EIN STARKER BASS (REVISITED)
Von Franz Dobler | 12. August 2022 | Kategorie: Literatur | Kommentare deaktiviert für EIN STARKER BASS (REVISITED)Stolpern als Art der Fortbewegung, Lebensart oder Zeichen von Aufmerksamkeit wird unterschätzt und sogar belächelt, wenn nicht verachtet. Hier ein weiteres Lob des Stolperns: ich stolperte über einen Artikel, den ich vergessen hatte, veröffentlicht im Freitag 41/2015, den ich aus zwei Gründen hier wiederveröffentliche: 1. war mein Betreuer als Textchef mein kürzlich verstorbener Freund Thomas „Cäsar“ Kaiser, und 2. passt der Artikel zum damals erschienenen Buch Country von meinem Freund Andreas Niedermann auch ganz gut zu seinem neuen autobiografischen Roman Schreiben. Selbstbild mit Tier (von gewissen Details mal abgesehen, so hat er sich sieben Jahre später aus dem von ihm gegründeten Songdog Verlag zurückgezogen), wie auch meine allgemeinen Literaturbemerkungen weniger veraltet sind, als viele denken oder hoffen möchten. Es tut übrigens nicht so wahnsinnig weh, wenn man ein paar *** eigenverantwortlich hinzufügt:
EIN STARKER BASS
(im Freitag 41/2015 abgesegnet von Thomas Cäsar Kaiser)
Die deutsche Gegenwartsliteratur hat drei Krankheiten, die bei ihren Buchhaltern allerdings beliebt sind. Die Gute-Laune-Pest: Weil es heute mehr Kabarettisten als Sozialarbeiter gibt, will jeder Schreiber mitmachen, der schon mal einen Witz gehört hat. Fettleibigkeit: Auch wer nicht viel zu sagen hat, streckt das auf 400 plus Seiten, denn der Markt findet’s geil, redundantes Rumlabern ist vollkommen akzeptiert und neobiedermeierliche Häkelarbeiten werden gern ausgezeichnet – während die Kunst des Weglassens und der Schnelligkeit nicht mehr viel wert ist. Und drittens natürlich: diese Mittelschichtsautoren! Feridun Zaimoglu sagte in einem Interview kürzlich nichts anderes: „Ich habe nirgendwo sonst in der deutschen Gesellschaft so viel Hierarchie gesehen wie im Literaturbetrieb. Es konnte nicht sein, dass so ein dahergelaufener Unterschichtler“ wie er sich da einmischte, und an dieser Tour habe sich seit 20 Jahren nichts geändert.
Ich fange hier nicht damit an, weil ich vorhabe, eine Dichterinitiative zu gründen oder an so einem großen Essay arbeite, der jedes Jahr gebraucht wird, um nach kurzer Debatte die Archive zu ergänzen, und mir ist auch egal, ob ein Autor (nach Charles Plymell gesagt) Kuhscheiße an den Stiefeln oder einen Leipzig-Schreibkurs absolviert hat. Ich habe damit angefangen, weil Andreas Niedermann einer der wenigen deutschsprachigen Autoren ist, die keine dieser drei Krankheiten haben. Was Mittelschicht und -literatur betrifft, kann er sowieso keine der Voraussetzungen vorweisen. Von dem, was es sonst noch gibt, erzählt er in seinem neuen Buch Country eine Menge. Direkt mit der Musik hat das nichts zu tun, es war die berühmte Definition von Harlan Howard, Country sei nichts anderes als „three chords and the truth“, von der sich der Autor inspirieren ließ. Seine Themen wie Freundschaft, Liebe, Sex, Gier, Verrat, Rache sind countryesk, mit einem ländlichen Hintergrund und vielen Tieren, die auch gejagt und getötet werden.
