Literatur

IT’S A HARDCORE NIGHT

ist der Titel des neuen monatlichen Treffpunkts der von Markus Nägele geleiteten Abteilung Hardcore des Heyne-Verlags und die Nr.1 findet am 16.10. ab 20h in München im Unter Deck statt. Mit Philipp Braddatsch von den Dinosaur Truckers. Ich wurde eingeladen, aus vier meiner Hardcore-Favoriten zu lesen.

Meine Auswahl: Simon Felice „Black Jesus“, David Pfeifer „Schlag weiter, Herz“, James Lee Burke „Regengötter“ (erscheint am 20.10.) und als spezielles Gift lese ich aus Jim Thompsons Roman „Fürchte den Donner“, den ich zur Zeit übersetze.

Fan von Heyne Hardcore war ich von Anfang an; was wenig damit zu tun hat, dass meine Cash-Biographie bei Heyne im Taschenbuch ist; und das war ich schon, als dann die deutsche (von mir übersetzte) TB-Ausgabe der Erzählungen von Ry Cooder dort erschien, genauer gesagt, wäre das ganze Ding, mit der Paperback-Originalausgabe bei Edition Tiamat, ohne die H’Hardcore-Beteiligung nicht gelaufen…

Kurzum, „Don Marco“ Nägele macht eben seit vielen Jahren eine Verlagsarbeit, mit der hier nicht viele mithalten können. Als Beweis genügt schon, dass jetzt seit langem erstmals wieder eine deutsche Ausgabe von einem der Größten rauskommt: James Lee Burke. Damit fängt sein Roman Rain Gods an: Matthäus 10:1-7. Man muss an nichts glauben, um den guten Rat anzunehmen, dass man´s gelesen haben sollte, ehe einen der Teufel holt.



SCHREIBEN IST KAMPFSPORT

und vom Rest kann man eine ganze Menge vergessen. Zwei neue Bücher an der Schnittstelle Literatur-Reportage-Sport-Autobiographie: von Andreas Niedermann und Bill Cardoso. Mit Verbindungen, obwohl Jahre und Meere dazwischen liegen: Boxen. Mit Politik und Gesellschaft als Sparringspartner. Beide Bücher schlank, 100 Seiten. Großartig geschrieben – Niedermann eher lakonisch, Cardoso exzessiv und buchstäblich

Edition TiamatVon Viktor zu HartmannSongdog Verlag

(selbst und den Stoff) durchdrehend. Beide – als würde es die Thematik erfordern oder dazu führen – mit einer brillianten Schlusssequenz, in der alles Vorherige nochmal aufblitzt und die hochgeht wie eine Leuchtrakete. – Davon abgesehen haben beide einen speziellen Platz bei mir: den Rummel habe ich übersetzt, die Hanteln sind von meinem langjährigen Freund und geschätzten Kollegen. Wer glaubt, schreiben zu müssen, sollte sich daran orientieren, und wer glaubt, schreiben zu können, sollte sich daran orientieren. 



DER LAUFENDE MOTOR

Im Sommer ist es mir immer am langweiligsten. Das ist schon komisch, weil es bei den meisten Leuten genau andersrum ist. Aber ich bin auch bei vielen anderen Sachen genau andersrum. Wahrscheinlich kommt das von der Sonne. Ich renne durch die Gegend und suche mir immer was zu tun. Zum Beispiel mache ich Berge von Geschirr sauber, und wenn keiner mehr da ist, besorge ich mir sofort den nächsten. Vielleicht habe ich einen Sprung in der Schüssel, aber dann habe ich damit immerhin Spaß.

Ich habe mich gerade vollkommen leergeschrieben, wie wir das in der Fachsprache nennen, aber was tue ich dann, und auch noch in der sogenannten Ferienzeit? Ich fange sofort das nächste an. Und es ist kein kleines Gedicht über Geschirrberge, das es zweifellos wert wäre, aufgeschrieben zu werden, denn wer von den Lyrikern schreibt denn heute noch über Geschirrberge – nein, es sieht mir verdammt nach dem Beginn von 584 Seiten aus. Das ist kein Wunder, weil es seit einiger Zeit geradezu Pflicht für jeden ist, der in dieser Branche irgendwo geparkt hat, aus jedem noch so kleinen Einfall einen Ziegel zu machen, mit dem man sein Kind erschlagen kann, wenn es wieder einmal beim Dichten stört. Diese Pflicht ist die, die mir zuerst an meinem tätowierten rechten Oberarm vorbeigeht; mein Problem ist, dass ich allzu leicht außer Kontrolle gerate, wenn die Pflicht mal wieder ruft. Dann geht´s also dahin, obwohl ich ja leergeschrieben bin.

