Bildung

AN JEDEM VERDAMMTEN FREITAG

ab 17 Uhr moderiert Klaus Walter, der im Nebenberuf als Radiolegende tätig ist, auf byteFM die Sendung „taz.mixtape“ und jeden verdammten Sonntag ab 19 Uhr ebenfalls dort seine eigene Sendung „Was ist Musik?“ Aus gegebenem Anlass heute mal sein Newsletter in voller Länge:

ByteFM     taz.mixtape / Tanzen gegen Terror, Baile, Gustafsson, Balzer, Blood Orange, Molotow
Dance the pain away 1: Wieder und wieder Attentate in der Welt. Dabei gilt: Vergesst das Schöne nicht. Alltagsfluchten in Zeiten der Krise sind dringend notwendig. Katrin Gottschalk empfiehlt Tanzen gegen den Terror.
Dance the pain away 2: Techno bringt Frieden, Liebe, Zukunft. Julian Weber findet bei neuer elektronischer Tanzmusik und altem Adorno Trost und Zuflucht ob des gefühlten Weltuntergangs: Ausgehen hält die Gesellschaft zusammen.
Es herrscht in Brasilien eine Art kultureller Apartheid. Vincent Rosenblatt begleitet als Fotograf die Kultur des Baile Funk in den Favelas von Rio. Kurz vor Olympia spricht er im Interview über die symbolische Bedeutung der Bailes.
Kontrolle, um alles zu geben, Brechreiz nach Konzerten. Franziska Buhre porträtiert den hyperaktiven schwedischen Saxofonisten Mats Gustafsson. Beim Berliner A l´arme! Festival präsentiert er zwei seiner wichtigsten Bands.
Geknickter Phallus ruft nach Mama. Ulrich Gutmair lauscht im Berliner Berghain der sonoren Stimme Jens Balzers. Der Redakteur der Berliner Zeitung stellt sein Buch vor: „Pop – ein Panorama der Gegenwart.“ Ganz hier & jetzt.
„Not black enough, too black, too queer, not queer in the right way.” Juliane Streich ist beglückt von den anti-identitären Verwandlungen des afrobritischen Musikers Dev Hynes, der als Blood Orange Popsongs für eine freie Stadt macht.
Beton tropft von der Decke. Jan Paersch blättert in einem schicken Coffee Table Fotoband über die wechselvolle Geschichte des Hamburger Molotow-Clubs. Auch Peaches war da: „Finally a fucking Rock´n´Roll Club in Germany!“
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Freitag, 22.7., 17 Uhr

WAS IST MUSIK / Emanzipation im Wald – E-Mail-Talk mit JaKönigJa I
Jakobus Durstewitz: Wir wollen das Rad nicht neu erfinden mit der Musik, aber wir wollen am liebsten ’ne Musik haben, die wir so noch nicht gehört haben. Dann freuen wir uns am meisten. Sobald das zu sehr in irgendein Genre geht, was wir machen, wenn man plötzlich ein Stück hat und sieht, das ist Jazz oder so Bebop-mäßig, das können wir nicht bringen, da haben wir keine Lust zu, das interessiert uns nicht. Das können andere besser.
Ebba Durstewitz: Ja.
Ebba Durstewitz: …Werdegang der Bildungsbürgertochter, musikalische Früherziehung, dann sehr früh Klavierunterricht, ich glaube mit fünf oder sechs, das ging aber total in die Hose, weil mein Klavierlehrer nicht gemerkt hat, dass ich keine Noten lesen konnte, ich hab das einfach nicht kapiert. Und irgendwann später, so mit zwölf, dreizehn, bekam ich dann wieder Lust aufs Klavier…
Jakobus: Da warst Du verknallt in den Cellisten..
Ebba: Nee, nee, das war mit fünfzehn.
Jakobus: Achso.
Jakobus: Meine erste Gitarre war die Wandergitarre meiner Schwester, auf der ich die ersten Peter Bursch-Drei-Akkord-Stück gespielt habe und dann sofort in ne Punkband eingestiegen bin und mir irgendwo ne E-Gitarre gelie-hen (?), nee gekauft habe, für fünfzig Mark.
Ebba Durstewitz ist Lusitanistin, Literaturwissenschaftlerin, Abteilung portugiesisch. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über Chico Buarque, den großen Songwriter und Autor. Ebbas Liebe zur brasilianischen Popmusik und Literatur spiegelt sich bei JaKönigJa…
Ebba: …weil ich da viel mehr kennengelernt habe, wie man schreiben kann und wie man sich frei machen kann von Gedanken, wie man nicht schreiben will und vor lauter Gedanken, wie man nicht schreiben will schreibt man lieber gar nichts…, weil es falsch sein könnte und ich glaube, ein Schlüsselerlebnis war tatsächlich Claryce Lispector.
Claryce Lispector, 1920 in eine jüdische Familie in der Ukraine geboren, als Kind in Brasilien gestrandet und dort zu einer gefeierten Autorin geworden, die wiederum Jahrzehnte nach ihrem Tod Spuren hinterläßt auf „Emanzipation im Wald“.
Ebba: Von Claryce Lispector, die ich wahnsinnig toll finde, die brasilianische Autorin, da kommt viel her, was auf den letzten drei Platten da ist, also auch auf dieser Platte. Also das Verhältnis zur Natur, aber die Natur eher als was Fremdes oder Abstraktes, Claryce Lispector geht es darum: können Steine fühlen? Ich möchte eine Pflanze sein, aber ohne, dass das was Esoterisches oder Transzendentales bei ihr hat, sondern immer so ganz sachlich.
Jakobus: Jetzt kann ich mich selbst bestäuben?
Ebba: Ja, genau.
Jakobus: Ich als Pflanze.
Ebba: Genau, HmHm.
„Emanzipation im Wald“ ist der Titel des neuen Albums von JaKönigJa. Bei Was ist Musik reden Ebba und Jakobus Durstewitz über unrasierte Elfen, das ICH im Popsong, Antarktis-Grusel, Liebe zu Brahms, keine Liebe zu Belcanto, das Näherkommen der Einschläge, Einsteins Relativitätstheorie… und einiges mehr. Drei Sendungen lang. Plus drei Wiederholungen.
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Sonntag, 31.7. 2016, 19 Uhr, Wiederholung Mittwoch. 3.8., 8 Uhr
Sonntag, 7.8 2016, 19 Uhr, Wiederholung Mittwoch. 10.8., 8 Uhr
Sonntag, 14.8. 2016, 19 Uhr, Wiederholung Mittwoch. 17.8., 8 Uhr
Einschalten – oder als Freund von ByteFM  im ByteFM Archiv nachhören.

