Literatur

MR. PPP

ein bisschen von den Toten aufgestanden mit 4 Minuten unveröffentlichten Antworten für Agnès Varda, 1967: „A 16 mm film recovered from the French director’s boxes, with images of Varda, Pasolini and New York. Pasolini is shown walking in the Big Apple (where he went to present ‘Hawks and Sparrows’).

https://www.youtube.com/watch?v=PZ_SB_bJWmo



EINE VOLLE BREITSEITE

Nachruf von Edition-Tiamat-Verleger Klaus Bittermann: „Martin Walser und die Adelung des Ressentiments gegen die Juden: Der Sarrazin der Literatur – Hölzerne Sätze, große Wirkungen. Wie der Schriftsteller Martin Walser die Deutschen dazu ermunterte, sich zum Wegschauen zu bekennen.“

https://jungle.world/artikel/2023/31/der-sarrazin-der-literatur



ES WAR BERUHIGEND

oder eine Art Bestätigung, als ich nach der katastrophalen, alle Brandmauern zum rechtsradikalen Rand einreißenden Rede Martin Walsers 1998 sagen konnte, dass mir auch sein literarisches Schreiben noch nie etwas gegeben hat. Einige Bücher hatte ich angefangen, weil ich wissen wollte, wie einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller schreibt, aber es ging immer nur paar Seiten. Es war in jeder Hinsicht gegen alles, was ich je wollte. Und es hatte mir auch nie wenigstens irgendwas Interessantes zu bieten. Die große „Leistung“ des Autors, die in den Feuilletons weitgehend kleingeredet oder ignoriert wird, hat Kollege Leo Fischer nochmal zusammengefasst:

„Es würde mich nicht wundern, wenn die AfD morgen auf ihrem Parteitag eine Gedenkminute für Martin Walser einlegt. Sie könnte damit eine „Leistung“ Walsers würdigen, die in etlichen Feuilleton-Nachrufen wohl verschwiegen werden dürfte: Schließlich verdankt die AfD ihm die Erfindung der „Auschwitzkeule“, die angeblich ständig gegen Deutschland und die Deutschen eingesetzt wird. Walsers Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 war der entscheidende Dammbruch, der den Siegeszug rechtspopulistischer Rhetorik in die Mitte der Gesellschaft ermöglicht hat. Martin Walser ist dafür verantwortlich, die Grenze des öffentlich Sagbaren massiv nach rechts verschoben und die „Schlussstrichdebatte“ gesellschaftsfähig gemacht zu haben. Von Walser, der das geplante Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als „einen fußballfeldgroßen Alptraum“ und „die Monumentalisierung unserer Schande“ bezeichnete, führt die direkte Spur eingebildeten Opfertums und larmoyanter Laberei zu den Hetzreden des Faschisten Björn Höcke. Und Walsers Rede war kein Betriebsunfall: Matthias Lorenz hat 2005 in seiner Dissertation über die Judendarstellung und den Auschwitzdiskurs bei Martin Walser eindrucksvoll belegt, dass Walsers gesamtes Werk vor antisemitischen Stereotypen nur so strotzt, während seine Einfühlsamkeit den deutschen Tätern gilt. Walsers Rede war genau das, als was der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, sie bezeichnet hat: geistige Brandstiftung.“



GERMAN UNDERGROUND CUTUP/BEAT POETRY

Zwei Veranstaltung, die man als very special feiern muss: In Memoriam Jürgen Ploog und zum 80. von Jörg Burkhard. Beider Werke im Verlag Peter Engstler, außerdem Ploog im Verlag Molokoplusrekords.de (Bücher/CDs) u.a. und Burkhard bei Das Wunderhorn u.a. (die folgende Schreibweise versal/normal entzieht sich der Kontrolle d. Verfassers):

