Literatur

JÖRG FAUSER (KNASTLESEN 1)

kam heute vor 25 Jahren ums Leben, als er am frühen Morgen auf der A8 vor einen Lastwagen lief. Gestern hätte er seinen 68. Geburtstag gehabt. Aus diesem Anlass las ich den Jugendlichen im Knast die ersten Kapitel aus „Der Schneemann“ vor.

Ich bin einmal die Woche dort, um aus einem Buch vorzulesen und darüber zu diskutieren bzw. über etwas, das sich daraus ergibt. „Der Schneemann“ Blum sagte ihnen was, und das zweite Kapitel, wenn Blum auf Malta zum Verhör mit dem Polizeiinspektor antreten muss, sagte ihnen noch mehr und brachte sie manchmal auch zum Lachen. Außerdem diskutierten wir über Visa, Drogen, Rechtsprechung und Schreiben und Drehbuchschreiben. „Ich will eh weg hier“, sagte einer von ihnen, „ich will nach Los Angeles.“ „Da brauchst du eine Greencard.“ „Was ist eine Greencard?“

Natürlich hatten sie von einem Autor Jörg Fauser noch nie gehört. Aber viele von ihnen haben schon etwas gesehen, von dem viele andere nur gehört haben. Ich glaube, es wird ihnen nicht schaden, dass sie jetzt ein paar Seiten von Fauser gehört haben. Mit dem Hinweis, er sei einer der größten deutschen Schriftsteller.

Hier das Gedicht „Rote Fahne“ von Fauser, gelesen von Autoren von Los Superdemocraticos:

http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=Bww-IkP5xIk

Hier die CD mit seiner eigenen Stimme:

 

Und hier zwei Briefe an Carl Weissner (auf der schwer zu empfehlenden Gasolinconnection-Seite): http://gasolinconnection.wordpress.com/2011/12/06/jorg-fauser-2-briefe-an-carl-weissner/#comments



FÜR KATZEN

liebhaber und -hasser gleichermaßen: im Milena Verlag eine Neuausgabe von einem der besten Krimis von Kinky Friedman: Wenn die Katze weg ist. Mit einem Nachwort von mir, das auch

Wenn die Katze weg ist ...

von den allerneusten Politabenteuern des (eher ehemaligen) Countrysängers berichtet. Und so anfängt:

„1. Sie werden von Führungspersönlichkeiten geschätzt. 2. Hauptperson hat Katze im Haushalt und quasselt sie voll. 3. Parodien, besonders Krimiparodien, schon die Abkürzung Krimi stößt mich ab. 4. Autor will in politisches Amt oder ist Mitglied einer Partei. 5. Mehr als 374 Seiten, nur damit auch noch der dümmste Idiot der Familie breit ausgemalt werden kann.

War meine Antwort auf die Frage, welche Merkmale Literaturbücher haben, die mich abschrecken. Weil ich nicht unterbelichtet rüberkommen wollte, hatte ich schlecht geschrieben weggelassen.“



IN MEMORIAM HEINER LINK

Tot ist der Tote nur unter den Toten – Heiner-Link-Medley.

Import/Export: Goethestr. 30, 80336 München, Mittwoch 30. Mai 2012 20 Uhr

   Foto: Galrev.com

„Erfolg macht sexy. Und sexy will jeder sein. Noch besser ist natürlich der internationale Erfolg, der macht international sexy. Erst der internationale Erfolg hat was wirklich Verruchtes. Da bin ich natürlich dabei.“ Heiner Link.

„Vor zehn Jahren starb der Münchner Ausnahmeschriftsteller Heiner Link. Mit ihm befreundete Autoren lesen aus seinen Texten. Mit: Ralf Bönt, Julia Franck, Arno Geiger, Andreas Neumeister Norbert Niemann, Georg M. Oswald

Heiner Link wuchs als Sohn eines Kraftfahrers in Eichenau bei München auf, bevor er Schriftsteller wurde. Am 30. Mai 2002 starb er zweiundvierzigjährig bei einem Motorradunfall. Zu Lebzeiten wurden er und seine Bücher (wie etwa der „Hungerleider“) von der literarischen Kritik wenig wahrgenommen. Von den Schriftstellern seiner Generation umso mehr. Posthum wurde er mit dem Roman „Frl. Ursula“ aber doch noch zum Spiegel-Bestseller-Autor und hätte darüber vermutlich selbst am meisten gelacht.“



