Bildung

ES GIBT AUCH KLEINE STÄDTE

mit ner Menge Größe. So hat Sulzbach-Rosenberg

das Literaturhaus Oberpfalz. Mit der Bibliothek von Walter Höllerer. Und vielen anderen nützlichen Sachen, von der Buchhandlung Volkert bis zur Brauereigaststätte Fuchsbeck.

  Fotoquelle: ipernity.com

Außerdem ist man schneller über die Grenze als jemand Clubberer sagen kann. Was ja manchmal nicht unwichtig ist.



DER MANN, DER AM 4.2.1976 AUS DEM FENSTER SPRANG

(+ Knastlesen 4) Zu meiner wichtigsten Permanenzschulung gehört Bayern2Radio, das wird man ja wohl auch noch einmal sagen dürfen. Meine Lieblingssendungen sind „Jazz&Politik“ und „Das Kalenderblatt“; natürlich auch, was die Musikschulung betrifft, Karl Bruckmaiers Nachtausgabe, die kürzlich auf Samstag 23h verlegt wurde, und der Zündfunk, bei welchem ich allerdings nicht selten mein Radio angifte, „jetzt hört´s doch bitte endlich wieder einmal auf mit eurem komischen Gequassel, welches ich nicht einmal vorvorgestern lustig gefunden hätte.“ Was nicht heißt, ich wäre einer, der den ganzen Tag das Gras wachsen hört.

Als gestern das Kalenderblatt anfing, hörte ich ausm Irgendwo gleich eine Stimme, die „freeze!“ sagte. Und das machte ich.

„Was ist das denn jetzt“, murmelte ich.

Aber das Kalenderblatt widmet sich eben nicht nur mehr oder weniger bedeutenden Toten oder historischen Begebenheiten, Erfindungen etc., sondern manchmal auch Großereignissen der jüngeren Vergangenheit.

„Er galt mal als der cleverste Ganove im ganzen Land“, sagte eine gefährlich angenehme Frauenstimme. Ich übertreibe wirklich nicht, hören Sie selbst: http://suche.br-online.de/search?entqr=0&output=xml_no_dtd&client=downloadpodcast_frontend&ud=1&oe=UTF-8&ie=UTF-8&proxystylesheet=downloadpodcast_frontend&site=downloadpodcast_collection&q=ludwig+lugmeier&x=11&y=6

Später ging ich in die JVA zu meiner wöchentlichen Literaturvorlesung. Das Kalenderblatt hatte mir gesagt, welches Buch wir heute durchnehmen sollten:

 Nach einer kurzen Einleitung begann ich auf S. 281 vorzulesen: „Am Morgen des 11. November 1975, als der Prozeß begann, war ich aufgeregt. In der vorangegangenen Nacht hatte ich geträumt, daß ich fliehen würde … “

Ich hatte ein aufmerksames Publikum, von dem ich hoffte, dass es den folgenden Text für immer in seinen Gehirnen speichern würde. Mehrmals betonte ich, dass sie das, was sie da hörten, auf keinen Fall zuhause oder sonstwo nachmachen sollten.

Bei dem Jungen X. war mir bald klar, dass ihn das Buch nicht nur literarisch begeisterte. Der kleine Bandit hatte es trotz seiner jungen Jahre geschafft, sich sowas wie eine gute alte Ganovenehre zuzulegen, weiß der Teufel wie das zugegangen ist, das kann man sich ja nicht im nächsten Supermarkt kaufen, vielleicht hat er nur zu viele Scorsese- und Ferrara-Filme gesehen oder seinem Opa aufmerksam zugehört. Sein Spezialwissen über eine gewisse Sache haute mich um; als hätte er das studiert, sich Bücher in der Staatsbibliothek bestellt und diese exerzerpiert, nachdem ihm klar geworden war, dass er von Wikipedia nur bestenfalls Halbwissen bekommt. Er meinte, so vier Jahre Knast wären sicher mal eine nützliche Erfahrung. Und dabei hatte er – wie gesagt altmodische Schule – auch noch ein Herz. Leider auch ein spürbar großes aggressives Potential und eine Portion Naivität, was ihm früher oder später wohl zu seinen vier Jahren verhelfen wird.

