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JOHN LEE HOOKER IM CLUB2

das ist ja leider nicht passiert im besten Club, den München je gesehen hat seit mindestens 1927 – gibt es denn die 2-CD noch, die als Abgesang rausgekommen ist? Sicher, irgendwo geht irgendwas immer, sagt der Hias Schaschko, also dann geh los, junger Mensch, wenn du nicht vor die Hunde gehn willst, und du alter Mensch, der du zuviel verschlafen hast, auch, das macht nichts, Neugier macht Freiheit, sonst nichts.

Ich höre eine banal scheinende John Lee Hooker-Bestof, überwältigend selbstredend, und erfahre dann aber im Booklet erstmals seine vielen Pseudonyme, die er nahm, um der Geldgier des weißen, auf Exklusivität bedachten Mannes entgehen zu können:

Birmingham Sam. Texas Slim. Delta John. The Boogie Man. Little Pork Chops. John Lee Booker. John Lee Cooker. Johnny Williams. Sir John Lee Hooker.

(Okeh, Plattensammler, geh los, da gibt´s was zu tun).

Kommt mir so vor, – kein Zufall, dass ich seine gut ausgewählten, d.h.nicht nur  Hits hörte, sondern dann sofort die Club2-CD. 2 CDs, um genau zu sein, einmal mehr hörend, dass womöglich das alles auf seine Art auf den Blues zurückgeht.  Auch mit dem Stolz, das Intro zum Booklet geschrieben zu haben, ich war nie besser, der erste Satz: „Die Grenzen sind dicht, aber im Club2 wurden alle Grenzen gesprengt.“

Ich komme drauf, weil es von den 3 Shades, der Club2-Hausband (könnte man sagen, wenn sie öfters gespielt und nicht nur dort selten geprobt hätten) endlich endlich endlich nach Singles und EP, ein langes Album gibt, auf Alien Transistor: „Thank God For Beatniks“.

Huh, ich bin ganz nah dran, mich vollkommen sinnvoll zu betrinken. Weil die alten Zeiten niemals dafür taugen können, um das Neue zu verdecken. Das ist alles, worum das geht. John Lee Hooker, und dann bei den 3 Shades rauskommen.

Mr. Quintron hat es im Club2-CD-Booklet genau formuliert: „“Ich leibe Munken. Ich leibe der Club2“. Der doch mehr eine Vorstellung als ein Ort war.

Und genau jetzt höre ich von der Nachlassdisque: 3 Shades mit „Dumb, Deaf, Crippled & Blind“. Aber trotzdem durchkommend, darf ich hinzufügen. Oder wie Paul Weller zu sagen pflegt: „Don´t let them bring you down“.



TRÄUME SIND

schon eine seltsame Einrichtung, und es entzieht sich meiner Kenntnis, ob es besser ist nichts oder viel zu träumen, und es gibt nur wenige Menschen, denen ich erlaube, mir ihre Träume zu erzählen. Der Rest ist etwa so wie Erzählungen und Diskussion über Zahnarztbesuche.

Wenn ich mich recht erinnere, ist bei Maro mal das Traumtagebuch von Jack Kerouac erschienen. Oder war es das von Burroughs? Also nicht, dass ich die beiden jemals literarisch verwechseln würde, aber hello.

Heute nacht träumte ich doch glatt exakt meine Top-5-Liste, die ich im Februar 2000 als Club Pavian-DJ abzugeben hatte, und als ich aufwachte, wusste ich, dass sie in jeder Postion stimmte.

1 Ramsey Midwood / Shootout At The OK Chinese Restaurant

2 Justus Köhnke / Spiralen der Erinnerung

3 GUZ / We Do Wie Du

4 Div. / Prayers From Hell

5 Div. / Psykoscifipoppia



JA JA JA

der KFc war da!!!

Und das war, ich bin ja immer so nett zu allen, die sich dem Studium der spätmitteralterlichen Punkographie verschrieben haben und mich dann halbtot fragen, von 1978-82, und wenn jemand glaubt, mir etwas Neues zu erzählen, wenn er mich darauf hinweist, dass ich nie ein Konzert von ihnen gesehen habe, dann täuscht er sich.