Der starke Bass, der sozusagen unter allen fünfzehn Stories stampft, ist jedoch „harte Arbeit“: die Art Arbeit, bei der man fliegt, wenn man krank ist, und keinen bezahlten Urlaub hat, oder die man vielleicht gleich morgen hinschmeißt; und die mit dem alten Spiel „Such den Raps“ verbunden ist, weil’s jederzeit vorbei sein kann und man wieder Raps auftreiben muss, den Kies von der Maloche, die vom hebräischen Melacha kommt und dich meschugge macht. Und das Problem ist, dass man selten allein arbeitet …
„Weil ich etwas gegen das Töten von Schlangen hatte, hielten mich einige Kollegen für weichherzig, um nicht zu sagen für ein Weichtier, aber sie staunten jeden Mittag, wenn die Bündel gezählt wurden und ich immer einige mehr geschnitten hatte als jeder von ihnen. Jeden Tag schaffte ich mehr als sie, und sie wunderten sich, dass einer, der nicht töten wollte, mehr arbeiten und am Abend mehr trinken konnte als sie, die doch gerne töteten und tranken.“ Dann kommt mit einem Satz, wo der eigentliche Nerv der Geschichte steckt: „Nur Chiara schnitt mehr Bündel als ich.“ Und sie war der Boss.
Ein vielschichtiges Beziehungsdrama zwischen Arbeit und Sex, erzählt auf zehn Seiten. Ohne einen überflüssigen Satz. Das gilt für alle diese Stories, und das ist große Kunst – die Kunst, nur so viel wie nötig zu sagen, mit ein paar knappen Dialogen ein Panorama aufzubauen, einen schönen Gag wie ein Blitzlicht zu setzen (anstatt ihn aus- und niederzuwalzen), mit dem einen richtigen Satz (und nicht zehn Seiten Rumlabern) das Herz einer Geschichte zu zeigen (oder sie auf den Kopf zu stellen, um zu zeigen, dass der Schein trügt).
Es ist die Kunst, die bei uns nicht viel gilt. Auch weil solche Jobs wie in Country selten zu Literatur verarbeitet werden (es will sie ja keiner mehr machen). Natürlich steckt in dieser ersten Sammlung mit Short Stories, nach etwa zehn Romanen Niedermanns, eine Menge Biografisches. Er wurde 1956 in der Schweiz geboren und lebt seit 20 Jahren in Wien. Er ist viel durch Europa gereist, hat auf dem Bau gearbeitet, als Almhirte, Koch, Theatertechniker, hat die erste Bühne der Roten Fabrik in Zürich gezimmert, sich mit Ökospießern und Mittelschichtpunks gestritten und auch vom Boxen und Saufen in seinen Romanen erzählt (die übrigens alle um die 200 Seiten lang sind). Sein erster Roman Sauser (eine Anspielung auf den Schriftsteller und Abenteurer Blaise Cendrars), erschien 1987 bei Edition Nautilus. So wurden wir Verlagskollegen, danach Freunde, die sich längst alle möglichen Krankheiten erzählt haben.
Zum Profil eines Autors, der außerhalb vom sogenannten Betrieb einiges erlebt, gelernt und getan hat, passt, dass er vor zehn Jahren seinen eigenen Songdog-Verlag gründete (in dem er nicht nur seine Bücher produziert). Nach drei Romanen hatte ihn damals ein neuer Verleger hingehalten und abgeschoben, dann gingen ihm Lektoren auf die Nerven und er meinte, sie könnten ihn jetzt alle mal. Ich hatte ihm vom Verlag abgeraten, aber Andrzej Stasiuk hatte in Polen gerade seinen eigenen aufgestellt, und das war ein stärkeres Signal. Dass Niedermann Buchmessen nichts abgewinnen kann und das Klinkenputzen nie lernte, macht’s nicht leichter; dass er sich stoppen lässt, außer vielleicht durch eine Bombe in seine nicht existierende Bürofront, glaube ich nicht. Er hat genug trainiert, nicht nur als Pilger, wie er eine der Stories genannt hat.