RUMGRASSN

ist ein schönes neues Wort. – Und es wundert mich nicht, dass der von mir schon immer (d.h. seit ca. 1984) geschätzte Peter Glaser zu denen gehört, die was Gutes zum Thema einwerfen. (Ein Missverständnis ist ja, dass alle, die sich gegen das Rumgrassn wehren, nun irgendwie auf CDU-Linie wären, soweit kommt´s noch…) – http://blog.stuttgarter-zeitung.de/category/literatur/

Außerdem sowieso Freund Wiglaf Droste in seiner täglichen Kolumne für die Junge Welt (die leider (sage ich, der seit vielen Jahren für die jW schreibt), aber wie zu erwarten war, den Grass beim behämmerten Rumgrassn unterstützt; wenigstens sind also immerhin unterschiedliche Meinungen im Blatt möglich…) – http://www.jungewelt.de/2012/04-07/042.php?sstr=wiglaf%7Cdroste%7Cg%FCnther%7Cgrass

Und damit werden wir unsern nun wirklich gleichgeschalteten Block nicht weiter mit der Sache zumüllen.

In Arbeit ein Essay: warum sind die offensichtlich bedeutendsten, irgendwie auch beliebtesten Autoren der Deutschen zwei 80-plus Männer, die immer wieder mit dubiosem (um es geradezu sanftmütig auszudrücken) Geschwafel auffallen, von dem noch das Dümmste von den größten Printmedien dankbarst aufgegriffen und groß rübergereicht wird? Warum kann ich mich nicht erinnern, dass von den durchaus zahlreichen Autoren, die ich seit 30 Jahren kennengelernt habe (sehr und weniger erfolgreiche, sich stark oder kaum politisch äußernde), niemals jemand sagte, lies doch mal dieses Buch von Grass oder Walser? Schon die Generation vor mir (Fauser, Weissner, Fels, Ploog, Fichte, Achternbusch, Cailloux u.a.) hat doch bei diesen Namen abgewunken. Da gibt´s ein auffallendes Missverhältnis; irgendwas stimmt da nicht. Da war z.B. ein Dürrenmatt ein ganz anderes Bedeutender-alter-Mann-Kaliber. Einer, der nicht als permanenter Mainstream-Mitläufer rumgeschrieben hat, und bei dem man sich vorstellen könnte, dass er (als Deutscher) einfach nur „Deutschland, halt doch einfach mal dein Maul!“ geknurrt hätte. (Geschrieben in Erwartung der großen Bürgeraktion „Einreiseerlaubnis nach Israel für Grass jetzt!“; da dürften dann wohl so ziemlich alle dabei sein…)



ZWEI MAGAZINE

die mir sehr am Herzen liegen, haben grade ihre neusten Ausgaben rausgebracht: Kaufense das — oder Sie müssen zur Strafe live im iranischen Lokalfernsehen mit Gunther Grass und Achmadinitschat über den Weltfrieden diskutieren und außerdem ein Jahr lang die Tauben der deutschen Friedensbewegung füttern.

SUPERBASTARD – Hrsg. von Benedikt Maria Kramer. 64 S., 3.- Bestellung: www.superbastard.de und in Österreich bei songdog.at — Mit Dokumenten, Stories und Gedichten von Urs Böke, Florian Günther, Andreas Niedermann, Gudrun Völk, Chrissie Wilholm, Clemens Schittko, Kai Pohl u.a. (und von mir ist das Gedicht „Dresden“ aus meinem Band „Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg T-Shirt“ drin).

DRECKSACK – Hrsg. von Florian Günther. 12 S. (großes Zeitungsformat), 2.- Bestellung: email hidden; JavaScript is required (www.edition-luekk-noesens.de). — Mit einem 2-Seiten-Special zum Tod von Carl Weissner, und Beiträgen aller Art u.a. von Lydia Lunch, Jerk Götterwind, Matthias Penzel, William Cody Maher, Signe Maehler, Jan Herman, Florian Vetsch, Jürgen Ploog, Andreas Niedermann, Anna Böger, Anna Rheinsberg,Roland Adelmann, Urs Böke, Axel Monte. Von mir eine kurze Erinnerung an Carl Weissner.