Eine Menge interessanter Themen spülte das Buch heran: Auswanderungswünsche (Schweiz, Tschechien); „ich habe sogar drei gültige Pässe, das freut die Bullen immer besonders“; „ich gehe jeden Sonntag mit meiner Freundin in die Kirche, aber die Bibel lese ich nie, weil ich verstehe die Sprache nicht“; nichts Neues: keiner kennt die Sex Pistols, und wie immer denke ich einen Moment später: ja, wieso auch, wenn man 1996 geboren wurde?; in Tschechien sei die Herstellung von Chrystal legal – glaubte ich nicht – dann sollte ich mich mal genauer informieren…

Zehn Minuten, nachdem ich angefangen hatte, kam das einzige Mädchen dazu. Sie hatte ein Gespräch mit der Sozialbetreuerin gehabt und sie weinte und ich sah, dass kein Wort an sie herankommen konnte. Nach einer halben Stunde taute sie auf. Ihre Tochter kommt demnächst zur Ersten Hl. Kommunion. Ich habe vergessen, sie zu fragen, von welchem Krankenhaus sie damals Hilfe bekam.

Als ich dann durch vier gesicherte Türen endlich wieder abhauen konnte und vor der letzten endlich eine Zigarette anzünden konnte, erinnerte ich mich, dass ich einmal dieses Gedicht geschrieben und in meinem Buch „Nachmittag eines Reporters“ veröffentlicht hatte:

GEFÄHRLICHES LEBEN   für A.N. (´95)

Als das Glück / eines Tages auf meiner Seite war / lernte ich den Schriftsteller / Ludwig Lugmeier / Herkunft Kochel am See bei Penzberg / wo der Hund begraben ist / heute wohnhaft woanders / kennen und wusste aber nur grob / dass er auch einmal / ein erfolgreicher Dieb gewesen ist.

Nach ein paar Bier / traute ich mich / die Frage endlich zu stellen. / Wie kommts eigentlich / dass du zwölf Jahre / und ein halbes / so gut überstanden hast? / Er zuckte nur mit den Schultern. / Ich hätte mich am liebsten / so eine blöde Frage / so saudumm.

Später hat er / in einem Interview was gesagt / das mir sehr gut gefallen hat / dass es genauso gefährlich ist / einen Roman zu schreiben / wie einen Millionenraub durchzuführen. / Ich kann das nicht beurteilen. / Aber das klingt so gut / das muss die Wahrheit sein.



URLAUBSGRUESSE

aus dem schönen Kairo in der freundlichen Schweizerstadt Bern:



BRECHTFESTIVAL AUGSBURG 2013 (5)

(+ Knastlesen 3) Mit den Kindern im Knast mal wieder Brecht gelesen. Kinder ist falscher Ausdruck (aber ich meine damit ja sowas wie meine Kinder), Durchschnittsalter 19 würde ich sagen, Teilnehmer 7 Männer und 1 Frau. Das Besondere im Rückblick ist, dass ich einen Rekord im Selberreden aufstellen musste. Was heißt, ca. 105 min. vorlesen (eher weniger) und drumherum Schlingensief-mäßig nonstop Spontanvortrag halten, Anekdoten resp. Brecht und alles mögliche erzählen und erwähnen und erklären.

Meine Kinder waren selten ruhig und aufmerksam; aber es kam wenig von ihnen; niemand dabei, derdie, wie es nicht selten vorkommt, mal ordentlich über sich selbst ausgepackt hätte. Keine Diskussion untereinander (das Thema Boxen ging zu meinem Erstaunen vollkommen ins Leere, obwohl 4 Migranten unterwegs (ich dachte, die boxen alle?!), und selbst der asiatische Kickboxer erzählte nicht mehr, als dass er Leichtgewicht kämpft und in letzter Zeit „wegen Arbeiten und so“ kaum dazu kommt….). Niemand erzählte, weswegen sie ihn eingebuchtet hatten, und niemand ist extrem selten…

Kurz gesagt: wenn man mal nen hyperaktiven Quatschkopf gebrauchen könnte, ist er nicht da.

Klärung vorab: Brecht. Hatte niemand je gehört. Ich hielt eine streng nichtwissenschaftliche Einleitung. Las dann die Titelgeschichte aus dem Suhrkamp-Band „Der Kinnhaken und andere Box- und Sportgeschichten“. Das Mädchen war intelligent, die checkte alles. Der interessanteste Punkt an dieser Geschichte über einen hoffnungsvollen Bantamfighter ist ja, dass er deshalb scheitert, weil er im entscheidenden Moment das Selbstvertrauen verloren hat, sich zugleich ärgert, nicht den Mumm zu haben, zu tun, worauf er Lust hat (Bier und Zigaretten) und in den Kampf geht, als er schon zuviel Ablenkung zugelassen hat (Motorrad, Verlobte, Hausstand etc). Mit dem schönen Schlusssatz: „Wissen Sie, Vorsicht ist die Mutter des k.o.“ Aber wie gesagt, ich durfte mir zu allem den eigenen Mund fusslig reden. Was nicht heißt, dass es mich nicht gefreut hätte bzw. mich die wenigen Bemerkungen des Mädchens nicht gefreut hätten. Und mir gegenüber saß ein Türke, der absolut nichts rausließ und dabei von Minute zu Minute mehr brannte vor Aufmerksamkeit und mit leichtem Lächeln und Nicken etc immer wieder auf irgendwas reagierte.

