Bildung

AUSGERECHNET

heute am „Welttag der Poesie“ ist die Augsburger Abteilung der Artists Against Antisemitism in der Dießener Buchhandlung CoLibri ab 19h (auch mit Beiträgen, die irgendwas mit Poesie, allerdings nichts mit der bei gewissen Poeten beliebten Frühlingspoesie zu tun haben) – mit den Gästen Daniel Gitbud („Coffee with a Jew“) und BR-Journalist Thies Marsen, der

in der neuen Ausgabe 56 des wie immer empfehlenswerten bayrischen Magazins MUH mit einem langen Artikel über „Bayern unterm Davidstern – Der Freistaat als Ort jüdischen Neubeginns nach Weltkrieg und Shoah“ vertreten ist.

Dass sich Germania seit der Nazizeit wahnsinnig gut entwickelt hat, kann man hier nachlesen:

https://www.juedische-allgemeine.de/politik/knobloch-aus-angst-bestellen-juden-pizza-unter-falschem-namen/



HALTUNG (SELTEN)

Der bekannteste und beste kommunistische Publizist starb vor fünf Jahren, Hermann L. Gremliza, Herausgeber des Magazins konkret, das ich mir seit Jahrzehnten monatlich reinziehe, was aufgrund meiner schwachen Halbbildung keine lockere Sache ist. Seine politische Haltung war besonders und dieses Zitat dreht grade eine Runde, die größer sein könnte, aber eben nicht allzuviel Zustimmung bekommt:

„Israel ist der Staat, dessen ganzer Zweck der Schutz jüdischen Lebens ist. Verlören die Juden ihn, wären sie erneut den Launen der Antisemiten und anderer Proletarier aller Länder preisgegeben. Wer staatliche Herrschaft angreifen will, hat weltweit zweihundert Stück zur Auswahl. Eine Linke, die aus eigener Kraft so gut wie nichts mehr vermag, sollte wenigstens alles unterlassen, was Israel im Kampf um seinen Bestand behindern könnte.“

Das wurde zu seinem ersten Todestag (also vor vier Jahren, das ist zu beachten) in der Jüdischen Allgemeinen genauer beschrieben: „(…) Diese Haltung, die auch die Linie der von ihm 45 Jahre lang herausgegebenen Monatszeitschrift »konkret« war, trug mit dazu bei, Gremliza in der deutschen Linken zu isolieren. Das war ein Preis, den er gern zahlte. Er war sich seiner politischen Erfolglosigkeit bewusst; gelegentlich kokettierte er sogar damit. Paradoxerweise war es ausgerechnet seine Haltung zu Israel, mit der er tatsächlich reale Wirkung hatte. Die israelsolidarische Linke, die es so nur in Deutschland gibt, hat Hermann L. Gremliza maßgeblich geprägt. Diese zahlenmäßig zwar kleine, aber politisch einflussreiche Strömung ist sein Erbe. Sie reicht von den Universitäten, wo prozionistische linke Gruppen an vorderster Front gegen die Israelboykottbewegung BDS kämpfen, über Medien wie »konkret« und »Jungle World« bis inzwischen hinein in Bundestagsparteien (…)“ (Michael Wuliger)

https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kommunist-fuer-israel/



ES IST KEINE ERFINDUNG

von mir, ich schwöre: als ich heute mal wieder die 18-Uhr-TV-Nachrichten des Bay.Rundfunks anschaute, handelte der erste Beitrag dieser von angeblichen Journalisten hergestellten „Abendschau“ von einer entlaufenen Katze mit einer Länge von über 4 Minuten. Der folgende Beitrag von einem Drecksprovinznest, wo einige Leute immer Anfang Dezember ins Wasser gehen…

Ich erinnerte mich an die alte Forderung von schlecht integrierten Deutschen wie mir, man solle Bayern abschaffen. Immer noch gute Idee, vielleicht nach Thüringen oder sowas verschenken. Den Etat des BR-Fernsehens spenden, von mir aus dem FCBayern, irgendwas Sinnvolles, auch Feuerwerkskörper oder so.



KONTRAFAKTISCHES QUERGEDENKE (IN EINEM BRIEF AUS MARSEILLE)

Wie immer sensationell gut: die jetzt am Kiosk liegende jährliche Sonderausgabe des Wochenblatts Jungle World, für die die Zeitungsleute woanders hingehn, um zu schauen und zu berichten: diesmal Marseille und aus allen Blickwinkeln Marseille. (Wo ich mich übrigens deshalb wahnsinnig gut auskenne, weil ich ein paar tausend Seiten von Jean-Claude Izzo gelesen habe).

In der Ausgabe aber natürlich auch ein Blick auf deutsches Krisengebiet: Markus Liske analysiert schärfstens die Partei Die Linke (die sich „weiterhin als eine Art Sammelbecken für alle [sieht], die sich selbst als »links« definieren, ganz gleich, was sie darunter jeweils verstehen mögen“). Ein Auszug:

„18.41 Uhr am 1. Oktober 2024: Die israelischen Streitkräfte melden den Beginn eines heftigen iranischen Raketenangriffs auf israelische Städte. Wenig später folgt die Meldung eines Terror­attentats im Tel Aviver Stadtteil Jaffa mit sechs Toten und mindestens 17 Verletzten. Nahezu gleichzeitig, um 18.55 Uhr, fordert die frühere Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete auf der Plattform X die Regierungen der EU und der USA auf, jegliche Waffenexporte und sonstige Unterstützung Israels zu stoppen. Offenbar ist sie überzeugt, dass der Nahe ­Osten ein wahres Kuschelparadies sein könnte, würde man Israel einfach der Möglichkeit berauben, sich gegen das islamistische Regime im Iran und die von ihm unterstützten Terrororganisationen Hamas und Hizbollah zu wehren.

