Literatur

FÜR KATZEN

liebhaber und -hasser gleichermaßen: im Milena Verlag eine Neuausgabe von einem der besten Krimis von Kinky Friedman: Wenn die Katze weg ist. Mit einem Nachwort von mir, das auch

Wenn die Katze weg ist ...

von den allerneusten Politabenteuern des (eher ehemaligen) Countrysängers berichtet. Und so anfängt:

„1. Sie werden von Führungspersönlichkeiten geschätzt. 2. Hauptperson hat Katze im Haushalt und quasselt sie voll. 3. Parodien, besonders Krimiparodien, schon die Abkürzung Krimi stößt mich ab. 4. Autor will in politisches Amt oder ist Mitglied einer Partei. 5. Mehr als 374 Seiten, nur damit auch noch der dümmste Idiot der Familie breit ausgemalt werden kann.

War meine Antwort auf die Frage, welche Merkmale Literaturbücher haben, die mich abschrecken. Weil ich nicht unterbelichtet rüberkommen wollte, hatte ich schlecht geschrieben weggelassen.“



IN MEMORIAM HEINER LINK

Tot ist der Tote nur unter den Toten – Heiner-Link-Medley.

Import/Export: Goethestr. 30, 80336 München, Mittwoch 30. Mai 2012 20 Uhr

   Foto: Galrev.com

„Erfolg macht sexy. Und sexy will jeder sein. Noch besser ist natürlich der internationale Erfolg, der macht international sexy. Erst der internationale Erfolg hat was wirklich Verruchtes. Da bin ich natürlich dabei.“ Heiner Link.

„Vor zehn Jahren starb der Münchner Ausnahmeschriftsteller Heiner Link. Mit ihm befreundete Autoren lesen aus seinen Texten. Mit: Ralf Bönt, Julia Franck, Arno Geiger, Andreas Neumeister Norbert Niemann, Georg M. Oswald

Heiner Link wuchs als Sohn eines Kraftfahrers in Eichenau bei München auf, bevor er Schriftsteller wurde. Am 30. Mai 2002 starb er zweiundvierzigjährig bei einem Motorradunfall. Zu Lebzeiten wurden er und seine Bücher (wie etwa der „Hungerleider“) von der literarischen Kritik wenig wahrgenommen. Von den Schriftstellern seiner Generation umso mehr. Posthum wurde er mit dem Roman „Frl. Ursula“ aber doch noch zum Spiegel-Bestseller-Autor und hätte darüber vermutlich selbst am meisten gelacht.“



RUMGRASSN

ist ein schönes neues Wort. – Und es wundert mich nicht, dass der von mir schon immer (d.h. seit ca. 1984) geschätzte Peter Glaser zu denen gehört, die was Gutes zum Thema einwerfen. (Ein Missverständnis ist ja, dass alle, die sich gegen das Rumgrassn wehren, nun irgendwie auf CDU-Linie wären, soweit kommt´s noch…) – http://blog.stuttgarter-zeitung.de/category/literatur/

Außerdem sowieso Freund Wiglaf Droste in seiner täglichen Kolumne für die Junge Welt (die leider (sage ich, der seit vielen Jahren für die jW schreibt), aber wie zu erwarten war, den Grass beim behämmerten Rumgrassn unterstützt; wenigstens sind also immerhin unterschiedliche Meinungen im Blatt möglich…) – http://www.jungewelt.de/2012/04-07/042.php?sstr=wiglaf%7Cdroste%7Cg%FCnther%7Cgrass

Und damit werden wir unsern nun wirklich gleichgeschalteten Block nicht weiter mit der Sache zumüllen.

