Literatur

DER ROMAN DES JAHRES 2012 (KNASTLESEN 2)

ist für mich kein anderer als dieser:

Andreas Niedermann hat mit seinem 8. Roman – der erste, „Sauser“, ist 1986 bei Edition Nautilus/Edition Moderne erschienen – seinen besten geschrieben. Was für einen Autor des Jahrgangs 1956, der so lange in den Wortfeldern unterwegs ist, keineswegs normal ist. (Wir lassen uns jetzt nicht darüber aus, was wir für normal halten).

Ein Kriminalroman, der in der Schweiz in den Zeiten von „Züri brennt“ spielt. Und der nebenbei mehr über die Arbeit des Schreibens und das Veröffentlichen und das Leben damit erzählt, als fast alle Bücher, die ich kenne, die behaupten, sie würden einem darüber etwas erzählen. Sowohl was die kriminelle Aktion als auch das Schreiben betrifft, bekommt man hier stark präsentiert: den Unterschied zwischen einem Autor, der spürbar weiß, wovon er schreibt – was ja nicht heißt, er müsste alles genau so selbst erlebt haben etc. -, und den vielen Angebern, die etwas behaupten, von dem sie zu wenig Ahnung haben. Weil hingeschrieben ist ja immer schnell was. Man erkennt den einen wie den anderen fast immer schon an seinem Stil. Eine Schriftstellerin, die sich in dem, worüber sie schreibt, ein wenig auskennt, kann sich mehr auf ihren Stil konzentrieren.

Ich habe das Buch in einer meiner Knastvorlesungen im Jugendarrest vorgestellt. Es war bald ruhiger als sonst. Vielleicht weil die meisten meiner Kinder schnell merkten, dass sie mal wieder besser Ohren und Hirne so weit wie möglich einschalten sollten. Denn dies sind die ersten Sätze: „Ich bin ein Scheißkerl. Einige sagen, ich sei nur kriminell, aber das trifft die Sache nicht genau. Wer sich umhört, kann auch auf die Meinung stoßen, dass ich ein Künstler sei. Diese Ansicht sollte man nicht ernst nehmen. (…) Kriminell zu sein ist einfach. Diesen Titel kriegt man umsonst. Der wird bei jedem Ladendiebstahl mit eingepackt. Aber Scheißkerl nicht. Den muss man sich erarbeiten.“

Etwa an dieser Stelle habe ich erstmals kurz unterbrochen, um zu sagen: „Wer von euch jetzt den Eindruck hat, ich lese euch das vor, um euch zu sagen, was ihr tun oder lassen sollt, der täuscht sich, das interessiert mich nämlich einen Scheiß.“

Eine 16-jährige Frau verfolgte das derart fasziniert, auch fassungslos, vollkommen überrascht und alle Ablenkungsversuche konsequent ignorierend, dass ich ihr das Buch danach schenkte. Ich wusste, dass sie es vom Christkind nicht geschenkt bekommen würde. Das Christkind, das in das Heim für Waisen und Kinder aus Problemfamilien kommt, in dem sie nach ihrem Arrest wieder abgeliefert wird, verschenkt solche Bücher nicht.

Ich habe das Vergnügen und die Ehre, den Schweizer Autor (und Verleger) seit 25 Jahren zum Freund zu haben. Außerdem hat er meinen letzten Gedichtband verlegt. Ich finde es schwierig, über die Arbeiten von Freunden zu schreiben. Wie schon Ernst Jünger, ich glaube in „Autor und Autorschaft“, hinreichend dargelegt hat: Über seine Freunde und Feinde sollte man sich öffentlich nicht auslassen (ebenso wie man für Applaus so empfänglich sein sollte wie für Kritik, nämlich am besten gar nicht). Ich finde das bedenkenswert.

