Bildung

WAS FUCKIN HELL IS RASSISMUS & ICH AUCH?!

Dazu ein Beitrag von unserem Wien-Korrespondenten Andreas Niedermann von songdog.at – es gibt Autoren, die nicht nur gut schreiben können, sondern auch noch Courage haben:

Aufpassen!

(Samstag, 27. Oktober 2012)

In der Garderobe des Geisteszentrums. Ich zog mich nach dem Training um, und ein Afrikaner kam herein, sein Spind lag so ziemlich neben meinem, und er begann sich ebenfalls umzuziehen. Er hatte geschwitzt, wie ich auch, und als ich angezogen war und an ihm vorbei ging, dachte ich wieder daran, was mein Vater gesagt hatte. Da es im Geisteszentrum viele Dunkelhäutige gibt, muss ich oft daran denken, was mein Vater vor über 50 Jahren gesagt hatte. Er hatte es nicht nur einmal gesagt, sondern immer wieder mal, bei Gelegenheit, wiederholt.

In meinen Ohren klang es, als hätte er gesagt, dass Bälle immer rund sind, und der Regen niemals von unten kam, dass Menschen Ohren hatten und Beine, und ich hatte keinen Grund daran zu zweifeln. Er sagte nämlich, dass “der Schweiß der Neger anders riecht als unserer. Er stinkt.”

Ich weiß. Es ist rassistischer Unsinn, es ist nicht wahr, aber manchmal, wenn ich an Afrikanern vorbeigehe, denke ich daran. Das ist perfid. Und es beweist, dass wir die Worte, die wir zu unseren Kindern sprechen, mit Bedacht wählen sollen.

Dass ich nach über 50 Jahren noch immer daran denke, gibt mir zu denken. So einfach ist das also? So simpel funktioniert Rassismus?

Und auch wenn ich weiß, dass es nicht wahr und einfach nur rassistisch ist, auch wenn es dutzendemale durch die Wirklichkeit widerlegt wurde, ich denke noch immer an die zwei Sätzchen meines Vaters. Er hätte das nicht tun sollen, finde ich.

Und ich bin mir leider ziemlich sicher, dass ich die zwei Sätzchen zu meinen Kindern auch schon gesprochen habe. Nicht dieselben, aber irgendwas wirds schon gewesen sein.

Aber um aus einem Kind einen Rassisten zu machen, braucht es offenbar mehr als nur zwei, gelegentlich, eingestreute Sätze. Das ist beruhigend. Aber vielleicht nicht wahr …

 Der Autor, Foto: Superbastard.de



BRECHTFESTIVAL AUGSBURG 2013 (7)

Zum Abschluss meiner Privatfeiertage eine Überdosis Musik. Was gibt es Schöneres als bei heftigem Schneefall vorm Fenster alle Platten rauszukramen und im Wohnzimmer Brecht-Vertonungen zu hören? Einiges. Hier ein paar Notizen (die nicht in der in der jungen Welt abgedruckten Serie erschienen).

1. DIE MUTTER („nach dem Buch des Genossen Gorki und vielen Erzählungen proletarischer Genossen“). Musik: Hanns Eisler. Aufnahme der Produktion der Theatermanufaktur in der Inszenierung von Ilse Scheer, 1980. Mit vielen „Lob“-Liedern: Lob des Kommunismus, des Lernens, des Revolutionärs, der Wlassowas, der dritten Sache, der Dialektik. Militärische Musik, jede U-Musik zurechtweisend, dabei natürlich zuviel tapfere Mutter-Musik. Wenn man sowas nicht gewohnt ist, klingt´s, möchte ich behaupten, großartig wie ´ne kalte Dusche.

 (Eine andere Brechtmutter)