Ich kann im Moment mein Heft nicht finden, in dem ich jedes Konzert in Ampermoching oder beim Hirschwirt oder im Lindenkeller genau dokumentiert habe, mit Musikerbesetzungslisten und persönlichem Konsum und den Telefonnummern der kleinen, aber bösen Serviererinnen links hinten, bin mir aber reichlich sicher, der KFc war nicht dabei.

Dafür gibt es jetzt die 5-CD-Box „Nur Deppen sterben jünger, trink aus, Herr Frisör!“ mit allem, was der KFc jemals verbrochen hat, egal ob Demo, Single oder Film. Sehr schön, sehr sorgfältig gemacht bei Nostalghia Explosions, eigentlich das einzige Label weit und breit, das weiß, wie man sowas machen muss. Ehre, wem Ehre gebührt! Wir werden den KFc niemals vergessen!



WAHNSINNIG

muss man doch werden, wenn man nur seine allernächste Umgebung einmal ganz genau durchkämmt.

Plötzlich finde ich also in so einem Stapel Papier die in eigenhändiger Tipp- und Copyarbeit vom 1. Vorsitzenden Tommi Stumpf hergestellte Nr.1 der KFC-Post, auch bekannt als „das fachblatt für bürokratische diktatur“, erschienen womöglich so 1979.

Ich hatte ganz vergessen, dass er sich auf diesen sechs Seiten auch als talentierter Dichter präsentierte: „am ersten tag schuf gott die kneipe“ – ich kürze jetzt etwas ab – „am 2. schuf gott das faß / am 3. den alkohol / am 4. den kellner / am 5. das glas / am 6. tag war der alkohol weg / am 7. tag sprach gott: scheiße, der KFc ist da!“

Und nahe dem KFc-Organ finde ich dann eine 23 Seiten lange Erzählung von Silvia Szimanski, geschrieben, bevor sie ein Buch veröffentlichte. Kein Titel, so gehts los: „Hans hatte den ganzen Tag lang in der Autoschlosserei gearbeitet, und die Sonne hatte ihn zwischen den Beinen geküßt und erregt wie eine Zunge“.

Und dann finde ich dem Kraudn Sepp seinen Hut, also den originalen Kraudn Sepp-Hut! Kann das vielleicht jemand fassen?!

Okeh, der Hut war jetzt aber dann doch erfunden.



WAS SOLL MAN DENN

an einem sonnigen Herbsttag anderes machen, als sich ein altes Gedicht vorzunehmen und es um- und womöglich sogar besser zu schreiben?
HEY CHARLOTTE                                               für Tilman Rossmy

Charlotte ist fünf Jahre alt
eine Freundin meiner Tochter
und sie kam zu Besuch
und ich sagte zu ihr

Hey, Charlotte
hör doch mal dieses Lied
das heißt Charlotte
genau wie du.

Der Rossmy Tilman hat´s geschrieben
und er singt es jetzt
mit seiner Band
nur für dich.

Hey, Charlotte
schön dich zu sehn
es gibt nicht so viel zu erzähln
aber die Tür steht offen.

Charlotte war etwas ratlos
aber sie hatte ja auch
ihren Namen schon oft gehört.
Nicht schlecht, sagte sie.

Hey, Charlotte
du bist ´n tolles Mädchen
ihr zwei seid toll
nur musikalisch etwas zickig
doch das ist okeh.

(1994-2009)



HAMMERMELDUNGEN

Manchmal steht auf der Titelseite eine Headline, von der wir glauben, dass wir ihren Inhalt sofort korrekt in den Kopf laufen lassen und ordnungsgemäß ablagern; dann jedoch stellen wir fest, es dauert Wochen, bis wir den Sinn der Meldung auch nur annähernd erfassen, mit dem Verdacht, ihn niemals vollständig verstehen zu können.

Anfang Oktober habe ich mir zum ersten Mal den neuen bzw. nicht mehr ganz so neuen Freitag gekauft. Angelockt von einer Hammerheadline auf der ersten Seite, die dann im Blatt angemessen breit ausgebreitet wurde.