In seinem Blog auf songdog.at schrieb Niedermann vor einigen Tagen über ein tolles Beispiel für die Art Kumpelei, der man einfach nur in die Eier treten sollte: eine Jury prämierte das Buch aus dem Verlag des Schweizer Verlegers Urs Engeler, ohne dass sich jemand daran gestört hätte, dass der Engeler in der Jury sitzt und eines seiner Bücher im Rennen ist. In Deutschland sind das die Momente, in denen jemand eine scheinbar ultraseriöse Rede über seine Scheißleitkultur hält, die dann auf irgendeiner Literaturseite reingedrückt wird.

Nun gut. Hier also einige Stimmen zum Buch, die das sagen, was ich schreiben würde. Viel mehr gute Zeugen und Kritiken kann ein Autor für sein Werk nicht bekommen:

“Andreas Niedermann, dem in Wien lebenden Schweizer Autor und Buchverleger … ist mit „Goldene Tage“ ein wunderbarer kleiner Roman geglückt. Ohne Special Effects und ohne etwas künstlich aufzupeppen. Ruhig, stilsicher, elegant und reduziert ist Niedermanns Prosa, und man fühlt sich von ihr aufs beste unterhalten.“ Schrieb Klaus Bittermann in der jungen Welt, und es gibt sehr wenig zeitgenössische deutsche Literatur, für die Klaus Bittermann, Verleger der Edition Tiamat (wo kein Buch von Niedermann erschienen ist), solche Worte auffährt.

„Ein Buch, das durch seine Authentizität und herbe Schönheit wie ein funkelnder Nugget aus dem Bodensatz gegenwärtiger Neuerscheinungen hervorsticht”, schrieb Benedikt Kramer (Hrsg. des Superbastard, in dem auch Niedermann-Texte veröffentlicht wurden) nicht in irgendeinem, sondern im derzeit besten deutschen Literaturmagazin,  Drecksack.

Auf satt.org ist zu lesen.“Im Subtext – und dies macht den Roman zu einem Stück echter, großer Literatur – handelt Goldene Tage davon, wie man mit der Vergangenheit umgeht.“

 

Andreas Niedermann: Goldene Tage. Roman. 210 S. Songdog, Wien 2012



NILS KOPPRUCH SAGT

Ich hab im Krieg die Seiten gewechselt

Und kein Mensch hat mich vermisst

Ich sag nur wie´s ist.



TÖDLICHE POSTKARTEN

Da es nun so gut wie keine Nazis mehr in Deutschland gibt (die allerletzten stehen bekanntlich grade vor Gericht) – wenn Sie uns nicht glauben, diskutieren Sie doch einfach mal mit dem für Ihren Bezirk zuständigen Verfassungsschutzbeauftragten – kann man den folgenden Artikel, den ich im März 2011 für die junge Welt schrieb, mit dem lockeren Gefühl lesen, das sich nach erfolgreich aufgearbeiteter Vergangenheit einstellt:

POSTKARTEN GEGEN NAZI-DEUTSCHLAND

Hans Falladas letzter Roman „Jeder stirbt für sich allein“ erstmals ungekürzt

Das ist eine schöne Geschichte, die man jedem guten Verlag wünscht. Erfolg haben mit einem tollen Roman. Und nicht mit dem neuen Heimatmist, der nun auf der Krimischiene und oft noch mit Comedy-Einflüssen angelabert kommt oder dieser Gegenwartsliteraturabteilung, die so neobieder-meierlich um das Familiennachtkästchen hingehäkelt ist, dass man schon nach den ersten Zeilen (mit Wolfgang Pohrt gesprochen) einen fünfstöckigen Espresso braucht.

Der Aufbau Verlag hat nun einen Hit, den niemand auf der Rechnung hatte, „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada, 1947 erschienen und seit Jahrzehnten ziemlich vergessen; eine Geschichte vom alltäglichen Wahnsinn im Nazi-Berlin und vom Widerstand eines einfachen, eigentlich unpolitischen Arbeiterehepaars. Woher das Interesse für diesen Stoff 2011 in Deutschland?

