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ZUM TOD VON WILLY DEVILLE

schrieb ich für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 9.8. diesen Nachruf.

ALTE SCHULE

Ein Gentleman und Sänger: Zum Tod von Willy DeVille

Willy DeVille sah phantastisch aus in den letzten 20 Jahren. Als hätte jemand zu Johnny Depp gesagt: „Wenn du sie mit deinen Piratenfilmen alle umhauen willst, muss Captain Sparrow aussehen wie Willy DeVille“.

Er hatte lange Haare, ein Gesicht, das man nicht bekommt, wenn man Gemütlichkeit für den Sinn des Lebens hält, und mit seinen eleganten Kleidern wirkte er wie ein Südstaaten-Gentleman, der morgens von drei schönen Damen den Bericht zur Lage bekommt, und bei Sonnenuntergang überlegt, welche Bank er, ganz altehrwürdig gewaltlos natürlich, ausnehmen könnte.

Und tatsächlich lebte er in der Nähe von New Orleans und züchtete Pferde. Falls er nicht in seinem Appartement im French Quarter auf den Ruf der Straße hörte und sich bereitmachte, ihm zu folgen. „Ich bin eine Quarter-Ratte“, sagte er einmal.

Es war undenkbar, dass dieser Mann nicht aus den Sümpfen Louisianas kam. Das sah man, das hörte man seiner Musik an, diesem typischen Gemisch aus Rhythm´n´Blues, Soul, Cajun, irgendwas Karibisches; und die vielen französischen Titel wie „Loup Garou“; und Begleitmusiker wie Dr. John, Allen Toussaint oder The Meters.

Doch es war eine Inszenierung, ein musikalisches Bekenntnis des unheilbaren und offensiven Romantikers Willy DeVille, in dessen Künstlernamen nicht der Teufel, sondern ein Cadillac steckte, und der als William Borsey am 25. August 1950 in Stanford, Connecticut, geboren worden war.

Es war eine Inszenierung, die aber keine Pose war. Er hatte seine vielen musikalischen Einflüsse auf den Straßen der Lower Eastside von New York eingesammelt, in denen er mit dreizehn landete, und dazu passend waren unter seinen Vorfahren Irokesen, Iren, Basken „und ein bisschen von diesem und jenem“, erzählte er Richard Marcus.

Diese Einflüsse waren schon deutlich, als er mit seiner Band Mink DeVille Mitte der Siebziger in der New Yorker Punkszene um den Club CBGB´s debutierte. Das Album „Cabretta“ klang 1977 nicht nach Punk, und sie sahen nicht aus wie die Ramones – und als ihre Musik dann nach Deutschland kam, konnte man, spätestens 1985 mit dem Hit „Italian Shoes“, verblüfft sein, dass das irgendjemand unter Punk einordnete: weil da ja Schmachtfetzen drauf waren, Bläser, Bluesiges, Jesus!?

Die Forscher wussten es später zu belegen: im Gegensatz zu den vielen prolligen englischen Punks, waren viele New Yorker ziemlich gebildet, vor allem, was die musikalischen Traditionen betraf, und speziell Mink DeVille schienen neben einer Jukebox zu stehen, in der noch Hank Williams- und Ronettes- und Sinatra- und John Lee Hooker-Singles waren.

Nach den ersten, ganz ordentlichen Erfolgen mit Produ-zentenlegende Jack Nitzsche, löste sich die Band 1986 auf. Ein paar Jahre später schaffte es Willy DeVille unter einem Drogen- und Schuldenberg hervorzukriechen und eine Solo-Karriere zu starten, die in Europa eher als in den USA erfolgreich war.