Als Einzelmeinung wäre das keine größere Aufregung wert. Die sogenannten sozialen Medien werden ja nicht erst seit gestern mit allerlei kontrafaktischem Quergedenke gefüttert, und Israel ist ebenfalls nicht erst seit gestern eine beliebte Projektionsfläche für Leute, die zur Sühne der Kolonialverbrechen ihrer Ururgroßväter gerne einen Sündenbock im Hier und Jetzt hätten. Doch Rackete ist keine x-beliebige ­Aktivistin, sondern seit diesem Jahr Abgeordnete im Europaparlament für die Linkspartei, die – so steht es jedenfalls im Parteiprogramm – »für das Existenzrecht Israels« eintritt. Wie geht das zusammen? Die Antwort: gar nicht.“

Der ganze Desaster-Bericht auch online:

https://jungle.world/artikel/2024/41/linkspartei-vorstandswahl-pluralistisch-in-den-untergang

(Und mein Geschenk für Ihr Poesiealbum: Die Linke ist so links wie die CSU christlich.- Nichts zu danken.)



ETWAS ÜBER DIESE WÖLFE

diese nicht erst seit aktuellem Fußball berüchtigten „Grauen“ nämlich, hat Deniz Yücel genauer und ausführlicher als andere Journalist*innen geschrieben. Yücel (Jungle World-CoHerausgeber, PEN-Berlin-Sprecher, als Welt-Korrespondent aufgrund seiner Artikel ein Jahr ohne Anklage im türkischen Knast) hat seine Analyse am 7.7. komplett auf f-book veröffentlicht, deshalb auch hier in voller Länge (ohne die im Text gekennzeichneten Fotos), mit seinem Schlusswort hier zuerst als Einleitung:

„Aus alledem kann man Gründe für oder gegen ein Verbot der Grauen Wölfe und/oder ihrer Symbole ableiten. Aber vielleicht hilft dieser Exkurs zu verstehen, warum in der Türkei nicht allein Anhänger von AKP/MHP, sondern auch manche Außenstehende nicht Demirals Geste, sondern die Sanktionen der Uefa und die Kommentare deutscher Politiker für einen Skandal halten.“

