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ACH IMMER DIESE SOMMERLAUNE

die den Blockhausmeister jetzt dazu verleitet, hier zum ersten Mal ein Preisausschreiben zu veranstalten (aber gutes Personal ist ja bekanntlich kaum noch zu kriegen heute, deswegen lassen wir diesen Hamperer mal seine Laune ausleben):

„Es war etwas von einem Proletarier an ihm und von einem Marquis. Von rächerischer Leidenschaft, die ihr Opfer sucht, und gefeiltester Feinheit. Vom kämpfenden Zauber (…) von der ‚Magie des Extrems, der Verführung, die alles Äußerste übt‘ – und von einem in Blumen und Tiere verliebten Schäfer“, heißt es in einem Portrait über diesen Schriftsteller, und diese Hilfe noch: „Sein ästhetisches Prinzip: die Kunst muss völlig spontan sein und, wie der Künstler, unvollkommen, beschränkt, vergänglich.“

Die erste Nicht-Roboterperson, die uns also eine Mail schreibt mit dem Namen des gesuchten Schriftstellers, bekommt vom Hausmeister ein Buch zugeschickt. (Angeblich ein schönes, aber weil schön so relativ ist wie fast nix sonst, sollte man sich nicht darauf verlassen). Sogar Zahnärzt*innen und Anwält*innen sind teilnahmeberechtigt.



ES GEHT DOCH NICHTS ÜBER

die große Geheimtipp-Reportage! Ein schöner, nicht zu schwerer Bergwanderweg, ein ausführlicher Geheimtipp zur besten Sendezeit (BR2 ca. 11h30), der Geheimtipp natürlich nicht ausgeschildert, aber ganz leicht zu finden, wenn man sich an die genauen Angaben (top-journalistische Sorgfaltspflicht) hält, so ein nützlicher und wahrscheinlich auch nachhaltiger Geheimtipp, so dankbar ist man der Reporterin, deren Name, für mich jedenfalls, auch ein wertvoller Geheimtipp ist, den ich auf keinen Fall verraten werde, sonst rennt man ihr noch die Tür ein und sie weint, weil sie kein Geheimtipp mehr ist, und dann bin ich auch noch schuld, wenns wieder einen runterhaut.



SO KONKRET WIE GEWOHNT

Für alle, die immer Bedarf an mehr guten Denkstoffen haben:

Mehr vom Inhalt: »Das alles hat etwas von Voodoo-Glauben« Interview mit dem israelischen Soziologen Natan Sznaider über die Europäisierung der deutschen Schuld + Was hat sich der Papst nur dabei gedacht? Kay Sokolowsky über Franziskus I. und seinen Bußgang zu den Indigenen Kanadas + Wenn die Sonne erlischt Auf der Manifesta in Pristina kommt man um die Ruinen des Krieges und die Reste des Sozialismus nicht herum. Von Hannah Wolf und Radek Krolczyk + Dreadlockdown Über einen Fall kultureller Aneignung. Von Stefan Gärtner + Schillernde Bettlerinnen »Frei leben!« Eine Ausstellung stellt die Frauen der Münchener Bohème der Jahrhundertwende vor. Von Katrin Hildebrand



DA HASTE DEINE AKTUALISIERTE VERGANGENHEIT

„Und wie die Gesellschaft so ihr Staat: Die politische Polizei, die mühelos tausende Demonstranten von einem Treffen der Waffen-SS fernhalten oder wegtreiben konnte, steht ganz hilflos da, wenn zweihundert Glatzköpfe mit ihren Baseballschlägern stundenlang Leute durch eine Stadt jagen, die es gewagt haben, Asylbewerber zu beschützen … Sie sind ein Volk. Noch, da sie nur nicht mehr so schnell reicher werden wie zuvor, sind bloß 37 Prozent der Meinung, daß »die Deutschen sich im eigenen Land gegen die Ausländer wehren müssen«. Sich vorzustellen, welcher Meinung wieviele von ihnen sein werden, wenn das Volk ein Volk in Not ist, weil das Sozialprodukt nur um ein Prozent statt um zwei steigt, ist nicht schwer. Was daraus folgen wird, wo die Entwicklung vom Autoritären zum Faschistischen halten wird, ist offen. Daß sich dagegen noch weniger Widerstand regen wird als beim letzten Mal, ist seit dem deutschen Herbst 1992 gewiß.“ (Hermann L. Gremliza, konkret 19/92)

Ist möglicherweise ein Bild von 1 Person und Text „MER9 KankFooh&Ta konkret 1 mE Rostock und Bonner Zugaben: Sieg im völkischen Krieg US-Wahlen: Pest oder Clinton? Eduardo Galeano: 500 Jahre Raub und Mord Köhler: Prof. h.c. C. Fest“

Danke an konkret-Redakteur Thomas Blum für die Erinnerung.