Es hat schon eine gewisse Komik, dass es der ungeahnte und fulminante Erfolg in Großbritannien, USA, Israel und anderen Ländern ist, der zu einer deutschen Neuausgabe geführt hat (die sich erstmals an Falladas ursprüngliche Fassung hält, die, schreibt Almut Giesecke im Nachwort, für die Erstausgabe geglättet worden war). Und woher das Interesse im Ausland?

Der Erfolg von „Jeder stirbt für sich allein“ bzw. in der englischen Ausgabe „Alone in Berlin“ zeige, „dass das britische Schwarzweißbild der Hitlerjahre endlich einer nuancierteren Wahrnehmung weicht“, schrieb Gina Thomas vor einem halben Jahr in der FAZ. Mag sein. Aber ich weiß nicht recht. „Endlich“ also; und endlich nuancierter. Endlich haben die Briten mal erkannt, so interpretiere ich das, dass es nicht nur den Stauffenberg-Widerstand gab, der sich so unglaublich mutig formierte, als das Regime schon am Ende war, sondern auch einen Widerstand bei den ganz einfachen Leuten. Ich bin mir sicher, dass jeder Brite das schon immer wusste, aber sich sagte, fuckin´so what, was hat´s geholfen, die Nuancen sind nun mal unter so einem großen Ganzen ziemlich egal. Was ja nicht heißt, dass so ein kleiner folgenloser Widerstand wie ihn Fallada beschreibt, jemals egal wäre.

Alles Spekulation. Man würd´s eben gern wissen; weil dieses Nazi-Deutschland in Griechenland, Italien, England und vielen anderen Ländern nicht so vergessen ist wie das die Deutschen gern hätten. Ich kann mir eher vorstellen, dass es sich irgendwie herumgesprochen hat, wie es Roger Cohen in der New York Times unter dem Titel „The Banality of Good“ beschrieb: Falladas Roman vereinige „den Horror von Conrad, den Wahnsinn von Dostoyevsky und das kühl Bedrohliche von Capotes ‚Kaltblütig‘“. Mehr Sprengkraft kann man hinter einem Roman nicht aufbauen. Und wenn er bei seinem Erfolgslauf einen Tarantino-„Inglorious Bastards“-Effekt bekommen hat und als Nazi-Thriller im Supermarkt mitgenommen wird, dann vollkommen zurecht.

Ich lasse den Text hier eine Stunde ruhen, und was passiert inzwischen? Weil der Sarrazin als Hetzredner grade etwas weniger herumkrakeelt, springt der Seehofer als dumpfer Hassredner ein. Keine Überraschung, aber immer wieder ekelhaft. Ja, Falladas letzter Roman ist bestens geeignet, um sich über die deutsche Leitkultur zu informieren.

Hans Fallada, berühmter Autor seit 1932, als er mit „Kleiner Mann – was nun?“ einen Welterfolg hatte, blieb während der Naziherrschaft in Deutschland. Ein verfemter Autor, der sich – Wiglaf Droste hat es im Juli 2003 in einer Serie für diese Zeitung beschrieben – mehr schlecht als recht durchschlug und -schrieb, mit viel Alkohol, Morphium, Tragödien. Mal musste er sich Dr. Goebbels vom Leib halten, dann war er als „gemeingefährlicher Geisteskranker“ im Irrenhaus. Immer verzweifelt auf der Linie arbeitend, den Nazis nicht ins Messer zu laufen und keine Naziliteratur zu schreiben. Es entstanden Werke, mit denen er nicht glücklich sein konnte.