Was ist Musik? Nur noch eine Stunde. Warum?
Liebe Hörer_innen von ByteFM (wer das nicht ist, kann sich die weitere Lektüre sparen)
Das Internetradio ByteFM sendet seit 2008. Ebenso lange mache ich dort die Sendung „Was ist Musik“, immer sonntags um 20 Uhr. In den ersten zwei Jahren war die Sendung drei Stunden lang, seit 2010 zwei Stunden.
Wie alle Autoren-Sendungen bei ByteFM (im Unterschied zu den redaktionell gestalteten) wird „Was ist Musik“ nicht honoriert.
Zwei Stunden Sendezeit ohne inhaltliche Vorgaben oder Beschränkungen, das ist ein Geschenk und ein Privileg, das es in dieser Form im öffentlich-rechtlichen Radio praktisch nicht (mehr) gibt. Zwei Stunden Sendezeit so zu füllen, dass es interessant bleibt, auf der Höhe der Zeit und den Ansprüchen der Hörer_innen genügt – und den eigenen – das ist eine Aufgabe, die viel Einsatz erfordert und viel Zeit. Zeit und Arbeit, für die es kein Geld gibt, Zeit, die ich brauche, um anderweitig Geld zu verdienen. Die Möglichkeiten, im deutschsprachigen Radio mit popkulturellen Themen Geld zu verdienen, haben sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert, man braucht also mehr Zeit, um genug Geld zu verdienen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich mich entschlossen habe, meine Sendung ab sofort auf eine Stunde pro Woche zu kürzen.
Dazu noch ein paar allgemeinere Überlegungen: Zu den Besonderheiten der digitalen Marktwirtschaft gehört der Umstand, dass immer mehr qualifizierte Popkulturarbeit im Internet stattfindet – für immer weniger Geld. Das gilt für schreibende Kritiker wie für Radiomacher. ByteFM hat 2009 den Grimme Online Award bekommen. In der Begründung erinnert die Jury an alte Zeiten: „…bevor der kommerzielle Umbruch der Radiosender den geschmacksbildenden Radio-DJ durch den chartgesteuerten Computer ersetzte. Dass erst ein neues Medium genau das auferstehen lässt, was viele mit Wehmut an die früher vor dem alten Medium verbrachten Stunden zurückdenken lässt, mag Ironie des Schicksals sein. Doch ist `ByteFM´ kein verklärter Blick in die Vergangenheit, sondern eine von Musikliebhabern für Musikliebhaber gestaltete Plattform…“
Die niedlichen „Musikliebhaber“ sind zum großen Teil Musikjournalisten mit viel Erfahrung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Deren qualifizierte popkulturelle Arbeit ist im Zuge des nun schon zwei Jahrzehnte andauernden „kommerziellen Umbruchs“ immer weniger gefragt. Mit dem Siegeszug des kommerziellen Privatradios, der übrigens mit dem Fall der Berliner Mauer zusammenfällt, hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland von der Popkritik weitgehend verabschiedet – ruhmreiche Ausnahmen bestätigen die Regel. Entsprechende Sendungen wurden auf nächtliche Sendeplätze verschoben oder ganz abgeschafft. Meine Sendung „Der Ball ist rund“ beim Hessischen Rundfunk wurde Ende 2008 nach 24 Jahren eingestellt – knapp ein Jahr nach dem erfolgreichen Start von ByteFM…
Die Folge dieser Entwicklung: Popkritik-Profis reamateurisieren sich zwangsfreiwillig und senden unter Praktikantenbedingungen bei einem Internetradio wie ByteFM. Selbstverwirklichung gegen Selbstausbeutung – die Tauschformel der Prekaritätsökonomie. Was die Grimme-Jury in ihrer Eloge verschweigt: Dass die possierlichen „Musikliebhaber“ sich nicht bloß selbst ausbeuten, sondern dass sie unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen sämtliche Qualitätsstandards unterschreiten müssen, die bei orthodox ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Programmen üblich sind. Von dem Geld, das bei ByteFM in ein aktuelles Zwei-Stunden-Magazin fließt, könnte ein öffentlich-rechtliches Radiofeuilleton keine zwei Minuten senden. Das ist ein weiterer Grund für die Reduzierung der Sendezeit von „Was ist Musik“: die permanente Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit. Wenn eine Sendung ständig unter Zeit/Geld-Druck entstehen muss, dann drückt das die Qualität und damit die Freude an der Arbeit. Dann bleibt mal eine holprige Moderation drin, die man unter anderen Bedingungen noch einmal aufgenommen hätte, ein schiefer Übergang wird nicht noch mal neu produziert, es fehlt die Zeit, einen Mod-Text auszuformulieren, also redet man redundantes Zeug usw usw…die Qualität leidet. ByteFM wiederum, also die Redaktion und Ruben Jonas Schnell, der Gründer des Radios, haben keine Mittel, um unbezahlte Mitarbeiter_innen dazu zu bewegen, eine Sendung evtl. noch mal neu aufzunehmen oder anders zu gestalten. Das sind die Schattenseiten der vom Grimme-Institut gefeierten Musikliebhaberei. Und bitte rede jetzt niemand von der Romantik des Unperfekten oder vom Charme des Dilettierens, beides verbraucht sich schneller als man „Das Beste aus den Achtzigern, den Neunzigern und von heute“ sagen kann.
In der Medienberichterstattung wird immer wieder betont, dass ein Internetradio wie ByteFM im Bereich der Popkultur das leistet, was die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen qua Auftrag leisten müssten – aber nur sehr eingeschränkt tun. Ohne eine halbwegs angemessene Finanzierung kann ByteFM das nicht leisten. Die Haupteinnahmequelle ist der Freundeskreis von ByteFM. Für 50 Euro – nicht am Tag, nicht im Monat – im Jahr kann man Mitglied werden und hat so Zugang zum Archiv, kann also Sendungen nach eigener Wahl anhören, wann man will. Dazu gibt es weitere Privilegien wie Verlosungen von Konzertkarten und Ähnliches. Wenn Ihr ByteFM unterstützen wollt, dann werdet Mitglied des Freundeskreises, Ihr könnt auch mehr zahlen als 50 Euro.
Selbstverständlich freuen wir uns auch über begabte Crowdfunderinnen oder Ölmilliardäre, die unser Radio sponsern wollen. Bis diese sich gemeldet haben bleibt „Was ist Musik“ bei einer Stunde Sendezeit, Sonntag 20 bis 21 Uhr, das selbe gilt für „Vierundzwanzig/Sieben – die Woche im Pop“, ab sofort am Montag, 18 bis 19 Uhr.
Diese Sendung heißt Was ist Musik, weil die Antwort darauf ist: alles.
Danke für die Aufmerksamkeit, Klaus Walter