GRÜSS GOTT WERTEGEMEINSCHAFT

Ist möglicherweise ein Bild von 1 Person und Text „„An der EU-Außengrenzen kann man ungestraft Geflüchtete entrechten und misshandeln, muss aber vielerorts mit Verfolgung rechnen, wenn man sie vor dem Ertrinken rettet oder sie humanitär versorgt. Was sind wir für eine Wertegemeinschaft, in der das normal zu sein scheint?" Erik Marquardt, Politiker und Menschenrechtsaktivist“



STAND WITH SALMAN

Ist möglicherweise ein Bild von Text „PEN AMERICA 100 TheFreedom Freedom toWrite Stand With Salman Featuring: Paul Auster. Reginald Dwayne Betts Tina Brown Kiran Desai. Andrea Elliott. Amanda Foreman Roya Hakakian A.M. Homes Siri Hustvedt Hari Kunzru Aasif Mandvi Colum McCann Andrew Solomon Gay Talese. and more JOIN US IN PERSON Friday Aug. 19 11 am ET Steps of The New York Public Library Fifth Avenue and 42nd Street This event will also be livestreamed.“



PEN-BERLIN: WORDS AGAINST VIOLENCE – AN EVENING FOR SALMAN RUSHDIE

Der PEN Berlin und das Berliner Ensemble laden ein zu:

WORDS AGAINST VIOLENCE – SOLIDARITÄTSLESUNG FÜR SALMAN RUSHDIE

Sonntag, 21. August 2022, 18.30 Uhr, Berliner Ensemble, Neues Haus

„Die Kunst ist verwundbar, weil sie von Menschen gemacht wird und andere Menschen sie zerstören wollen. Seit dem Todesbefehl des iranischen Mullah-Regimes hat Salman Rushdie diese Verwundbarkeit bitter erfahren müssen – und niemand kann sagen, welche seelischen und körperlichen Wunden der Mordversuch vom 12. August hinterlassen wird.
Doch wir alle müssen das schützen, was Salman Rushdie immer am wichtigsten war: Die Freiheit des literarischen Wortes. PEN Berlin und das Berliner Ensemble haben kurzfristig eine Lesung organisiert, als Gene-sungsgruß an Salman Rushdie, einen der größten Schriftsteller unserer Zeit. Als Zeichen des Widerstands gegen Fanatismus und Gewalt, gemeinsam mit dem Publikum, mit seinen Leserinnen und Lesern.
Wie kein zweiter Schriftsteller seiner Generation musste Rushdie Jahrzehnte lang um seine persönliche und künstlerische Freiheit kämpfen. Was in unserer Welt oft hölzern und routi-niert daherkommt – das Reden über die Freiheit des Wortes – klingt bei ihm sinnlich und lebendig: „Wenn wir an die Freiheit glauben, wenn wir wollen, dass die Luft, die wir atmen, im Überfluss vorhanden und atembar bleibt, dann müssen wir das Existenzrecht der Kunst nicht nur verteidigen, sondern feiern.“

Am Sonntag im Berliner Ensemble feiern wir Salman Rushdies Kunst.

Mit Seyran Ateş, Priya Basil, Zoë Beck, Thea Dorn, Can Dündar, Eren Güvercin, Eva Menasse, Yassin Musharbash, Sven Regener, Judith Schalansky, Günter Wallraff, Deniz Yücel und mit freundlicher Unterstützung des C. Bertelsmann Verlages

Der Vorverkauf für die Lesung läuft ab sofort über die Theaterkasse des Berliner Ensembles, die Karten kosten 16 Euro, ermäßigt 9 Euro. 