Im Herbst 1946 konnte Fallada abrechnen. 668 Seiten, geschrieben in vier Wochen oder wohl besser gesagt reingehämmert, rausgekotzt; als hätte er geahnt, dass es seine letzte Chance war, es denen heimzuzahlen. Man spürt, dass er all seine Erfahrungen und seinen Hass reingepackt hat. Johannes R. Becher hatte ihm die Unterlagen über den Fall der Eheleute Hampel gegeben, die 1943 hingerichtet wurden, nachdem sie zwei Jahre lang Postkarten in Berlin ausgelegt hatten. Einige sind im Anhang abgebildet, auf der von der Gestapo als Nr. 176 registrierten heißt es: „Freie Presse! Fort mit dem Hitler Verreckungs System! Der gemeine Soldat Hitler und seine Bande stürzen uns in den Abgrund! Diese Hitler Göring Himmler Goebbels Bande ist in unser Deutschland nur Todes Raum zu gewähren!“

Um sein Ehepaar Quangel baut Fallada ein vollständiges Berliner Alltagsbild, macht einen kompletten Schwenk durchs Mietshaus, zu dessen Bewohnern auch eine alte Jüdin und SS-Männer gehören, und durch die Straßen. Sein Personal reicht vom Arbeiter Quangel über die kleine Nutte bis zur kleinen krakeelenden Nazigröße, die den Kriminalkommissaren vorgesetzt wurde. Eine Versammlung von Spitzeln, miesen Typen, verschlagenen, tretenden, kuschenden, herzlosen Drecksäcken. Eine überwältigende Trostlosigkeit, von der die wenigen Personen, die gegen das Pack sind, erdrückt werden. Oder wie Tucholsky über einen anderen Fallada-Roman schrieb, das ist „so unheimlich echt, daß es einen graut.“ Wer glaubte, ein besseres Bild vom Unterschichten-Berlin haben zu können, wird es nuancierter sehen.

Jeder stirbt für sich allein (Abb.: Vivasvanpictures.wordpress.com)

Ich habe nicht so viel und lange nichts von Fallada gelesen. Und bin überrascht, wie modern der Roman daherkommt. Durch die Aufsplitterung in 73 Kapitel, die sich gegenseitig permanent weiterzujagen scheinen. Drive, Szenenwechsel, Sogwirkung, Tempo. Das Gespür des Profis für Action und Cliffhanger. Der Stoff, aus dem die Amerikaner eine ihrer großartigen neuen Serien machen würden. Als hätte Fallada sich gesagt, hier ist das Hoffnungsloseste, was es gibt, aber ich will, dass ihr es lest, ich kriege euch, es ist ein Thriller. Der auch immer wieder einen grotesken, schneidenden Humor entwickelt, der vielleicht erst heute so ankommt. Wenn zwei kleine Spitzel die Wohnung der jüdischen alten Dame ausräumen möchten, sich dabei betrinken und von einem Nazi-Papa mit seinen eifrigen HJ-Jungs gestellt werden, die denselben Plan hatten, dann ist das auch eine komische Nummer; die mit jeder Zeile ins Bösartigste kippen kann.

Schwarzweiß wäre zu hell, Falladas Blick zieht uns in die tiefste Schwärze. Lasst selbst den letzten Funken Hoffnung fahren. Selbst dieses Ehepaar ist ja trostlos mit seinen Postkarten, und erst nachdem der Sohn auf dem Schlachtfeld gefallen ist, beginnen sie mit ihrem Widerstand. Umgeben von kleinen Denunzianten, die hinter jeder Ecke auf ihren Verräter treffen, der schon von seinem Gestapo-Kontakt hängengelassen wird. Ausgerechnet Kommissar Escherich, der die Postkartenschreiber verfolgt, eine miese und mörderische Type, faszinierend in seiner Gerissenheit, begeht zuletzt Selbstmord und sieht sich als den einzigen Menschen, den Postkarten-Attentäter Quangel überzeugen konnte. Es gibt keine Klischeefiguren in diesem Roman, Fallada seziert jeden bis ins Genaueste, und deswegen nannte es Primo Levi „das beste Buch, das je über den deutschen Widerstand geschrieben wurde.“