Sendung verpasst? Wiederholung verschlafen? Mitglieder unseres Fördervereins „Freunde von ByteFM“ haben Zugriff  auf unser komplettes Archiv. Sie können dann sämtliche Sendungen per Mausklick starten. Die Sendungen lassen sich beliebig oft abspielen.
Durch Eure Mitgliedschaft im Verein „Freunde von ByteFM“ helft Ihr, ByteFM wirtschaftlich abzusichern, damit wir Euch unser Programm noch lange anbieten können. Und es verbessern können. Die Autorensendungen von ByteFM können nach wie vor nicht honoriert werden, das hat Folgen für die Qualität.
Alle weiteren Infos auf der ByteFM Homepage über die Menüpunkte: ByteFM Archiv oder Freunde von ByteFM
Werbeunterbrechung:
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Hören, aber wie ? ByteFM lässt sich nicht nur am Computer hören. Freistehende Internet Radios, die kabellos via Wlan oder über ein DSL Kabel mit einem Router verbunden sind, lassen sich in der Küche und im Badezimmer positionieren, genau wie das gute alte Radio. Diese Radiogeräte sind schon unter 100 Euro zu haben. Tausende von Sendern sind über diese InternetRadios zu empfangen – natürlich auch das Programm von ByteFM.

Was ist Musik: sonntags 19-20 Uhr Kontakt: wasistmusik[at]byte.fm Schreibt auch an diese Adresse, wenn Ihr den Was ist Musik-Newsletter bekommen wollt. Sorry für doppelsendungen. mail nicht mehr erhalten? antworten mit betreff: austragen



WAS IN UNSEREM LAND

zu wenig vertreten ist, sind zweifellos Politiker, die sich auch einmal etwas trauen können, ohne zuerst ihren Vorsitzenden oder die Sekretärin zu fragen. Da ist doch Dr. Maximilian Krah, Beisitzer im Dresdner CDU-Kreisvorstand, eine vorbildliche Ausnahme. Der Mann, der in seiner Freizeit auch als Rechtsanwalt tätig ist, hatte letzten Freitag in München zu tun, wo ihm jedoch nichts passierte, und verbreitete über Twitter um 20h53, als „die Nachrichtenlage und die Hintergründe der Tat völlig unklar“ waren, laut Sächsische Zeitung „in einem inzwischen gelöschten Beitrag“: „Ich bin in München. Das muss der Wendepunkt sein: Die Willkommenskultur ist tödlich. Es geht um unser Land!“

Und wie dankte die Öffentlichkeit dem „fidelen Jurist“ (junge Welt), dass er sich zu einem zweifellos frühen Statement durchzuringen imstande war? Mit einem vollkommen ungerechtfertigten sog. Shitstorm. Auf den Dr. Krah im Interview verständlicherweise so reagierte: „Man hat fast den Eindruck, mein Satz ist schlimmer als der Terror.“

Als ich mir nun die persönliche Seite des 1977 geborenen Katholiken und Vaters von fünf Kindern ansah, bestätigte sich meine Vermutung, dass es sich hier endlich einmal um einen etwas interessanteren Politiker handelt: nicht nur weil er „in Dresden Jura (Dr. iur.) und in London und New York Betriebswirtschaft studiert“ hat, sondern obendrein freimütig bekennt: „interessiert sich für Kunst, Literatur, Philosophie, Theologie, Mode und Politik.“ Jemand wie ich, der manchmal selbst etwas schreibt, kann von derart interessierten Politikern kaum genug bekommen.