R.I.P. HARRY CREWS

Der amerikanische Autor Harry Crews starb am 28. März im Alter von 76 Jahren. „The cause was complications of neuropathy, his former wife, Sally Crews, said“ (New York Times).

Drei deutsche Ausgaben seiner großartigen Bücher bei Mox & Maritz. Zwei Artikel über ihn weiter unten in diesem Block.



RY COODER (3)

Sein Buch „In den Straßen von Los Angeles“ geht im Moment in die Läden; Edition Tiamat, 288 S. Wir bleiben damit wie angekündigt beim Thema „Geschlecht und Mobilität“: In der Erzählung „Töten Sie mich, bitte“ geht´s vor allem auch um Billy Tipton, eine Musikerin, die als Mann auftritt und lebt (und in einer anderen Erzählung einen kurzen Auftritt als Geist bzw. Fake-Geist hat). Die Person hat Ry Cooder nicht erfunden, und ich bin im Glossar, das ich für das Buch geschrieben habe, darauf eingegangen:

„S. 102 Billy Tipton war kein Geist, sie wurde 1914 als Dorothy Lucille Tipton  geboren, begann mit etwa zwanzig als Mann aufzutreten und zu leben, und starb 1989 in jenem Spokane, Washington, zu dem er am Ende dieser Story aufbricht.  Zu Lebzeiten kannten ihre Geschichte wenige, nach dem Tod ging die Story durch die halbe Welt. „Billy wurde buchstäblich zum Aushängeschild eines neuen, zwischen Sex (biologisch) und Gender (gesellschaftlich) differenzierenden Bewusstseins, als er kurz nach seinem Tod auf dem Cover eines Ratgebers für Transvestiten und Transsexuelle erschien“, schreibt  Biografin Diane W. Middlebrook in Er war eine Frau (München, 1999). Was nichtmal alle seine fünf Ehefrauen wussten, von denen eine ein unerfahrener Teenager, eine andere jedoch ein Callgirl war. Keine hatte den Eindruck, eine Lesbe geheiratet zu haben, weil Tipton eben keine war, sondern ein „Nachahmungstalent“ und „geniale Illusionistin“, die nicht nur das Talent, sondern sozusagen die Aufgabe hatte, „sowohl die Rolle wie auch den Schauspieler, der sie spielte“, zu spielen. Tipton selbst hat keine Bekennerschreiben, nur Spuren hinterlassen. Unter den vielen, nie ganz greifenden Erklärungen, die sich um diesen Fall von „gender blending“ ranken, ist auch diese sicher nicht falsch: Was sollte ein weißes Mittelschichtmädchen sonst tun, wenn es in einer Jazzband spielen wollte? In dem einen Moment, als aus einer jenseits der Musikzentren sehr gut beschäftigten Band vielleicht eine bekannte hätte werden können, zog sich Tipton in die Provinz zurück und verlagerte seine Arbeit in eine Musikagentur. Er hatte Angst vor Popularität, sie hätte die Gefahr gesteigert, dass ihn jemand aus seinen Mädchentagen erkannte. Billy Tipton starb verarmt in seinem Wohnwagen, in den Armen des jüngsten seiner drei Adoptivsöhne. Der nach der Enttarnung bekannte, für ihn würde diese Frau immer sein Dad bleiben.“



R.I.P. CARL WEISSNER

Er wurde am 24.1. tot in seiner Wohnung aufgefunden. Mein Nachruf „Blues für Carl-le-Nègre alias The Burning Boche“ heute in der Jungen Welt.

http://www.jungewelt.de/2012/01-27/012.php

 



RY COODER (2)

Die angeblich ruhige Zeit kurz hinterm Baum ist wie immer eine gute, um an die zu denken, die oft weniger beachtet werden. Nein, diesmal ist von Schlagzeugern die Rede. Über die vielen verwirrenden Informationen, denen sie ausgesetzt sind – nichtmal für blonde Präsidentenchicks (um die es so gefährlich ruhig ist, als würde da ´ne Zündschnur schon brennen) restlos packbar, würde ich mal behaupten -, steht schon in Ry Cooders Erzählung ‚Bitte, töten Sie mich‘ geschrieben:

<Außerdem hatte ich Musikunterricht bei einem alkoholsüchtigen Zwerg namens Ray Diker. Das war zu der Zeit, als Gene Krupa der Held war, alle Schlagzeuger in der Stadt waren verrückt nach ihm. Ray aber sagte mir Folgendes: „Vergiss Krupa. Er spielt mit den Händen oben am Gesicht, als würde er Chop Suey essen. Wenn du isst, dann iss. Aber wenn du Schlagzeug spielst, lass deine Hände unten.“> (Das ganze und alle Abenteuer im März bei Edition Tiamat).

