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HAMMERMELDUNGEN

Manchmal steht auf der Titelseite eine Headline, von der wir glauben, dass wir ihren Inhalt sofort korrekt in den Kopf laufen lassen und ordnungsgemäß ablagern; dann jedoch stellen wir fest, es dauert Wochen, bis wir den Sinn der Meldung auch nur annähernd erfassen, mit dem Verdacht, ihn niemals vollständig verstehen zu können.

Anfang Oktober habe ich mir zum ersten Mal den neuen bzw. nicht mehr ganz so neuen Freitag gekauft. Angelockt von einer Hammerheadline auf der ersten Seite, die dann im Blatt angemessen breit ausgebreitet wurde.

„Dieter Meier hat mit Boris Blank als Duo ‚Yello‘ vor 30 Jahren Techno erfunden.“

Ich dachte mir dann zuerst, dass ich vor 30 Jahren vielleicht doch etwas weniger mit Sex & Drugs & Rock´n´Roll hätte spielen sollen und dafür meiner musikalischen Umwelt mehr Aufmerksamkeit schenken. Aber es war eben eine andere Zeit, und es sieht so aus, als wäre das nicht mehr zu reparieren.

Wenn ich mich recht erinnere, war das am selben Tag, als ich in der Süddeutschen einen sehr guten Artikel über Rainald Goetz las. Dort wurde aus seinem neuen Buch zitiert; auf einer FAZ-Fete wurde er, Goetz, von Hrsg. Schirrmacher angemacht, er habe doch wohl keine Einladung vorzuweisen, sondern sich durch Frauenkontakte irgendwie Zutritt verschafft. Ich habe dann überlegt, wie man dieses Verhalten des Herausgebers nennen könnte, und alle Worte, die mir dazu einfielen, waren knapp und leicht verständlich.

Dann ergab sich ein selten schöner Moment: alle Assistentinnen und Praktikanten dieses Blocks stellten sich vor mir in einer Reihe auf und sangen ein spontan selbstgedichtetes Lied: „Wir wünschen dem Goetz wie schon immer alles Gute – und dem Rest dann doch die Pest!“

Den zweiten Vers hatten sie – meine musikalische Bildung ist ja nun nicht die schlechteste – aus einem Song der Nuts geklaut. Meiner Rührung tat das aber naturellgemäß keinen Abbruch, und ich belohnte sie mit zwei trainingsfreien Wochen.



DALE WATSON HAT

heute den 47. Ring seines Lebensbaums vollendet, und einige Cowgirls und Trucker und auch (etwas seltsam gepolte) Line-Tänzer und Linetanzhasser und nachdenkliche Intellektuelle zwischen Austin, Texas, und Rattlesnake Mjunik Disko wünschen ihm, dass das Beste aus seiner Vergangenheit das Schlechteste seiner Zukunft sein möge.

Und ich kann hier ankündigen, dass im Herbst 2010 bei der Edition Tiamat eine Sammlung meiner Musikartikel erscheinen wird, und dass Dale Watson darin nicht zu knapp vorkommen wird.

Eine schöne Begegnung, als ich ihn eines Nachmittags in der Schweiz interviewen konnte: er war müde vom Jetlag, war natürlich so höflich und freundlich, wie er nunmal ist, aber er war auch in einer jetlagmäßig assoziativen Stimmung, und erzählte, dass er vorhin aufgewacht und auf den Balkon gegangen sei und dann auf einem gegenüberliegenden Balkon minutenlang einer Frau im Badetuch zugesehen habe. „Der Anblick hat mich glücklich gemacht“.

Ich hatte ihn bis dahin für einen im besten Sinn durchaus konservativen Countrysänger gehalten. Jetzt erzählte er von Veränderungen. Er machte eine tiefe Verbeugung vor den Dixie Chicks und ihrer Courage und gestand, dass er diese nicht gehabt hätte. Er lieferte aus dem Stegreif eine Rede, die jederzeit und überall als großartige Lektion gegen Rassismus und dumpfes Denken jeder Art taugen würde. Und er betonte, dass er sowieso schon länger keinen Wert mehr darauf lege, unter Country Music einsortiert zu werden, denn darunter werde allgemein nur noch eine Art konturloser Mainstream verstanden, der in jeder Hinsicht zu verabscheuen sei. Dagegen schätze er die Heavy-Metal-Trash-Band von Hank III und jeden, der seinen eigenen Weg gehe und sich von den blöden Ansagen der Musikindustrie nicht beeindrucken lasse.

