Literatur

RY COODER

übersetzen ist meine zweite Übersetzungsarbeit – (die erste, Hans Söllners´ „bloß a gschicht“ ins Hochdeutsche, ist natürlich im Härtegrad nicht zu schlagen) -. „Los Angeles Stories“ wird nächstes Jahr im März bei Edition Tiamat erscheinen (als „In den Straßen von Los Angeles“), später als Taschenbuch bei Heyne Hardcore.

Ich hab das Ding selber angeschoben, ich dachte, das muss sein. Ehe das aufm großen Schrottplatz von Familien- und Vampir- und Literaturhaus-Literatur-Romanen untergeht. Vollkommen richtige Entscheidung, hat sich inzwischen bestätigt. (Hat man ja, wenn der Deal auf die Bahn geht, nicht bis ins letzte Detail gelesen und bedacht).

Ich bin natürlich großer Fan von Ry Cooder seinen Werken als Musiker/Songwriter und Soundtracker – (würde man Walter Hill-Filme ohne seinen Sound mögen? Ja. Aber nicht so) – und Produzent seit tausend Jahren. Die Sammlung von Erzählungen ist allerdings nicht seine persönliche Musikgeschichte, sondern erzählt, wie schon auf seinen letzten Alben mehr oder weniger ausführlich thematisiert, vom Los Angeles der 40er und 50er Jahre (z.B. „Chavez Ravine“). Mit starkem Touch zur mexikanischen Szene. Musik und Musiker sind immer mindestens in der wichtigen Nebenrolle. Aber ich bin sicher, man kann´s auch einfach als gute Erzählungen lesen, ohne die (musikalischen) Hintergründe kennen zu müssen.

Das Buch passt vollkommen in die großartige Amerikanische Serie bei Edition Tiamat. Und selbst wenn die Erzählungen dereinst nur mein Patenkind und meine Oma und Wim Wenders und ich gelesen haben: die Arbeit ist´s so wert wie das Erscheinen von Jack Johnson. Auch wenn einige meiner Nervenstränge

manchmal doch strapaziert werden. Ein Beispiel, ein Schneider erzählt (und wie bei allen Stories handelt es sich um eine Kriminalgeschichte): „„Ray Montalvo, der Maßschneider für Hipsterkleider! Denn ist es hip, ist es der Hit!“ Der Spruch war Slim Gaillards Idee. Dem gefällt alles, wenn´s nur´n hipster-tauglich heißes rootie-und-reetie-pootie-Ding ist. “

Den ganzen unmöglich auch nur halbwegs eins-zu-halbeins übersetzbaren Quasselwahnsinn kann man nicht nur beim originalen Cooder, sondern tatsächlich genauer unter Slim Gaillard nachschlagen. Aber naja, das war nur ein Angeberbeispiel ganz unter uns. Ich glaube, ich saß eine Stunde da, um auf die hip/hit-Kombination zu kommen.

Gott schütze Euch mal wieder! (Und unsern Block auch, wenn er Zeit hat).



UND WAS IST POESIE?

„Fuck you, you fuckin fuckers!“

sagt  der von John Goodman gespielte Literaturprofessor in der US-Serie Treme am Ende seines Youtube-Beitrags, in dem er sich beim Präsidenten George W. über falsche Versprechungen und mangelnde Hilfe für New Orleans nach dem Hurrikan Katrina beschwert (Krimi-Autor George Pelecanos hat die Episode geschrieben), um dann in der nächsten Folge von unterschiedlichsten Leuten auf der Straße für sein offenes Wort gelobt zu werden, und schließlich auch von einem älteren Kollegen, der ihm in einem Restaurant lautstark Respekt erweist: „Fuck you, you fuckin fuckers – that’s Poetry!“ (If in doubt, fragen Sie mal den Literaturkritiker Ihrer Tageszeitung).



DER TOLLE ROMAN

Pony von meinem alten Freund Thomas Palzer wurde endlich wieder aufgelegt (das Original war 1994 im Bommas Verlag erschienen). Einige Freunde kommentierten ihn damals zurecht so: „Mehr als ‘Pony’ mag man ohnehin nicht von einem Autor erwarten“, schrieb Karl Bruckmaier in der Süddeutschen. Und „den jüngsten Beweis dafür, dass Münchner Literatur zur Zeit führend ist, hat Thomas Palzer geliefert mit Pony … Wie Drogenträume ziehen die Bilder vorbei“, meinte Helmut Krausser in der Vogue.