Erst mit dem letzten Kapitel richtete der Autor den Blick nach vorn: „Aber nicht mit dem Tode wollen wir dieses Buch beschließen, es ist dem Leben geweiht…“ Kurz nach Kriegsende trifft ein Junge auf den Vater, der für ´ne halbe Zigarette alles und jeden denunziert hatte, und der Sohn war von derselben Art gewesen. Doch der Sohn hat sich inzwischen geändert, ein neues Leben angefangen. Und nun verprügelt der Sohn den Vater, um ihn sich vom Hals zu halten. Das war Falladas Hoffnung kurz vor seinem frühen Tod. Was die Deutschen von diesem Bild und von seinem Buch hielten, erlebte er nicht.

Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein. Ungekürzte Neuausgabe, mit einem dokumentarischen Anhang. 704 S., Aufbau Verlag, Berlin 2011



AUTORENVIDEOS

Wenn unser Haus abgebrannt, die Frau abgehauen, der Hund verendet ist und wir uns den Rest geben wollen, dann schauen wir uns mal wieder einen Stapel Autorenvideos an.

Es gibt jedoch einige weeenige, die wir bei schlechter Laune dringend empfehlen. Unser alter Gefährte, der Autor und Society-Philosoph Jan Off hat sich so eins erstellen lassen:

http://www.youtube.com/watch?v=YRgX6kdCG_8

Regie: Lucja Romanowska

Am Schreibtisch: Society-Philosoph Jan Off bei der Arbeit an seinem soeben erschienenen Roman „Happy Endstadium“

Foto: http://www.motelnirwana.org/#!__site/events-photos/photostackergallery4=46

 



HOTLIST 2012

Ein neuer Bücherherbst bricht wieder einmal an! Und er ist spannender als die alten! Und als Höhepunkt die Frage, wer von der neuen Hotlist was reißen wird. Tschuldigense, wenn ich Sie in diesen nervenzerfetzenden Stunden mit meiner persönlichen Hotlist 2012 langweile. Weil, zugegeben, die Kandidaten und ihre Bücher ausnahmslos schon von den Literaturfeuilletons bis runter nach Passau totgeritten wurden. Aber das ist eben mein Geschmack (zu dem ich auch stehe). Wenn mir Prof. Dr. Marschmeyer eine Million gibt, muss er sich wegen der Verteilung(*) und wegen den Medien keine Sorgen machen. Und jetzt in alphabetischer Reihenfolge:

COLTELLO, HF: Einige Abenteuer und seltsame Begegnungen im Leben des stillen Kommandeurs. Salis Verlag

DROSTE, Wiglaf: Sprichst du noch oder kommunizierst du schon? Edition Tiamat

DUBBE, Daniel: Underground oder Die Bewährung. Maro Verlag

GOETTLE, Gabriele: Der Augenblick. Kunstmann Verlag

NIEDERMANN, Andreas: Goldene Tage. Songdog Verlag

NIVEN, John: Music from Big Pink. Heyne Hardcore Verlag

OFF, Jan: Happy Endstadium. Ventil Verlag

OSWALD, Georg M.: Unter Feinden. Piper Verlag

PÉLIEU-WASHBURN, Claude: Störgeräusche vom Telegraphendraht. Verlag Peter Engstler

PLOOG, Jürgen: Unterwegssein ist alles – Tagebuch Berlin-New York. [SIC]-Literaturverlag

POPOVIC, Edo: Tattoogeschichten. Verlag Voland&Quist

RAMADAN, Jasmin: Das Schwein unter den Fischen. Tropen/Klett-Cotta Verlag

RAMONE, Dee Dee: Chelsea Horror Hotel. Milena Verlag

SALLIS, James: Driver 2. Liebeskind Verlag

STRICKER, Tiny: Ein Mercedes für Täbris. Maro Verlag

THOMPSON, Jim: In die finstere Nacht. Heyne Hardcore Verlag

WERNING, Heiko: Schlimme Nächte. Edition Tiamat

(*) Nur einen kleinen Teil der Summe hielte ich mich für berechtigt für mich zu behalten, da mich diese Autoren physisch und psychisch bei meiner Arbeit behindert haben.