In Arbeit ein Essay: warum sind die offensichtlich bedeutendsten, irgendwie auch beliebtesten Autoren der Deutschen zwei 80-plus Männer, die immer wieder mit dubiosem (um es geradezu sanftmütig auszudrücken) Geschwafel auffallen, von dem noch das Dümmste von den größten Printmedien dankbarst aufgegriffen und groß rübergereicht wird? Warum kann ich mich nicht erinnern, dass von den durchaus zahlreichen Autoren, die ich seit 30 Jahren kennengelernt habe (sehr und weniger erfolgreiche, sich stark oder kaum politisch äußernde), niemals jemand sagte, lies doch mal dieses Buch von Grass oder Walser? Schon die Generation vor mir (Fauser, Weissner, Fels, Ploog, Fichte, Achternbusch, Cailloux u.a.) hat doch bei diesen Namen abgewunken. Da gibt´s ein auffallendes Missverhältnis; irgendwas stimmt da nicht. Da war z.B. ein Dürrenmatt ein ganz anderes Bedeutender-alter-Mann-Kaliber. Einer, der nicht als permanenter Mainstream-Mitläufer rumgeschrieben hat, und bei dem man sich vorstellen könnte, dass er (als Deutscher) einfach nur „Deutschland, halt doch einfach mal dein Maul!“ geknurrt hätte. (Geschrieben in Erwartung der großen Bürgeraktion „Einreiseerlaubnis nach Israel für Grass jetzt!“; da dürften dann wohl so ziemlich alle dabei sein…)



ZWEI MAGAZINE

die mir sehr am Herzen liegen, haben grade ihre neusten Ausgaben rausgebracht: Kaufense das — oder Sie müssen zur Strafe live im iranischen Lokalfernsehen mit Gunther Grass und Achmadinitschat über den Weltfrieden diskutieren und außerdem ein Jahr lang die Tauben der deutschen Friedensbewegung füttern.

SUPERBASTARD – Hrsg. von Benedikt Maria Kramer. 64 S., 3.- Bestellung: www.superbastard.de und in Österreich bei songdog.at — Mit Dokumenten, Stories und Gedichten von Urs Böke, Florian Günther, Andreas Niedermann, Gudrun Völk, Chrissie Wilholm, Clemens Schittko, Kai Pohl u.a. (und von mir ist das Gedicht „Dresden“ aus meinem Band „Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg T-Shirt“ drin).

DRECKSACK – Hrsg. von Florian Günther. 12 S. (großes Zeitungsformat), 2.- Bestellung: email hidden; JavaScript is required (www.edition-luekk-noesens.de). — Mit einem 2-Seiten-Special zum Tod von Carl Weissner, und Beiträgen aller Art u.a. von Lydia Lunch, Jerk Götterwind, Matthias Penzel, William Cody Maher, Signe Maehler, Jan Herman, Florian Vetsch, Jürgen Ploog, Andreas Niedermann, Anna Böger, Anna Rheinsberg,Roland Adelmann, Urs Böke, Axel Monte. Von mir eine kurze Erinnerung an Carl Weissner.



R.I.P. HARRY CREWS

Der amerikanische Autor Harry Crews starb am 28. März im Alter von 76 Jahren. „The cause was complications of neuropathy, his former wife, Sally Crews, said“ (New York Times).

Drei deutsche Ausgaben seiner großartigen Bücher bei Mox & Maritz. Zwei Artikel über ihn weiter unten in diesem Block.



RY COODER (3)

Sein Buch „In den Straßen von Los Angeles“ geht im Moment in die Läden; Edition Tiamat, 288 S. Wir bleiben damit wie angekündigt beim Thema „Geschlecht und Mobilität“: In der Erzählung „Töten Sie mich, bitte“ geht´s vor allem auch um Billy Tipton, eine Musikerin, die als Mann auftritt und lebt (und in einer anderen Erzählung einen kurzen Auftritt als Geist bzw. Fake-Geist hat). Die Person hat Ry Cooder nicht erfunden, und ich bin im Glossar, das ich für das Buch geschrieben habe, darauf eingegangen:

„S. 102 Billy Tipton war kein Geist, sie wurde 1914 als Dorothy Lucille Tipton  geboren, begann mit etwa zwanzig als Mann aufzutreten und zu leben, und starb 1989 in jenem Spokane, Washington, zu dem er am Ende dieser Story aufbricht.  Zu Lebzeiten kannten ihre Geschichte wenige, nach dem Tod ging die Story durch die halbe Welt. „Billy wurde buchstäblich zum Aushängeschild eines neuen, zwischen Sex (biologisch) und Gender (gesellschaftlich) differenzierenden Bewusstseins, als er kurz nach seinem Tod auf dem Cover eines Ratgebers für Transvestiten und Transsexuelle erschien“, schreibt  Biografin Diane W. Middlebrook in Er war eine Frau (München, 1999). Was nichtmal alle seine fünf Ehefrauen wussten, von denen eine ein unerfahrener Teenager, eine andere jedoch ein Callgirl war. Keine hatte den Eindruck, eine Lesbe geheiratet zu haben, weil Tipton eben keine war, sondern ein „Nachahmungstalent“ und „geniale Illusionistin“, die nicht nur das Talent, sondern sozusagen die Aufgabe hatte, „sowohl die Rolle wie auch den Schauspieler, der sie spielte“, zu spielen. Tipton selbst hat keine Bekennerschreiben, nur Spuren hinterlassen. Unter den vielen, nie ganz greifenden Erklärungen, die sich um diesen Fall von „gender blending“ ranken, ist auch diese sicher nicht falsch: Was sollte ein weißes Mittelschichtmädchen sonst tun, wenn es in einer Jazzband spielen wollte? In dem einen Moment, als aus einer jenseits der Musikzentren sehr gut beschäftigten Band vielleicht eine bekannte hätte werden können, zog sich Tipton in die Provinz zurück und verlagerte seine Arbeit in eine Musikagentur. Er hatte Angst vor Popularität, sie hätte die Gefahr gesteigert, dass ihn jemand aus seinen Mädchentagen erkannte. Billy Tipton starb verarmt in seinem Wohnwagen, in den Armen des jüngsten seiner drei Adoptivsöhne. Der nach der Enttarnung bekannte, für ihn würde diese Frau immer sein Dad bleiben.“



R.I.P. CARL WEISSNER

Er wurde am 24.1. tot in seiner Wohnung aufgefunden. Mein Nachruf „Blues für Carl-le-Nègre alias The Burning Boche“ heute in der Jungen Welt.

http://www.jungewelt.de/2012/01-27/012.php

 



RY COODER (2)

Die angeblich ruhige Zeit kurz hinterm Baum ist wie immer eine gute, um an die zu denken, die oft weniger beachtet werden. Nein, diesmal ist von Schlagzeugern die Rede. Über die vielen verwirrenden Informationen, denen sie ausgesetzt sind – nichtmal für blonde Präsidentenchicks (um die es so gefährlich ruhig ist, als würde da ´ne Zündschnur schon brennen) restlos packbar, würde ich mal behaupten -, steht schon in Ry Cooders Erzählung ‚Bitte, töten Sie mich‘ geschrieben:

<Außerdem hatte ich Musikunterricht bei einem alkoholsüchtigen Zwerg namens Ray Diker. Das war zu der Zeit, als Gene Krupa der Held war, alle Schlagzeuger in der Stadt waren verrückt nach ihm. Ray aber sagte mir Folgendes: „Vergiss Krupa. Er spielt mit den Händen oben am Gesicht, als würde er Chop Suey essen. Wenn du isst, dann iss. Aber wenn du Schlagzeug spielst, lass deine Hände unten.“> (Das ganze und alle Abenteuer im März bei Edition Tiamat).

Wobei man nicht vergessen sollte, dass Topper Headon 1986 auf seinem Solo-Album Waking Up ‚Drummin´ Man‘ interpretierte.

Um unseren Freund Andreas Neumeister pi mal Daumen zu zitieren: Was macht eigentlich Headon heute? – Wenn er nicht Bob Geldofs Tochter Schlagzeugunterricht erteilen oder sonst einen Drecksjob in irgendeinem Hannover machen muss, wären wir schon mal etwas beruhigt.

 



WER KENNT CREWS? (Pt. 2)

Hier der Deutschlandfunkbeitrag zu „Scarlover“, inzwischen der dritte Crews-Roman auf deutsch, weshalb das Christkind nun doch den Verlag Mox & Maritz gesegnet hat.  Während es einen Song von Kris Kristofferson im Ohr hatte: „If you don´t like Hank Williams, Baby, you can kiss my ass.“

TÄTOWIERUNG UND ANDERE VERLETZUNGEN

Verletzungen, Wunden, Narben, Tätowierungen, Operationen, Unfälle, Verheiltes und verheilte Verwundungen, die wieder aufbrechen, sei es an Körper oder Seele, darum geht es in Harry Crews‘ Roman „Scarlover“, der auch in der deutschen Ausgabe „Scarlover“ heißt . Weil‘s natürlich besser klingt als „Narbenliebhaber“.