Brecht zum Stück: „Für meine Aufgabe hielt ich es, von einer großen historischen Gestalt zu berichten, dem unbekannten Vorkämpfer der Menschheit. Zur Nacheiferung.“ Könnte die Berliner Band inspiriert haben, Mutter sollte Mutter vertonen. Besetzung hier: Masaki Mizuno Trompete, Takashi Ito Horn, Horst Zimmermann Schlagwerk, Rudolf Stodola Klavier. Franz Jung berichtet in seiner Autobiografie „Der Weg nach unten“, die Berliner Aufführung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ sei von Chaos und Streit geprägt und gefährdet gewesen, und Brecht habe sich erst dann zu konstruktiver Arbeit hinreißen lassen, nachdem ihm die Aufricht-Produktion (für die Franz Jung das Stück produzierte) auf den Rat von Helene Weigel hin zusagte, auch sein Stück (bzw. wohl eher das von Mitarbeiter Günther Weisenborn) „Die Mutter“ zur Aufführung zu bringen. So geschehen am 31.1.1932. In das Album legte ich dann einen Artikel, den Stefan Siegert Ende Januar für die jW-Serie „Musik zur Unzeit“ schrieb: „Das Kapital spielt Hanns Eisler“. Siegert beschwert sich da nebenbei, dass der 50. Todestag des jüdischen Kommunisten Eisler 2012 nichtmal annähernd so beachtet wurde wie Richard Wagner im Wagner-Jahr, das jetzt auf uns einschlägt, um dann auf das Jazztrio Das Kapital aufmerksam zu machen, das grade „im Geist Sonny Rollins´, Archie Shepps´, Fred Frith´oder Jimi Hendrix´“ die Doppel-CD „Conflicts & Conclusions“ mit ausschließlich Eisler-Werken veröffentlicht hat.

2. DREIGROSCHENOPER. Musik: Kurt Weill. Die bekanntesten Songs, gesungen von Lale Andersen. Mit Orchester unter der Leitung von Friedrich Schröder. 1957, Baccarola 60048 UU. Während ich die immer wieder unterhaltsamen Schlager höre – die auch Gil Evans gefielen, der für sein 1964er-Verve-Album „The Individualism of Gil Evans“ u.a. mit Wayne Shorter und Elvin Jones eine 9:59 lange Interpretation von „The Barbara Song“ einspielte – frage ich mich, woher ich diese hübsche 10-Inch habe; auch der kleine Aufkleber „3.00 Neckermann“ auf dem Cover hilft mir nicht weiter. Vermutlich aus der Sammlung der Oma eines Freundes meiner Tochter („Niemand will das Zeug, jetzt schmeiß ich´s weg“ – „Nein, bist du wahnsinnig!!!“), aus der mich jedoch „Die Heilsarmee“-DoLP viel mehr begeisterte. Als wir mit dem DJ Hoerspiel Ensemble eines Abends in Dortmund einen Auftritt mit bzw. vor Jürgen Kuttner hatten, schaute sich der Kuttner beim Soundcheck meine Plattenkiste an. Was mich schon etwas nervös machte. Ehe der große Artist Kuttner selbst ein weeenig nervös wurde, als er in meinem Koffer „Die Heilsarmee“ und andere derartige Geschütze entdeckte. Ich hatte natürlich geahnt, dass wir uns verdammt warm anziehen mussten, um an diesem Abend nicht mit dem „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ auf den Lippen unterzugehn. Es sollte viele Jahre später noch besser kommen:

 Die Schweizer wählten die Band der Heilsarmee (Foto:  http://www.heilsarmee.ch/eurovision/) zum Teilnehmer beim Europäischen Song Contest 2013. Dessen Verantwortlichen sofort der Arsch auf Grundeis ging: Die Band dürfe nicht Heilsarmee heißen und nicht in ihren Uniformen auftreten. Worauf der Armee-Pressesprecher verlautbarte, man werde beides zu regeln wissen. Das ist aber mal sicher: Die Truppe wird in jedem Fall besser aussehen als diese Bohlen-Tante namens Natalie Horler, selbst wenn sie im Einteiler mit Kopftuch auftreten sollte, und die Band-die-nicht-Heilsarmee-heißen-darf wird auch jede andere Brass-Bandal-Kapelle noch im Schlaf in den Chiemsee runterspielen.