BONN/BUCHHANDLUNG BÖTTGER 19.05.2023, 21 Uhr Film: Cut-Up Connection. Die Algebra des Überlebens. R: Daniel Guthmann/Raoul Erdmann, D: 1997, mit Jürgen Ploog, William S. Burroughs, Carl Weissner, Wolf Wondratschek, Jörg Fauser, Harry Hass u.a. Filmvorführung  mit einer Einführung von Daniel Guthmann
Jürgen Ploog (1935 – 2020) war – neben dem früh verstorbenen Rolf Dieter Brinkmann – der wichtigste deutschsprachige Schriftsteller, dessen Werke in der Nachfolge von William S. Burroughs stehen und gehört zu den deutschen Beat-Autoren der ersten Stunde. Schon in den frühen 60er Jahren begann Jürgen Ploog mit der von Burroughs geprägten literarischen Methode des Cut-Up zu experimentieren und veröffentlichte mit „Cola Hinterland“ im Jahr 1969 im Melzer-Verlag in Frankfurt den ersten deutschen Cut-Up Roman.

BERLIN/ZfZ, Hufelandstrasse 35, 25. MAI 2023 20:30 GREUDE FRÖNER SCHÖTTER GUNKEN – dem Schriftsteller Jörg Burkhard zum Achtzigsten – „Burkhards Niederfrequenzsalat würdigen: Tone Avenstroup, Egon Günther, Florian Neuner, Bert Papenfuß, Emily Philippi, Kai Pohl, Thorwald Proll & Jürgen Schneider.“

Neu von Jörg Burkhard: ex & hopp – kolumnen für die flaschenpost, Verlag Das Wunderhorn („Eine Hommage an unseren im Mai 2023 80 Jahre alt werdenden Autor Jörg Burkhard, mit dessen Gedichtband In Gauguins alten Basketballschuhen 1978 unser Verlag begann. Jörg Burkhard wuchs in Heidelberg auf. Er arbeitete in verschiedenen Berufen und hatte bis 1984 eine eigene linke Buchhandlung in der Altstadt von Heidelberg (wo er u.a. Charles Bukowski eingeladen hat). Ab 1962 veröffentlichte er Texte, die sich immer schon weniger im Konventionellen als sehr Experimentellen bewegen. Seit einigen Jahren verlegt er sich zunehmend von geschriebener auf akustische Literatur, die stark durch das unmittelbare Erleben wirkt.“

 

 



IN MEMORIAM WIGLAF DROSTE

„Es gibt wenig Abstoßenderes als die Vorstellung einer ‚Wiedervereinigung‘: noch mehr Deutsche, und alle auf einem Haufen.“ (Den Satz schrieb der heute [15.5.] vor vier Jahren verstorbene Wiglaf Droste im August 1989 in einem Text anlässlich des 28-jährigen Bestehens der sogenannten Mauer. Der Text trägt den Titel „Hoch die Mauer!“) * (habe ich so von Kollege Thomas Blum übernommen)

Für den Droste-(&Freunde)-Reader Chaos, Glück und Höllenfahrten (Edition Tiamat) habe ich den Besinnungsaufsatz „Wege zum Ruhm“ geschrieben, mit den Benno-Ohnesorg-Theater-Theaterintendanten Wiglaf Droste & Michael Stein (1952-2007, siehe Ich bin ein Buddhist und Sie sind eine Illusion, Edition Tiamat) in den Hauptrollen:

https://www.franzdobler.de/2021/06/27/60-jahre-wiglaf-droste/

Neu bei Edition Tiamat, hrsg. von Klaus Bittermann:

Vollbad im Gesinnungsschaum

 



PEN BERLIN IN LEIPZIG

Keine Fotobeschreibung verfügbar.