Auf seinem hochinteressanten Weblog weiß Dr. Krah außerdem zu diesem schicksalshaften Tag zu berichten: “ Mein Rückflug war für 21:30 Uhr geplant, und zuvor hatte ich mich noch spontan mit dem Schriftsteller Michael Klonovsky im Englischen Garten verabredet.“ Ich muss gestehen, dass ich das etwas neidvoll las – warum gibt es Schriftsteller, die das Glück haben, sich spontan mit einem hochrangigen Politiker zu treffen, während mir das nie gelingt? Obwohl ich naturgemäß nicht alle deutschen Schriftsteller kennen kann, kam mir der Name Klonovsky doch sehr bekannt vor.

Michael Klonovsky war viele Jahre der führende Schriftsteller beim Nachrichtenmagazin Focus, ehe er sich im Mai 2016 nach einer neuen Herausforderung umtat. „Ich bin auf Frau Petry, wie man sagt, zugegangen. So gehört es sich doch auch, oder? Der Herr dient sich der Dame an“, äußerte er sich geschliffen wie immer im taz-Interview und präzisierte: „Ich stelle ihr und der AfD gewissermaßen meinen Kopf zur Verfügung. Im angelsächsischen Raum gibt es für das, was ich tun soll, die Bezeichnung Spin Doctor. Alles Weitere wird sich ergeben.“

Meine Freude darüber ist wohl verständlich, wenn ich sage, dass ich alle seine Bücher (nebst vielen Artikel, die auch im Internetz leicht zu finden sind) mit Begeisterung gelesen habe. Ein Beispiel aus einem seiner Werke mit Notaten und Gedanken zum Tagesgeschehen mag als Begründung genügen. Am 20. August 2012 notierte der politisch engagierte Dichter: „Die Verurteilung war völlig angemessen, aber das Strafmaß, das die russische Justiz wegen schweren Hausfriedensbruchs in der Moskauer Erlöser-Kathedrale über die haarscharf jenseits der Zurechnungsfähigkeit agierenden »Pussy Riot«-Maiden verhängt hat, ist natürlich absurd hoch – ungefähr so absurd hoch wie hierzulande die Strafen für Holocaust-Leugner. Aber jedes Land bestraft eben die Schändung seiner Primärreligion besonders hart.“

Trotz des humorvollen Untertons bei „Primärreligion“ machte mich der neue Posten von Michael Klonovsky doch auch etwas nachdenklich. Denn es ist wohl nicht gewagt, seine sicher nicht leichte Tätigkeit für Frau Frauke Petry und ihre AfD als den berühmten Schleudersitz zu interpretieren, und es erfüllt mich doch etwas mit Sorge, wenn ich mir die naheliegende Frage stelle, auf welche Art dieser talentierte Dichter seinen Kopf dann zur Verfügung stellen könnte. Und damit sind wir, wie so oft, nur äußerst geringfügig vom ursprünglichen Thema abgekommen.



MÜHSAM BLEIBT

Die junge Welt vom 6.7. konnte eine freundliche Nachricht melden: „Das Ehrengab für den Schriftsteller und Anarchisten Erich Mühsam ist vom Berliner Senat endlich verlängert worden. Es war 2010 abgelaufen und weitergepflegt worden. Der Senatskanzlei waren mehrere hundert Unterschriften für den Erhalt übergeben worden. Der wurde vom zuständigen Gremium des Senats nun beschlossen, der Rat der Bürgermeister sowie das Abgeordnetenhaus haben der Entscheidung zugestimmt. Erich Mühsam war in der Nacht vom 9. zum 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg ermordet worden. Er ist auf dem Waldfriedhof Berlin-Dahlem begraben, wo seit 1992 auch die Urne seiner Ehefrau Creszentia liegt. Am kommenden Sonntag, Mühsams 82. Todestag, treffen sich wie jedes Jahr seine Anhänger zwischen 15 und 19 Uhr an seiner Grabstätte, um seiner zu gedenken.“

Das seid ihr Hunde wert! Ein LesebuchaDer Singende Tresen - Mühsamblues - CDb

a: Verbrecher Verlag b: Setalight shop bzw dersingendetresen.de



NICHTS ZU DANKEN

Laut meinem Kenntnisstand musste ich die Vermutung haben, dass Bundespolizisten relativ gut ausgebildet sind. So war ich doch etwas überrascht über eine Äußerung der Beamtin Claudia Pechstein, die in ihrer knapp bemessenen Freizeit auch fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin geworden war.