3. LOST IN THE STARS – THE MUSIC OF KURT WEILL. Eine unfassbar große Platte, die ich immer wieder höre, vom großen Musikinszenator und Ideengeber Hal Willner 1985 für A&M entworfen und produziert, mir vorliegend als Amiga-Übernahme von 1989. Ja, die DDR war so böse wie kein Staat je zuvor, aber sie hatte ein staatseigenes Label, aber lassen wir das. Eine Stunde mit Steve Weisberg, Sting/Dominic Muldowney, The Fowler Brothers/Standard Ridgway, Marianne Faithfull/Chris Spedding, Van Dyke Parks, Schuckett/Butler/Dorough/Shipley/Petersen, Armadillo String Quartett, John Zorn mit „Der kleine Leutnant des lieben Gottes“, Lou Reed, Carla Bley/Phil Woods, Tom Waits, Dagmar Krause, Mark Bingham/Johnny Adams/ Aaron Neville, Todd Rundgren/Gary Windo, Charlie Haden/Sharon Freeman und zuletzt nochmal Van Dyke Parks mit „In No Man´s Land“. Es gibt einen Song auf der Platte, den ich so unerträglich finde, dass ich die Nadel heben muss, nein, Sting ist´s nicht, der es sozusagen nicht wagt, seinen Sting gegen Weill zu erheben. „Lost In The Stars ist ursprünglich der titel des letzten bühnenwerks (1949) von kurt weill, einer musikalischen tragödie im geiste der antiapartheid“ und würdigt in dieser Form „einen komponisten, der es zeit seines lebens sehr ernst nahm, unterhaltende musik zu schreiben“, schrieb Jörg Mischke in seinen Liner-Notes. Auf der Cover-Rückseite eine deutsche Geschichte in Preisen: oben „16,10 M“ wurde mit Kugelschreiber durchgestrichen und mit „5.-“ korrigiert, dann mit einem kleinen Aufkleber nochmal korrigiert: „€ 7,99“.

  Im Album ein Artikel aus der Süddeutschen von Stefan Mayr über Brecht als Lehrling Karl Valentins: „… Aus dem Jahr 1920 existiert eine Fotografie, die Brecht Flöte spielend neben dem Tuba blasenden Karl Valentin und Liesl Karlstadt zeigt. Manche behaupten gar, dass das Trio auf dem Oktoberfest eine Schaubude bespielte. Doch einen Beleg hierfür gibt es nicht. Das Foto ist anlässlich des Sketches „Oktoberfestschau“ entstanden … Brecht hat dabei nie mitgespielt. Warum er dennoch auf dem Foto auftaucht, wird ein Rätsel bleiben.“ Weniger rätselhaft ist, was Franz Jung über Brecht/Weill während der „Mahagonny“-Produktion schrieb: „Dabei beschuldigten sie sich gegenseitig, der eine verhindere nicht nur eine ursprüngliche Leistung des andern, sondern unterdrücke und verwässere sie obendrein … sie sind sich geradezu aus dem Weg gegangen … aber sie haben auch nicht übereinander gesprochen zu Dritten.“

4. DIE DREIGROSCHENOPER. Gesamtaufnahme, 3-LP-Box mit Programmheft und Edition Suhrkamp-Ausgabe. Polydor 1968. Mit u.a. Helmut Qualtinger, Franz Josef Degenhardt, Karin Baal, Berta Drews, Hans Clarin. Musikalische Leitung: James Last. Der von der Sache „nicht sonderlich angetan“ war, schreibt Wikipedia, „er hielt die Musik von Kurt Weill eher für berechenbar als herausragend, hatte dann aber doch Ideen zur Realisierung.

 Sein Werk führte zu Ärger mit Lotte Lenya, der Witwe Weills, welche die Rechte nicht freigeben wollte, weil ein E-Bass den akustischen Bass ersetzen sollte. Sie konnte aber davon überzeugt werden, dass das Werk keinen Schaden nehmen würde.“ Irgendwo im Berg meiner Singles ist eine mit Lotte Lenya vergraben. Aber sie zu finden, würde auch wieder nur zu Riesenärger führen. Den ich gerne in Kauf nehmen würde, wenn er mich zu Lotte Lenya führen würde. So ärgert man sich immer weiter. Bis der Ärger dann zum richtigen Ärger führt.



ES GIBT AUCH KLEINE STÄDTE

mit ner Menge Größe. So hat Sulzbach-Rosenberg

das Literaturhaus Oberpfalz. Mit der Bibliothek von Walter Höllerer. Und vielen anderen nützlichen Sachen, von der Buchhandlung Volkert bis zur Brauereigaststätte Fuchsbeck.

  Fotoquelle: ipernity.com

Außerdem ist man schneller über die Grenze als jemand Clubberer sagen kann. Was ja manchmal nicht unwichtig ist.