Der Amerikaner Harry Crews, 75, Autor von zwei Dutzend Romanen und einigen anderen Werken, hat als ehemaliger Boxer, Marinesoldat und Dozent für kreatives Schreiben sicher einige Erfahrungen mit Wunden und Narben gemacht. Seine Sicht ist abgeklärt: „Alle Narben strahlen so eine gewisse Schönheit aus“, sagte er einmal, „denn eine Narbe bedeutet, dass der Schmerz vorbei ist, die Wunde ist geschlossen und verheilt.“

Die Verletzungen, die das Leben seiner Hauptfigur Pete Butcher zugefügt hat, sind jedoch nur scheinbar verheilt. Als Jugendlicher hat er bei der Arbeit mit einem Spitzhammer unabsichtlich seinen Bruder so schwer verletzt, dass er für immer debil wurde. Und seine Eltern kamen bei einer Autofahrt, die sie nur aufgrund dieses debilen Bruders unternahmen, ums Leben. Mit diesen Lasten hat Pete Butcher sich in eine Kleinstadt in den Sümpfen Floridas zurückgezogen, nachdem er sich nach seiner Zeit als Marinesoldat erfolglos an einem Studium versucht hatte. Ein Gestrandeter, ein Typ mit einem Zimmer in einer Pension. Der in einer Papierfabrik am Bahnhof mit dem Rasta George schuftet, den alle den „versengten Nigger“ nennen, weil sein Rücken von Brandnarben gezeichnet ist.

(Einblendung Steve Earle/Delta Momma Blues, New West Rec. NW6165)

Typisch für den Autor Harry Crews: er beschreibt Arbeit und Arbeiter sehr genau. Und ebenso typisch, dass er dem Leser die Hintergründe von diesem Pete Butcher nicht einfach so mitteilt. Es vergehen ein paar Dutzend Seiten, in denen man seine Verletzungen und sein enormes Gewaltpotential erstmal nur unterschwellig wahrnimmt, ehe man die Hintergründe geliefert bekommt. Das ist Crews‘ Kunst: dieses Gemälde aus harter Arbeit mit einem einsamen Mann wird nur langsam aufgeschlitzt. Sehr filmisch, ohne große Erklärungen. Nach der klassischen Regel: action is character.

Irgendwie hat sich also dieser Pete Butcher an seinem Fluchtpunkt eingerichtet, als er sich in die Tochter der Nachbarn verliebt. Womit die Einsamkeit, die in Ordnung war, ins Chaos überführt wird. Überall platzen Verwundungen auf: die Mutter kommt nach einer Brustkrebsoperation nach Hause und bedient sich als altmodisch-gute Christin plötzlich einer schmutzigen Sprache, die alle schockiert (fuck you und scheiß drauf und verdammt nochmal). Ihre Tochter projiziert nun in einer panischen Reaktion darauf den Brustkrebs der Mutter auf sich selbst. Und der Vater: er stirbt an einem Herzinfarkt, während er mit Pete einen Baumstamm durchsägt. Pete Butcher, auf der Flucht vor seinen eigenen Todesgeschichten, ist wieder von Verletzung und Tod umgeben.

Typisch Harry Crews: aus diesem Tod des Vaters entwickelt sich eine über 100 Seiten lange Slapstick-Nummer als Kernstück einer Tragikomödie, inklusive des Gags, dass die schon ins Beerdigungsinstitut eingelieferte Leiche unter nicht einfachen Umständen illegal wieder nach Hause zurückgeholt wird. Denn die nach der Brustkrebsoperation etwas übergeschnappte Mutter ist in den Bann der Rasta-Religion geraten, wie Pete Butcher verblüfft feststellen muss – sein Kumpel, der „versengte Nigger“ George und seine Frau Linga leiten das Ritual: der Tote wird in den Sümpfen verbrannt. Und die durcheinander geratne Witwe fühlt sich nicht schlecht:

(Einblendung Dub Specialist/Kampala, Soul Jazz Rec. SJRCD103)