Thema Sport natürlich. Boxen, ich laberte irgendwelches Zeug über Boxen bzw. erzählte von Max Schmeling oder Bubi Scholz, banales Auswendiglernwissen also. Lockte immerhin einen Jungen aus der Reserve, der dann erzählte, er habe eine Fußballkarriere angestrebt, ehe ihn vor einem Jahr der 3. Kreuzbandriss stoppte. Angeschoben hatte ihn sein Vater: der sei in den 80ern Profi in Polen gewesen und heute Schiri in der Landesliga. Guter Junge: war immer dabei und half mir immer wieder, indem er manchmal was sagte oder fragte.

Thema Theater, issja wohl berechtigt. Niemand von ihnen war je im Theater – halt, einer war als Kind mit der Schule in der Augsburger Puppenkiste (so wie ich), und davon hatte jeder schon mal gehört, also vom bedeutendsten Augsburger Theater, ist das vielleicht nichts. Ich schwadronierte also rum, woran das wohl liegen könnte, warum wir alle („ich auch, ich erzähl euch keinen Scheiß hier, ich mach euch nichs vor“) lieber fernsehen als ins Theater gehen. Thema: Rahmen. Thema: Tradition, gesellschaftlicher Hintergrund, Bildung. Und: Subvention; Millionen. Beispiel: Wieso bekommt das Theater Millionen, aber ein Filmfestival hier nur paar Zigtausend, sodass es nur noch alle zwei Jahre was machen kann? Was steckt dahinter, wer sagt, was wichtiger und mehr wert ist? Und was hat das mit uns zu tun? (Ich selbst habe eigentlich keine Meinung dazu, außer die, dass es erlaubt sein muss, diese Frage zu stellen, die ja für viele in der Theater-Verwaltungs-Subventions-Branche schon per se ein Angriff ist…verständlicherweise… – im Kopf hatte ich dabei, ohne es zu erwähnen, Thomas Meineckes wunderbaren Aufsatz von ca. 1982 in seiner Zeitschrift Mode & Verzweiflung mit dem Titel „Theater zu Parkhäusern“, und allein daran sieht man schon, so einfach wie es sich die Theaterfuzzis bei der Begründung zur Verteidigung ihrer Kohlen machen, denn sie behaupten ja in der Regel kaum mehr, als die letzte Security der wahren Kultur zu sein, ist es nicht…)

Ja, wo waren wir dann stehengeblieben? Weiß nicht mehr. Zuletzt las ich ein paar Geschichte vom Herrn Keuner vor. Von denen ich einige selbst nicht kapierte. Dann war es 16 h und für sie Zeit fürs Abendessen. Dann durften sie sich aufs Bett legen. Tagsüber ist es ihnen verboten, sich aufs Bett zu legen. Du kannst in der Zelle auf und ab gehen oder Kniebeugen machen oder am Tisch sitzen und ein Buch lesen. Mach ich auch oft. Ist okay.



BEDEUTENDE LITERATUR PRODUZIEREN

muss nicht immer ganz einfach sein. Peter Glaser hat dies zur Information in seinen Blog gestellt:

Quelle: http://blog.stuttgarter-zeitung.de/

Hier nicht die Blut-, sondern Hirnwerte anhand neuerer Ausgaben:

     



SCHON SEHR IRRE

was sich die Leute früher so gedacht haben, zum Glück wissen wir heute mehr:

Von: http://killercoversoftheweek.blogspot.de



BRODER HAT RECHT

Es ist uns egal, ob ein Statement lang oder kurz ist. Dieses von unseren Songdog.at-Kollegen ist so kurz wie möglich. Und wir können und müssen dem nichts hinzufügen:

Die Blockredaktion sagt:

Donnerstag, 10. Januar 2013, 10:49 Uhr Abgelegt unter: Allgemein

Broder hat recht.



ICH KANN NICHT GLAUBEN

dass meine Vorstellung vom Werk Albrecht Dürers mit seinem tatsächlichen so gut wie fast nichts zu tun hat. Was für ein Erlebnis.