Die ersten Zeilen habe ich gleich, wie es oft meine Art ist, aus der Zeitung genommen, ohne allzuviel zu verändern. Ich finde das in Ordnung, denn wenn man einen guten Satz liest, ist es egal, woher der kommt. Geht so: „Die Ministerin verließ die Kabinettsitzung in Berlin am Dienstag durch die Hintertür. Dort wartete bereits ein Auto mit laufendem Motor.“ signet_getawayc dontry.fi

Dann habe ich sofort meinen Anwalt angerufen. Das macht man heute so, das lernen sie heute schon am ersten Tag in der Dichtungsschule. Nur ein Dummkopf schreibt 584 Seiten voll und geht dann damit zu seinem Anwalt. Hat aber auch Nachteile. Mein Anwalt hat gesagt, ich hätte mehr als nur einen Sprung in der Schüssel, wenn meine Hauptperson Christa Haderthaler heißen soll. Dann habe ich zu ihm gesagt: „Okeh, dann mit K und ohne h hinter dem t.“ Dann hat er gelacht und gesagt: „Und was passiert mit ihr?“ Dann ich: „Wahrscheinlich weniger schlimme Sachen als in meinem letzten Buch.“ Dann er: „In aller Freundschaft, streich die Hälfte von dem Zeug schon jetzt.“

Soviel zu Anwälten.



SALUT AUF LUDWIG LUGMEIER

Mein geschätzter Kollege und Freund ist seit heute 65. Einige Autoren haben mehr veröffentlicht, einige hatten mehr Erfolg. Aber nur wenige haben so Gutes geschrieben, und nur wenige so gut. Vom Stoff, der aus dem Leben kommt, mal gar nicht gesprochen. Wer nicht weiß, wovon ich spreche, hat z.B. mit den Hauptwerken eine gute Zeit vor sich:

  Und ohne Abb.: Wo der Hund begraben ist. Roman

Vor einigen Jahren habe ich das Gedicht GEFÄHRLICHES LEBEN geschrieben: Als das Glück eines Tages auf meiner Seite war lernte ich den Schriftsteller Ludwig Lugmeier Herkunft Kochel am See bei Penzberg wo der Hund begraben ist heute wohnhaft woanders kennen und wusste aber nur grob dass er auch einmal ein erfolgreicher Dieb gewesen war. Nach ein paar Bier traute ich mich die Frage endlich zu stellen. Wie kommts eigentlich dass du zwölf Jahre und ein halbes so gut überstanden hast? Er zuckte nur mit den Schultern. Ich hätte mich am liebsten so eine blöde Frage so saudumm. Später hat er in einem Interview was gesagt das mir sehr gut gefallen hat dass es genauso gefährlich ist einen Roman zu schreiben wie einen Millionenraub durchzuführen. Ich kann das nicht beurteilen. Aber das klingt so gut das muss die Wahrheit sein.



JÖRG FAUSER 70

SONNTAGMORGEN, WENN DIE ERDE UNTERGEHT. WIR HIELTEN UNS FEST.