„Auf Beinen, die vom langen Sitzen etwas wacklig waren, ging sie auf den runden Fleck zu, an dem das Feuer gewesen war, und griff den Schädel ihres Ehemanns wie eine Bowlingkugel. Sie krümmte die beiden mittleren Finger ihrer rechten Hand in die Augenhöhlen und ihren Daumen in das, was einmal die Nase gewesen war. In klassischer Bowlermanier hob sie seinen Schädel bis in Schulterhöhe und Pete wurde von dem Gedanken durchzuckt, dass es genau das war, was sie vorhatte: ihn zu bowlen. Aber das tat sie nicht. Sie sah sich um, sah sie alle an, und sagte, <ich glaube, der Job ist getan>. Sie nickte dem Schädel zu. <Ich nehme nur das. Den Rest können die Tiere von George haben. Ich denke mal, an den Knochen lässt sich trefflich kauen. Letztlich haben sie so auch noch Sinn: er kann mit ihnen ja nichts mehr anfangen>.“

Als „Southern Gothic“ werden Harry Crews‘ Romane in den USA oft bezeichnet, als Südstaaten-Literatur mit einer speziell unheimlichen, morbiden Färbung. Das passt zu seinem 1993 veröffentlichten Roman „Scarlover“ sehr gut: präzise Alltagsschilderungen des Hillbilly-Milieus, das sich in den verdrehten und verletzten Seelen der Protagonisten verzerrt; das explosive Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne: in diesem Fall biedere Unterschicht gegen magisch-bizarre Rasta-Religion. Abgelegene Orte, die nach alten Zeiten riechen, ein schwermütiger Klang und grotesk-bodenständiger Humor – das könnte das Motto des Romans sein, wenn die Rasta-Frau Linga Pete Butcher erklärt: „Ohne Gott kann man leben. Der, ohne den es nicht geht, das ist der Teufel.“ Der Harry Crews ein fieses Happyend diktiert hat.

Kein Wunder also, dass Nick Cave diesen Crews schon sehr genau gelesen hat. Der den „Scarlover“ seinem Freund Sean Penn gewidmet hat. Genug des Namedroppings von Crews verehrenden Großkünstlern – wer denn noch, Johnny Depp, Sonic Youth, Lydia Lunch! Dass Harry Crews hierzulande kaum bekannt ist, sollte sich mit der dritten deutschen Ausgabe endlich ändern.

Harry Crews: Scarlover. Roman. Aus dem Amerikanischen von Stefan Ehlert. Geb., 360 S., € 17,80. Verlag Mox&Maritz, Bremen 2011

 

 

 



WER KENNT CREWS? (Pt 1)

Heute nachmittag im Deutschlandradio/Büchermarkt mein Beitrag über „Scarlover“ von Harry Crews. Zunächst hier im Block mein ebenfalls dort vor einem Jahr gesendeter Beitrag über Crews´ Roman „Nackig in Garden Hills“:

STRIPTEASE DER VERLIERER

Als 2006 Harry Crews´ 23. Buch erschien, wurde in der New York Times mit hochgezogenen Brauen darauf hingewiesen, dass der 71-jährige sich „mit seiner fortlaufenden Saga aus dem harten Süden“ zwar nicht den „ganz großen Ruhm“ erschrieben hat, aber den Status Kultautor. Mal sehen, was der Kult hergibt. Verdächtig genug, dass der Verlag den „Kultautor“ nicht aufs Buch druckt. Tun die doch immer. Und was bei Crews kommt, würde für zehn normale Kultautoren reichen.

Der großartige Sean Penn bekam das Geld für die Verfilmung des Romans „The Knockout Artist“ nicht zusammen, und auch ein anderer Plan, für den er Crews als Drehbuchautor anheuerte, hatte kein Glück; Crews spielte eine kleine Rolle in Penns Regie-Debut „Indian Runner“ und widmete seinem Freund den Roman „Scar Lover“.

Die Verfilmung von „The Hawk is dying“ lief 2006 in Cannes. „The Gypsy´s Curse“ (mit dem Titel „Der Fluch“ ebenfalls im mox & maritz Verlag erschienen) wurde mit Harvey Keitel, Johnny Depp und Vanessa Paradis besetzt. Die Schauspieler konnten sich  mit mehreren Dokumentarfilmen über Crews und seinen Stoff informieren: „The Rough South of Harry Crews“, „Survival is Triumph enough“, oder, 1978 von Georg Stefan Troller gedreht, „Der Süden bleibt unverweht“.