„Der Hunger. Er war ein kleines, wütendes Tier, das gurgelnd und rumorend in meinem Gedärm rauf und runter tobte. So fühlte es sich an. Der Scheißhunger. Zuletzt hatte ich vor drei Tagen etwas gegessen. An einem Fest der Kommunistischen Partei, in das ich zufällig geraten war. Irgendjemand hatte einen Teller Spaghetti Carbonara vor mich hingestellt. Oder ich hatte mich vor einen ledigen Teller gesetzt. Was weiß ich. Drei Tage war das her. Ich besaß noch eineinhalb Schachteln Zigaretten und eine Flasche mit gechlortem Wasser. Und ich hatte noch 1200 Kilometer vor mir.“
Country. Fünfzehn Stories. Songdog, Wien 2015, 180 S. / Schreiben. Selbstbild mit Tier. Songdog, Bern 2022, 192 S.
HAUSMUSIK THE MOVIE DOCUMENTARY
Von Franz Dobler | 11. August 2022 | Kategorie: Musik | Kommentare deaktiviert für HAUSMUSIK THE MOVIE DOCUMENTARYDas Label HAUSMUSIK, mit dem viele von uns größer-erwachsen-älter wurden (u.a. The Notwist, Lali Puna, A Million Mercies, Spoke/Calexico, Broken Radio), aufgezogen in Landsberg und Weilheim, war nie ganz von der Musik-Landkarte verschwunden, wird jetzt aber wieder besser sichtbar: mit einem Festival am 25./26.11. im Landsberger Stadttheater und auch mit einem Dokfilm, an dem Ricardo Molina derzeit arbeitet (in dem ich durch die alte Gegend laufe) und der dort Premiere hat, dazu unten mehr:
AUCH VAMPIRE SIND DOCH NICHT DOOF
Von Franz Dobler | 10. August 2022 | Kategorie: Literatur | Kommentare deaktiviert für AUCH VAMPIRE SIND DOCH NICHT DOOFMein geschätzter Kollege und Edition-Tiamat-Autor Joe Bauer hat mich in seine neuste Kolumne reingeholt, genauer gesagt meine Story „Doof“, und mein Bauch ist gut gepinselt, obwohl es da um Vampire geht, genauer gesagt um einen Vampir-Überfall:
https://www.kontextwochenzeitung.de/kolumne/593/vampire-8347.html?fbclid=IwAR1oBkhosnHRvP2i2dJHgGTm0nPfYDj8yXn4Nu6sBvAFX9mRLKTTr11lN04
Joe
bei der Arbeit
DAS HABEN WIR DOCH SCHON IMMER SO GEWOLLT
Von Franz Dobler | 9. August 2022 | Kategorie: Lifestyle | Kommentare deaktiviert für DAS HABEN WIR DOCH SCHON IMMER SO GEWOLLTDAS IST DOCH ALLES WIEDER MAL TOTAL ERFUNDEN
Von Franz Dobler | 7. August 2022 | Kategorie: Allgemein | Kommentare deaktiviert für DAS IST DOCH ALLES WIEDER MAL TOTAL ERFUNDENin der neuen Jungle World, sind die nicht von Lass-dich-impfen-Terroristen gekapert worden? Hab ich echt mal gehört jedenfalls!
