Literatur

GRUNDKURS LITERATURGESCHICHTE

Foto: Jack Black

 



JÖRG FAUSER SAGT:

„Nun gibt es eine Kunst, die von keinem Schatten getrübt ist und von keiner Tragik, es ist die Kunst der Konjunkturen und der Kulturverwertungsgesellschaften, von ihr kann nicht die Rede sein, wo von Rebellion die Rede ist und vom Elementaren.“

(Marlon Brando-Biografie, 1978)

JF 16.7.1944 – 17.7.1987



WÄRE NICHT GANZ DUMM

dachte ich, bei der Bundesbuchplanungsstelle mal nachzufragen, um das Projekt dann ggf zu ändern bzw dann mehrere Projekte besser, resp. überhaupt koordinieren zu können.

Weil ich seit kurzem an einem Buch mit dem Titel „1914“ arbeite, kam ich auf die Idee, dass es nicht abwegig wäre, wenn das derzeit sagen wir 10 andere AutorInnen ebenfalls tun. Weiß der Henker, wie es dazu kommt, aber sowas gibt´s. Wenn mir jetzt die Bundesbuchplanungsstelle (BBPS) mitteilen würde, dass im Moment sagen wir 5 AutorInnen das tun, könnte ich nämlich umdisponieren und sagen wir, jetzt echt nur ein Beispiel, „1925“ nehmen.

Aber noch nichts von der BBPS gehört (Beamte!). Ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht so wahnsinnig hinterher bin, weil ich eh grade mit zwei Büchern beschäftigt bin. Das eine sollte „1913“ heißen, aber man hat mir gesagt, das ginge jetzt nicht mehr. Dann wollte ich „1975“ nehmen, aber das ist wieder ein Titel von Tilman Rossmy. Ich glaube, jetzt nehme ich „1984“.  „1985“ würde besser passen, aber das hat Anthony Burgess schon geschrieben.

Ich weiß, dass die Angestellten von der BBPS über sowas nur lachen. Manche Leute verdienen ihr Geld echt leicht.



FAUSER KLAGEN FURT

Sehr zum Nachlesen empfohlen die Rede von Michael Köhlmeier zur Eröffnung des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, mit Jörg Fauser in der Hauptrolle:

http://bachmannpreis.eu/de/information/4253

Zu korrigieren ist das Gerücht über den Tod Fausers, das ein Mann Köhlmeier erzählte. Es ist komplett irre absurd, andererseits könnte niemand das Gegenteil beweisen. Bei unseren Recherchen zu Christoph Rüters Film über Fauser hatten wir uns auch um Gerüchte aus dieser Richtung gekümmert, aber nicht den geringsten Anhaltspunkt gefunden. (Es sei denn, man hätte die Tatsache, dass der Fahrer des Lastwagens inzwischen verstorben war, dafür hernehmen wollen….)

Im Gegenteil: es war z.B. gerade Dagobert Lindlau, der als langjähriger Reporter auf organisierte Kriminalität u.ä. spezialisiert war und zuletzt mit Fauser an etwas zusammen gearbeitet hatte, der genau diese Vermutungen am entschiedensten zurückwies und einige der Gerüchte aus persönlichem Erleben widerlegen konnte.



EINE ZIEMLICH INTERESSANTE

Meldung erreicht uns von österreichischen Kollegen und natürlich geht es um den Bachmann-Wettbewerb. Wie jedes Jahr werden wir Literaturafficionados miterleben dürfen, wo die wahren literarischen Hämmer hängen, selbst wenn, wie meistens, das darf man kritisch anmerken, kein Goetz oder Wawerzinek dabei sein wird.

Die diesjährige Hauptmeldung also (nachzulesen in Profil) fordert dann aber doch mal unsere ganze Aufmerksamkeit:

<Und die Literatur hat es ausnahmsweise ganzflächig auf die Titelseiten regionaler Zeitungen geschafft: „Rettet den Bachmannpreis“, forderte die „Kleine Zeitung“ vor wenigen Tagen. Die Veranstaltung selbst, die am Mittwoch dieser Woche mit einer von Michael Köhlmeier gehaltenen Rede eröffnet wird, steht unter keinem guten Stern (…) In Köhlmeiers Eröffnungsstatement wird die aktuelle Causa keine große Rolle spielen: „Meine Rede wird sich um den Schriftsteller Jörg Fauser drehen, den ich vor 30 Jahren in Klagenfurt kennengelernt habe“, kündigt der Autor an: „Es ist mir viel wichtiger, über Fauser zu sprechen als über Wrabetz (der sog. ORF-General, A.d.V.). Nichts, gar nichts kann mich davon abhalten, eine Hommage auf Fauser zu halten.“>