In Andrew Douglas´ berühmter Road-Doku „Searching for the wrong-eyed Jesus“, die den untoten musikalisch-religiösen Wurzeln des White Trash-Südens auf der Spur ist, erzählt Crews Geschichten und bringt die Essenz mit einem Goethe-Zitat: „Es gibt kein  Verbrechen, von dem ich mir nicht vorstellen kann, dessen schuldig zu sein“. Ein zerfurchtes Gesicht, dem man´s glaubt. Gut möglich, dass der englische Filmer auf ihn aufmerksam wurde, weil  Nick Cave, Henry Rollins und Lydia Lunch seit Jahren kräftig für Crews getrommelt hatten (der also neben den Rollins/Lunch-Büchern in diesem Verlag, der sich nicht mehr MirandA nennen darf, bestens platziert ist).

Um das unvollständig zu beenden, was man nicht aufzählen müsste, wenn sich da irgendwelche Leute an Crews gehängt hätten wie Ben „Kultpunk“ Becker an die Bibel: Mit Sonic Youth-Bassistin Kim Gordon hatte Lunch die Band „Harry Crews“; während der Tournee warb sie für einen Autor, „der ungefähr zehn meiner Lieblingsbücher geschrieben hat“, und ihr einziges Album nannten sie „Naked in Garden Hills“.

Mit seinem zweiten Roman hatte sich Harry Crews 1969 als Autor etabliert. 1935 geboren, war er in ärmsten und brutalen Hillbilly-Verhältnissen aufgewachsen und mit 17 zu den Marines ausgebrochen. In der Army hatte er erfolgreich geboxt und zu lesen angefangen, „alles von Mickey Spillane und Graham Greene“, von dem er „mehr als von jedem anderen Schreiber gelernt“ hat. Er war dann 30 Jahre lang Professor für Kreatives Schreiben an der Universität von Florida (so ernsthaft wie beliebt, heißt es), ohne seine Rough-South-Umgebung je zu verlassen; beide Seiten auf dem Oberarm sichtbar: unter einem Totenkopf das Cummings-Zitat „How do you like your blue-eyed boy, Mr. Death?“ Durch seine Bücher geistern Freaks, Kampfsportler, Hoffnungslose, religiöse und Maniacs jeder Sorte. Genre „Southern Gothic“: das mystische Geheul weitererzählter Geschichten, verzerrter Realismus, rauher Humor. Sein Ruf als harter Hund wurde auch von Drogen, Alkoholismus, persönlichen Tragödien gefestigt und Reportagen in Magazinen wie Esquire oder Playboy und –girl. Ein Fan hat Crews eine tonnenschwere, großartige Homepage gebaut, aus der man einen Truck voll klauen könnte, wenn man nach dem Lesen der beiden deutschen Bücher in dieses abenteuerliche Crewsland reingezogen wurde.

 

„Nackig in Garden Hills“ ist die Geschichte eines Südstaaten-Kaffs, dessen Bewohner nach Schließung einer Phosphat-Mine aufgerieben und dann von modernen Strukturen verdreht werden: die Arbeit geht, der Tourismus kommt. Und erledigt den Rest. Und bietet Chancen: Teenager Wydalia freut sich, sie wird in der zum Go-Go-Club umfunktionierten Werkshalle tanzen. Auch ihr Vater profitiert von der neuen Entwicklung: „Er arbeitete in seinem alten Loch mit dem Bohrgestänge, das Bohrgestänge freischaufeln, außer dass jetzt kein Bohrgestänge mehr drin war, aber da machte er sich nichts daraus“, denn er wird bezahlt für die sinnlose Arbeit und „es war Anlaß für Glückwünsche. Es war Hoffnung“.

Und seine Tochter erklärt ihm dann auch den Sinn: „Du bist im Showgeschäft, Pa! Du bist in dem Loch, damit die Touristen was zum Gucken haben“.