GROSSE AUFREGUNG

wie immer auch hier, wenn ein neues Buch von Walser auf den Markt kommt, die vielleicht sogar größer als in den großen Redaktionen ist, wo man natürgemäß alltäglich mit großen Themen konfrontiert ist, selbst in der Abteilung für Literatur.

Wie allgemein bekannt, ist es ein Vorteil von uns Independents, nicht nur schneller und spontaner handeln zu können (womit zweifellos keine höhere Qualität des Beitrags verbunden sein muss), sondern auch überraschende, ggf. abseitige Querverweise auf der Pfanne zu haben. Ich schreibe dies im Anblick eines Musikvideos der Hustlers, das mich mit einem spärlich bekleideten Surfergirl verständlicherweise vom Thema abzulenken vermag. Eine Bemerkung, die im seriösen Feuilletion zurecht nichts verloren hat. Wie auch die Bemerkung, dass das falsch geschrieben „Feuilletion“ durchaus netten Effekt haben könnte. Aber, wie schon Miles Davis meinte, „so what“.

Im Angesicht (nicht des Verbrechens, sondern) der Walser-Aufregung verweisen wir also einmal mehr auf das Theaterstück „Der Literaturverweser“ von Carl Wiemer (Edition Tiamat, Berlin 2010), mit dem Dichter Martin Walser (im Stück „Alwin Raser“), seiner Gattin und den drei Töchtern in den Hauptrollen, und präsentieren einen Auszug, der dem einen wie dem anderen Buch nützen möge:

Freya: Worüber wollen sie überhaupt mit dir reden?

Raser: Über Gott und die Welt.

Freya: Darauf bist du spezialisiert.

Raser: Seit den fünfziger Jahren hat es keine öffentliche Debatte gegeben, an der ich nicht teilgenommen hätte. Ich hatte zu allem etwas zu sagen. Bekommt ihr noch alle meine Themen zusammen?

Freya: Mal sehen. Lasst uns einen Quiz veranstalten. Alwin Rasers Wortbeiträge der letzten fünf Jahzehnte.

Elvira: Au ja. Und wer nicht mehr weiter weiß, muss zum Abendessen mit einem von Papas Ehrendoktorhüten auf dem Kopf erscheinen.

Anmerkung: Soweit wir wissen, wurde Carl Wiemer sein dramatischer Text mit dem Untertitel „Ein Stück über Vernichtungsgewinnler“ bisher nicht aufgeführt. Böse Zungen behaupten, das sei bezeichnend für die deutsche Theaterlandschaft.

Wir nicht.



DEZEMBER 79

habe ich in das Buch geschrieben, auf die letzte Seite. Heute weiß ich nicht mehr, warum ich das Buch von Tommaso Di Ciaula damals kaufte. Wird wohl der heiße Titel gewesen sein: Der Fabrikaffe und die Bäume. Wut, Erinnerungen und Träume eines apulischen Bauern, der unter die Arbeiter fiel. Wagenbachs Taschenbücherei, Berlin 1979. Ich habs dreimal gelesen, und ich hoffe, mir bleibt genug Zeit, es noch zehnmal zu lesen.