Als Mann der alten Schule pfiff er auf die jeweils aktuellen Trends und bedachte Plattenfirmen und Radiostationen mit einer schönen Sammlung von Schimpfworten. Mit seiner unwahrscheinlichen Mariachi-Version von „Hey Joe“ hatte er 1992 nochmal einen großen Hit. Sein Spätwerk ist würdevoll, von ungebrochener Leidenschaft für die Sounds, die er liebte. Manches war vielleicht etwas zu opulent geraten, schlecht war nichts. Und seine Stimme war immer einzigartig verkratzt und beseelt.

„Ich arbeite an einem Buch über mein Leben“, sagte er 2008 in einem Interview mit Peter Gruner. Aus dem leider, soweit wir wissen, nichts mehr geworden ist. Nach 30 Jahren im Musikgeschäft und 15 Alben starb Willy DeVille am 6. August in New York, drei Wochen vor seinem 59. Geburtstag. Ein früher, aber kein überraschender Tod; seit Februar waren alle Konzerte abgesagt.

Er starb friedlich, heißt es, und im Beisein seines „Guardian Angel“ (den er schon 1978 besungen hat), der Frau, die er liebte. Ein Tod, der eines Südstaaten-Gentleman würdig ist.

 



DIESES GEDICHT

ist nicht in meinem neuen Gedichtband  „Ich fühlte mich stark wie die Braut im Rosa Luxemburg T-Shirt“, der am 6. Oktober im Songdog Verlag erscheint. Warum?

a) ist es nicht gut genug; das sage ich für die Konkurrenz, die glaubt, müde lächeln zu müssen, weil der Band nur 60 Seiten hat.

b) wurde es lange nach dem Abgabetermin geschrieben; es ist also jung und kümmert sich um gar nichts, es grinst nur unbekümmert in die Fresse des Literaturbetriebs, und hier ist es (inspiriert von den Block-Aufzeichnungen meines Kampfgefährten Andreas Niedermann, siehe rechts in den Links):

Die Bauarbeiter vor meinem Fenster

sind zum Streiken zu blöd

doch ich bring sie alle um

auch wenn ich in die Zelle

zum Charlie Manson kumm.

Anmerkung: Beim Schreiben habe ich nicht an einen Literaturpreis gedacht. Und an kein Unterkommen in einem Literaturhaus.  Nicht bewusst jedenfalls. Ich wollte mir nur, wie so oft, mit dem Schreiben helfen. Harlan Howard hat beim Schreiben von „Busted“ auch nur an sich selbst gedacht. Und an die, die es verstehen können bzw. verstehen können sollen. Ja.



KEIN WUNDER

natürlich, dass man bei der Suche nach der Fotografin „Stephanie Schneider“ im Dschungel landet. Ein paar ihrer Arbeiten und ein kurzes Portrait gibt es bei Style & Defect (siehe rechts meine Links).

Bleiben wir kurz bei Fotos: Immer wieder Jim Marshall.

Ich bin nie auf die Idee gekommen, mich zu fragen, ob der Marshall, nach seinem „Fuck You“-Foto von Cash, auch in Woodstock war. Weil ich mich seit gefühlten 3 Jahrzehnten nichts zu Woodstock frage. Aber mich jetzt was frage, weil ich für die TAZ über „Making Woodstock“ von Rosenman/Roberts/Pilpel (Orange Press) und über „Woodstock ’69“ von Frank Schäfer (Residenz Verlag) schreibe. Und mir auch was im „Fännsähn“ (Fanny Müller) ansehe – und dabei plötzlich aufwache…

Klar war Jim Marshall in Woodstock dabei. Backstage im Hubschrauber und zwischen Slip und Schamhaar von Grace Slick wahrscheinlich auch. Die Fotos vom Marshall sind fast die einzige Woodstockmusik, die ich noch hören kann. CrosbyStillsNash konnte ich schon damals mit 17 nicht ertragen.

Bei manchen Dingen ist es tröstlich zu wissen, dass man sich in 3 Jahrzehnten nicht geändert hat; aber gelernt hat, behämmert unwichtige Erkenntnisse in frappierend weise formulierten Formulierungen zu bringen.