„Aus gegebenem Anlass (#01) ein mittellanger Exkurs zu dem, was die „Grauen Wölfe“ sind – und dazu, was sie auch, kaum, weiterhin, nicht und inzwischen sind. (Wie gestern auf Twitter, aber ausführlicher. Und mit Bildern. Dafür die Fotos durchklicken.)
Zunächst eine Begriffsklärung: Die Bezeichnung „Grauen Wölfe“ ist eher im Ausland verbreitet, in der Türkei geläufiger ist die Eigenbezeichnung Ülkücü („Idealisten“), die sowohl allgemein die Bewegung bzw. Denkrichtung meinen kann als auch die „Idealistenvereine“, den Jugendverband der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Ich verwende hier Graue Wölfe und Ülkücü synonym.
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Die Grauen Wölfe sind rechtsextrem, aber als „Aggregatzustand der türkischen Rechten“ (Tanıl Bora) neben Konservativismus und Islamismus ein anerkannter Teil des politischen Establishments.
Tayyip Erdoğan regiert spätestens seit dem Verfassungsreferendum vom April 2017 in einer informellen Koalition mit der MHP. Die MHP stellt keine Minister, hat aber zahlreiche Kader im Staatsapparat verteilt. In dieser informellen Koalition repräsentiert sich die MHP selbst, fungiert aber auch als Stellvertreter des alten Staatsapparats, mit dem sich Erdoğan versöhnt hat.
Allerdings ist dies nicht die erste Regierungsbeteiligung der MHP. In den späten 70ern bildeten der Konservative Süleyman Demirel und der Islamist Necmettin Erbakan zwei offizielle Koalitionsregierungen mit MHP-Chef Alparslan Türkeş (Regierungen der „Nationalistischen Front“, #02); Ende der 90er regierten der Sozialdemokrat Bülent Ecevit und der Konservativ-Liberale Mesut Yılmaz mit dem heutigen MHP-Chef Devlet Bahçeli (#03).
Als die AKP im Juni 2015 erstmals die absolute Mehrheit im damals noch mächtigen Parlament verlor, zeigte sich selbst die linke/prokurdische HDP offen für eine Zusammenarbeit mit CHP und MHP (z.B. in Form einer geduldeten Minderheitsregierung). Nur Devlet Bahçeli lehnte strikt ab – der Beginn seiner Annäherung an Erdoğan.
Ein Teil derer, die sich heute als Graue Wölfe verstehen, ist in der MHP und mit Erdoğan verbündet. Ein anderer Teil der Ülkücü-Bewegung, die von Meral Akşener (#04) gegründete „Gute Partei“ etwa, steht in Opposition zu Erdoğan.
Nicht alle Ülkücü sind parteipolitisch organisiert, es gibt auch nicht-organisierte, eher popkulturell mit den „Grauen Wölfen“ verbundene Leute. Dies könnte auch beim Fußballer Merih Demiral der Fall sein, aber genaueres weiß ich über ihn leider nicht.
Jedenfalls zeigt nicht nur Erdoğan seit seinem Bündnis mit der MHP immer wieder mal den Wolfsgruß (#05). Auch von Politikern der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, darunter dem langjährigen Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu (#06) oder dem Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu (#07), sind entsprechende Auftritte dokumentiert. Oder von Mansur Yavaş (#08), Oberbürgermeister von Ankara, ebenfalls ein potenzieller Kandidat der CHP bei der Präsidentschaftswahl 2028 – und bis zu seinem Übertritt 2013 MHP-Kommunalpolitiker.
Bei Kılıçdaroğlu oder Imamoğlu kann man davon ausgehen, dass diese Gesten bloß dazu dienten, Sympathien von enttäuschten MHP-Anhängern zu gewinnen. Trotzdem mögen diese Bilder zeigen, dass der Wolfsgruß in der Türkei nicht überall verpönt ist – wie zur MHP, trotz ihrer gewalttätigen Geschichte und ihren Verbindungen zur organisierten Kriminalität, noch nie eine „Brandmauer“ (#09) existierte.
Auch auf einem DER ikonographischen Fotos des Gezi-Aufstands von 2013 ist ein Wolfsgruß zu sehen: Bei einem Polizeieinsatz auf dem Taksim-Platz fliehen zwei junge Männer Hand in Hand vor dem Tränengas. Einer trägt eine Fahne der prokurdischen BDP (später HDP, heute DEM), der andere eine türkische Fahne mit Atatürk-Porträt. Ein dritter streckt der Polizei trotzig den Wolfsgruß entgegen. In den Tagen von Gezi wurde dieses Bild von allen gefeiert: als Ausdruck für Vielfalt und Einheit der Protestbewegung (#10).
Nicht ganz so bekannt, aber in die gleiche Richtung: ein kurzes Video nach dem Sieg von Imamoğlu bei der wiederholten Kommunalwahl im Juni 2019: Hinten tanzen Leute zu einer bekannten kurdischen Musik, vorne posiert jemand mit Imamoğlu-Fahne und Wolfsgruß (#11).
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Nancy Faeser u.a. haben die Grauen Wölfe als „rassistisch“ bezeichnet; auch für die Uefa dürfte der Rassismus-Vorwurf eine wichtige Rolle bei der Strafe für Demiral gespielt haben.
Zweifelsohne haben die Grauen Wölfe eine rassistische Note. Reine völkische Nationalisten waren ihre ideologischen Vorläufer, die nicht zuletzt von Nazideutschland inspirierten „Turanisten“ der 40er Jahre (#12). Dieses ideologische Element ist nicht ganz verschwunden, aber heute innerhalb des Ülkücü-Spektrums marginal.
Vielmehr haben die Ülkücü eine Art radikale Version des kemalistischen Nationalismus entwickelt. Selbst in den eigenen Reihen werden Kurden (theoretisch sogar Armenier) akzeptiert, sofern sich diese im nationalstaatlichen Sinn als Türken begreifen.
Ähnlich kompliziert das Verhältnis zum politischen Islam: Die Turanisten waren Atheisten bzw. suchten Anleihen an der vorislamischen türkischen Mythologie. Für Nihal Atsız (#13), den wohl wichtigsten Vordenker der Bewegung, wäre „Islamkritiker“ eine allzu vorsichtige Beschreibung. Zu diesen Anleihen aus vorislamischen Mythologie gehört auch der Wolfsgruß, der allerdings erst in den 90ern populär wurde.
Bald nach der Gründung der MHP 1969, wandte sich Parteichef Türkeş vom reinen Turanismus ab und erklärte die „Türkisch-Islamische Synthese“ zur Parteiideologie, was zum Bruch mit Atsız führte. Türkeş wollte seine Doktrin von den „Neun Lichtstrahlen“ als genuin türkisches politische Lehre verstanden wissen, in Abgrenzung gegen alle „ausländischen“ Ideologien (Kommunismus, Liberalismus und Faschismus). In der Praxis das wichtigste ideologische Element blieb damals der Antikommunismus.
Heute haben die Anhänger der Ülkücü in Zentralanatolien und am Schwarzen Meer einen eher religiös-nationalistischen Lebensstil, in Thrazien, der Ägäis- und Mittelmeerküste eher einen säkular-nationalistischen.