Komplett hier: http://www.profil.at/articles/1326/560/361173/orf-kritik-kulturszene-wrabetz

Jörg Fauser (1944-1987) hatte 1984 beim Klagenfurt-Rennen seine Erzählung „Geh nicht allein durch die Kasbah“ vorgelesen und war von den Juroren Reich-Ranicki und Jens – (das wurde aber auch wirklich in allen Nachrufen respektvoll kritisch erwähnt, dass der Mann ein paar kleine Kenntnislücken im Unterm-angeblich-höööchstkulturellen-Literaturbereich hatte) – auf eine Art niedergemacht worden, die jungen Autor/en/innen zeigen sollte, dass man den ganzen Scheiß nicht so toternst nehmen sollte. Ist die eine Seite so grotesk wie entlarvend (oder auch desillusionierend, würden sensible Gemütter wohl meinen), so ist Fauser sensationell gelangweilt bei der Beurteilung. Gibt keinen deutschen Autor, der ein schöneres „Fuck off“ in die Literaturbetriebskameras gegeben hätte.

 Trikont CD

Das kann man sich im Netz ansehn oder auf der DVD, die dem Band „Mann und Maus/Gesammelte Erzählungen II“ beiliegt (Gesamtausgabe Band 6, Berlin 2006).



TRIFF MICH IN

der Leichenhalle“ (hätte Ross Macdonald gesagt) oder hier auf neuen Videos:

1. Beim Vortrag von „Tango & Benzin“:

2. Aus Ry Cooders „In den Straßen von Los Angeles“:

 



SCHULD UND SURFBRETT

Nicht ganz unpassend vielleicht zu den derzeitigen Außenbedingungen eine Buchbesprechung, die – mit dem Untertitel „Schmuddelkram wie Dostojewski: Don Winslows „Pacific Private“ – am 11.6.2009 in der jungen Welt erschien:

SCHULD UND SURFBRETT

Kürzlich durfte ich im Feuilletonbusineß mal wieder einen schönen Moment erleben. Ich wollte einer nicht ganz kleinen Tageszeitung einen Beitrag über einen Kriminalroman verticken und fragte eine Redakteurin, wem ich die Sache verklickern sollte. Die Frage war nicht so blöd, wie ich im selben Moment gedacht hatte. Ihre Antwort: »Unseren Literaturchef brauchst du nicht fragen, für den sind Krimis keine Literatur, sondern generell Schundkram«. Ich schwöre, das war vor ein paar Wochen.
Wahrscheinlich ist dieser Meister jetzt auf der Suche nach einem Essay zur Frage, warum nun auch (oder dennoch) bei Suhrkamp eine Krimireihe gestartet wurde – (ich würde so anfangen:»Schon Samuel Beckett hatte keine Lust mehr, jeden Krimi in die Schmuddelecke zu werfen, gegen die er sowieso nichts hatte«, und dann einschlafen) –, während wir uns eher fragen könnten, warum ein Suhrkamp-Krimi aussieht wie einer von Goldmann. Wenn’s interessant wäre. Oder ob die Reihe das Niveau halten wird, mit dem Don Winslow die Tür eintritt.