Das alles erzählte er vollkommen gelassen und sorgfältig abwägend und ohne sich kurz fassen zu wollen, und ich bekam soviel Zeit wie ich glaubte haben zu wollen.



AN DIESEM TAGE

in der frühesten Frühe habe ich mich gefragt, was machst du jetzt? Carpe diem und so.  Ich schau in den Fernseher, „Payback“, das wird doch wohl wunderbar passen, so ist es, Mel Gibson räumt auf in „Payback“, und mit nichts von dem, was er in „Payback“ wegräumt, habe ich eine Spur Mitleid empfinden können. Lucy Liu ist auch sehr schön in „Payback“, aber jetzt habe ich doch glatt vergessen, überlebt sie in „Payback“ oder doch nicht? Seltsam, dass ich nicht genau weiß, ob Lucy nun in „Payback“ überlebt hat oder nicht. Sicher ist, dass Mel Gibson und seine Freundin am Schluss „Payback“ lebend verlassen. Ich habe dann sogar gesehn, dass RTL2 „Payback“ zweimal direkt hintereinander gezeigt hat. Hut ab, RTL2, weil du zweimal hintereinander „Payback“ gezeigt hast; wenn du heute „Payback“ den ganzen Tag nonstop hintereinander zeigen würdest, würde ich dich für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen. Aber der Tag ist noch nicht zuende, und ich frage mich, was tun? Ich gehe zum Videomann und leihe mir „Payback“ aus. Vielleicht gibt es sogar ein deutsches Remake zu „Payback“? Ich glaube, ich habe mal gelesen, dass Roland Klick eines gedreht hat, ja, wer denn sonst? Oder es war Uwe Schrader? Auch möglich. Sonst niemand. Herzog möglicherweise, bei Herzog muss man immer mit allem rechnen. Ich glaube, es war Herzog, der ein deutsches Remake von „Payback“ gedreht hat. Ich werde mir heute „Payback“ ansehen, abwechselnd das originale „Payback“ und das deutsche „Payback“. Und das wird dann der beste Tag gewesen sein, den ich je hatte.



EINEN FUSSBALLTRAINER

der zu einem schwachen Spieler sagt: „Du spielst wie ein Mädchen“, muss man feuern. Genauso, wenn er zu einem Spieler sagen würde: „Streng dich mehr an, Nigger, sonst schicken wir dich in den Urwald zurück“.

Der FC Augsburg hat in den letzten Jahren so viele Trainer gefeuert, da kommt´s auf so einen auch nicht an.



DER TOD HAT

mal wieder sozusagen in Spürweite gearbeitet:

1) am 24.10. starb Michael Stein, Mitbegründer des Benno-Ohnesorg-Theaters, des Kommunistischen Bund in Berlin, der Druckerzelle und der Höhnenden Wochenschau.

Seit den 90er Jahren war er Gast bei fast allen Berliner Lesebühnenshows, und “in allen diesen Kontellationen brachte es Stein zu fruchtbaren Eklats, kassierte Hausverbote und Rauswürfe en masse”, schrieb Dr.Seltsam in seinem ersten von zwei Nachrufen für die junge Welt über “die mit Abstand schrillste Figur der Berliner Alternativkultur”. Die auch in ihren bedächtigeren Momenten liebenswert war.

“Unser großer Denker”, sagen die Surfpoeten über ihr Mitglied. Der Dichter Stein (der in den letzten Jahren weit im Schatten des improvisierenden Vortragskünstlers verschwand) ist im Buch “Die Surfpoeten” und der beigelegten CD verewigt (Voland & Quist, 2004); sein “Gebet gegen die Arbeit” beschließt den neuen Band “Die Rückkehr der Surfpoeten” (Voland & Quist). Diverse Stein-Texte auch im Netz, außerdem Nachrufe und ein Bericht vom Sterbebett von Robert Weber.

Michael Stein in der Münchner Fortsetzung des Benno-Ohnesorg-Theaters zu begrüßen, hat nicht geklappt – am 10.11. versuchen wir, den Kontakt zu ihm herzustellen.

2) am 25.10. starb Maria Fauser in Frankfurt im Alter von 91 Jahren. Ihren letzten Auftritt hatte die Schauspielerin und Rundfunkmoderatorin in Christoph Rüters Film “Rohstoff”, als sie von ihrem Sohn Jörg Fauser das Gedicht “Das Gewicht der Seele” vortrug.

Die letzte Strophe: “Freudlos sitze ich diese Nacht über den Tasten / und verstehe doch nichts anderes / als mich an die 21 Gramm zu klammern, / die meine Finger schreiben machen / und meine Träume vorbereiten / auf den Tod.”