Jörg Fauser 16. Juli 1944 – 17. Juli 1987

 c Christian Lyra/Trikont

Hier zur Drecksack-Sondernummer aus diesem Anlass, zusammengestellt von Matthias Penzel, Co-Autor der Fauser-Biografie „Rebell im Cola-Hinterland“ (Edition Tiamat); auf der Seite unten ein Link zum 13´-Rest des Filmprojekts „Lazarus Go Home“ mit J.F., mit einem Kommentar von Regisseur Theos Romvos (auf dessen Seite ein Link zur kompletten Aufnahme der C-90 Cassette „Road to Morocco“ von/mit Fauser/Romvos, 1973): http://www.edition-luekk-noesens.de/drecksack/aktuelle-ausgabe/

Artikel zum 70. von Ambros Waibel, Co-Autor der Biografie: http://www.taz.de/70-Geburtstag-des-Autors-Joerg-Fauser/!142462/

Artikel zum 70. von Katja Kullmann: https://www.freitag.de/autoren/katja-kullmann/alles-gute-macker



WILLIAM S. BURROUGHS 100

Hier eine Würdigung von Special Agent Florian Vetsch:

http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/literatur-und-kunst/den-boesen-geist-in-worte-bannen-1.1823332

Veranstaltungen für unsere Hörer im Bodenseeraum: http://www.palace.sg/

WEITERE REISEANGEBOTE

  1  Titelbild klein2  3

1: Alle Ausgaben online: http://gasolinconnection.com/tag/gasolin-23/ 2: Maro Verlag 3: Vgl. auch Jürgen Ploogs Sammlung mit Burroughs-Essays Straßen des Zufalls



DAS EX-MODEL IM KRIEG

hat unsere Mode-Redakteurin nur deshalb als Titel gewählt, weil sie ihn so todchick findet. Dennoch nicht unpassend: Lee Miller war Model, Fotografin, dann Kriegsreporterin für die Vogue an vorderster Front 1944/45  und berichtete so unglaublich prä-Hunter-Thompson-scharf und aus einzigartigem Blickwinkel, dass man´s liest, als hätte man nie was darüber gelesen. Ihr absolut unversöhnlicher Hass auf „die Hunnen“ feuert

 Edition Tiamat, 272 S., ca. 100 s/w-Fotos

dermaßen stark aus dem Buch, dass man als Hunne auch heute noch schamrot in Deckung geht und weiß, dass das alles nicht so vorbei ist wie´s die guten Deutschen gern hätten, die heute nicht mehr Hunnen genannt werden mögen. Irres Foto eines Kollegen: „Lee Miller in Hitlers Badewanne“, kurz nachdem sie bei der Befreiung des KZ-Dachau dabei war.

3 Seiten in der taz von Michael Sontheimer: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=tz&dig=2013%2F12%2F07%2Fa0038&cHash=809061c93dfad538a513950a1c3c9fdc



SUPERBASTARD EXTRA LOVE CHILD

Sie können Ihr Pferd vergessen oder den Fußball – aber dieses junge Literaturmagazin müssen Sie beachten. Hier die Mitteilung von Hrsg. Benedikt Maria Kramer: „Was ursprünglich eine kleine Sondernummer werden sollte, hat sich in den letzten Wochen zu einem rund 90 Seiten dicken superbastard-extra entwickelt. Das liegt nicht daran, dass wir alles drucken, sondern an den vielen verdammt guten Texten, Gedichten und Fotografien, die unsere Redaktion erreichten. “

*LOVE CHILD* – superbastard extra #1 
88 Seiten, € 9,95 (zzgl. Porto und Versand)
Unter den Autoren finden sich einige altbekannte Bastarde wie Florian Günther, Jerk Götterwind, Michi Sailer, Andreas Niedermann, Urs Böke und Ni Gudix, aber auch Bastard-Babys wie Christin Zenker, Marvin Chlada, Constanze Ramsperger, Marcus Mohr, Susann Klossek und Marc MroskDazu zwei exklusive Übersetzungen: Metta Victor (Aus dem Amerikanischen von Ni Gudix) und Ingvar Ambjørnsen (Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs).
Stargast ist diesmal Georg BüchnerAußerdem Fotografien von Deborah Parkin, Jacqueline Roberts, Florian Waadt und Florian GüntherFür Liebhaber anspruchsvoller Underground-Literatur das Weihnachtsgeschenk unterm Christbaum!
BESTELLEN SIE HIER:
Superbastard: http://www.superbastard.de ODER Songdog: http://songdog.at 


DIE AKTION / FINALE NR. 220

Die Ordnung des Profanen

hat sich aufzurichten an der Idee des Glücks / Zum Gedenken an Lutz Schulenburg

Die Aktion Nr. 220 - Die Ordnung des ProfanenEdition Nautilus, 128 S., 10.- Hrsg. von Hanna Mittelstädt

Nach dem gänzlich unerwarteten Tod des Herausgebers dieser Zeitschrift, die seit 1981 erschienen ist, veröffentlichen wir zum Gedenken an Lutz Schulenburg eine letzte Ausgabe mit Nachrufen und Würdigungen dieses unbeugsamen Verlegers und Freundes.