DER MANN, DER AM 4.2.1976 AUS DEM FENSTER SPRANG

(+ Knastlesen 4) Zu meiner wichtigsten Permanenzschulung gehört Bayern2Radio, das wird man ja wohl auch noch einmal sagen dürfen. Meine Lieblingssendungen sind „Jazz&Politik“ und „Das Kalenderblatt“; natürlich auch, was die Musikschulung betrifft, Karl Bruckmaiers Nachtausgabe, die kürzlich auf Samstag 23h verlegt wurde, und der Zündfunk, bei welchem ich allerdings nicht selten mein Radio angifte, „jetzt hört´s doch bitte endlich wieder einmal auf mit eurem komischen Gequassel, welches ich nicht einmal vorvorgestern lustig gefunden hätte.“ Was nicht heißt, ich wäre einer, der den ganzen Tag das Gras wachsen hört.

Als gestern das Kalenderblatt anfing, hörte ich ausm Irgendwo gleich eine Stimme, die „freeze!“ sagte. Und das machte ich.

„Was ist das denn jetzt“, murmelte ich.

Aber das Kalenderblatt widmet sich eben nicht nur mehr oder weniger bedeutenden Toten oder historischen Begebenheiten, Erfindungen etc., sondern manchmal auch Großereignissen der jüngeren Vergangenheit.

„Er galt mal als der cleverste Ganove im ganzen Land“, sagte eine gefährlich angenehme Frauenstimme. Ich übertreibe wirklich nicht, hören Sie selbst: http://suche.br-online.de/search?entqr=0&output=xml_no_dtd&client=downloadpodcast_frontend&ud=1&oe=UTF-8&ie=UTF-8&proxystylesheet=downloadpodcast_frontend&site=downloadpodcast_collection&q=ludwig+lugmeier&x=11&y=6

Später ging ich in die JVA zu meiner wöchentlichen Literaturvorlesung. Das Kalenderblatt hatte mir gesagt, welches Buch wir heute durchnehmen sollten:

 Nach einer kurzen Einleitung begann ich auf S. 281 vorzulesen: „Am Morgen des 11. November 1975, als der Prozeß begann, war ich aufgeregt. In der vorangegangenen Nacht hatte ich geträumt, daß ich fliehen würde … “

Ich hatte ein aufmerksames Publikum, von dem ich hoffte, dass es den folgenden Text für immer in seinen Gehirnen speichern würde. Mehrmals betonte ich, dass sie das, was sie da hörten, auf keinen Fall zuhause oder sonstwo nachmachen sollten.

Bei dem Jungen X. war mir bald klar, dass ihn das Buch nicht nur literarisch begeisterte. Der kleine Bandit hatte es trotz seiner jungen Jahre geschafft, sich sowas wie eine gute alte Ganovenehre zuzulegen, weiß der Teufel wie das zugegangen ist, das kann man sich ja nicht im nächsten Supermarkt kaufen, vielleicht hat er nur zu viele Scorsese- und Ferrara-Filme gesehen oder seinem Opa aufmerksam zugehört. Sein Spezialwissen über eine gewisse Sache haute mich um; als hätte er das studiert, sich Bücher in der Staatsbibliothek bestellt und diese exerzerpiert, nachdem ihm klar geworden war, dass er von Wikipedia nur bestenfalls Halbwissen bekommt. Er meinte, so vier Jahre Knast wären sicher mal eine nützliche Erfahrung. Und dabei hatte er – wie gesagt altmodische Schule – auch noch ein Herz. Leider auch ein spürbar großes aggressives Potential und eine Portion Naivität, was ihm früher oder später wohl zu seinen vier Jahren verhelfen wird.

Eine Menge interessanter Themen spülte das Buch heran: Auswanderungswünsche (Schweiz, Tschechien); „ich habe sogar drei gültige Pässe, das freut die Bullen immer besonders“; „ich gehe jeden Sonntag mit meiner Freundin in die Kirche, aber die Bibel lese ich nie, weil ich verstehe die Sprache nicht“; nichts Neues: keiner kennt die Sex Pistols, und wie immer denke ich einen Moment später: ja, wieso auch, wenn man 1996 geboren wurde?; in Tschechien sei die Herstellung von Chrystal legal – glaubte ich nicht – dann sollte ich mich mal genauer informieren…

Zehn Minuten, nachdem ich angefangen hatte, kam das einzige Mädchen dazu. Sie hatte ein Gespräch mit der Sozialbetreuerin gehabt und sie weinte und ich sah, dass kein Wort an sie herankommen konnte. Nach einer halben Stunde taute sie auf. Ihre Tochter kommt demnächst zur Ersten Hl. Kommunion. Ich habe vergessen, sie zu fragen, von welchem Krankenhaus sie damals Hilfe bekam.

