Literatur

AUF EIN WORT, VG WORT

Wir zitieren in voller Länge die „Erklärung der Kurt Wolff Stiftung zur Lage nach dem VG Wort-Urteil und vor Beginn der Rückzahlungen“:

„Die VG Wort und die unabhängigen Verlage in der Krise

Gerade hat die Verwertungsgesellschaft Wort Rückzahlungsforderungen an die Verlage verschickt.
Diese gründen in der diesjährigen richterlichen Aufhebung des vor vielen Jahrzehnten in der VG Wort einstimmig getroffenen Beschlusses, die Geldsummen, die für die physischen und digitalen Kopien urheberrechtlich geschützer Werke von den Verwertungsgesellschaften eingezogen werden, zwischen den Autorinnen und Autoren und den Verlagen aufzuteilen.
Dieses Urteil verkennt, dass zwar die Autorinnen und Autoren ihr Werk geschaffen haben, doch auch der Verlag zumeist einen hohen Anteil daran hat, dass das Werk gelungen ist und verbreitet wird – und somit überhaupt kopiert werden kann.
In den vergangenen Jahrzehnten haben die Verlage allerdings ihre Leistung im Lektorat, im Vertrieb und bei der Promotion der Bücher leider oft dezent beschwiegen.
Zudem, das soll nicht geleugnet werden, gibt es, wie in jeder Branche, in unserem Metier einige schwarze Schafe, deren zusätzliche Leistungen für das zu verkaufende Werk nicht messbar sind und die die Autorinnen und Autoren schlicht ausbeuten.
Diese beiden Umstände erlauben es, in interessierten Kreisen das Gerücht zu streuen, Verlage seien insgesamt überflüssig. Die interessierten Kreise schafften es, die Autorinnen und Autoren und die Verlage auseinanderzudividieren, die einen als naive Opfer, die anderen als durchtriebene Täter hinzustellen.
Für die von der Kurt Wolff Stiftung vertretenen Verlage können wir ohne Zögern sagen, dass dies nicht stimmt. Vielmehr versuchen diese Verlage fair zu den Autorinnen und Autoren zu sein, ebenso, wie sie fair auf den Buchhandel zugehen und im Umgang mit anderen Verlagen große Kollegialität zeigen.
Sie sind Enthusiasten, die, wenn sie ein wenig Geld übrig haben, dieses lieber in ein Projekt investieren, als es auf die hohe Kante zu legen. Ökonomen mögen dieses Verhalten belächeln. Der Vielfalt der Kultur hat es dagegen keinesfalls geschadet.
Nicht umsonst erscheint heute die Mehrzahl der ausgezeichneten Lyrikbände in unabhängigen Verlagen. Auch wichtige Werkausgaben werden inzwischen vor allem von unabhängigen Verlagen herausgebracht. Und in diesem Jahr gingen alle Preise der Leipziger Buchmesse sowie der Deutsche Buchpreis nicht umsonst ausschließlich an Bücher, die in Verlagen erschienen sind, die dem Freundeskreis der Kurt Wolff Stiftung angehören.
Doch der Enthusiasmus für das gute Sachbuch und für die Literatur hat seine Kehrseite.
Die Rückzahlungsforderungen, die nun anstehen, lassen bereits die größten deutschen Verlagsgruppen schwitzen. Sie werden einige unserer unabhängigen Kolleginnen und Kollegen jedoch derart treffen, dass sie wahrscheinlich in die Insolvenz gehen müssen.
Die Rückzahlungsforderungen sind rechtens, das bestreiten wir nicht. Und die Rückzahlungen werden nun fällig. Das ist so.
Doch bislang gab es einige Hilfeversprechen vonseiten der Politik, konkrete Maßnahmen sind allerdings nicht erfolgt. Stundungsmöglichkeiten, die die Leitung der VG Wort vorgeschlagen hat, wurden abgelehnt. Es gibt nun verlagsseitig Ideen wie jene, das Leistungsschutzrecht für Verlage einzuführen, dieses jedoch würde nach unserer Meinung erst recht eine Spaltung zwischen Autorinnen und Autoren und Verlagen herbeiführen. Das ist nicht in unserem Sinne.
Angesichts dessen aber, dass wahrscheinlich alle Verlage nun weniger Bücher produzieren werden, angesichts dessen, dass einigen Verlagen der Konkurs droht, angesichts dessen, dass Buchprojekte nun nicht realisiert oder fortgeführt werden, angesichts all dessen kann man von einer sehr ernsthaften Krise sprechen. Von einer Krise der Verlage und einer Krise der Literatur.
Diese geht uns alle an – die Verlage, die Autorinnen und Autoren, die Übersetzerinnen und Übersetzer ebenso wie den Buchhandel und den Kulturjournalismus und nicht zuletzt die Leserinnen und Leser. Ein Rückbau der kulturellen Vielfalt kann in niemandes Interesse sein.
Wir fordern daher umgehende Maßnahmen zum Schutz der unabhängigen Verlage vonseiten der Politik.
Wir bitten die Autorinnen und Autoren und die Übersetzerinnen und Übersetzer um Unterstützung: Die Wichtigkeit der Verlagsarbeit sollte, wenn Sie Ihnen etwas wert ist, auch von Ihnen betont werden. Wir sitzen im gleichen Boot.
Und wir bitten die Leserinnen und Leser: Unterstützen Sie uns, unterstützen Sie die Autorinnen und Autoren, indem Sie Bücher von unabhängigen Verlagen kaufen – und lesen. Denn erst das gelesene Buch macht die Arbeit der Urheberinnen und Urheber und der Verlage sinnvoll!“