„Dieter Meier hat mit Boris Blank als Duo ‚Yello‘ vor 30 Jahren Techno erfunden.“

Ich dachte mir dann zuerst, dass ich vor 30 Jahren vielleicht doch etwas weniger mit Sex & Drugs & Rock´n´Roll hätte spielen sollen und dafür meiner musikalischen Umwelt mehr Aufmerksamkeit schenken. Aber es war eben eine andere Zeit, und es sieht so aus, als wäre das nicht mehr zu reparieren.

Wenn ich mich recht erinnere, war das am selben Tag, als ich in der Süddeutschen einen sehr guten Artikel über Rainald Goetz las. Dort wurde aus seinem neuen Buch zitiert; auf einer FAZ-Fete wurde er, Goetz, von Hrsg. Schirrmacher angemacht, er habe doch wohl keine Einladung vorzuweisen, sondern sich durch Frauenkontakte irgendwie Zutritt verschafft. Ich habe dann überlegt, wie man dieses Verhalten des Herausgebers nennen könnte, und alle Worte, die mir dazu einfielen, waren knapp und leicht verständlich.

Dann ergab sich ein selten schöner Moment: alle Assistentinnen und Praktikanten dieses Blocks stellten sich vor mir in einer Reihe auf und sangen ein spontan selbstgedichtetes Lied: „Wir wünschen dem Goetz wie schon immer alles Gute – und dem Rest dann doch die Pest!“

Den zweiten Vers hatten sie – meine musikalische Bildung ist ja nun nicht die schlechteste – aus einem Song der Nuts geklaut. Meiner Rührung tat das aber naturellgemäß keinen Abbruch, und ich belohnte sie mit zwei trainingsfreien Wochen.



DALE WATSON HAT

heute den 47. Ring seines Lebensbaums vollendet, und einige Cowgirls und Trucker und auch (etwas seltsam gepolte) Line-Tänzer und Linetanzhasser und nachdenkliche Intellektuelle zwischen Austin, Texas, und Rattlesnake Mjunik Disko wünschen ihm, dass das Beste aus seiner Vergangenheit das Schlechteste seiner Zukunft sein möge.

Und ich kann hier ankündigen, dass im Herbst 2010 bei der Edition Tiamat eine Sammlung meiner Musikartikel erscheinen wird, und dass Dale Watson darin nicht zu knapp vorkommen wird.

Eine schöne Begegnung, als ich ihn eines Nachmittags in der Schweiz interviewen konnte: er war müde vom Jetlag, war natürlich so höflich und freundlich, wie er nunmal ist, aber er war auch in einer jetlagmäßig assoziativen Stimmung, und erzählte, dass er vorhin aufgewacht und auf den Balkon gegangen sei und dann auf einem gegenüberliegenden Balkon minutenlang einer Frau im Badetuch zugesehen habe. „Der Anblick hat mich glücklich gemacht“.

Ich hatte ihn bis dahin für einen im besten Sinn durchaus konservativen Countrysänger gehalten. Jetzt erzählte er von Veränderungen. Er machte eine tiefe Verbeugung vor den Dixie Chicks und ihrer Courage und gestand, dass er diese nicht gehabt hätte. Er lieferte aus dem Stegreif eine Rede, die jederzeit und überall als großartige Lektion gegen Rassismus und dumpfes Denken jeder Art taugen würde. Und er betonte, dass er sowieso schon länger keinen Wert mehr darauf lege, unter Country Music einsortiert zu werden, denn darunter werde allgemein nur noch eine Art konturloser Mainstream verstanden, der in jeder Hinsicht zu verabscheuen sei. Dagegen schätze er die Heavy-Metal-Trash-Band von Hank III und jeden, der seinen eigenen Weg gehe und sich von den blöden Ansagen der Musikindustrie nicht beeindrucken lasse.

Das alles erzählte er vollkommen gelassen und sorgfältig abwägend und ohne sich kurz fassen zu wollen, und ich bekam soviel Zeit wie ich glaubte haben zu wollen.