Wobei man nicht vergessen sollte, dass Topper Headon 1986 auf seinem Solo-Album Waking Up ‚Drummin´ Man‘ interpretierte.

Um unseren Freund Andreas Neumeister pi mal Daumen zu zitieren: Was macht eigentlich Headon heute? – Wenn er nicht Bob Geldofs Tochter Schlagzeugunterricht erteilen oder sonst einen Drecksjob in irgendeinem Hannover machen muss, wären wir schon mal etwas beruhigt.

 



WER KENNT CREWS? (Pt. 2)

Hier der Deutschlandfunkbeitrag zu „Scarlover“, inzwischen der dritte Crews-Roman auf deutsch, weshalb das Christkind nun doch den Verlag Mox & Maritz gesegnet hat.  Während es einen Song von Kris Kristofferson im Ohr hatte: „If you don´t like Hank Williams, Baby, you can kiss my ass.“

TÄTOWIERUNG UND ANDERE VERLETZUNGEN

Verletzungen, Wunden, Narben, Tätowierungen, Operationen, Unfälle, Verheiltes und verheilte Verwundungen, die wieder aufbrechen, sei es an Körper oder Seele, darum geht es in Harry Crews‘ Roman „Scarlover“, der auch in der deutschen Ausgabe „Scarlover“ heißt . Weil‘s natürlich besser klingt als „Narbenliebhaber“.

Der Amerikaner Harry Crews, 75, Autor von zwei Dutzend Romanen und einigen anderen Werken, hat als ehemaliger Boxer, Marinesoldat und Dozent für kreatives Schreiben sicher einige Erfahrungen mit Wunden und Narben gemacht. Seine Sicht ist abgeklärt: „Alle Narben strahlen so eine gewisse Schönheit aus“, sagte er einmal, „denn eine Narbe bedeutet, dass der Schmerz vorbei ist, die Wunde ist geschlossen und verheilt.“

Die Verletzungen, die das Leben seiner Hauptfigur Pete Butcher zugefügt hat, sind jedoch nur scheinbar verheilt. Als Jugendlicher hat er bei der Arbeit mit einem Spitzhammer unabsichtlich seinen Bruder so schwer verletzt, dass er für immer debil wurde. Und seine Eltern kamen bei einer Autofahrt, die sie nur aufgrund dieses debilen Bruders unternahmen, ums Leben. Mit diesen Lasten hat Pete Butcher sich in eine Kleinstadt in den Sümpfen Floridas zurückgezogen, nachdem er sich nach seiner Zeit als Marinesoldat erfolglos an einem Studium versucht hatte. Ein Gestrandeter, ein Typ mit einem Zimmer in einer Pension. Der in einer Papierfabrik am Bahnhof mit dem Rasta George schuftet, den alle den „versengten Nigger“ nennen, weil sein Rücken von Brandnarben gezeichnet ist.

(Einblendung Steve Earle/Delta Momma Blues, New West Rec. NW6165)

Typisch für den Autor Harry Crews: er beschreibt Arbeit und Arbeiter sehr genau. Und ebenso typisch, dass er dem Leser die Hintergründe von diesem Pete Butcher nicht einfach so mitteilt. Es vergehen ein paar Dutzend Seiten, in denen man seine Verletzungen und sein enormes Gewaltpotential erstmal nur unterschwellig wahrnimmt, ehe man die Hintergründe geliefert bekommt. Das ist Crews‘ Kunst: dieses Gemälde aus harter Arbeit mit einem einsamen Mann wird nur langsam aufgeschlitzt. Sehr filmisch, ohne große Erklärungen. Nach der klassischen Regel: action is character.