 
»Ich bin ein total beschissener Surfer «, erzählte der 54jährige Winslow im Interview mit Luan Gaines,»meistens falle ich runter und schwimme. Aber ich hab’s in der ein oder anderen Form mein ganzes Leben lang getan«.
Mit seinem zehnten und neuesten Roman »Pacific Private«(Originaltitel »The Dawn Patrol«) stürzte er sich voll auf seinen Sport und erfand die kalifornische Surflegende Boone Daniels, ein ehemaliger Polizist, der als Privatdetektiv nur so viel arbeitet wie nötig, um sein Surferleben zu finanzieren. Auch die anderen fünf vom Surfer-Elitetrupp Dawn Patrol, die sich jeden frühen Morgen am Strand treffen, pflegen diesen lässigen Lebensstil mehr oder weniger; Johnny Banzai, Kommissar bei der San-Diego- Mordkommission, eher weniger; und Sunny Day, die Frau in der Bande und deren sportliche Nummer eins, will den Sprung in die Profiliga schaffen, was mit Lässigkeit bekanntlich wenig zu tun hat. Das Surfen und dieser berühmte Küstenstreifen sind nicht Kulisse in Winslows Krimi, sondern sein Herzstück. Ein Buch im Buch, mit Begriffs-und wellentechnischen Erklärungen und Philosophie und sozialpolitischer Geschichte. So leidenschaftlich, rasant und stilvoll geschrieben und bestens mit dem Kriminalfall verwoben, daß ich bald, obwohl am Surfkram schon immer nur nachlässig interessiert, ins große Netz ging, um mal wieder Musik von Dick Dale oder Duane Eddy zu hören, aber auch die »Bikini Girls with Machine Guns« der unsterblichen Cramps. Hätte ich je geglaubt, daß Surfer mehr im Kopf haben können als »Sea, Sex and Sun« (Serge Gainsbourg)? Privatdetektiv Boone hat keinen Fernseher und liest abends harten Schmuddelkram wie zum Beispiel Dostojewski; was er den jüngeren Kriegern der Dawn Patrol dann doch nicht auf die Nase binden will.


Ihre »Unterhaltung dreht sich an diesem Morgen um die große Wellenfront, eine Brandung, wie sie nur einmal alle zwanzig Jahre vorkommt, die jetzt wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug auf die Küste von San Diego zuwalzt. In zwei Tagen soll es soweit sein, sie wird grauen Winterhimmel mitbringen, etwas Regen und die größten Wellen, die sie je gesehen haben. Wie Hang Twelve meinte, wird das ein›klassischer Fall von hammerhart‹« und»vielleicht würden sie sogar sieben Meter hohe Peaks zu sehen bekommen, zwei pro Minute. Double Overheads, Tubes wie Tunnel, echte Donnerbrecher, die einen problemlos mitreißen und in den Waschgang spülen«.
Die heranrollende Naturgewalt verbindet sich mit den übelsten Verbrechen, die auf diese recht friedlichen Leben runterkrachen, als hätten die Götter gesagt, diesen netten Supersurfern an der kalifornischen Postkartenküste, denen zeigen wir’s jetzt mal, und den Ehrenkodex, auf den sie sich so viel einbilden, ballern wir ab. Eine »verdammt« schöne und taffe Anwältin, für die der extrem surfende Lebensstil nur eine alberne Weigerung ist, erwachsen zu werden, treibt den »Private Dick« erbarmungslos an die Arbeit. Eine Frau wurde ermordet. Der Fall hinter dem Fall wird immer größer und fieser. Dann gehen die Blutspuren bis in Boones Freundschaften rein.

 
»Ich mag die beautiful People nicht«, erklärte Winslow in der San Diego Union-Tribune, »ich finde sie wirklich langweilig, und es wird zuviel über sie geschrieben– zu viele Filme und zuviel TV.« Er schreibt lieber über Arbeiter und Underdogs und »über Leute, die kämpfen müssen«. Über diese und jene schreibt er großartig, und nicht nur seine witzigen Dialoge, sondern auch seine Beschreibungen von Elend sind überwältigend. Zur Zeit arbeitet Winslow auf seiner 40 Meilen vom Meer entfernten Farm am zweiten Teil der Boone-Serie. Wenn der bei Suhrkamp erscheint, könnte er mit dem für September angekündigten Thriller »The Winter of Frankie Machine« den Durchbruch in Deutschland (der mit den in den 90ern bei Piper veröffentlichten Titel nicht gelingen wollte) geschafft haben. Weil der Film kommt. Mit De Niro als Frankie Machine. Regie: Michael Mann. Viel mehr geht doch nicht. In der Abteilung für Schund und ,Sühne. Wo Don Winslow so oft mit einem Sexschreiber gleichen Namens verwechselt wird oder die Frage gestellt bekommt, ob er auch dieses Genre bediene, daß er inzwischen »jeden öffentlichen Auftritt« (John Wilkens) mit dem Hinweis beginnt, nicht dieser Typ zu sein,»ich habe ›Die Sklavenmädchen von Rom‹nicht geschrieben. Ich schwör’s«. Aber kann man denn einem surfenden Krimischreiber, der angeblich selbst mal Privatermittler war, irgendwas glauben?