AN DIESEM TAGE

in der frühesten Frühe habe ich mich gefragt, was machst du jetzt? Carpe diem und so.  Ich schau in den Fernseher, „Payback“, das wird doch wohl wunderbar passen, so ist es, Mel Gibson räumt auf in „Payback“, und mit nichts von dem, was er in „Payback“ wegräumt, habe ich eine Spur Mitleid empfinden können. Lucy Liu ist auch sehr schön in „Payback“, aber jetzt habe ich doch glatt vergessen, überlebt sie in „Payback“ oder doch nicht? Seltsam, dass ich nicht genau weiß, ob Lucy nun in „Payback“ überlebt hat oder nicht. Sicher ist, dass Mel Gibson und seine Freundin am Schluss „Payback“ lebend verlassen. Ich habe dann sogar gesehn, dass RTL2 „Payback“ zweimal direkt hintereinander gezeigt hat. Hut ab, RTL2, weil du zweimal hintereinander „Payback“ gezeigt hast; wenn du heute „Payback“ den ganzen Tag nonstop hintereinander zeigen würdest, würde ich dich für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen. Aber der Tag ist noch nicht zuende, und ich frage mich, was tun? Ich gehe zum Videomann und leihe mir „Payback“ aus. Vielleicht gibt es sogar ein deutsches Remake zu „Payback“? Ich glaube, ich habe mal gelesen, dass Roland Klick eines gedreht hat, ja, wer denn sonst? Oder es war Uwe Schrader? Auch möglich. Sonst niemand. Herzog möglicherweise, bei Herzog muss man immer mit allem rechnen. Ich glaube, es war Herzog, der ein deutsches Remake von „Payback“ gedreht hat. Ich werde mir heute „Payback“ ansehen, abwechselnd das originale „Payback“ und das deutsche „Payback“. Und das wird dann der beste Tag gewesen sein, den ich je hatte.



LEE MARVINs

„Wandrin´ Star“ plätschert leicht aus der Box, morgens um 9h, da erstarrt man schon für eine Sekunde im Frühstücksraum des Hotels, und fragt sich, höre ich richtig? Und wo bin ich?

Zumal am nächsten Tisch Das plärrende Kind sitzt, und etwa einmal pro Minute gescheit plärrt. Das plärrende Kind ist so 11,5 Monate alt. Die Eltern, um die 30, sind beispielhaft geduldig. Haben aber auch sichtbar 11,5 Monate viel Geplärr mitgemacht. Und ich bin mal wieder erstaunt, dass die Menschheit noch nicht ausgestorben ist. Dass der Anblick gequälter Eltern seit Jahrtausenden keine Folgen hatte. Nicht mit mir, muss doch eigentlich jede/r sagen. Aber der Trieb. Gegen diesen Hammer kommt ja einfach gar nichts an.

Das Kindchen plärrt nervenzerfetzend, verstummt schlagartig, glotzt irgendwas friedlich interessiert an, und brüllt wieder auf, und nach Lee Marvin kommt jetzt „Bonanza“, und danach kommt  das Titel-Thema von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ich schwör´s.

Also nicht nur die Meyer´sche Buchhandlung, sondern insgesamt überhaupt ist es der reine Wahnsinn in Weißenburg. Ich glaube, es hätte auch Robert Johnson gefallen.

Für mein Patenkind habe ich einen kleinen Froschkönig aus weichem Gummi gekauft. Mein Patenkind ist erst 1,5 Monate alt. Trotzdem dachte ich, du kaufst einen Gummifrosch, der nicht quiekt, wenn man ihn in der Faust zerquetscht.



WIE BITTE??? ICH SOLL

übertrieben haben, was Shane MacGowan betrifft?!

(Würde ich es wagen, an einem Wahlsonntag irgendwas zu übertreiben? Käme ich vielleicht an diesem Postwahltag auf irgend´ne andere Scheißidee, als den Kopf in den Sand zu stecken und drin zu bleiben ewig – und drei Tage? Bis die Welt endlich leer und okeh?).

Übertrieben? Dann nehmt doch dies:

I was cruel, I was brash / I never gave a damn about / The beauty that I smashed / No sadist I, I found delight in making my love cry / Now I´d pray for a single kiss of her / To be lashed and crucified.

-(The Song with no Name, 1994)-