Das ist zum Davonlaufen aktuell, und aus der Komödie, die in der Bewegung vom ausgebeuteten, abgewrackten zum aufblühenden Landstrich steckt, zerrt Crews die bitterste Verliererkomik. Der amerikanische Traum eine Fata Morgana, seine Gespenster versammelt. Der 600 Pfund schwere, fresssüchtige Fat Man beherrscht das Dorf gutmütig, hält die wenigen zurückgebliebenen Bewohner mit falschen Hoffnungen bei der Stange. Hier „war er ein Held, außerhalb von Garden Hills war er ein Freak“, das Ergebnis monströs religiöser Eltern, manischer Sammler von Büchern, die er nicht liest.

Sein Allround-Assistent ist der Jockey Jester, den manche natürlich Zwerg nennen; er war in seinem ersten Rennen für immer gescheitert, bekam sich nie wieder „in den Griff, konnte sich selbst nur mit Bezug auf Pferd ermessen“ und war eine Jahrmarktsattraktion, als er auf einem Schaukelpferd saß und ins Wasser fiel, wenn ein Baseball die Scheibe traf. Sein Gebrüll zu den Pferderennen im Fernsehen erschüttert den Ort. Seine Geliebte Lucy hat er vom Zirkus mitgebracht, „sie tanzte auf einer Tretmühle, die in einen transportablen Steg eingebaut war, der in das braune Zelt der Slideshow führte“, in der sie, „abhängig davon wie tolerant die örtliche Polizei war, mit der Vagina eine Zigarette rauchte oder sich auf einer Matte niederlegte, wo dann ein imaginärer Liebhaber von ihr Besitz ergriff“.

In der Tretmühle stecken alle, die Freaks und die Normalen, deshalb weiß man nicht, wer nun wer sein sollte. Crews beschreibt sie als Einheit am letzten Außenposten. Die Deformationen von Freaks, sagt Crews, dessen Werk aufgrund persönlicher Erfahrungen voller Freaks ist, sind eben äußerlich sichtbar, was ihr Leben so stark prägt. Dann packt das Normale Garden Hills: die Verbindung mit Außenwelt und moderner Zeit, hergestellt von der ehemaligen „Phosphatkönigin“ Dolly.  Sie hatte nie eine andere Chance, als mit ihrem Körper Geld zu machen, und aus New York bringt sie rettende Ideen mit: Tourismus, Sex, Organisation. Sie entmachtet den unbeweglichen Fat Man, der sich in einem bizarren, mit seltener Intensität beschriebenen Finale ergibt, um zu überleben. Das Dorf ist ein Zoo, als Zentrum ein Club, in dem die Stripperinnen in von der Decke hängenden Käfigen tanzen. Und „jeder einzelne von ihnen hatte die erste Lektion in Sachen Organisiertheit bereits gelernt: Gehorsam. Und sie waren entschlossen ihr zu gehorchen, denn sie hatte versprochen, ihr zerstörtes Land wieder erblühen zu lassen“.

Crews schreibt diese Geschichte eines Orts und seiner Bewohner nicht mit den klaren Stücken des sozialkritischen Romans, sondern mit den sich nur langsam verdichtenden und nie vorhersehbaren Splittern des Thrillers. Vergangenheiten, aus denen immer wieder immer mehr auftaucht, eine Gegenwart, die nach jeder Hoffnung dunkler wird. Geschrieben mit einem unheimlichen Unterton. Vergiss es, wenn du glaubst, du hast es im Griff, und wenn du glaubst, es wird besser. Könnte das heißen. In einer melancholischen Stimmung versinkt das Buch dabei nicht. Es ist etwa so, wie es der körperlich angeschlagene Crews dem New Yorker Reporter 2006 erklärte: „Es ist Zeit zu sterben, aber ich fühle mich nicht wie ein Sterbender. Ich fühle mich die ganze Zeit gut. Außer wenn nicht“.

Nach zwei Büchern bin ich mir sicher, dass Harry Crews zu den Besten der amerikanischen Literatur gehört. Und wenn Verleger Stefan Ehlert im Moment nicht mehr Bücher von Crews´ versprechen will, aber… dann ist das doch mal eine gute Nachricht. In diesen Zeiten. In denen sie ihr verdammtes Geld besser in so einen Verlag werfen sollten.

Harry Crews: Nackig in Garden Hills. Aus dem Amerikanischen von Stefan Ehlert, mit Illustrationen von Tobias Bornweilder. 224 S., mox & maritz, 2009