„Die Fabrik, in der ich arbeite, ist 6 Kilometer von Bari entfernt. Es ist eine Fabrik, die vor 15 Jahren auf einem der schönsten Flecken der Modugneser Gegend, in der Contrada, dem Landkreis Paradiso, aus dem Boden gewachsen ist. In Luftlinie ist es gar nicht weit zum Meer, du kannst es sehen, wenn du auf das Blechdach der Werkhalle steigst. Es ist ein blaues, kraftvolles, mächtiges Meer. Wenn es bewegt ist, kann man auch die schäumenden Wellen sehen; es ist ein Meer, das einen fröhlich stimmt. Aber wenn du näher ran gehst, merkst du sofort, dass es ein totes Meer ist; Teer und Abfälle und Rohöl bringen es Tag für Tag um, es gibt keinen Fisch mehr, selbst die Krebse und Schleimfische nicht, die wir immer gefangen haben, als es noch sauber war. Mit meinen Altersgenossen radelte ich damals hinaus, oft gingen wir auch zu Fuß, und ich weiß noch, wie einer mal die Ziege mitnahm, die er auf die Weide hätte bringen sollen.“

Im Jahr darauf erschien sein Buch „Das Bittere und das Süße. Über die Liebe, das Scherenschleifen und andere vergessene Berufe“. Habe ich dreimal gelesen. Viel mehr weiß ich nicht von italienischer Literatur. Pasolini, Moravia, Ballestrini. Ein Stapel Sachbücher voller Morde. Und (natürlich!) „Die Bankräuber aus der Barriera. Die Lebensgeschichte des Revolutionärs Sante Notarnicola – von ihm selbst aufgeschrieben“ (und von Peter O. Chotjewitz übersetzt und von Trikont 1974 verlegt).

Ein halbes Jahr vor seinem Tod begegnete ich dem mindestens halben Italiener Chotjewitz in Berlin bei einer seiner letzten Lesungen. Als er eine kurze Geschichte über Sterben und Tod las, wurde uns ganz anders, meiner Tochter und mir, wie wir uns später erzählten. Danach standen wir eine Weile an der Clash-Bar und ich sagte zu ihm, dass ich seine vier Bände mit „Fast letzten Erzählungen“ (Verbrecher Verlag) nicht nur großartig finde, sondern dass sie, in ihrer Mischung aus Stories, Artikeln, Aufsätzen, eine Art Studium für mich sind, das mich noch einige Jahre beschäftigen würde. Er sagte zu mir, er habe einige meiner Bücher mit viel Freude gelesen. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ein paar Wochen später rief er mich an, er würde demnächst an den Ammersee fahren und mich besuchen. Dazu kam´s nicht mehr.

Peter O. Chotjewitz, 7.6.2010. Foto: Pola Dobler

Von Di Ciaula ist dann, sehe ich jetzt, nur noch ein Buch auf deutsch erschienen, der Roman „Die Wasser Apuliens“. Was ich eigentlich sagen will: Ein Mann muss ein Ziel im Leben haben. Und nicht irgendeins.



MOTOR SPORT SPEZIAL

#1 – „Grabreden waren nicht ihre Stärke. Sie klagten und nickten und ließen die Köpfe hängen. Sie beteten – zu welchem Gott auch immer. Sie salutierten. Alle trugen ihre Lederkutten. Sie waren gute Amerikaner, gute Freunde, und sie glaubten an die Existenz der Seele. Sie glaubten an die Erlösung von einer Welt der Vorurteile, der Schikanen und der Gefängnisse. Sie beteten dafür, dass ihr Bruder im Jenseits ein Motorrad bekam.“

#2 – „Die weit reichende Anziehungskraft, die von den Angels ausgeht, ist ergründenswert. Im Gegensatz zu den meisten anderen Rebellen haben die Angels die Hoffnung, die Welt werde sich ihretwegen ändern, längst aufgegeben. Aufgrund von Erfahrungen gehen sie davon aus, dass die Leute, die das gesellschaftliche Gefüge am Laufen halten, nur wenig Verwendung für Motorrad-Outlaws haben, und sie haben sich damit abgefunden, Verlierer zu sein.“