DIE GUTEN DEUTSCHEN UND AFGHANISTAN

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EIN STARKER BASS (REVISITED)

Stolpern als Art der Fortbewegung, Lebensart oder Zeichen von Aufmerksamkeit wird unterschätzt und sogar belächelt, wenn nicht verachtet. Hier ein weiteres Lob des Stolperns: ich stolperte über einen Artikel, den ich vergessen hatte, veröffentlicht im Freitag 41/2015, den ich aus zwei Gründen hier wiederveröffentliche: 1. war mein Betreuer als Textchef mein kürzlich verstorbener Freund Thomas „Cäsar“ Kaiser, und 2. passt der Artikel zum damals erschienenen Buch Country von meinem Freund Andreas Niedermann auch ganz gut zu seinem neuen autobiografischen Roman Schreiben. Selbstbild mit Tier (von gewissen Details mal abgesehen, so hat er sich sieben Jahre später aus dem von ihm gegründeten Songdog Verlag zurückgezogen), wie auch meine allgemeinen Literaturbemerkungen weniger veraltet sind, als viele denken oder hoffen möchten. Es tut übrigens nicht so wahnsinnig weh, wenn man ein paar *** eigenverantwortlich hinzufügt:

EIN STARKER BASS

(im Freitag 41/2015 abgesegnet von Thomas Cäsar Kaiser)

Die deutsche Gegenwartsliteratur hat drei Krankheiten, die bei ihren Buchhaltern allerdings beliebt sind. Die Gute-Laune-Pest: Weil es heute mehr Kabarettisten als Sozialarbeiter gibt, will jeder Schreiber mitmachen, der schon mal einen Witz gehört hat. Fettleibigkeit: Auch wer nicht viel zu sagen hat, streckt das auf 400 plus Seiten, denn der Markt findet’s geil, redundantes Rumlabern ist vollkommen akzeptiert und neobiedermeierliche Häkelarbeiten werden gern ausgezeichnet – während die Kunst des Weglassens und der Schnelligkeit nicht mehr viel wert ist. Und drittens natürlich: diese Mittelschichtsautoren! Feridun Zaimoglu sagte in einem Interview kürzlich nichts anderes: „Ich habe nirgendwo sonst in der deutschen Gesellschaft so viel Hierarchie gesehen wie im Literaturbetrieb. Es konnte nicht sein, dass so ein dahergelaufener Unterschichtler“ wie er sich da einmischte, und an dieser Tour habe sich seit 20 Jahren nichts geändert.

Ich fange hier nicht damit an, weil ich vorhabe, eine Dichterinitiative zu gründen oder an so einem großen Essay arbeite, der jedes Jahr gebraucht wird, um nach kurzer Debatte die Archive zu ergänzen, und mir ist auch egal, ob ein Autor (nach Charles Plymell gesagt) Kuhscheiße an den Stiefeln oder einen Leipzig-Schreibkurs absolviert hat. Ich habe damit angefangen, weil Andreas Niedermann einer der wenigen deutschsprachigen Autoren ist, die keine dieser drei Krankheiten haben. Was Mittelschicht und -literatur betrifft, kann er sowieso keine der Voraussetzungen vorweisen. Von dem, was es sonst noch gibt, erzählt er in seinem neuen Buch Country eine Menge. Direkt mit der Musik hat das nichts zu tun, es war die berühmte Definition von Harlan Howard, Country sei nichts anderes als „three chords and the truth“, von der sich der Autor inspirieren ließ. Seine Themen wie Freundschaft, Liebe, Sex, Gier, Verrat, Rache sind countryesk, mit einem ländlichen Hintergrund und vielen Tieren, die auch gejagt und getötet werden.

Der starke Bass, der sozusagen unter allen fünfzehn Stories stampft, ist jedoch „harte Arbeit“: die Art Arbeit, bei der man fliegt, wenn man krank ist, und keinen bezahlten Urlaub hat, oder die man vielleicht gleich morgen hinschmeißt; und die mit dem alten Spiel „Such den Raps“ verbunden ist, weil’s jederzeit vorbei sein kann und man wieder Raps auftreiben muss, den Kies von der Maloche, die vom hebräischen Melacha kommt und dich meschugge macht. Und das Problem ist, dass man selten allein arbeitet …

„Weil ich etwas gegen das Töten von Schlangen hatte, hielten mich einige Kollegen für weichherzig, um nicht zu sagen für ein Weichtier, aber sie staunten jeden Mittag, wenn die Bündel gezählt wurden und ich immer einige mehr geschnitten hatte als jeder von ihnen. Jeden Tag schaffte ich mehr als sie, und sie wunderten sich, dass einer, der nicht töten wollte, mehr arbeiten und am Abend mehr trinken konnte als sie, die doch gerne töteten und tranken.“ Dann kommt mit einem Satz, wo der eigentliche Nerv der Geschichte steckt: „Nur Chiara schnitt mehr Bündel als ich.“ Und sie war der Boss.