Irgendwie hat sich also dieser Pete Butcher an seinem Fluchtpunkt eingerichtet, als er sich in die Tochter der Nachbarn verliebt. Womit die Einsamkeit, die in Ordnung war, ins Chaos überführt wird. Überall platzen Verwundungen auf: die Mutter kommt nach einer Brustkrebsoperation nach Hause und bedient sich als altmodisch-gute Christin plötzlich einer schmutzigen Sprache, die alle schockiert (fuck you und scheiß drauf und verdammt nochmal). Ihre Tochter projiziert nun in einer panischen Reaktion darauf den Brustkrebs der Mutter auf sich selbst. Und der Vater: er stirbt an einem Herzinfarkt, während er mit Pete einen Baumstamm durchsägt. Pete Butcher, auf der Flucht vor seinen eigenen Todesgeschichten, ist wieder von Verletzung und Tod umgeben.

Typisch Harry Crews: aus diesem Tod des Vaters entwickelt sich eine über 100 Seiten lange Slapstick-Nummer als Kernstück einer Tragikomödie, inklusive des Gags, dass die schon ins Beerdigungsinstitut eingelieferte Leiche unter nicht einfachen Umständen illegal wieder nach Hause zurückgeholt wird. Denn die nach der Brustkrebsoperation etwas übergeschnappte Mutter ist in den Bann der Rasta-Religion geraten, wie Pete Butcher verblüfft feststellen muss – sein Kumpel, der „versengte Nigger“ George und seine Frau Linga leiten das Ritual: der Tote wird in den Sümpfen verbrannt. Und die durcheinander geratne Witwe fühlt sich nicht schlecht:

(Einblendung Dub Specialist/Kampala, Soul Jazz Rec. SJRCD103)

„Auf Beinen, die vom langen Sitzen etwas wacklig waren, ging sie auf den runden Fleck zu, an dem das Feuer gewesen war, und griff den Schädel ihres Ehemanns wie eine Bowlingkugel. Sie krümmte die beiden mittleren Finger ihrer rechten Hand in die Augenhöhlen und ihren Daumen in das, was einmal die Nase gewesen war. In klassischer Bowlermanier hob sie seinen Schädel bis in Schulterhöhe und Pete wurde von dem Gedanken durchzuckt, dass es genau das war, was sie vorhatte: ihn zu bowlen. Aber das tat sie nicht. Sie sah sich um, sah sie alle an, und sagte, <ich glaube, der Job ist getan>. Sie nickte dem Schädel zu. <Ich nehme nur das. Den Rest können die Tiere von George haben. Ich denke mal, an den Knochen lässt sich trefflich kauen. Letztlich haben sie so auch noch Sinn: er kann mit ihnen ja nichts mehr anfangen>.“

Als „Southern Gothic“ werden Harry Crews‘ Romane in den USA oft bezeichnet, als Südstaaten-Literatur mit einer speziell unheimlichen, morbiden Färbung. Das passt zu seinem 1993 veröffentlichten Roman „Scarlover“ sehr gut: präzise Alltagsschilderungen des Hillbilly-Milieus, das sich in den verdrehten und verletzten Seelen der Protagonisten verzerrt; das explosive Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne: in diesem Fall biedere Unterschicht gegen magisch-bizarre Rasta-Religion. Abgelegene Orte, die nach alten Zeiten riechen, ein schwermütiger Klang und grotesk-bodenständiger Humor – das könnte das Motto des Romans sein, wenn die Rasta-Frau Linga Pete Butcher erklärt: „Ohne Gott kann man leben. Der, ohne den es nicht geht, das ist der Teufel.“ Der Harry Crews ein fieses Happyend diktiert hat.

Kein Wunder also, dass Nick Cave diesen Crews schon sehr genau gelesen hat. Der den „Scarlover“ seinem Freund Sean Penn gewidmet hat. Genug des Namedroppings von Crews verehrenden Großkünstlern – wer denn noch, Johnny Depp, Sonic Youth, Lydia Lunch! Dass Harry Crews hierzulande kaum bekannt ist, sollte sich mit der dritten deutschen Ausgabe endlich ändern.

Harry Crews: Scarlover. Roman. Aus dem Amerikanischen von Stefan Ehlert. Geb., 360 S., € 17,80. Verlag Mox&Maritz, Bremen 2011