Als ich dann durch vier gesicherte Türen endlich wieder abhauen konnte und vor der letzten endlich eine Zigarette anzünden konnte, erinnerte ich mich, dass ich einmal dieses Gedicht geschrieben und in meinem Buch „Nachmittag eines Reporters“ veröffentlicht hatte:

GEFÄHRLICHES LEBEN   für A.N. (´95)

Als das Glück / eines Tages auf meiner Seite war / lernte ich den Schriftsteller / Ludwig Lugmeier / Herkunft Kochel am See bei Penzberg / wo der Hund begraben ist / heute wohnhaft woanders / kennen und wusste aber nur grob / dass er auch einmal / ein erfolgreicher Dieb gewesen ist.

Nach ein paar Bier / traute ich mich / die Frage endlich zu stellen. / Wie kommts eigentlich / dass du zwölf Jahre / und ein halbes / so gut überstanden hast? / Er zuckte nur mit den Schultern. / Ich hätte mich am liebsten / so eine blöde Frage / so saudumm.

Später hat er / in einem Interview was gesagt / das mir sehr gut gefallen hat / dass es genauso gefährlich ist / einen Roman zu schreiben / wie einen Millionenraub durchzuführen. / Ich kann das nicht beurteilen. / Aber das klingt so gut / das muss die Wahrheit sein.



URLAUBSGRUESSE

aus dem schönen Kairo in der freundlichen Schweizerstadt Bern:



BRECHTFESTIVAL AUGSBURG 2013 (5)

(+ Knastlesen 3) Mit den Kindern im Knast mal wieder Brecht gelesen. Kinder ist falscher Ausdruck (aber ich meine damit ja sowas wie meine Kinder), Durchschnittsalter 19 würde ich sagen, Teilnehmer 7 Männer und 1 Frau. Das Besondere im Rückblick ist, dass ich einen Rekord im Selberreden aufstellen musste. Was heißt, ca. 105 min. vorlesen (eher weniger) und drumherum Schlingensief-mäßig nonstop Spontanvortrag halten, Anekdoten resp. Brecht und alles mögliche erzählen und erwähnen und erklären.

Meine Kinder waren selten ruhig und aufmerksam; aber es kam wenig von ihnen; niemand dabei, derdie, wie es nicht selten vorkommt, mal ordentlich über sich selbst ausgepackt hätte. Keine Diskussion untereinander (das Thema Boxen ging zu meinem Erstaunen vollkommen ins Leere, obwohl 4 Migranten unterwegs (ich dachte, die boxen alle?!), und selbst der asiatische Kickboxer erzählte nicht mehr, als dass er Leichtgewicht kämpft und in letzter Zeit „wegen Arbeiten und so“ kaum dazu kommt….). Niemand erzählte, weswegen sie ihn eingebuchtet hatten, und niemand ist extrem selten…

Kurz gesagt: wenn man mal nen hyperaktiven Quatschkopf gebrauchen könnte, ist er nicht da.

Klärung vorab: Brecht. Hatte niemand je gehört. Ich hielt eine streng nichtwissenschaftliche Einleitung. Las dann die Titelgeschichte aus dem Suhrkamp-Band „Der Kinnhaken und andere Box- und Sportgeschichten“. Das Mädchen war intelligent, die checkte alles. Der interessanteste Punkt an dieser Geschichte über einen hoffnungsvollen Bantamfighter ist ja, dass er deshalb scheitert, weil er im entscheidenden Moment das Selbstvertrauen verloren hat, sich zugleich ärgert, nicht den Mumm zu haben, zu tun, worauf er Lust hat (Bier und Zigaretten) und in den Kampf geht, als er schon zuviel Ablenkung zugelassen hat (Motorrad, Verlobte, Hausstand etc). Mit dem schönen Schlusssatz: „Wissen Sie, Vorsicht ist die Mutter des k.o.“ Aber wie gesagt, ich durfte mir zu allem den eigenen Mund fusslig reden. Was nicht heißt, dass es mich nicht gefreut hätte bzw. mich die wenigen Bemerkungen des Mädchens nicht gefreut hätten. Und mir gegenüber saß ein Türke, der absolut nichts rausließ und dabei von Minute zu Minute mehr brannte vor Aufmerksamkeit und mit leichtem Lächeln und Nicken etc immer wieder auf irgendwas reagierte.