Die 44-Jährige, die in Uniform vor dem Bundesgerichtshof erschien, sagte laut Presseberichten: „Wir Sportler sind scheinbar Menschen zweiter Klasse.“ Das ist auch mein Eindruck, dass erfolgreiche deutsche Sportler keine Menschen zweiter Klasse sind. Selbst dann nicht, wenn sie nicht wissen was „scheinbar“ bedeutet: Der Schein trügt, die Realität sieht anders aus. Falls man etwas bei Tasse ist, versteht man, was die Beamtin damit sagen wollte: dass sie und andere Leidensgenossen anscheinend Menschen zweiter Klasse sind. „Anscheinend“ ist ein Wort, dem mit höchster Vorsicht begegnet werden sollte: wenn meine Oma sagen würde, „anscheinend bin ich die Größte“, hätte ihr nicht einmal Muhammad Ali das Gegenteil beweisen können.

Diesen ihren falsch ausgedrückten Eindruck präzisierte Polizistin Pechstein auch noch mit diesem Vergleich: „Jeder Flüchtling, der nach Deutschland kommt, genießt Rechtsschutz. Wir Sportler nicht.“ Meine Oma hätte dazu, zweifellos nicht ganz passend, nur geknurrt: Dann hätten Sie halt was Gescheites gelernt! Während wir die angespannte Situation der Beamtensportlerin in dieser Situation verstehen können und über ein passenderes Beispiel nachdenken. Vielleicht so: „Jeder besoffene bayrische Mann, der seine Frau absticht, weil sie zu blöd war, das Finanzamt richtig zu bescheißen, genießt Rechtsschutz. Wir Sportler nicht.“

Wir wissen nicht, was die uniformierte Exeisschnelllaufläuferin dazu sagen würde. Aber wir helfen immer gern. Wenn die Sportabteilung Probleme hat, muss eben die Abteilung für Sprache und Zweifel antreten. Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn die verschiedenen Rädchen auf die anderen Rädchen achten. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende. Und denken Sie daran: Das Eis kann immer dünn sein!



EINE ANDERE ROLLE

Lesung von & mit Viv Albertine. Gast: Conny Lösch (Deutsche Übersetzung). Im Optimal Records, Kolosseumstr. 6, München, Dienstag, 24.05.16, Einlass 20:00 Uhr, Beginn 20:30 Uhr, Eintritt 10,00 €

 

„London, Mitte der Siebziger. Die Popkultur wird neu erfunden, in der revolutionären Ursuppe des Punk scheint alles möglich. Aber gilt das auch für Frauen? Gibt es außer Groupie, Elfe oder Rockröhre noch andere Rollen? Besteht vielleicht zum ersten Mal die Chance, mit allen Typical-Girl-Klischees aufzuräumen, statt selber eins zu werden? Viv Albertine wurde zum Riot Girl, lange bevor es diesen Ausdruck gab. Bei den legendären Flowers of Romance kreierte sie neben Sid Vicious (später Sex Pistols) und Keith Levene (später PIL) ihren individuellen Gitarrensound. Um dann mit den Slits, der ersten autonomen Frauenpunkband, die Türen aufzustoßen, durch die später Madonna oder Lady Gaga eigene Wege gehen konnten. Wie die Punkszene entstand, wie sie aus weiblicher Sicht erlebt und feministisch neu erfunden wurde und welche Rückschläge es dabei gab – all das wurde noch nie so plastisch und zugleich so reflektiert, so abgeklärt und zugleich so amüsant geschildert wie von Viv Albertine in ihrem umwerfenden Memoir. Shoes off!“



WAS KÖNNTEN WIR

von der Zeitung denn mehr erwarten als die Inspiration zu eigenen Gedanken und Erinnerungen? Und kommt das in den Zeiten des schnellen  Internet nicht viel zu selten vor? Oder oft genug? Jedenfalls Folgendes: „Amateursaxofonisten wie John Lurie und James Chance versuchten, das Stümpern zum Stil zu erklären. Allerdings verschwanden ihre Bands Lounge Lizards und The Contortions dann auch sehr schnell wieder.“ (SZ, 14.5.2016)

Ich fragte mich allerdings nicht nur, ob ich den Ausdruck „sehr schnell“ mein Leben lang falsch benutzt hatte, sondern erinnerte mich an einen der beste Witze, die ich lebenslänglich mitbekommen habe: „<Das ist ja Free Jazz>, sagte eine Frau am Nebentisch entsetzt zu ihrer Freundin, nachdem sie (…) ein paar Minuten zugehört hatte. Aus einem lobenswerten Grund hielt sie dann tapfer durch: <Die Instrumente tun mir leid.>“ (Ich darf das mit einem kleinen Witz ergänzen: Wer´s nicht glaubt, kann es in meinem Buch The Boy named Sue ab S.136 nachlesen).

Wenn ich der Musikjournalist wäre, der das geschrieben hat, und diese Anmerkung hier lesen würde, würde ich antworten, dass da allerdings von Free Jazz nicht die Rede war und mich nicht betroffen fühlen. Und würde mich schnell wieder neuen Themen zuwenden. Ehe womöglich irgendein Amateur sehr schnell schneller ist.



EINE POSTKARTE

die nicht abgeschickt wurde. Wobei die serbische Postkartenpolitik – das wird man

Fuck the coca - Fuck the pizza - All we need is shljivovitza!

wohl auch mal erwähnen dürfen – nicht ganz unschuldig ist, weil man dort, wo man die Karte kauft, keine Briefmarke bekommt, sondern nur auf der Post, die man natürlich nie findet. Während man in Zagreb dieses Problem optimal gelöst hat.