Mit Beiträgen von: Manfred Ach, Ingvar Ambjørnsen, Uli Becker, Wolfgang Bortlik, Robert Brack, Uta Brandes und Michael Erlhoff, Manfred Chobot, Martin Dieckmann, Franz Dobler, KP Flügel, Pierre Gallissaires, Tobias Gohlis, Annett Gröschner, Gerald Grüneklee, Egon Günther, Frank Horstmann, Peter Laudenbach, Andreas Löhrer, Sieglinde und Fritz Mierau, Hanna Mittelstädt, Rainer Nitsche, Karen Nölle, Roberto Orth, Jürgen Otte, Sabine Peters, Katharina Picandet, Thorwald Proll, Jorinde Reznikoff, Horst Rosenberger, Karl Heinz Roth, Jochen Schimmang, Jürgen Schneider, Hans Schulz, Corinna T. Sievers, Konrad Singer, Hajo Steinert, Ulf Tralau, Christoph Twickel, Matthias Wittekindt, Herbert Woyke



ICH DACHTE JETZT DIE TAGE

also bei den Nachrufen auf den bedeutenden Mann fehlen ja schon immer ein paar Details, gerade dort, wo in Sachen Kritik nur die üblichen Klischees verbraten wurden. An ein sehr gutes Detail konnte ich mich erinnern und habe es gefunden, in einem Buch des großartigen Gerhard Henschel: Beim Zwiebeln des Häuters / Glossen und Verrisse 1992-2012 (Edition Tiamat). Am Ende eines kurzen Beitrags für Titanic mit dem Titel „Reich-Ranicki und Kraus revisited“ bringt Henschel ein Reich-Ranicki-Zitat, mit dem eine echte Kritik, die von Ignoranz und Unkenntnis handeln würde, schon perfekt skizziert ist:

„Das viertletzte Wort hat Marcel Reich-Ranicki: <Der letzte große humoristische Roman in deutscher Sprache war, wenn ich mich nicht irre, Der Erwählte von Thomas Mann.> Irrtum. Setzen. Sechs.“

Henschels gesammelte Kritiken: von kurz und heftig bis ausführlich und geradezu hypergenau. Seine bevorzugte Methode ist die beste: zitieren und Zitate unter die Lupe nehmen, bis der Quatsch runtertrieft. Seine „Opfer“ sind nicht nur leichte Beute (Grass, Käßmann), sondern auch Champions: allein schon seine Parodie auf Brechts Keuner-Geschichten kann mit den größten humoristischen Romanen seit Thomas Mann mithalten. Auch ein Zeitspiegel: Vom brüllend komischen „Telefonat“ mit dem 100-jährigen Ernst Jünger bis zum neusten Kracht.

Wer sich am Wahltag ins Bett legt und nichts anderes tut als diese 240 Seiten zu lesen, wird den Tag nicht sinnvoller verbracht haben können.

Nachtrag1: Wer sich jetzt an die Arbeit macht, diesen Essay – wie sollte man es sonst nennen? – zu schreiben, bekommt von mir noch diese Unterstützung: „Ich ging langsam nach hinten. Als ich nahe genug ran war, konnte ich sehen, was er las. Thomas Mann. Der Zauberberg. – <Der hier hat ein Problem>, sagte er und hielt das Buch hoch. <Und zwar?> – <Er hält Langeweile für Kunst.>“ War Bukowskis Kommentar zum letzten Pulp-Roman in deutscher Sprache (Ausgeträumt, S.14).

Nachtrag2: Marcel Reich-Ranicki über Jörg Fauser, Klagenfurt 1984: http://www.youtube.com/watch?v=Dov06nMeiCU