Thema Sport natürlich. Boxen, ich laberte irgendwelches Zeug über Boxen bzw. erzählte von Max Schmeling oder Bubi Scholz, banales Auswendiglernwissen also. Lockte immerhin einen Jungen aus der Reserve, der dann erzählte, er habe eine Fußballkarriere angestrebt, ehe ihn vor einem Jahr der 3. Kreuzbandriss stoppte. Angeschoben hatte ihn sein Vater: der sei in den 80ern Profi in Polen gewesen und heute Schiri in der Landesliga. Guter Junge: war immer dabei und half mir immer wieder, indem er manchmal was sagte oder fragte.

Thema Theater, issja wohl berechtigt. Niemand von ihnen war je im Theater – halt, einer war als Kind mit der Schule in der Augsburger Puppenkiste (so wie ich), und davon hatte jeder schon mal gehört, also vom bedeutendsten Augsburger Theater, ist das vielleicht nichts. Ich schwadronierte also rum, woran das wohl liegen könnte, warum wir alle („ich auch, ich erzähl euch keinen Scheiß hier, ich mach euch nichs vor“) lieber fernsehen als ins Theater gehen. Thema: Rahmen. Thema: Tradition, gesellschaftlicher Hintergrund, Bildung. Und: Subvention; Millionen. Beispiel: Wieso bekommt das Theater Millionen, aber ein Filmfestival hier nur paar Zigtausend, sodass es nur noch alle zwei Jahre was machen kann? Was steckt dahinter, wer sagt, was wichtiger und mehr wert ist? Und was hat das mit uns zu tun? (Ich selbst habe eigentlich keine Meinung dazu, außer die, dass es erlaubt sein muss, diese Frage zu stellen, die ja für viele in der Theater-Verwaltungs-Subventions-Branche schon per se ein Angriff ist…verständlicherweise… – im Kopf hatte ich dabei, ohne es zu erwähnen, Thomas Meineckes wunderbaren Aufsatz von ca. 1982 in seiner Zeitschrift Mode & Verzweiflung mit dem Titel „Theater zu Parkhäusern“, und allein daran sieht man schon, so einfach wie es sich die Theaterfuzzis bei der Begründung zur Verteidigung ihrer Kohlen machen, denn sie behaupten ja in der Regel kaum mehr, als die letzte Security der wahren Kultur zu sein, ist es nicht…)

Ja, wo waren wir dann stehengeblieben? Weiß nicht mehr. Zuletzt las ich ein paar Geschichte vom Herrn Keuner vor. Von denen ich einige selbst nicht kapierte. Dann war es 16 h und für sie Zeit fürs Abendessen. Dann durften sie sich aufs Bett legen. Tagsüber ist es ihnen verboten, sich aufs Bett zu legen. Du kannst in der Zelle auf und ab gehen oder Kniebeugen machen oder am Tisch sitzen und ein Buch lesen. Mach ich auch oft. Ist okay.



BEDEUTENDE LITERATUR PRODUZIEREN

muss nicht immer ganz einfach sein. Peter Glaser hat dies zur Information in seinen Blog gestellt:

Quelle: http://blog.stuttgarter-zeitung.de/

Hier nicht die Blut-, sondern Hirnwerte anhand neuerer Ausgaben:

     



SCHON SEHR IRRE

was sich die Leute früher so gedacht haben, zum Glück wissen wir heute mehr:

Von: http://killercoversoftheweek.blogspot.de



BRODER HAT RECHT

Es ist uns egal, ob ein Statement lang oder kurz ist. Dieses von unseren Songdog.at-Kollegen ist so kurz wie möglich. Und wir können und müssen dem nichts hinzufügen:

Die Blockredaktion sagt:

Donnerstag, 10. Januar 2013, 10:49 Uhr Abgelegt unter: Allgemein

Broder hat recht.



ICH KANN NICHT GLAUBEN

dass meine Vorstellung vom Werk Albrecht Dürers mit seinem tatsächlichen so gut wie fast nichts zu tun hat. Was für ein Erlebnis.

„Lieber Gott! Bitte befreie mich aus der Gefangenschaft des gefährlichen Viertelwissens. Ich verspreche Dir auch, dass ich nie wieder ein schlimmes Mädchen sein werde.“