Was diese disparaten Tendenzen vereint und den eigentlichen ideologischen Kern der Ülkücü ausmacht, ist eine mythische Verklärung des „starken“, autoritären (türkischen) Staates. Erst auf dieser Grundlage ist das Kunststück möglich, sich gleichermaßen auf das Osmanische Reich wie auf dessen Liquidator, Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk, zu beziehen. Oder auf die osmanischen Kalifen und die vormuslimischen türkischen Stammeskulturen.
Fun Fact am Rande: MHP-Chef Bahçeli (#14) heißt mit Vornamen Devlet, auf Deutsch „Staat“ – selbst nach Maßstäben der extravaganten neotürkischen Vornamen außergewöhnlich extravagant. (Bahçeli bedeutet wiederum „mit Garten“).
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Die andere Seite dieser Staatsverklärung: Hass und immer wieder Gewalt gegen alle, die man für „Staatsfeinde“ hält: Kommunisten, Sozialisten, Liberale und – sofern diese politische Rechte beanspruchen – Aleviten, Kurden, Armenier, Juden, Aramäer… Stets in der Selbstgewissheit, die „Existenz des Staates“ zu verteidigen.
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Diese Staatsverklärung hängt eng mit der Geschichte der MHP zusammen: Türkeş und die meisten anderen Parteigründer waren Militärs mittlerer Ränge, die 1960 am Putsch beteiligt waren (#15), aber später von den linkskemalistischen Kräften aus der Junta gedrängt wurden.
Umgekehrt war das Verhältnis des Staates zur Ülkücü-Bewegung oft eng, aber nicht ungebrochen. In den 70ern lieferte sich die MHP-Jugendorganisation blutige Auseinandersetzungen mit teils ebenfalls bewaffneten Linken, verübten aber auch Terroranschläge auf Journalisten (#16) oder Gewerkschafter (#17).
Manche, darunter Cem Özdemir, fanden es besonders geschmacklos, dass Demirals Wolfsgruß auf den Jahrestag des Pogroms von Sivas vom Juli 1993 (35 Tote) fiel.
Tatsächlich haben Ülkücü-Anhänger Pogrome gegen die alevitische Bevölkerung zu verantworten. Aber nicht unbedingt Sivas. Dieses von der Staatsmacht geduldete Massaker wurde von Islamisten organisiert; Anlass die Veröffentlichung von Passagen aus Salman Rushdies „Satanischen Versen“ in einer linken Zeitung.
Die anti-alevitischen Pogrome, die von militanten Ülkücü organisiert wurden, liegen länger zurück: Kahramanmaraş (Dezember 1978, über hundert Tote; #18) und Çorum (Juli 1980, 57 Tote; #19).
Einer der berüchtigtsten Killer aus den Reihen der Grauen Wölfe sollte bald daruf weltberühmt werden: Papst-Attentäter Mehmet Ali Ağca (#20).
Für bestimmte Kräfte innerhalb des Staatsapparats waren diese militanten Rechtsextremisten Teil einer „Strategie der Spannung“. Nach dem Putsch vom September 1980 wurde auch sie verhaftet, neben Linken wurden auch einige Ülkücü-Anhänger hingerichtet (#21). Putschistenführer Kenan Evren erklärte die „Türkisch-Islamische Synthese“ zur Staatsdoktrin; „unsere Ideen sind an der Macht, wir sind im Knast“, klagte Türkeş.
Dann, in den 80er und 90er Jahren, rekrutierte man militante Ülkücü-Anhänger für Todesschwadronen gegen die PKK, aber auch gegen Mitglieder der kurdischen Zivilgesellschaft (#22). Unter den Angehörigen der offiziellen wie der informellen Anti-Terroreinheiten tummeln sich bis heute zahlreiche Rechtsextremisten.
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Der Krieg im kurdischen Südosten schuf eine eigene Kriegsökonomie, in der eine Ülkücü-nahe Mafia entstehen konnte.
Der erste Mafiapate der Grauen Wölfe war Abdullah Çatlı, in den 70ern ein maßgeblicher Verantwortlicher der militanten MHP-Jugend, später als Drogenhändler von Interpol gesucht, eng mit Kräften im Staatsapparat verwoben, was im Februar 1996 mit dem Sususluk-Skandal ans Tageslicht kam.
Bis heute ist ein nennenswerter Teil der organisierten Kriminalität in der Türkei eng mit den Grauen Wölfen verknüpft.
Der wohl wichtigste Ülkücü-Pate der Gegenwart: Alaattin Çakıcı, mit dem MHP-Chef Bahçeli gerne posiert (#24).
Ein anderer Mafia-Boss und Grauer Wolf: Sedat Peker (#25). Vor etwa zehn Jahren erklärte er während eines Gefängnisaufenthalts seine Loyalität zu Erdoğan. Im Frühjahr 2021 wandte er sich wieder von ihm ab und begann mit einer spektakulären Serie von Enthüllungsvideos Erdoğan und einige von dessen engsten Vertrauten unter Druck zu setzen. Dabei belastete er sich auch selbst, indem er u.a. erklärte, welche Übergriffe und Einschüchterungsaktionen gegen Oppositionelle er im Auftrag des Regimes durchgeführt habe.
Auch sonst hat die Bewegung der politischen Gewalt nie gänzlich abgeschworen. Der damals 16-jährige Mörder, der im Januar 2007 in Istanbul den türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink (#26) erschoss, kam aus den Reihen einer anderen (heute ebenfalls mit Erdoğan verbündeten) MHP-Abspaltung. Hintergründe und Auftraggeber wurden nie geklärt.
Das letzte Opfer: Sinan Ateş (#27), ehemaliger Chef der MHP-Jugendorganisation und als potenzieller Bahçeli-Nachfolger gehandelt, wurde im Dezember 2022 auf offener Straße in Ankara von den eigenen Leuten ermordet.
Für die Verwicklung von hochrangigen MHP-Politikern und Polizisten in den Ateş-Mord gibt es himmelschreiende Indizien. Trotzdem – genauer: gerade deshalb – ist die Anklageschrift gegen die ausführenden Killer eine Farce.
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Zusammengefasst: Die Ülkücü (Grauen Wölfe) sind heute Teil der Regierung oder in der Opposition, im Staatsapparat gut organisiert, in der Polizei schon lange, neuerdings auch in der Justiz. Sie sind Teil der organisierten Kriminalität und zugleich Teil der Popkultur (#28, #29), nicht zuletzt unter Fußballfans (#30)
Aus alledem kann man Gründe für oder gegen ein Verbot der Grauen Wölfe und/oder ihrer Symbole ableiten. Aber vielleicht hilft dieser Exkurs zu verstehen, warum in der Türkei nicht allein Anhänger von AKP/MHP, sondern auch manche Außenstehende nicht Demirals Geste, sondern die Sanktionen der Uefa und die Kommentare deutscher Politiker für einen Skandal halten.
Das Thema wird bleiben, selbst wenn dieser junge Mann (#31) und seine Teamkollegen es heute Abend für die Europameisterschaft beenden sollten.“