WÄHREND IN MÜNCHEN

„the best movie theatre in the world“ (Time Magazine) sein 40-jähriges Jubiläum angemessen groß feiert. Das Werkstattkino ist einer der ich sag mal zwei bis drei Orte, weswegen ich es immer bedauert habe, die Stadt verlassen zu müssen. In den Jahren 1980 ff. habe ich mir dort eine Bildung verpasst, die man sich auf keiner Universität und Straße besorgen kann. Eine Investition für das ganze Leben. Danke, Werkstattkino, ewig und glücklich und wohlhabend sollst du so weitermachen!

WK 40 Programm 31. 3. – 13. 4. 2016 Achtung, variierende Anfangszeiten!

Donnerstag, 31. 3. 2016 20.30h

KINOKRÄNZCHEN (Thomas Reitmair)

Das Werkstattkino feiert sein 40-jähriges Bestehen! Gratulation!!! Um darzulegen, warum diese einmalige Institution zweifellos „the best movie theater in the world“ (Time Magazine) ist, habe ich mich für eine Vorführung des Splatter-Klassikers SEVEN DOORS OF DEATH (IT 1981, R: Fulci) entschieden – weil der Film für mich untrennbar mit diesem Ort verbunden ist. …bis dann denn …Großmutter

Donnerstag, 31. 3. 2016 22.30h

WERKSTATTKINO (Dolly)

NWH USA 1985 R: Gregory Dark. Digital, 75Min. DF Nur für Erwachsene.

Freitag, 1. 4. 2016 20h / 22h

BUNTER HUND

Seit 17 Jahren hat das Internationale Kurzfilmfest BUNTER HUND nun seine Heimat im Werkstattkino und zeigt dort einmal im Jahr an einem langen Wochenende eine wilde Mischung von Kurzfilmen aus aller Welt. Auch wenn der Andrang oft groß und die Luft entsprechend knapp ist: nirgendwo sonst soll das Körbchen der Bunten Hunde stehen, und sie sind stolz, den heutigen Abend mit einem Best Of

(2 Programme!) bestreiten zu dürfen, das Jurymitglieder aus all den Jahren zusammengestellt haben.

Samstag, 2. 4. 2016 20.30h

SALON

Eine Reminiszenz an die legendäre Einrichtung SALON, die vor einer Dekade über zwei Jahre hindurch in fünfzehn Folgen vonstatten ging. Die Überlegung damals:

a) eine kecke Filmauswahl und -folge ist zu treffen.

b) gezeigt werden Kurzfilme (bis 30 Min.) aller möglichen Genres, vorzugsweise in den ursprünglichen (analogen) Kinoformaten, bis hin zum Super-8. In seltenen Fällen auch als Video.

c) im Anschluss an die Vorstellung sind Erfrischungsgetränke (Bier) bereitzuhalten.

Dieser Abend ist unserem langjährigen Freund und treuen Salonlöwen Tom Wimmer gewidmet, der im Oktober 2015 verstarb. Ein ausführliches Programmblatt zum Jubiläumssalon liegt im Foyer aus.

Sonntag, 3. 4. 2016 20.30h / 22.30h

EX-WERKSTATTKINO (Anatol)

FINGERS USA 1978, 89min, 35mm OV Farbe (auch wenn das Technicolor brutal gelitten hat), R & B: James Toback, mit Harvey Keitel

USA, New Hollywood, Ende der Siebziger wurden die Helden bitterer und kränker. Wir kannten fast alles. Dann lief im Werkstattkino FINGERS und hat alles nocheinmal auf den Kopf gestellt. Wir wollten sprechen wie Keitel und genauso leiden an Minderwertigkeitsproblemen und Sex, wir haben uns Gesten abgeschaut und ‚Angel of the Morning’ und ‚Summertime’ besorgt – und wollten uns rächen.

WERKSTATTKINO ZEIGT FICKFILME“

1984 hatten wir uns eine Braun Nizzo Super 8 Kamera gekauft. Wir wollten Filme machen. Möglichst mit Sex. Alle sind gut geworden. Frieda Grafe schrieb in der Süddeutschen Zeitung: „Sie benutzen das Medium zur Reflexion von Klischees aus dem Kommerzfilm und artikulieren den Exhibitionismus, der immer in Filmbildern steckt.“

MORGEN D 1984, 7min, stumm. Regie: Doris Kuhn

EINSAME COWBOYS D 1984, 18min, Regie: Anatol Nitschke, mit Romuald Karmakar, Rainald Goetz, Florian Süssmayr, Rupert Klostermeier, Marc Sargent, Hans-Jörg Mayer und Regina Huber

SEEMANNSBRAUT D 1984, 15min, Regie: Erich von Wagner, mit Valerie Caris, David Steeves, Anatol Nitschke, Norbert Hähnel u.a.

COUCH D 1985, 30min, Regie: Anatol Nitschke, mit Florian Süssmayr, Andrea Hagen, Doris Kuhn, Wolfgang Flatz, Wolfgang W.Werner, Roland Kottlow, Hans Schifferle u.a.

Montag, 4. 4. 2016 geschlossen

Dienstag, 5. 4. 2016 20.30h / 22.30h

WERKSTATTKINO (Wolfi)

DER HAUPTDARSTELLER D 1977, R: Reinhard Hauff. B: Hauff, Christel Buschmann. Mit Michael Schweiger, Mario Adorf, Vadim Glowna, Hans Brenner. 35mm, 91Min.