Don Winslow: Pacific Private. Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/Main 2009, 396 Seiten, 9,95 Euro * Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch


BUCH DES JAHRES

möglicherweise. Obwohl es nicht neu ist. Aber erstmals auf deutsch. Hier der Trailer zu The Brave von Gregory McDonald:

http://www.youtube.com/watch?v=npB_Xm4NN1k

Es war auch die erste Regiearbeit von Johnny Depp, so großartig wie erfolglos, mit einem sensationellen, späten Marlon Brando. Hier ein Trailer dazu aus Italien (!):

http://www.youtube.com/watch?v=t2J1tGldkpI&list=PL0E8EEA1D5297B98B

Das Buch bestellen Sie hier ohne Versandkosten:

http://www.songdog.at/77.html



KINKY FRIEDMAN

eröffnete am 2. Mai in Mainz das Festival „Hip im Exil II – Facetten des Judentums“ mit einer großartigen Show. Ich hatte das in der tageszeitung angekündigt – dabei ist mir ein Fehler unterlaufen:

Ich verbreitete die Meldung weiter, Kinky Friedman habe den Republikaner Rick Perry, den er früher mindestens so beschimpfte wie Ali damals Joe Frazier, bei seinem Versuch Präsidentschaftskandidat zu werden, dann tatsächlich unterstützt. Beim Interview vor dem Konzert dementierte der Texaner: diese Meldung sei nichts als Internet-Quatsch, er habe Perry nie unterstützt. „Ich hasse ihn nicht, he´s a likeable guy, I like him, aber unterstützen? Niemals.“

Er nahm die Falschmeldung nicht krumm, aber ich hätte mich sowieso entschuldigt. Was er bestätigte, war dieses Zitat: „Ich würde einen Präsidenten Charlie Sheen Obama vorziehen.“

Hier der Artikel: http://www.taz.de/!115428/

Hier das Programm des großen Festivals: http://www.juedisches-kulturfestival.de/

 Passende Lektüre

Ventil Verlag: Engelmann / Frühauf / Nell / Waldmann (Hg.): We are ugly but we have the music Eine ungewöhnliche Spurensuche in Sachen jüdischer Erfahrung und Subkultur

 P.L.

Der letzte 17. Band der Kriminalserie um den jüdischen „Ermittler“ (Cowboy) Kinky Friedman und einige Vorläufer bei Edition Tiamat.



LUTZ SCHULENBURG R.I.P.

Am 1. Mai starb, kurz nach seinem 60. Geburtstag, Lutz Schulenburg, Mitbegründer- und Verleger der Edition Nautilus und Herausgeber des Magazins Die Aktion. Ich will mir nicht vorstellen, wo ich heute ohne Lutz wäre. Der mich als Anfänger und Buchautor zehn Jahre unterstützt hat, nicht nur, was meine eigenen Arbeiten betraf, sondern auch die geistige Rückendeckung, z.B. das Gesamtwerk von Franz Jung … das gesamte Umfeld mit Sean McGuffin, Wiglaf Droste, Robert Brack oder Ingvar Ambjörnsen, das die Edition Nautilus zu bieten hatte, die er zusammen mit Hanna Mittelstädt zu einem der wichtigsten linken Verlage gemacht hatte, in dem Politik und Literatur gleich behandelt, angesehen wurden. Als ich 1986 zum ersten Mal einen Stapel Papier beschrieben hatte, von dem ich dachte, er könnte auch in Buchform erscheinen, machte ich mir eine Liste mit meinen Wunschverlagen. Meine Nr.1 war Edition Nautilus, zwei Jahre später erschien dort „Falschspieler“. Lutz empfing den Nobody beim ersten Besuch in Hamburg mit umwerfender Herzlichkeit und gab ihm das Gefühl, das könnte alles schon was werden. In einigen Momenten, in denen ich aufgeben wollte, „Tollwut“ hätte ich ohne einige Briefe von ihm nicht geschafft, wusch er mir den Kopf und gab mir ´nen Tritt. Jedoch niemals, ohne ein Problem auf die leichte Schulter zu nehmen. Und man musste auch nicht immer jeden Scheiß bis zum Letzten ausdiskutieren … Falls aus dem, was hätte werden können, tatsächlich was wurde, dann hatte er sehr großen Anteil daran. Fuck this shit, damn the rest. Wahrscheinlich habe ich das auch bei ihm gelernt, dass man manchmal hilflose Sätze, die man nicht ausstehen kann, stehen lassen muss, um den nächsten Schritt machen zu können … — …

Ein ausführlicher Nachruf von Tobias Gohlis: http://culturmag.de/litmag/lutz-schulenburg-ist-tot/70264