Britta Jürgs Leif Greinus Jörg Sundermeier (Vorstand der Kurt Wolff Stiftung)

Leipzig, 31.10.2016



ELFRIEDE JELINEK

im A-Z vom freitag – großartig wie immer. Also sie und es.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/elfriede-jelinek



WÄRE NETT

Friedrich Ani im Interview mit Crimemag. Nur eine Antwort wird hier verraten: „17. Was soll auf Ihrem Grabstein stehen? – Mein Name wäre nett.“

http://culturmag.de/crimemag/bloody-questions-the-crime-questionnaire-19/95869



WENN NICHTS MEHR

voranzugehen, sondern zuviel zurückzuschlagen scheint, braucht es Stoff, mit dem es weitergeht. Jasmin Ramadan: Hotel Jasmin, Roman, Tropen. Gerhard Henschel: Harry Piel sitzt am Nil (über Schmähkritik und Unflätigkeit im öffentlichen Raum), Edition Tiamat. Hermann L. Gremliza: Haupt- und Nebensätze, edition suhrkamp. Jürgen Ploog: Radar Orient, Stories (Neuausgabe) mit CD, Verlag Moloko Print.

Buchdeckel „978-3-608-50142-1  Image 



DYLAN (16)

Einige meiner Freunde sind große Dylanologen, hier der größte, Friedrich Ani in der tz: „Die Entscheidung ist einzigartig, bravourös und cool. Bob Dylan ist ein Jahrhundertdichter. Ich höre, lese und verehre sein Werk seit frühester Jugend – und ich weiß nicht, ob ich als Schriftsteller ohne seinen Begleitschutz über die Runden gekommen wäre.“ Also auch dafür Dank an Dylan. +++ Und Wiglaf Droste in junge Welt: „Völlig zu Recht, wenn auch arg verspätet, wurde dem größten Musiker und Textdichter seit Johann Sebastian Bach der Literaturnobelpreis zugesprochen. Das war überfällig, und quasi als Kollateralglück wurde der Preis damit entgrasst; man darf ihn also wieder annehmen.“ +++ Andererseits die renommierte deutsche Literaturkritikerin Sigrid Löffler laut orf.at: >Dylan sei zweifellos ein genialer Folk- und Rockmusiker und habe der Rockmusik eine neue sprachliche Komplexität gegeben, „aber bitte, das ist alles 50 Jahre her“, sagte Löffler. Er habe rätselhafte, dunkle und sehr komplexe, symbolistische Texte geschrieben, diese seien aber keine eigenständige Lyrik, denn sie funktionierten nur gesungen.< Was für eine Unkenntnis seit 50 Jahren, was für ein beschränktes Verständnis von Lyrik, das schon lange von gestern ist, unfassbar. +++ Jeder Preisträger ist umstritten (man erinnere sich nur zb an die so irren wie bösartigen Kommentare, die Elfriede Jelinek hinnehmen musste), jeder Preis ist fragwürdig, das weiß jeder, außer die Literaturbetriebsnudeln, die in den Jurys sitzen und glauben, wir sollten ihnen den Arsch küssen. +++ Fehlt nur noch: ich erinnere mich an einen Bericht des Dylanologen und Soziologen Günter Amendt in konkret, wie er einmal kurz auf Martin Walser traf, der ihn fragte, warum er sich denn so sehr (sinngemäß) mit diesem herumzigeunernden Juden Dylan beschäftige; wofür Walser heute erheblich mehr von dem Beifall bekommen würde, den er so stark gefördert hat. +++ Schöner Abschluss: „Bob Dylan bleibt stur. Bei einem Konzert in Las Vegas ging der 75jährige Musiker am Donnerstag abend mit keinem Wort auf seinen Literaturnobelpreis ein. Er ignorierte die Schreie aus dem Publikum, das ihn mit Ovationen und »Nobelpreisträger«-Rufen feierte. Seinen Auftritt beendete er bezeichnenderweise mit einem Song, den Frank Sinatra einst sang: »Why Try to Change Me Now«. (dpa/jW)