Ein sozialkritischer, kühl und nüchtern, weithin im Stil eines Dokumentarfilms angelegter Film, der die innere Entwicklung eines Menschen in widrigen Verhältnissen beschreibt und die Frage nach dem Recht der freien Persönlichkeitsentfaltung stellt.“ (Filmdienst)

Ein weiterer Hauptdarsteller: Das Werkstattkino 1977!

TRAILERALPHABET (AB A) D 2016, 35mm, open end

Mal alle Trailer zusammenhängen, die so im Kino rumliegen, und sich dabei nicht von Genres leiten lassen, sondern von Buchstaben – das war der Gedanke. Das Ergebnis hat hier Weltpremiere.

Mittwoch, 6. 4. 2016 20.30h / 22.30h

JACK STEVENSON

Wie kein anderer Aussenstehender hat der amerikanische Filmsammler, -vorführer, -historiker und Kurator Jack Stevenson den Geist unseres Hauses mitgeprägt. Sein Kampf um das analoge Filmformat ist mittlerweile Legende. Seit einem Vierteljahrhundert lebt er in Kopenhagen, schreibt Filmbücher und betreibt dort das letzte analoge Kino Dänemarks, das HUSTETS BIO.

YOUNG LOVE (3 Kurzfilme): HOW DO I LOVE THEE (25′, USA 197?, Wetzel Whittaker); FOR TIME OR ETERNITY (25′, USA 1970, W. Whittaker); MY DAD’S CALLGIRL (30′, USA 1968, anonym)

RANDY THE ELECTRIC LADY USA 1980. R: Phillip Schuman. 72 Min. OV

It is complex, bold, campy, satiric, sexy, romantic, daft and bizarre, and with a soundtrack that veers between lounge music and punk it stands as one of the most unique „adult films“ ever made … A priceless lost treasure that is beautifully filmed and wonderfully conflicted.“ (Jack Stevenson)

Donnerstag, 7. 4. 2016 20.30h / 22.30h

WERKSTATTKINO (Dolly)

DER UMSETZER D 1976 R: Benno Trautmann & Brigitte Toni Lerch. 75 Min. 16mm s/w

Trautmann und Lerch haben mit ihrem Erstlingsfilm das nicht nur in Berlin aktuelle Problem der Stadtsanierung aufgegriffen. Zwar hat sich, als Folge des Denkmalschutzjahres, die Kahlschlag-mentalität der Stadtplaner nicht überall durchsetzen können, doch sind die Eingriffe in das Sozialgefüge ganzer Stadtviertel noch immer radikal genug.“ (Der Spiegel 1976)

NEUN LEBEN HAT DIE KATZE D 1968 R: Ula Stöckl. 86 Min. Techniscope, digital Farbe

Wie können Frauen sagen, wie sie sich ihre Welt wünschen, wenn zu ihrer Existenz eine grundsätzliche Sprachlosigkeit gehört, weil immer einer von ihnen da war und ihnen nichts bleibt, als ewig zu reagieren.“ (Frieda Grafe 1971)

Freitag, 8. 4. 2016 20.30h

WERKSTATTKINO (Waco)

AFRICA ADDIO It 1964. R: Gualtiero Jacopetti & Franco Prosperi. M: Riz Ortolani. 35mmCS 140min. DF

Einer der ganz großen Skandalfilme der Filmgeschichte, Jacopettis „Abschiedsgruß aus dem sterbenden Afrika“: Massenmord an den Tutsi in Ruanda, Bürgerkrieg im Kongo und auf Sansibar, Kolonialkrieg in Angola etc.

Sensationsjournalismus wie ihn Millionen westeuropäischer Kinogänger goutierten.

Samstag, 9. 4. 2016 20h / 22h

JUGENDVERDERBER (Ullrich Bassenge)

Return of the Jugendverderber mit der Nacht No. 29 (ab 18).

STREET TRASH USA 1987 R: Jim Munro B: Roy Frumkes. Mit Mike Lackey, Vic Noto. HD 101min OmU

Der Klassiker unter den Melt-Movies: Für einen Dollar die Flasche wird ein unbekannter Schnaps an die lokalen Penner in Brooklyn verkauft. Natürlich richtet das Getränk allerlei Schäden an: Die Trinker schmelzen, zerlaufen, explodieren.

HOBO HOLOCAUST K 2011, R: Jason Eisener, HD 86 Min. OmU

Gloriously over-the-top blood pudding about a homeless man who goes Dirty Harry on a dead-end town run by sadistic criminals.“ (The Age 2011)

Sonntag, 10. 4. 2016 13h (Teil 1); 18h (Teil 2); 21.30h (Teil 3)

EX-WERKSTATTKINO (Alex)

TIE XI QU: WEST OF THE TRACKS (Yan Fen Jie) China/Nl 2003. R, B, K: Wang Bing. Digital. 554 Min. OV mit englischen UT

Wang Bing drehte von 1999 bis 2001 in der Industrieregion Tie Xi, deren Metallfabriken in jener Zeit zum Großteil schlossen. Der Film zeigt das Leben, die Liebesbeziehungen, die Hoffnungen und Enttäuschungen von Fabrikarbeitern und ihren Familien. „Jeder Mensch ist hier mit einer neuen Situation konfrontiert: Man erlebt konkret und Tag für Tag den Verlust einer Sicherheit, die es früher einmal gab. In der Konsequenz beobachte ich, dass sich eine immer größer werdende Kluft zwischen der Realität und den Wünschen, Sehnsüchten und Träumen der Menschen auftut.“ (Wang Bing) Die Dokumentation hat drei Teile: RUST (243 Min.), REMNANTS (178 Min.), RAILS (133 Min.)