BILDUNG IST KEINE GARANTIE

gegen Antisemitismus“ – Rede von Monika Schwarz-Friesel zum 7. Oktober, die sie Anfang Mai vor dem österreichischen Parlament anlässlich der „Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ gehalten hat (die Autorin lehrt als Professorin an der TU Berlin)

„In einem Gedicht fragte die jüdische Schriftstellerin und spätere Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs 1961: „Warum die schwarze Antwort des Hasses auf dein Dasein, Israel?“ Zwar existierte damals der Staat schon, doch Nelly Sachs bezog sich mit dem Wort Israel zeitlebens allgemein auf die jüdische Existenz. Und so führt die Frage genau in die Mitte meines Vortrags. Denn Judenhass und Israelhass bilden eine untrennbare Symbiose.
Ich war gebeten worden, über den Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023 zu sprechen. Seit 20 Jahren forsche ich zum Thema Judenfeindschaft und bin mit den Abgründen und Manifestationen dieses kulturellen Hasses vertraut. Und dennoch ist es mir noch nie so schwergefallen, einen Vortrag hierzu zu formulieren. Dies nicht nur aufgrund der Bestialität des Massakers, sondern auch, weil die Reaktionen auf diese Monstrosität selbst monströs waren und sind. Weil uns drastisch vor Augen geführt wird, dass Teile der Menschheit nichts aus der Geschichte gelernt haben.
Der 7. Oktober zeigte die Quintessenz von Judenhass, seine ultima ratio, den unbedingten Willen, die jüdische Existenz auszulöschen. Hier begegnen wir nicht der Banalität des Bösen, sondern dem antisemitischen Bösen per se in seiner grauenerregendsten Eigenschaft. So wie die Nationalsozialisten glaubten, Juden müssten als Weltenübel zum Wohle der Menschheit ausgerottet werden. Am 7.10. zelebrierte und sakralisierte man diesen eliminatorischen Antisemitismus.
Antisemitismus unter Muslimen? „Wir haben andere Sorgen“
Eine Szene verdeutlicht dies: Ein mitgeschnittenes Handygespräch, bei dem man die Stolz-erregte Stimme eines jungen Palästinensers hört. „Mutter, dein Sohn hat heute zehn Juden getötet! Ich rufe dich vom Telefon eines toten Juden an. Sag’s Vater! Ihr Blut ist an meinen Händen. Mutter, dein Sohn ist ein Held!“ Der Vater ruft freudig: „Töte! Töte! Töte! Töte!“ Entsprechend mahnte der Holocaustüberlebende und Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz: „Und der Antisemit unserer Zeit will nicht mehr seine Abneigung gegenüber Juden ausdrücken, er will Auschwitz“.
Am 7. Oktober 2023 wurden über 1200 Menschen jeden Alters gefoltert, verstümmelt, verbrannt. Mit Jubelgeschrei. Nur durch die explizite Nennung dieser Gräueltaten ist das Ausmaß des moralischen Versagens weiter Teile der Welt-Bevölkerung zu verstehen. Es hätte einen internationalen Aufschrei geben müssen. Doch stattdessen kam das ohrenbetäubende Schweigen von denen, die sonst lautstark als erste sich empören. Es schwiegen die Feministinnen zu den Massenvergewaltigungen, es schwiegen die progressiven Akademien und Kunstszenen zu den grausamen Ermordungen junger Menschen, es schwiegen die Friedensaktivisten und Anti-Rassisten zu den Bestialitäten.
Die politisch korrekten Moralisten, die sonst bei jeder Minderheitendiskriminierung aufschreien, sie verhöhnten die Opfer und deren Familien durch judenfeindliche Täter-Opfer-Umkehrungen, auch – und besonders virulent – an Universitäten (wie wir es gerade in den USA sehen). Die Ja-aber-Rhetorik des pseudo-intellektuellen und politischen Diskurses (bis hinauf zur UN-Ebene) reproduzierte unter dem Schlagwort „Kontextualisierung“ das alte antisemitische Argument, die Juden seien selbst schuld an ihrem Unglück.
Verstand, Anstand und Mitgefühl wurden zugunsten ideologischer Verblendung, zugunsten eines anti-israelischen Narrativs aufgegeben. Und nicht nur in Israel, sondern in den jüdischen Gemeinden weltweit kam mit Wucht die Re-Traumatisierung und mit ihr die bittere Erkenntnis, wie einsam man im 21. Jahrhundert trotz aller Beteuerungen des floskelhaften „Nie wieder“ blieb.
In den Sozialen Medien gab es einen Post in Anlehnung an das berühmte Zitat von Niemöller, der die Fassungslosigkeit insbesondere junger progressiver Juden widerspiegelt, den ich hier (in Übersetzung) verlesen möchte: „Sie attackierten Lesben und Schwule, und ich stand dagegen auf, sie attackierten die schwarze Gemeinschaft, und ich stand dagegen auf, sie attackierten die Migranten und ich stand dagegen auf. Dann attackierten sie mich, aber ich stand allein, weil ich jüdisch bin.“
Überraschend kamen Empathie-Verweigerung und Hass-Eruptionen nicht. Der Boden dafür war seit Jahren längst gelegt, und Ähnliches erlebten wir schon anlässlich der Gaza-Krise 2014, als auf den Straßen Europas „Hamas, Juden ins Gas“ gegrölt wurde und im Internet verbale Gewaltexzesse stattfanden. Wir warnen in der empirischen Forschung seit langem – immer wieder und öffentlich – vor einem Antisemitismus, der im medialen Diskurs ein Feind- und Zerrbild des jüdischen Staates etabliert.
Moralisch integer – und antisemitisch
Das Fazit unserer Konferenz „Aktueller Antisemitismus – ein Phänomen der Mitte“ (Evyatar Friesel/Jehuda Reinharz/Monika Schwarz-Friesel) lautete „Der israelbezogene Antisemitismus ist heute die frequenteste Form der aktuellen Judenfeindschaft, doch ausgerechnet dieser wird in Politik und Zivilgesellschaft der wenigste Widerstand entgegengesetzt. Hier liegt die Gefahr der Ausweitung und Habitualisierung von Antisemitismus in der … Mehrheitsgesellschaft.“ – Das war vor 15 Jahren!