SINNLOSE GEWALT

Wie entsteht sie eigentlich? Vermutlich öfter als vermutet durch anhaltenden starken Baulärm in der Nähe. Sie kann sich direkt äußern oder sich einen anderen Kanal suchen.

„Tiny Bock sah den Waschbären und legte die beiden Eierhälften auf ein Grasbüschel. Während Tiny zur Fahrerkabine ging, kam der Waschbär, ein Weibchen, näher und packte die beiden Eierhälften. Der Waschbär trug die Eierhälften zu einer schlammigen Pfütze und wälzte sie im Wasser, um sie vor dem Fressen zu waschen. Tiny Bock, der seine Flinte aus der Kabine genommen hatte, feuerte einmal. Acht der zwölf Schrotkugeln trafen den Waschbären und verwandelten ihn in einen undefinierbaren Klumpen aus Fell und Blut“.

So schlägt es einem ins Gemüt auf der ersten Seite von Charles Willefords Roman „Wie wir heute sterben“. Der vierte und letzte Teil der Hoke Moseley-Serie scheint mir der beste zu sein. Und ein Autor, der nicht bereit ist, mit verzweifeltem Heulen und Zähneklappern und unter den irrsten Versprechungen seine persönlichen Götter anzuflehen, Bücher wie Willeford schreiben zu können, ist allerhöchstwahrscheinlich ein Vollidiot.

Mit einem aufreizenden Motto von William S. Burroughs: „Niemand besitzt das Leben. Aber jeder mit einer Bratpfanne besitzt den Tod“.

Aber eine Bratpfanne wäre zu wenig, um mit den Baumlärmmännern dort drüben zu diskutieren. Mit der Flinte von Tiny Bock könnte man sich verständlich machen.



ZU MEINEN SCHÖNSTEN ERFOLGEN

gehört zweifellos, dass der Berliner Songwriter Danny Dziuk mein Gedicht „Der mit der Gitarre“ auf seiner letzten CD „Freche Tattoos auf blutjungen Bankiers“ (Buschfunk) vertont hat.

Und dazu passend unfassbar ist, dass sich der Song seit Monaten ganz oben in den Independent-Charts in Kroatien und Finnland hält. Ein Traum, zu dem keiner von uns eine Erklärung hat.

Das erinnert mich aus irgendeinem Grund auch daran, dass Johnny Paycheck (ich glaube am Anfang seiner Karriere) die LP „Live at Madison Square Garden“ veröffentlichte. Von der keine Sekunde im Garden aufgenommen worden war. Logischerweise. Weil er dort noch nie gespielt hatte.



STIHL

bietet auf seiner Homepage den einzigen Klingelton an, den ich schön und sinnvoll finde. Und der Kalender ist das perfekte Exposé zum längst fälligen “Texas Chainsaw Massacre – Pt. 5″. Was man dann auch als Pt.2 von “Die Frau mit der 45er Magnum” sehen müsste. Und als Antwort auf “Keinohrhasen” natürlich.



GERADE HAT MEIN TENNISLEHRER

angerufen. Seit einem halben Jahr versucht er, meine Haltung zu korrigieren. Ich soll meine Schulter fallen lassen. ‘Lassen Sie die Schulter fallen!’, ruft er immer wieder. ‘Sie sind doch nicht Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt!’ Aber genau das ist es. Auf den Schultern der Anfänger ruht die Welt, denn ohne Anfänger geht sie nicht weiter”.

Jörg Fauser, 16. Juli 1944 – 17. Juli 1987

(aus: Der Strand der Städte. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959-1987. 1594 S., Alexander Verlag, Berlin 2009).

Ambros Waibel, der mit Matthias Penzel bei Edition Tiamat die Fauser-Biografie veröffentlicht hat, schrieb für die Junge Welt einen schönen Artikel zum 65. Geburtstag, nachzulesen in seinem Blog (siehe Links).