Ein vielschichtiges Beziehungsdrama zwischen Arbeit und Sex, erzählt auf zehn Seiten. Ohne einen überflüssigen Satz. Das gilt für alle diese Stories, und das ist große Kunst – die Kunst, nur so viel wie nötig zu sagen, mit ein paar knappen Dialogen ein Panorama aufzubauen, einen schönen Gag wie ein Blitzlicht zu setzen (anstatt ihn aus- und niederzuwalzen), mit dem einen richtigen Satz (und nicht zehn Seiten Rumlabern) das Herz einer Geschichte zu zeigen (oder sie auf den Kopf zu stellen, um zu zeigen, dass der Schein trügt).

Es ist die Kunst, die bei uns nicht viel gilt. Auch weil solche Jobs wie in Country selten zu Literatur verarbeitet werden (es will sie ja keiner mehr machen). Natürlich steckt in dieser ersten Sammlung mit Short Stories, nach etwa zehn Romanen Niedermanns, eine Menge Biografisches. Er wurde 1956 in der Schweiz geboren und lebt seit 20 Jahren in Wien. Er ist viel durch Europa gereist, hat auf dem Bau gearbeitet, als Almhirte, Koch, Theatertechniker, hat die erste Bühne der Roten Fabrik in Zürich gezimmert, sich mit Ökospießern und Mittelschichtpunks gestritten und auch vom Boxen und Saufen in seinen Romanen erzählt (die übrigens alle um die 200 Seiten lang sind). Sein erster Roman Sauser (eine Anspielung auf den Schriftsteller und Abenteurer Blaise Cendrars), erschien 1987 bei Edition Nautilus. So wurden wir Verlagskollegen, danach Freunde, die sich längst alle möglichen Krankheiten erzählt haben.

Zum Profil eines Autors, der außerhalb vom sogenannten Betrieb einiges erlebt, gelernt und getan hat, passt, dass er vor zehn Jahren seinen eigenen Songdog-Verlag gründete (in dem er nicht nur seine Bücher produziert). Nach drei Romanen hatte ihn damals ein neuer Verleger hingehalten und abgeschoben, dann gingen ihm Lektoren auf die Nerven und er meinte, sie könnten ihn jetzt alle mal. Ich hatte ihm vom Verlag abgeraten, aber Andrzej Stasiuk hatte in Polen gerade seinen eigenen aufgestellt, und das war ein stärkeres Signal. Dass Niedermann Buchmessen nichts abgewinnen kann und das Klinkenputzen nie lernte, macht’s nicht leichter; dass er sich stoppen lässt, außer vielleicht durch eine Bombe in seine nicht existierende Bürofront, glaube ich nicht. Er hat genug trainiert, nicht nur als Pilger, wie er eine der Stories genannt hat.

„Der Hunger. Er war ein kleines, wütendes Tier, das gurgelnd und rumorend in meinem Gedärm rauf und runter tobte. So fühlte es sich an. Der Scheißhunger. Zuletzt hatte ich vor drei Tagen etwas gegessen. An einem Fest der Kommunistischen Partei, in das ich zufällig geraten war. Irgendjemand hatte einen Teller Spaghetti Carbonara vor mich hingestellt. Oder ich hatte mich vor einen ledigen Teller gesetzt. Was weiß ich. Drei Tage war das her. Ich besaß noch eineinhalb Schachteln Zigaretten und eine Flasche mit gechlortem Wasser. Und ich hatte noch 1200 Kilometer vor mir.“

Country. Fünfzehn Stories. Songdog, Wien 2015, 180 S. / Schreiben. Selbstbild mit Tier. Songdog, Bern 2022, 192 S.

ISBN 9783950355796: CountryCover Niedermann Schreiben



HAUSMUSIK THE MOVIE DOCUMENTARY

Das Label HAUSMUSIK, mit dem viele von uns größer-erwachsen-älter wurden (u.a. The Notwist, Lali Puna, A Million Mercies, Spoke/Calexico, Broken Radio), aufgezogen in Landsberg und Weilheim, war nie ganz von der Musik-Landkarte verschwunden, wird jetzt aber wieder besser sichtbar: mit einem Festival am 25./26.11. im Landsberger Stadttheater und auch mit einem Dokfilm, an dem Ricardo Molina derzeit arbeitet (in dem ich durch die alte Gegend laufe) und der dort Premiere hat, dazu unten mehr:

Ist möglicherweise Kunst

„HAUSMUSIK – ein Film über musikalische Selbstermächtigung / Dieser alte Druckstock ist gleichzeitig der Titel meines Musik-Doku-Films. Es geht um Musik und Menschen und ums Selber Machen. Über diesen Link erfahrt Ihr mehr über das Projekt und habt die Möglichkeit, mich dabei zu unterstützen.