubt, ‘La Paloma’ wäre immer und für alle ein stimmungshebender Unterhaltungsschlager, täuscht sich.

In seiner Biografie (bei dtv) erzählt Coco Schumann, dass er es auch spielte auf Befehl von SS-Männern, die etwas unterhalten werden wollten, während sie ihrer verantwortungsvollen Selektionsarbeit in einem Vernichtungslager nachkommen mussten.

Der jüdische Jazzer ist wahrscheinlich, neben Little Jimmie Dickens, der am längsten tätige Musiker auf diesem Planeten. Und Coco Schumann erzählt leidenschaftlich gern Witze. Hier darf ich mal einen weitererzählen.

Eine Ente schwimmt im Fluss und sagt dauern zu sich selbst: Wer bin ich? Ich weiß nicht mehr, wer ich bin! Sie schwimmt so dahin und fragt sich dauernd: Wer bin ich? Wer bin ich denn?

Kommt ein Krokodil dahergeschwommen. Die Ente sagt zum Krokodil: Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, weißt du, wer ich bin? Ja, sagt das Krokodil, du bist eine Ente. Aber, sag mal, weißt denn du, wer ich bin? Ja, sagt die Ente, du bist ein Italiener mit einer Lederjacke und einem langen Schwanz.

Dann, erzählte Coco Schumann weiter, habe er den Witz einmal einem Italiener erzählt, und der Italiener sagte zu ihm: Nicht alle Italiener tragen eine Lederjacke.