DIE 39 CLOCKS

waren die arschcoolste Band der BRD, wenn nicht Westeuropas”, schreibt Christof Meueler in der Jungen Welt (siehe Links). Anlass ist die Wiederveröffentlichung ihres ersten Albums “Paint It Dark” (1981) auf Tapete Records. Hut ab!

Ich hatte die Clocks ca. 1984 im Münchner Café Größenwahn gesehen, und sie haben mein Leben verändert. Ob zum Guten oder Schlechten spielt keine Rolle. 1987 erreichten sie das Ende ihres Wegs, und seitdem ist die Welt schlechter, das ist sicher.



UNZUCHT

ist der Titel des neuen Romans von Jan Off im Ventil Verlag, und es gilt absolut, was in der biographischen Notiz steht, er ist “der Bachmannpreisträger der Herzen”.

Es gibt solche und solche Stellen in ‘Unzucht’ – hier eine der weniger herzwärmenden, die, wie die anderen, nicht erst ab 18 zu verstehen ist:

“Als wir dann erneut mit dem Presslufthammer herumzuwerkeln beginnen, erscheint mir die Aufgabe am Anfang schier übermächtig. Jedes Mal, wenn ich an der Reihe bin und mich das Brennen in den Atemwegen fast den Verstand verlieren lässt, erwäge ich ernsthaft aufzustecken – einfach den Bohrer zum Stehen bringen, aus dem Graben klettern und Bernd noch frohes Schaffen wünschen. Aber mit der Zeit lässt das nach, weicht das Aufbegehren einer roboterhaften Duldsamkeit, einem stumpfen Gleichmaß aus Schmerz und Erlösung. Kurz vor fünf gesellt sich sogar ein Happen Euphorie dazu.”

Für die Berliner eine gute Nachricht: Jan Off liest am 11. Juli im Rosi’s. Und noch eine: Zusammen mit Thomas Kapielski. Und noch eine: bei schönem Wetter draußen. Und noch eine: bei schlechtem Wetter drinnen.



MIT ACTION & DYNAMIT

hat die Kunst des Appenzeller Bildhauers Roman Signer meistens zu tun. In der Münchner Galerie Häusler Contemporary kann man sich bis zum 5. September seine Ausstellung “Der letzte Schnee – Neue Skulpturen und Fotografien” anschaun.

Ich bin seinem Werk zum ersten Mal begegnet, als ich mit dem Schriftsteller Andreas Niedermann 2003 in der Lokremise St.Gallen saß, die den damals 65jährigen Signer groß präsentierte. Am selben Tag war Johnny Cash gestorben, der uns beiden was bedeutet, und wir unterhielten uns mit dem Journalisten Marcel Elsener im Biergarten darüber, während eine Signer-Skulptur in unregelmäßigen, aber kurzen Abständen ballerte, eine Art Kuckucksuhr ohne Kuckuck. Bei einigen Räumen wurde davor gewarnt, sie mit einem schwachen Herz zu betreten.

Anders ausgedrückt: “Mit ihrer abwechslungsreichen Kombination von dreidimensionalen Objekten, Live-Action, Standbildfotografie und filmischer Dokumentation umrahmen Signers Zeitskulpturen Episoden, die von der Eindämmung und Freisetzung von Energie handeln, stets mit Raffinesse, häufig mit fesselnder, epigrammatischer Rasanz und unwiderstehlichem Humor” (Rachel Withers, auf der Homepage Romansigner.ch).

Und in der in Esslingen und St.Gallen 2007 gezeigten Ausstellung “Brave Lonesome Cowboy – Der Mythos des Westerns in der Gegenwartskunst oder: John Wayne zum 100. Geburtstag” habe ich Signers Skulptur “Sechs Schüsse” gesehn, sechs silberne Fässer, die das Magazin eines Sechs-Schüssers symbolisierten. Sie sahen aus, als würden sie gleich das ganze Gebäude flachlegen.