Aktuell konstatiere ich vier politisch-ideologische Formen der Judenfeindschaft: linken, rechten, muslimischen – und einen mittig-gebildeten Feuilleton-Antisemitismus. Trotz aller ideologischen Divergenzen weisen alle vier Synergien auf, bilden zum Teil Allianzen, so seit längerem schon linksextreme und islamistische Bewegungen. Alle treffen sich in der Dämonisierung Israels.
Dabei legt – seit jeher – der gebildete und moralisch integer auftretende Antisemitismus mit seiner polierten Rhetorik, der als „Sorge um den Weltfrieden“ daherkommt, die geistige Brandstiftung, denn er setzt die Ideen in die Köpfe. Die Radikalen, Extremisten, Ignoranten, die indoktrinierten Studierenden, sie fungieren dann als Brandbeschleuniger.
Nach dem Pogrom deutete die bekannte amerikanische Gender-Ikone Judith Butler das Massaker als „Aufstand“, als „bewaffneten Widerstand“, sie sah keinen Terrorakt und keinen Antisemitismus, und die Hamas hatte sie einst als „linke soziale Bewegung“ bezeichnet. Inwiefern das Köpfen und Verbrennen von Säuglingen Widerstand sei, erklärt sie nicht. Stattdessen bringt auch sie durch ihre Prominenz das alte anti-jüdische Kausal-Argument in das kollektive Bewusstsein: Wenn Juden Gewalt zugefügt wird, liege dies am Verhalten der Juden.
Niemanden sollte es wundern, Antisemitismen bei hochgebildeten Menschen zu sehen. Man denke an die judenfeindlichen Äußerungen von Augustinus, Luther, Voltaire, Fichte oder Hegel, in den Bildungsromanen der liberal-progressiven Autoren Dickens, Wilde, Dostojewski finden sich die Topoi des bösen, schmutzigen, gierigen Juden fest verankert. Ihre Schriften träufelten das Gift in das Bewusstsein von Millionen Lesern. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war der Anteil gebildeter Antisemiten höher als der ungebildeter.
Denn das judenfeindliche Ressentiment ist kein Vorurteil, nicht bloß Rassismus, sondern ein kollektiver Denk- und Gefühlshabitus, und leider ist Bildung kein absoluter Garant dagegen. Jahrhundertelang glaubten Antisemiten, der kollektive böse Jude schlachte Kinder und paktiere mit Satan, heute glauben sie in direkter Anlehnung an dieses Zerrbild, der jüdische Staat sei ein rassistisches Apartheidsregime, das Kinder ermorde.
Anne Frank als „weißes Kolonial-Mädchen“
Gebildete und progressiv auftretende Personen mit Dr. und Prof.-Titel sind so gefährlich, weil die Menschen ihnen ohne Verdachtsmoment zuhören, weil sie den moralischen Anspruch nach außen tragen, die Guten zu sein. Deshalb erhalten ihre Texte und ihre zahlreichen Unterschriftenlisten so viel Gewicht in der Öffentlichkeit. Der woke Manichäismus pflegt mit großer Toleranz gegenüber dem jüdischen Staat die Intoleranz. Publiziert werden dabei von den Medien selbst die krudesten Ideen, zum Beispiel seit einigen Jahren Aussagen des postkolonialen Ansatzes, der die Shoah relativiert und Israel delegitimiert.
Diese geschichtsverfälschende Schablone liefert längst nicht nur israelfeindliche, sondern auch kollektiv gegen alle Juden gerichtete Diskreditierungen, wenn zum Beispiel Anne Frank posthum als „weißes Kolonial-Mädchen“ bezeichnet und ihr Tagebuch verbrannt wird. Das saliente Symbol für das jüdische Leben und Überleben in der Welt ist Israel und daher der Stachel im Geist aller modernen Antisemiten. Es ist weder ein neuer noch ein politischer Empörungsantisemitismus, und er liegt auch nicht im Nahostkonflikt begründet.
Er hat keine andere Kausalitätsstruktur als den Antijudaismus, wobei der Konflikt als Katalysator fungiert. Zu betonen ist daher ausdrücklich, dass Israel-Hass als Weltanschauung kontinuierlich auch ohne Krisen, Kriege und Siedlungsbauten artikuliert wurde und wird. Wer glaubt, Israelhass sei gespeist von der aktuellen Konfliktsituation, lese die Hassbotschaften, die Asher Ben Nathan, der erste Botschafter Israels in Deutschland, bereits erhielt.
Seit seiner Gründung wird der jüdische Staat gehasst, weil er existiert, nicht, weil er etwas tut oder nicht tut. Was ich „Israelisierung des Antisemitismus“ nenne, zeichnet sich dadurch aus, dass klassische Stereotype (wie Kindermörder, Landräuber, Völkerzerstörer) zeitgemäß angepasst auf Israel projiziert werden, und dass Juden überall auf der Welt kollektiv unter dem Vorwand des Konfliktes attackiert werden. Wir sehen hierbei in der Forschung alle Merkmale des klassischen Judenhasses.
Antisemitische Konzepte ziehen sich auch durch die massiv zugenommenen Abwehr- und Leugnungsprozesse: Das viel beschworene Kritiktabu ist eine krude Kopfgeburt, denn kein Land der Erde wird so heftig und so oft kritisiert wie Israel; legitime Kritik und Antisemitismus werden selbstverständlich nicht gleichgesetzt, und aufgrund klarer Kriterien gibt es für uns auch keine Grauzonen bei der Abgrenzung.
Alle diese Phantasmen werden produziert, um sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus zu immunisieren. Auch dies ist nichts Neues: Wilhelm Marr, Verfasser der einflussreichsten antisemitischen Hetzschrift im 19. Jahrhundert, beteuerte, sich nicht vom Judenhass leiten zu lassen, aber er müsse doch „wahrheitsgemäß aufdecken, wie schädlich Juden agierten“.
Wir stoßen hier auf Deutungskämpfe, die – so einst Franz Kafka – „Die Lüge zur Weltordnung“ machen wollen. Die Weltlüge über das jüdische Israel ist schon weit und breit etabliert. Sie wird zu oft von zu vielen geglaubt. Und sie hat furchterregende Konsequenzen. Wir alle stehen vor der Herausforderung, diesem Lügengeflecht Fakten entgegenzusetzen.“
(Nachdruck auf welt.de, 22.6., daher Zwischenüberschriften)
(Dokumentiert: https://www.youtube.com/watch?v=DIWL7pWuEHA