„Ausgebeutet in der EU – Die Republik Moldau gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Der Krieg in der Ukraine hat die Probleme noch vergrößert. Wie Ewa* verlassen viele das Land auf der Suche nach Arbeit, sie finden oft nur Prekarisierung und Ausbeutung.“
https://jungle.world/artikel/2022/31/ausgebeutet-der-eu
ALS ADOLF NOCH AM ENDE WAR
Von Franz Dobler | 5. August 2022 | Kategorie: Unterhaltung | Kommentare deaktiviert für ALS ADOLF NOCH AM ENDE WAR„Am 10. August zeigt das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum um 18 Uhr Christoph Schlingensiefs „100 Jahre Adolf Hitler ‑ Die letzte Stunde im Führerbunker“ aus dem Jahr 1989. Im Licht eines Handscheinwerfers entfaltet sich
in einem ehemaligen Weltkriegsbunker in 16 Drehstunden ein körperlicher Fiebertraum, der eine schonungslose Vergangenheitsbewältigung provoziert. Dabei wird der mediale wie gesellschaftliche Hitler-Mythos entlarvt und die Nationalsozialisten in ihrer ideologischen Groteske inszeniert. Auch im satirischen Vorfilm „MRS. MEITLEMEIHR“ wird Hitler, der als Frau verkleidet nach London flüchtet, wo sich ein jüdischer Nachbar in ihn verguckt, von Udo Kier gespielt. Der Film ist Teil der von Dr. Lea Wohl von Haselberg kuratierten Filmreihe zur Wechselausstellung „Rache. Geschichte und Fantasie“.“
TRIKONT ARTISTS LIVE
Von Franz Dobler | 4. August 2022 | Kategorie: Musik | Kommentare deaktiviert für TRIKONT ARTISTS LIVEKEINE MACHT FÜR NIEMAND (OK AUSSER MICHAEL JORDAN)
Von Franz Dobler | 3. August 2022 | Kategorie: Allgemein | Kommentare deaktiviert für KEINE MACHT FÜR NIEMAND (OK AUSSER MICHAEL JORDAN)Verdiente Auszeichnung für den (Comic-)Künstler Michael Jordan (mit dem ich die Ehre und das Vergnügen habe, ein Buch für Starfruit Publications zu machen, von dem noch nicht mehr klar ist, außer dass es gemacht werden wird, falls uns nicht der Teufel holt, bevor wir´s gemacht haben) (und der übrigens auch im gleich im Ventil Verlag erscheinenden Comic-Band zum 50-jährigen des Ton Steine Scherben-Albums „Keine Macht für Niemand“ vertreten ist):
BR24-Meldung: „Eine Jury aus verschiedenen Kulturschaffenden hatte Michael Jordan für den [Erlanger] Kulturpreis vorgeschlagen. Der Künstler wurde 1972 in Erlangen geboren, studierte dann Medienillustration in Hamburg und Druckgrafik in Wien. Er lebte in Thailand und in den USA. Seine Werke wurden unter anderem ausgestellt in Stockholm, Wien, Shenzhen und Rennes. Seit einigen Jahren wohnt der Zeichner und Druckgrafiker, Ausstellungsmacher, Kurator, Projektleiter und Kunstvermittler wieder in Erlangen. Die Jury würdigte Jordans „hohe künstlerische Qualität, seine internationale Vernetzung und deren Fruchtbarmachung für die Stadt sowie die Offenheit, sein Wissen und Können zu teilen und weiterzugeben, in Form von Lehraufträgen, Workshops und Projekten mit Schulklassen“. Nach eigenen Angaben zeichnet die Stadt zum ersten Mal einen Künstler aus, dessen Schwerpunkt im Bereich der grafischen Literatur und des Comics liegt. Die Verleihung wird im Spätherbst stattfinden…“
CHECK IT OUT: https://www.ansichten-des-jordan.de/
C by Michael Jordan / (wie wir schon arbeiten)
RY COODER (10)
Von Franz Dobler | 2. August 2022 | Kategorie: Produktion | Kommentare deaktiviert für RY COODER (10)Unser Musikredaktor, RyCooder-Fan und Übersetzer seiner Stories In den Straßen von Los Angeles, (eine Co-Produktion von Edition Tiamat und Heyne Hardcore, wo sonst sowas bitte?) hatte mal wieder ein Mail-Interview mit dem Künstler. Wir würden es gern aufblasen like a Rolling Stone, aber unser Auftrag ist bescheiden, hier die vollständige aktuelle Korrespondenz: „Dear Ry – I am listening once again all night to your music… and let me say I would like translate again some stories of yours… but anyway, just do what you want to do! I hope you are well and happy, sincerely yours“. – Ry Cooder: „Hi Franz…nothing to translate! Cheers, best, rc“. Jetzt aber mal langsam, hier seine Mail von Dezember 2015: „happy holidays to you. i have new stories, not all finished. i’ve been on tour since june, off and on. that takes up most of the time. cheers, r.c.“ Also wir bleiben dran, vielleicht nicht so hart wie Bild-Haie, aber fast. Word.