Hier der Anfang: „Vor einer Weile gab ich der lähmenden Schwüle nach und legte mich aufs Bett. Weil es das Bett war, auf dem ich lag, fing ich an, in meinem Kopf nach dem Bild einer Frau zu kramen, die ich mir nackt vorstellen wollte, nackt, mit skandalös gespreiztem Fleisch. Ich kramte und kramte, aber ich fand keines, von dem ich mich dazu aufgefordert fühlte.“
Thomas Palzer : Pony. Geschichte. Eisenhut Verlag, 2011, 2. Auflage, 140 Seiten, Br., ISBN: 978-3-942090-14-8, EUR 13,90
Seine Homepage finden Sie bei den Links rechts.


NICHT DIE QUALITÄT VON JOHN FANTE

aber den unglaublich brillianten, den ganzen Horizont mit Blitzen aufreißenden ersten Absatz seines Romans Westlich von Rom hatte ich vergessen. Zum Glück sah ich zwischen dem Dutzend Gleisen vor meinen Augen eine Kiste rumstehen und sah rein, ehe jemand durchsagte, man solle keine einsam rumstehenden Gepäckstücke anfassen…

„Es war Januar und kalt und dunkel. Es regnete, und ich war müde und fühlte mich scheußlich, und meine Scheibenwischer funktionierten nicht, und ich hatte Kopfschmerzen nach einem langen Abend voll Wein und Gerede mit einem millionenschweren Regisseur, der wollte, daß ich aus dem Mord an Sharon Tate ein Drehbuch machte <in der Art wie Bonnie und Clyde, witzig und geschmackvoll>. Geld war kein Thema gewesen. <Wir sind Partner, fifty-fifty>. Es war das dritte Angebot dieser Art im letzten halben Jahr, ein sehr entmutigendes Zeichen.“

Erschienen kurz nach seinem Tod 1986, auf deutsch ein Jahr später bei Eichborn. Da ist zu ergänzen, dass bei Eichborn eben nicht nur dies und das, sondern eine ziemlich gute amerikanische Serie verlegt wurde, neben Fante auch Richard Brautigan, die Motel Chronicles von Sam Shepard und besonders zu erwähnen die Short-Story-Sammlung Blues von Wanda Coleman.

Unfassbar, dass man die 1947 in Watts geborene afroamerikanische Autorin hier nicht wahrgenommen hat. Könnte man als Angst vor den wahren literarischen Messlatten interpretieren. Mit einem Beitrag ist sie in der Anthologie L.A. Woman vertreten (Ariel Verlag, 2000), und das war´s.

Beim Abfeiern einer gewissen US-Literatur (begleitet immer wieder von Essays, die betonen, dass die deutsche Literatur doch nicht weniger unterhaltend-intelligente Autoren habe) läuft das etwa so ab, wie bei diesen TV-Musikshows über Das Beste der 80-er usw. Wenn man sich´s mal ansieht, ist man ganz perplex über die Superleistung der Macher, dass absolut nichts von den guten Sachen reingenommen wird, nur der Scheiß, der dann von entsprechenden  Sabberköpfen kommentiert wird. In den Literaturredaktionen ist man natürlich viel geschickter darin, eine Menge Mainstream-Schrott als „Literatur“ anzubieten. (Setzen wir demnächst mit Harry Crews fort).



SUPERBASTARD NR. 2

ist soeben erschienen. (Der Superbastard ist das aufgelesene Baby des von mir hrsg. Magazins Bastard, das sich nach der Nr. 1 wieder in ein schwarzes Loch im Universum geflüchtet hat; das Baby schrie jämmerlich, deshalb hat Freund Benedikt Maria Kramer es in seine Obhut genommen und zum schönen starken Superbastard aufgefüttert:)

100 Seiten „Schlagseite“ zum Kostenpunkt 6.– mit Texten von: Florian Günther (Berlin), Andreas Niedermann (Wien), Lydia Daher (Augsburg), Michael Sailer (München), Kai Pohl (Berlin), Gudrun Völk (Lüneburg), Clemens Schittko (Berlin), Franz Dobler (Augsburg), Benedikt Maria Kramer (Augsburg) und HEL Toussaint (Berlin).

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Im Anschluss Werbung für den geschätzten Wiener Songdog Verlag: Neuerscheinung in der Reihe Poetry „Taschenbillard“ vom auch im Superbastard vertretenen Florian Günther (mit einem Nachwort von Peter Wawerzinek („Gute Gedichte sind Tanklastwagen…“). Warenprobe: „Denn als sie die Mauer öffneten,/ sagte sie:/ Nun sie dir bloß diesen beknackten/ Mob an./ Die tun ja gerade so/ als hätten sie jahrzehntelang/ nichts zu fressen gekriegt.“ (Da möchte man doch gleich mal wieder die Linkssentimentalen Transportarbeiterfreunde hören, meint unsere neue Blockpraktikantin).