„Lieber Gott! Bitte befreie mich aus der Gefangenschaft des gefährlichen Viertelwissens. Ich verspreche Dir auch, dass ich nie wieder ein schlimmes Mädchen sein werde.“



DIE TOP-10-LISTE DER

Antisemiten auf diesem Planeten, die nicht von der Freiwilligen Feuerwehr Bergkirchen erstellt wurde, sondern vom Simon Wiesenthal Center, finden Sie, übrigens mit ausführlichen Belegen und Begründungen, hier:

http://www.wiesenthal.com/atf/cf/%7B54d385e6-f1b9-4e9f-8e94-890c3e6dd277%7D/TT_2012_3.PDF

Erfolgreich vorgedrängt haben sich sowohl Gruppen (Nr. 4: „eine erhebliche Anzahl“ von Fans des englischen Fußballclubs Westham United), als auch Einzelpersonen (Nr. 9: der deutsche Jakob Augstein, u.a. Zeitungsbesitzer und Spiegel Online-Kolumnist und – darüber können wir ohne ausführliche Konsultationen mit unserem Psychoanalytiker im Moment keinen Kommentar abgeben – Sohn von Martin Walser).

Ehe wir uns hier über die anderen Spitzenreiter auslassen, müssen wir den Zustand unserer schusssicheren Westen überprüfen und unsere Verteidigungsstrategie mit einigen Trainingseinheiten auffrischen. Ob dabei auch Gebete von Nutzen sind, wird grade diskutiert.

Jetzt aber noch schnell zu ganz was Anderem: in der aktuellen Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen wird man dankenswerterweise schon jetzt auf die 2013 kommenden Feierlichkeiten zu Ehren eines der größten Deutschen eingestimmt. Wir verraten nicht zuviel, wenn wir sagen, dass es Jopi Heesters denn doch nicht ist:

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/14835



BRECHTFESTIVAL AUGSBURG 2013 (3)

Mit meinen Kindern im Jugendarrest habe ich schon mehrmals Brecht gelesen. Den „Augsburger Kreidekreis“ etwas gekürzt, weil unser Zeitfenster zu klein ist. Niemandem sagte der Name Brecht was. Aber wieso auch.

Gymnasiasten oder Studenten sind ganz selten dabei. Ein Hauptschulabschluss ist so ziemlich die Spitze und keinesfalls die Regel. Was nichts sagt. Nicht wenige von ihnen sind intelligent und streetwise. Oder haben sich irgendwoher von jenseits der Schule eine stattliche Menge Allgemeinbildung beschafft. Zu viele andere haben nichts und werden wohl nie was bekommen oder sich besorgen, da darf man sich nichts vormachen.

Die Leute in den Hauptschulen sind allen wurst. Alle laufen in die 7. Klassen der Gymnasien aufwärts und diskutieren über Goethe und Literatur und Brecht und den Sinn des ebooks in den Zeiten des nur scheinbar ehemaligen Rinderwahnsinns. Aber die Leute in den Hauptschulen sind allen vollkommen wurst. Die sollen die Schnauze halten und bei RTL-1 bloß die Schnauze halten. Ich sag euch was, ihr armen gestressten Lehrerbeamten und tapferen Mittelschichteltern: ihr werdet diese Sackgasse in eurem Gehirn eines Tages ganz bitter bereuen. Aber erst, wenn ihr die letzten Millionen in euren Brecht- und Wagner-Festspielen verbraten habt, wird euch vielleicht irgendwas dämmern.

Ich bin niemals auf eurer Seite – ich bin auf ihrer Seite.

Und den Vortrag, den ich euch zum Thema halten kann, findet ihr so unlustig wie euch überfordernd. Das Bildungsgut, das ihr mit euch herumschleppt, ist so mager und mickrig, dass ihr nur unter euresgleichen den Anschein erwecken könnt, damit was hermachen zu können. Vergesst es doch einfach und geht in´n nettes Lokal.

Außerdem habe ich aus den „Kalendergeschichten“ auch „Fragen eines lesender Arbeiters“, „Mein Bruder war ein Flieger“ und meine Lieblingsstory „Die unwürdige Greisin“ gelesen. Ich hatte immer den Eindruck, dass irgendwas von Brecht immer bei den Kandidaten ankam. Beim „Kreidekreis“ natürlich die Kriegssituation und die Frage, was eine Mutter ist, was eine gute, was eine schlechte… Das Duell am Ende versteht jeder, wenn auch nicht unbedingt sofort den eigentlichen Witz.

Unvergesslich und unbezahlbar die Bemerkung eines 18-Jährigen russischen Immigranten: „Also ich weiß nicht, warum ich mir das Zeug da von diesem Vogel Brecht da anhören soll, lesen Sie doch was von sich selber, wenn Sie schon sagen, dass Sie selber auch so Zeug schreiben, das fände ich dann echt interessanter.“

„Aber ich nicht.“