#3 – „Wir hassten jeden, der kein Hells Angel war, und oft hassten wir uns auch untereinander (…) Zu diesem Zeitpunkt hatte ich seit fast zwei Jahren als Jay ‚Bird‘ Davis undercover gearbeitet und die ganze Zeit über geglaubt, alles im Griff zu haben und mich selbst in einen Hells Angel verwandeln zu können. Ich hatte geglaubt, ich hätte die Angels unterwandert. Jetzt wusste ich es besser: Sie hatten mich unterwandert.“

#4 – „Sehr geehrter Mister President“, schrieb Präsident Sonny Barger an Lyndon B. Johnson, „wir glauben, ein Topteam gut geschulter Gorillakämpfer würde den Viet Cong demoralisieren und die Sache der Freiheit voranbringen. Wir stehen sofort für Ausbildung und Einsatz zur Verfügung.“

#1/3: Jay Dobyns: Falscher Engel. München 2010. #2/4: Hunter S. Thompson: Hell´s Angels. New York 1966 (dt. München 2004).



JÖRG FAUSER (KNASTLESEN 1)

kam heute vor 25 Jahren ums Leben, als er am frühen Morgen auf der A8 vor einen Lastwagen lief. Gestern hätte er seinen 68. Geburtstag gehabt. Aus diesem Anlass las ich den Jugendlichen im Knast die ersten Kapitel aus „Der Schneemann“ vor.

Ich bin einmal die Woche dort, um aus einem Buch vorzulesen und darüber zu diskutieren bzw. über etwas, das sich daraus ergibt. „Der Schneemann“ Blum sagte ihnen was, und das zweite Kapitel, wenn Blum auf Malta zum Verhör mit dem Polizeiinspektor antreten muss, sagte ihnen noch mehr und brachte sie manchmal auch zum Lachen. Außerdem diskutierten wir über Visa, Drogen, Rechtsprechung und Schreiben und Drehbuchschreiben. „Ich will eh weg hier“, sagte einer von ihnen, „ich will nach Los Angeles.“ „Da brauchst du eine Greencard.“ „Was ist eine Greencard?“

Natürlich hatten sie von einem Autor Jörg Fauser noch nie gehört. Aber viele von ihnen haben schon etwas gesehen, von dem viele andere nur gehört haben. Ich glaube, es wird ihnen nicht schaden, dass sie jetzt ein paar Seiten von Fauser gehört haben. Mit dem Hinweis, er sei einer der größten deutschen Schriftsteller.

Hier das Gedicht „Rote Fahne“ von Fauser, gelesen von Autoren von Los Superdemocraticos:

http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=Bww-IkP5xIk

Hier die CD mit seiner eigenen Stimme:

 

Und hier zwei Briefe an Carl Weissner (auf der schwer zu empfehlenden Gasolinconnection-Seite): http://gasolinconnection.wordpress.com/2011/12/06/jorg-fauser-2-briefe-an-carl-weissner/#comments



FÜR KATZEN

liebhaber und -hasser gleichermaßen: im Milena Verlag eine Neuausgabe von einem der besten Krimis von Kinky Friedman: Wenn die Katze weg ist. Mit einem Nachwort von mir, das auch

Wenn die Katze weg ist ...

von den allerneusten Politabenteuern des (eher ehemaligen) Countrysängers berichtet. Und so anfängt:

„1. Sie werden von Führungspersönlichkeiten geschätzt. 2. Hauptperson hat Katze im Haushalt und quasselt sie voll. 3. Parodien, besonders Krimiparodien, schon die Abkürzung Krimi stößt mich ab. 4. Autor will in politisches Amt oder ist Mitglied einer Partei. 5. Mehr als 374 Seiten, nur damit auch noch der dümmste Idiot der Familie breit ausgemalt werden kann.

War meine Antwort auf die Frage, welche Merkmale Literaturbücher haben, die mich abschrecken. Weil ich nicht unterbelichtet rüberkommen wollte, hatte ich schlecht geschrieben weggelassen.“