Ebenfalls neu bei Songdog: „Ein Bericht“ des Schweizer Autors Christoph Bauer (den man auch Roman nennen könnte, schätze ich). Warenprobe: „In jedem Menschen habe ich früher ein Geheimnis vermutet, und hinter jeder Hausecke lauerte ein Abenteuer. Die angesagte Zeit war die Zukunft, und mochte diese auch fehlen, definierten wir uns gerade deswegen stolz durch ihre Abwesenheit.“

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WEIHNACHTSGEDICHT

Die Süddeutsche Zeitung hatte gefragt, ob auch ich für die Ausgabe vom 23.12. ein Gedicht, in dem irgendwie „Stille Nacht“ vorkommt, schreiben könnte. Folgendes fiel für mich vom Himmel:

RUHE, KINDER! JONATHAN MEESE SPRICHT IN BILD!

Stille Nacht, stille Nacht – wir hören jetzt auch einmal

wieder AC/DC, bis dass es kracht.

Heut besucht uns der Freiherr vom Karl-Theodor.

Viel Glück wünscht er uns im AC/DC-T-Shirt.

Schaut aber schon auch scheißneu aus.

Ruhe, Kinder! Marius Müller-Westernhagen spricht in BILD!

Ein Schneechaos wieder auf der Hartz 4 und

mein Kopf ist ein brennendes Auto.

Wer will das selber gestrickte Unterhemd

mit dem Aufdruck schwarz auf weiß (oder umgekehrt)

Freiherrin vom Stephanie loves u 2

beim RTL-zwo gewinnen?

Die Mutti kniet breit unterm Bäumchen und

in meinem Kopf geht es zu wie nach

der letzten Zugabe von der AC/DC-Coverband.

Ruhe, Kinder! Jonathan Meese spricht in BILD!



ICH WÜSSTE NICHT

was eine schönere Kulturmeldung in der letzten Zeit gewesen wäre: Wawerzinek hat abgeräumt. Nur, damit das klar ist, es gewinnen dann doch nicht immer nur die literarischen Penner oder Kinder. Und so ist der lesenswerte Kommentar von Wawerzinek in der Jungen Welt von danach. Aloha und Hallelujeah.



DIE GROSSE MARTIN WALSER-VERAR

schung „Der Literaturverweser“ von Carl Wiemer bei Edition Tiamat ist im Rennen um den deutschen Oscar für das böseste Buch 2010 mein Favorit, und auch in den Kategorien „witziges Buch“ und „krankes Theaterstück“ wird es nicht leicht übertroffen werden können.

Wenn Wiemer Walser (hier: Alwin Raser) nur so halbwegs angreifen, parodieren und in den Kakau zerren würde, hätte ich´s nicht länger als vielleicht 10 Seiten gelesen, weil´s ja dann inzwischen abgehakt wäre, aber sein „Stück über Vernichtungsgewinnler“ tritt zielgenau mit Verve und komischsten Drehungen und intelligenten Finten unter die Gürtellinie. Dabei übrigens ein so lesbares Stück wie Prosa; „Stück“ ist eher eine Verkleidung, die aber auf der Bühne eine sagen wir z.B. Riesen-John-Waters-Nummer wäre mit seinen vier großen, naja zumindest wirkungsvollen Frauenrollen. Man verrät nicht zu viel, wenn man erwähnt, dass drei von ihnen wie Vater Alwin Raser schreiben, genauer gesagt: Bücher veröffentlichen, auf denen ihr Name steht…

98 Seiten, die eine vollkommen durchdrehende Menge am Roten Teppich verdient haben und bekommen müssen. Ob der deutsche Feuilleton- und Literaturbetrieb erkennt, dass hier eine 3-läufige-Schrotflinte auch auf ihn gerichtet ist, ist dabei nicht ganz so wichtig.



AUS LEIPZIG

erstmal dieser schöne Essay:

Frage: Wollen Sie schockieren oder schockiert Sie die Welt?

Antwort Carl Weissner: Weder – noch.

Von Weissner neu „Manhattan Muffdiver“ (Milena Verlag), also nichts für jeden, aber sehr zu empfehlen.

Am 25.3. muss ich in den Münchner Kammerspielen mit ihm in den Ring steigen. Keine leichte Sache. Und Heiko Werning ist dabei mit seinem neuen Buch „Mein wunderbarer Wedding“ (Edition Tiamat). Mehr kann man nicht wollen. Als mit diesen Kollegen in den Ring zu gehen. Take that.



DIE DREI TRAURIGSTEN ROMANE

die ich kenne. Geschrieben, auch stilistisch, als No-Way-Out. Die ich so schnell niemandem, nur weil ich sie gut finde, geben würde:

Buddy Giovinazzo: Cracktown

Hans Frick: Die Flucht nach Casablanca

Philip Roth: Jedermann