DIE ANTISEMITISCHE BDS-TRUPPE

wurde von dem Publizisten Alex Feuerherdt schon vor dem 7. Oktober untersucht und beschrieben:

https://www.bs-anne-frank.de/mediathek/blog/ist-bds-antisemitisch-interview-mit-alex-feuerherdt?

(Auszüge aus dem Interview, das auch intellektuelle BDS-Spezialkräfte wie Judith Butler, Annie Ernaux oder Brian Eno mal studieren sollten):

Inwiefern stufen Sie BDS als antisemitisch ein?
Alex Feuerherdt: BDS dämonisiert und delegitimiert Israel, misst den jüdischen Staat mit anderen Maßstäben als jedes andere Land dieser Welt und negiert sein Existenzrecht. Die Bewegung erfüllt sämtliche Kriterien aller seriösen Antisemitismusdefinitionen, etwa die der IHRA. Aber nicht nur das: BDS ist auch ein Angriff auf das Judentum. Unabhängig von der Politik der jeweiligen israelischen Regierung fühlt sich eine große Mehrheit auch der Jüdinnen und Juden außerhalb Israels dem jüdischen Staat eng oder sehr eng verbunden. Denn er ist ihre Lebensversicherung gegen den grassierenden Antisemitismus außerhalb Israels, ein Ausdruck jüdischer Souveränität – und ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Symbol des zeitgenössischen Judentums. BDS zielt auf das Ende des jüdischen Staates, damit richtet sich die Bewegung auch gegen die große Mehrheit der heute lebenden Jüdinnen und Juden weltweit und gegen eine wesentliche Komponente jüdischer Identität. Das ist antisemitisch.

Es ist oft schwer zu sagen, wer zu BDS gehört. Es wird von BDS-Unterstützer*innen, BDS-Verteidiger*innen, BDS-Versteher*innen, BDS-Nahen usw. gesprochen. Wo ist es sinnvoll eine Grenze zu ziehen? Wem sollte man ein Podium bieten und wem nicht?
Alex Feuerherdt: Die Grenze verläuft dort, wo nicht nur die konkrete Politik der israelischen Regierung, konkrete Maßnahmen der israelischen Armee oder konkrete Missstände in der israelischen Gesellschaft kritisiert werden, sondern wo der jüdische Staat dämonisiert und delegitimiert wird und wo er mit anderen Maßstäben gemessen wird als andere Länder. Genau das ist zentral für BDS. Wer also etwa Forderungen nach einem Israel-Boykott unterstützt, Israel mit dem nationalsozialistischen Deutschland vergleicht, das Existenzrecht Israels negiert, sich das typische BDS-Vokabular wie „Apartheidstaat“ oder „Siedlerkolonialismus“ zu eigen macht oder die Einladung von BDS-Aktivist*innen befürwortet, macht sich mit BDS gemein, also mit einer antisemitischen Bewegung. Und dafür sollte es kein Podium geben.“


(„Alex Feuerherdt ist freier Publizist und lebt in Köln. Er arbeitet schwerpunktmäßig zu den Themen Israel, Nahost, Antisemitismus und Fußball und schreibt regelmäßig unter anderem für die Jüdische Allgemeine, n-tv.de, die Jungle World und das Portal MENA-Watch. Gemeinsam mit dem Wiener Politikwissenschaftler Florian Markl hat Feuerherdt ein Buch zum Thema BDS geschrieben, das im November 2020 im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen ist: „Die Israel-Boykottbewegung – Alter Hass in neuem Gewand“.“)



LEKTIONEN IN GESCHICHTE

vom Muzeum Auschwitz: „16 April 1947 | A few minutes after 10 a.m. Rudolf Höss, the founder and the first commandant of the German Nazi Auschwitz concentration and extermination camp was executed.