Montag, 11. 4. 2016 20h

WERKSTATTKINO (Bernd)

JEANNE DIELMAN, 23 QUAI DU COMMERCE – 1080 BRUXELLES Belgien 1975. R & B: Chantal Akerman. K: Babette Mangolte. Mit Delphine Seyrig, Jan Decorte, Henri Storck. 35mm 225Min OmU

Dreieinhalb Stunden im Leben einer alleinerziehenden Mutter. Minutiös ist ihr Alltag organisiert, putzen, einkaufen, ein paar Minuten in einem Café, kochen. Am späten Nachmittag legt Jeanne das Handtuch aufs Bett, für den Kunden. Die Hausfrau verdient sich etwas dazu. Es ist kein kritischer, auch kein bitterer Film, es ist nicht mal ein Frauenfilm. Chantal Akerman, diese „Widerstandskämpferin gegen das Kino der Gefälligkeit“ (Godard) war 25 Jahre alt, als sie mit diesem Film das Kino revolutionierte.

Dienstag, 12. 4. 2016 20h / 22.30h

UNDERDOX

WHY NOT USA 1970. R, B, K: Shûsaku Arakawa. Mit Mary Window. 16mm. 110 Min. Ohne Dialoge.

Ein Hauptwerk des amerikanischer Avantgardefilms der 70er Jahre, erotische Minimal Art und klaustrophobisches Cinema pur. Eine junge Frau in einem New Yorker Apartment nimmt körperlichen Kontakt mit den sie umgebenden Dingen auf, von denen sie letztendlich überwältigt wird.

MAKINO TAKASHI: CERULEAN SPECTACLES Japan 2007-2014. R, B, K: Makino Takashi. Digital. 77 Min. Ohne Dialoge.

Takashi Makino sah seinen ersten „Experimentalfilm“ (er möchte nicht in dieser Kategorie gelabelt sein) in einem Traum, den er nach einem schweren Unfall im Alter von fünf Jahren hatte. „No movie affected me so strongly like the images I saw in my dream.“ Die Filme: TRANQUIL (2007, 19 Min.), THE LOW STORM (2009, 16 Min.), INTER VIEW (2010, 23 Min.), GHOST OF OT 301 (2014, 9 Min.)

Mittwoch, 13. 4. 2016 20.30h / 22.30h

WERKSTATTKINO (Thomas)

À NOS AMOURS F 1983. R: Maurice Pialat. K: Jacques Loiseleux. Mit Sandrine Bonnaire, Dominique Besnehard, Maurice Pialat, Evelyne Ker. 35mm. Farbe. 99 Min. OmU

À NOS AMOURS is something you have to live with; I fear this film because I’m incapable of passively watching it: it penetrates me, impresses itself upon my existence, sends me into paroxysms, flays me raw, makes me want to walk 20 miles, firebomb whatever relationship I’m in at the moment, scream at a

stranger—and this isn’t a case of trite critical overstatement.“ (Nick Pinkerton, Reverseshot 2006)

ABSCHAUM – SCUM GB 1979. R: Alan Clarke. B: Roy Minton. K: Phil Méheux. Mit Ray Winstone, Mick Ford, Julian Firth, John Blundell. 35mm. Farbe. 97 Min. DF

Scum, a bar-rattling exposé of Britain’s Borstal system for youthful offenders … constructed with the inevitability of a time bomb.“ (Tom Allen, Village Voice 1980)



AUF DER FAHRT

vom Flughafen durch Novi Beograd (“Tito wollte der Welt zeigen, wie modern der jugoslawische Sozialismus bauen kann und hat zum Beispiel berühmte Architekten wie Le Corbusier engagiert, da war vorher nichts, nur Sumpfland”)

neustadtpanorama | novi beograd | 2013 by feliksbln on Flickr.

(Foto via Komalantz.tumblr.com)

ins Zentrum. Das „West-Tor“ von Architekt Mihailo Mitrovic wurde 1980 fertig und ist heute eines der Wahrzeichen Belgrads. Die Taverne „?“ ist nicht weniger berühmt, weil dass Esslokal in einem der ältesten Häuser im Zentrum untergebracht ist, aber sehr viel kleiner und niedriger.

„?“ heißt so seit 1892: der Besitzer bekam wegen des Kneipennamens „By the Cathedral Church“ sowohl mit Stadt als auch Kirche Probleme; deshalb „the owner put out just a question mark as a temporary solution and as sign of protest as well until dispute with authorities was resolved“, schreibt Nada Zivkovic im Heftchen, das der Tourist vom Kellner mit der Rechnung überreicht bekommt.

Das Quartett, das am Abend mit Violine, Akkordeon, Gitarre und Kontrabass aufspielte, begann mit einer regionalen Version der Titelmelodie von „Der Pate“. Der nicht nötig war, um am Freitagabend ohne Reservierung einen Tisch zu bekommen. Der Chef selbst regelte das „for my friends“ in einer Minute.



THRILLER

„Wenn im Europäischen Parlament NPD, AfD und BKA gemeinsam für ein lasches Waffengesetz eintreten, ist das ein Fall für den Verfassungsschutz.“ Roman Grafe, Süddeutsche Zeitung, 12.3.2016

Könnte das Exposé zu einem Thriller sein. Mit dem Titel: Na dann gute Nacht.

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