THAILAND (3)

Kann ein Schriftsteller viel mehr erreichen, als in die Bangkok Post zu kommen?* Da muss ich etwas nachdenken.** „Tonight is the night if you´re up for some suspense and mystery … „, startete Parisa Pichitmarn den verdammt viel zu kurzen Artikel vom 20.9.

*vgl. Jörg Fauser/“Clint Eastwood ist Hamlet“ – „… schimpft nicht auf leere Kassen und leere Hirne, wenn doch alles, was gebraucht wird, eine leere Seite ist, die einer in die Maschine spannt, und soviel Phantasie, um hinzuschreiben: <‚Es ist ein guter Tag, um zu sterben‘, sagte Bo Gritz, als er über den Mekong setzte…‘>“ (Bangkok Post, 6.2.1983)

**Vielleicht mit Christian Kracht in einem Porsche durch Hamburg düsen, um auf einer Party von überbezahlten Kindern das Marschierpulver einzukaufen, das Bo Gritz nicht gesucht hat?



EIN SCHLAG INS GESICHT (3)

Die seit Jahren von Ina Bösecke verfasste Kolumne „Pol & Pott“ erscheint jeden Samstag auf der letzten Seite der jungen Welt und ist seit Jahren meine Lieblingskolumne in deutscher Sprache. Natürlich weil sie verdammt gut geschrieben ist, aber auch weil sie zugleich so far out, exzentrisch, freundlich und nützlich und außerdem mit diesem nicht so häufigen sog. Mutterwitz ausgestattet ist (der also mit der kürzlich verstorbenen Fanny Müller keineswegs ausgestorben ist). Das Buch gleichen Titels stammt übrigens aus der Zeit bevor I.B. allein für die Kolumne zuständig wurde und sie grandios veränderte, d.h. wir brauchen endlich einen Band mit ihren Texten.

Die Kolumne verbindet seitdem jeweils einen Film mit einem Kochrezept, oft ergibt sich das Kochrezept aus dem Film. Das klingt, als könnte jemand fragen, ob man sich nicht für Wichtigeres interessieren sollte, aber Ina Bösecke genügt oft ein kleiner Nebensatz, um ganze politische Kommentare lasch schmecken zu lassen, soviel dazu. Typisch, dass der Titel ihres neusten Gerichts (vom 3.9., Link s. unten) so harmlos klingt, dass man in einem Mafiafilm sofort das Schlimmste erwarten würde: „Crostini mit Fenchel“.