BRINKMANN * 16 APR 1940

SILVERSCREEN. Neue amerikanische Lyrik herausgegeben von Rolf Dieter Brinkmannkonnte ich wieder erwerben in Bad Vilbel für 5.- in einem dieser 2nd-Handladen, in denen man mit allem rechnen darf. Tagsüber lief ich nicht ganz zurechnungsfähig durch den Ort, weil ich durch die Nacht, sozusagen ein Silver-Screen-Opfer, bei Dreharbeiten aktiv sein musste. Liest man Brinkmanns lange Einleitung zu seiner (nach Acid veröffentlichten) Sammlung und verbindet das mit aktuellen Diskussionen zum Lyrikstandort Deutschland, darf man zur Einsicht kommen, Brinkmanns Lyrikstandort 1969 war dem Heutekram voraus. Klingt beknackt, weil so paradox, und dennoch. Das Buch beginnt mit Ted Berrigan, einem der Dichter, die Brinkmann stark gepusht hat. Insofern bestens passend, dass bei Starfruit Publications eine Ted Berrigan-Neuausgabe angekündigt ist, »DIE SONETTE« (ins Deutsche übertragen von Ulf Stolterfoht).



MÜHSAM

Erich Mühsam, geboren am 6. April 1878 in Berlin, ermordet 1934 im KZ Oranienburg. Die Berliner Kapelle Der Singende Tresen (mit den großartigen AutorInnen Manja Präkels und Markus Liske) hat viele seiner Werke großartig vertont. Hier das „Lumpenlied“:

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*hrsg. von Präkels+Liske



ALLES MUSS PLÖTZLICH ODER NICHTS

Im täglichen Kampf gegen unsaubere Sprache (bzw. Äußerungen) müssen wir naturgemäß immer nur verlieren. Und müssten aufgeben, wenn wir nicht dranbleiben müssten … Nehmen wir den bekannten Musiker, der ein Buch veröffentlicht hat und im Interview sagt: „Alles muss plötzlich politisch sein.“ Obwohl gar nichts sein muss – wer muss denn aus der Buchstabensuppe irgendwas rausholen müssen, außer das, was er selber zu müssen meinen muss.

Wenn Tocotronics Dirk von Lowtzow den Eindruck hat, man würde ihm (und anderen) nahelegen, was zu müssen, kann man nichts machen, aber man muss das auch korrigieren können. Das ist so ähnlich wie mit der berühmten gefühlten Bedrohung: am meisten von Kriminellen bedroht fühlen sich nachgewiesenermaßen die BewohnerInnen von Reihenhaussiedlungen in Kleinstädten … So geht die ganze Müssen-Stelle: „Heute habe ich hingegen den Eindruck, dass das Politische grundlegend geworden ist für die Vermarktung von Produkten. Alles muss plötzlich politisch sein. Als Künstler wird man permanent gefragt: Ist dies und jenes politisch?“ Wenn es auch noch permanent wird, muss man vielleicht die falschen Leute kennen?

Allerdings musste ich lachen, als ich die Stelle las, die dem Kollegen Thomas Blum in diesem Interview auffallen musste: „Das merkt man dem Buch glaube ich auch an, dass ich ein Jahr lang täglich damit konfrontiert war, Äpfel vom Ereignisbaum zu pflücken.“

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171978.ich-tauche-auf-dirk-von-lowtzow-alles-muss-ploetzlich-politisch-sein.html



WIGLAF DROSTE VERY SPECIAL

am Indiebookday: Edition Tiamat-Verleger Klaus Bittermann hat eine weitere großartige Sammlung von unserem allzu früh verstorbenen Freund herausgegeben, eine Anthologie mit Sprachkritik und -forschung und Attacken auf Germanistans Sprachverrottung bei zuverlässiger Unterhaltung zum Totlachen:

Vollbad im Gesinnungsschaum »Droste ist ein beneidenswerter Stilist. Und es liegt an seinem verwunderten Spott, seiner Beobachtungsgabe und dem Hang zum Absurden, weshalb das Buch anderen humoristisch gemeinten Grammatikstunden überlegen ist.« (Die Zeit)