The execution was carried out at the site of the former Auschwitz I camp – the gallows stood at the remains of the camp Gestapo building, right next to the first crematorium of Auschwitz and 100 meters from the villa where he had lived.
See our online resources that tell the history of the perpetrators in Auschwitz.
Online lessons:
The SS Garrison of Auschwitz: http://lekcja.auschwitz.org/2021-zaloga-en/
Podcasts:


CAN DÜNDAR UND DIE ANDERE TÜRKEI

In seiner neusten Gorki-Theater-Kolumne widmet sich der nach Berlin geflüchtete Journalist Can Dündar („2020 in Abwesenheit zu mehr als 27 Jahren Haft wegen angeblicher Spionage und Terrorunterstützung verurteilt“) dem bevorstehenden Steinmeier-Besuch in der Türkei:

https://www.gorki.de/de/can-duendars-theater-kolumne-41

(Auszug): „Seit ich in Deutschland lebe, benutze ich in fast jedem Text, den ich schreibe und in jeder Rede, die ich halte, die Formulierung »die andere Türkei« und versuche damit, die demokratische Türkei zu beschreiben. Die Mehrheit in Deutschland denkt bei der Türkei vor allem an Erdoğan, der schon seit fast einem Viertel Jahrhundert an der Macht ist. Einer der Gründe dafür ist, dass er in den Medien allgegenwärtig ist. Ein anderer Grund ist, dass Erdoğan trotz seiner Launenhaftigkeit eine Politik verfolgt, die den Interessen im Besonderen Deutschlands und generell des Westens entspricht und damit ein nützlicher Partner in Verteidigung, Handel und Diplomatie ist. Fügt man noch das Bild der überwiegend konservativen türkischstämmigen Community in Deutschland hinzu, ist es nicht verwunderlich, dass die »andere Türkei« eher unbekannt ist. Die »andere Türkei«, die mehr als die Hälfte des Landes ausmacht, wurde in letzter Zeit eingeschüchtert, marginalisiert, diskriminiert, allmählich vertrieben und hat ihre Sichtbarkeit und ihre Hoffnungen verloren (…) Doch an diesem 31. März änderte sich die Situation. In den Kommunalwahlen hat die »andere Türkei« ihr Gesicht gezeigt (…)“



AN DER TÜR DER HOFFNUNG IN GERMANISTAN

Aus Can Dündars Theaterkolumne, ein Auszug:

https://www.gorki.de/de/can-duendars-theater-kolumne-38

„Der Warteraum ist voller Menschen verschiedener Hautfarben, Sprachen und Länder; Die Syrer*innen sind vor dem Krieg geflüchtet, die Iraner*innen vor Repressionen, die Afghan*innen vor der Scharia. Es ist, als stünden sie Schlange, vor einer »Tür der Hoffnung«.

Mein Termin passt zur deutschen Wahrnehmung von Zeit: 11:36 Uhr … Pünktlichkeit ist eines der wichtigsten Kriterien der Integration. Deshalb bin ich schon um 11:15 Uhr da. Allerdings ist der zuständige Fachbereich nicht so pünktlich wie ich. Meine Nummer erscheint um 11:50 Uhr. Ich gehe in den Raum und lege die angeforderten Dokumente, so wie ich es zuvor geprobt habe, nacheinander stolz auf den Tisch. Sie sind vollständig. Ich fühle mich wie ein Schüler, der nur Einsen im Fach Integration bekommen hat. Dann kommt es zur Zahlung. Die Gebühr: 43,90 Euro. 43,90 Euro für den Termin um 11:36 Uhr. Der Tanz der deutschen Zahlen. Aber kein Problem für mich. Ich zücke meine Kreditkarte, doch der Sachbearbeiter sagt:

– Das Kartengerät funktioniert nicht, Sie müssen bar bezahlen.
– OK.
Ich hole 50 Euro aus meinem Geldbeutel. Dem Sachbearbeiter gefällt das aber auch nicht.
– Ich kann nicht wechseln, Sie müssen passend bezahlen.

Ich krame 45 Euro zusammen, aber ernte erneut Widerspruch. Ich traue mich nicht zu sagen, »behalten Sie den Rest«. All mein Integrationsstreben könnte an der Differenz von 1,10 Euro scheitern.

Ein Freund hat mich zum Termin begleitet. Er ist schon längst integriert und eingebürgert, aber auch er bekommt die 43,90 Euro nicht passend zusammen.

Wir sehen zuerst auf das Kleingeld in unseren Händen, dann einander und zuletzt den Sachbearbeiter ratlos an.

– Was sollen wir tun?

Der Sachbearbeiter zeigt auf die Uhr. Die Mittagspause fängt gleich an. Wir sollen um 14:00 Uhr mit dem passenden Geld zurückkommen (…)“