„Fenchelgrün abzupfen, fein hacken. Knollen in ein Zentimeter dicke Spalten schneiden…“ – das landet sozusagen und grob gesagt in einem Topf mit dem bösesten aller Hollywood-über-Hollywood-Filme, „Boulevard der Dämmerung“ von Billy Wilder, ein vielschichtiges Psychodrama weit jenseits vom Rande des Nervenzusammenbruchs, dessen Aktualität im fortgeschrittenen Paparazzi- und Promi-Wahn-Zeitalter ständig zunimmt, falls man mehr kapiert als nur, dass die 1950 keine Handys hatten. Typisch für den Bösecke-Humor ist, dass sie diesen Psycho mit dem gleichen Abstand wie z.B. auch Komödien behandelt: „Düsternis, Vergeblichkeit und Tod. Es herrscht ungefähr die Stimmung, die man nach dem Urlaub, kurz vor Arbeitsbeginn hat.“ Dann der U-Turn: „Natürlich kann man von Stars und Drehbuchautoren nicht erwarten, dass sie sich vernünftig ernähren. Außer Champagner und Kaviar scheinen Norma und Joe nichts zu sich zu nehmen.“

Ich schreibe diese Zeilen – einerseits egoistisch, andererseits erfreut über die Verbindung – , weil „Boulevard der Dämmerung“ in meinem neuen Roman zweimal vorkommt, sogar ein eigenes Kapitel prägt: der Ex-Kommissar sitzt mit der Schauspielerin im Auto, deren Stalker er aufspüren und ausschalten soll,  und sie erzählt ihm von diesem Film. Titel des Kapitels: Ein Mord, den nicht jeder begeht. Auszug: „>Sie kennen also nicht Sunset Boulevard von Billy Wilder?< Er schüttelte den Kopf, und sie schlug schockiert die Hände zusammen – mit was für Männern war sie nur gezwungen in einer Hartz-IV-Blechkiste zu sitzen! Ein Skandal!“

Da geht´s lang: https://www.jungewelt.de/2016/09-03/070.php



SOMMER MIT NANCY & SID

Unser Freund Klaus Bittermann hat nicht nur einen Truck Bücher verlegt, sondern nach seinen so komischen wie erfolgreichen Kreuzberg-Anekdoten (z.B. „Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol“) endlich wieder einen Roman geschrieben (in einer Besprechung war zu lesen, es sei sein erster, aber das stimmt nur, wenn man nicht bemerkt hat, dass er unter dem Pseudonym Artur Cravan drei tolle Polit-Thriller veröffentlicht hat). Weil wir es keinen Funken besser sagen könnten als Frank Goosen, blenden wir seine Besprechung hier in voller Länge ein:

„Sie suchen noch ein Buch für den Urlaub, haben es aber nicht so mit dem Zeug, das in den großen Buchhandlungen stapelweise im Eingangsbereich herumliegt? Dann empfiehlt Ihr freundlicher Literaturdienstleister heute mal „Sid Schlebrowskis kurzer Sommer der Anarchie und seine Suche nach dem Glück“ von Klaus Bittermann. Bittermann ist laut Klappentext eine „Verlegerlegende“. Dass er den Text wahrscheinlich selbst geschrieben hat, ändert nichts am Wahrheitsgehalt dieses Satzes. Seit 37 Jahren betreibt er den Kleinverlag edition tiamat, und das tut er ganz alleine.

„Sid Schlebrowski“ ist die Geschichte von zwei Kids, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sid, der eigentlich Michael heißt, sich aber nach Sid Vicious von den Sex Pistols nennt, ist ein schüchterner, minderjähriger Provinzpunk mit einem saufenden Vater, der mal Boxer war. Nancy heißt wirklich so, ist auch erst sechzehn und stammt aus einer wohlhabenden Adelsfamilie. Der Roman spielt hauptsächlich im Sommer 1980 und beginnt, als Sid in den schwarzen Citroen steigt, den Nancy ihrem Vater geklaut hat, aber das ist nicht das richtige Wort, eigentlich war das eine Enteignungsaktion.

 Die beiden ziehen durch Süddeutschland, Österreich und Italien, logieren in Luxushotels und reisen ab, ohne zu bezahlen. Sie erleichtern Menschen, die es sich leisten können und die meistens auch einiges auf dem Kerbholz haben, um Geld, Schmuck und teure Klamotten. Unterwegs treffen sie immer wieder auf Menschen, die ihnen helfen: ein kommunistisches Ehepaar, das im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat oder einen Tankwart, der über den Tod seines Sohnes noch lange nicht hinweg ist und Fahrer einer bestimmten Automarke einfach nicht ausstehen kann, weshalb er Sid und Nancy davonkommen lässt, als sie auch an der Tankstelle das Bezahlen unterlassen. Das alles basiert auf einer alten Zeitungsmeldung, die Bittermann jahrzehntelang aufbewahrt hat, ist also so (oder so ähnlich) tatsächlich passiert.

Das Buch durchzieht ein steter Hauch von Anarchie. Bittermann hat ein großes Herz für die Ausgestoßenen, Nicht-Angepassten, die Outlaws. Man wird ganz wehmütig und möchte beim Lesen die ganze Zeit Udo Lindenberg singen, das Lied von den zwei Geflippten, die durch nichts zu bremsen sind, aber das wäre als musikalische Analogie vielleicht zu platt. Und deshalb ist ein zentrales Stück in diesem Buch „Searching for a heart“ von Warren Zevon: „Certain individuals aren’t sticking with the plan“. Das ist zwar von 1991, aber das Buch endet ja auch nicht in dem Jahr, in dem es angefangen hat. Und da Klaus Bittermann, obschon seit Äonen in Berlin ansässig, Anhänger des BVB ist, darf man auch noch vermuten, dass der Held seines Romans nicht zufällig den Namen von Elwin Schlebrowski trägt, einem Mitglied der Dortmunder Meistermannschaft von 1956.

Ein Buch, das einen nachdenken lässt, ob man nicht mal wieder ein teures Auto anzünden sollte. Muss ja nicht das eigene sein.“ (Ausblende Goosen)

Außerdem können Sie online beim Freitag Bittermanns Essay zu Lenny Bruce´ 50. Todestag nachlesen (oder auch den Text in voller Länge in seiner Sammlung „The Crazy Never Die – Amerikanische Rebellen in der populären Kultur“):

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/fuck-aus-dem-off

  gebrauchtes Buch – Cravan, Artur – Tod in der Schonzeit



SCHOCK / HANS FRICK (7)

„Am 22. März 1944, während eines schweren Luftangriffs, erfuhr ich, was ich schon lange geahnt hatte, nämlich, daß er Jude und ich somit Halbjude war. Während die Flak schoß, in der Nähe Bomben einschlugen und Häuser einstürzten, sprachen wir im Luftschutzkeller über meinen Vater. Meine blinde und krebskranke Großmutter lag, am ganzen Körper zitternd, auf einem Strohsack, die Hausbewohner schrien. Manche knieten und beteten. Meine Mutter aber war ganz ruhig, das Inferno schien sie nicht zu berühren. Ich nahm es wahr, aber mehr wie Hintergrundgeräusche. Der Schock, den die Gewißheit, Halbjude zu sein, in mir ausgelöst hatte, war viel größer als die Angst.“ – Hans Frick (*3.8.1930), Die blaue Stunde, 1979

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HANS FRICK



PROBLEMZONE LITERATUR UND PROBLEME

Für die neueste Ausgabe hat der Freitag „zehn Personen des öffentlichen Lebens“ gefragt, welche Bücher sie im Urlaub lesen. Die Theaterregisseurin Angela Richter antwortete u.a. dieses: „… mein Gehirn erträgt nur noch Sachbücher. Früher las ich viel Literatur (…) Warum hat das aufgehört? Ich vermute, dass mein Gehirn keine Lust mehr hat, sich mit Problemen zu befassen, die von Schriftstellern ausgedacht wurden, egal wie gut geschrieben sie sind.“

Das ist nicht nur respektabel und interessant, sondern zeigt ein herausragend naives Kunstverständnis. Und davon abgesehen, habe ich in meinem Leben noch keinen großen Autor gelesen bzw. kennengelernt, der irgendein Problem erfunden hätte. Frage mich jetzt natürlich wie so oft, ob ich immer der falschen Literatur zugeneigt war und ob ich immer die falschen Autoren kennengelernt und mich, und da wird´s richtig schlimm, vielleicht sogar mit ihnen angefreundet habe.