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ERNÄHRUNG IST KRIEG

wie man weiß. „Im März fand in Bremen unter Beteiligung des Landesverbands der Linkspartei eine Aktion statt, mit der zum Boykott israelischer Waren aufgerufen wurde“, heißt es in der Mai-Ausgabe von Konkret, und Katharina König, Thüringer Landtagsabgeordnete der Linken und Gegnerin der Aktion, präzisiert im Interview: „Die Aktion wurde vom Bremer Friedensforum initiiert, als Teil einer europaweiten Kampagne, die dazu aufrief, keine Früchte aus Israel mehr zu kaufen und damit wirtschaftlichen Druck auszuüben.“

Dagegen ernähre ich mich schon länger hauptsächlich von Avocados aus Israel. Die Frucht, die demnächst zum Einsatz kommt, sieht aus wie eine etwas groß geratene Handgranate und trägt die Seriennummer PLU 1244 / L-4748. Schön wär’s, wenn man so Haufen wie das Bremer Friedensforum damit in Grund und Boden fressen könnte.



SUPERBASTARD NR. 2

ist soeben erschienen. (Der Superbastard ist das aufgelesene Baby des von mir hrsg. Magazins Bastard, das sich nach der Nr. 1 wieder in ein schwarzes Loch im Universum geflüchtet hat; das Baby schrie jämmerlich, deshalb hat Freund Benedikt Maria Kramer es in seine Obhut genommen und zum schönen starken Superbastard aufgefüttert:)

100 Seiten „Schlagseite“ zum Kostenpunkt 6.– mit Texten von: Florian Günther (Berlin), Andreas Niedermann (Wien), Lydia Daher (Augsburg), Michael Sailer (München), Kai Pohl (Berlin), Gudrun Völk (Lüneburg), Clemens Schittko (Berlin), Franz Dobler (Augsburg), Benedikt Maria Kramer (Augsburg) und HEL Toussaint (Berlin).

Bestellungen an: email hidden; JavaScript is required; für Österreich: email hidden; JavaScript is required  ; und Superbastard auf Facebook

Im Anschluss Werbung für den geschätzten Wiener Songdog Verlag: Neuerscheinung in der Reihe Poetry „Taschenbillard“ vom auch im Superbastard vertretenen Florian Günther (mit einem Nachwort von Peter Wawerzinek („Gute Gedichte sind Tanklastwagen…“). Warenprobe: „Denn als sie die Mauer öffneten,/ sagte sie:/ Nun sie dir bloß diesen beknackten/ Mob an./ Die tun ja gerade so/ als hätten sie jahrzehntelang/ nichts zu fressen gekriegt.“ (Da möchte man doch gleich mal wieder die Linkssentimentalen Transportarbeiterfreunde hören, meint unsere neue Blockpraktikantin).

Ebenfalls neu bei Songdog: „Ein Bericht“ des Schweizer Autors Christoph Bauer (den man auch Roman nennen könnte, schätze ich). Warenprobe: „In jedem Menschen habe ich früher ein Geheimnis vermutet, und hinter jeder Hausecke lauerte ein Abenteuer. Die angesagte Zeit war die Zukunft, und mochte diese auch fehlen, definierten wir uns gerade deswegen stolz durch ihre Abwesenheit.“

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RAINER LANGHANS

im Dschungelcamp, das ist auch eine unfaire Sache, so ähnlich, als würde man einen Guerillakämpfer mit Kindern losschicken, die an Computerspielen trainiert haben.

Große Artikel wurden auf ihn geworfen. Dass sein Buch „Ich bin´s“ (Blumenbar) zumindest sehr interessant ist, wurde dabei nicht erwähnt. Natürlich weil es gegen bahnbrechende Journalisten-Abenteuerwerke á la „Mein Überlebenskampf als ich eine Woche offline war“ oder „Ein Tag durch Berlin ohne Sauerstoffgerät bei vegetarischer Schonkost“ nicht ankommt. So wie ihnen auch nur die Ahnung fehlt, da könnte Humor im Spiel sein.

Eine dieser Beckmann/Kerner-Figuren fragte Langhans einmal so ungefähr, was sie sich bei ihrem 68er-Unsinn eigentlich so gedacht hätten, und Langhans meinte, sie hätten sich gedacht, dass man auf den Leichenbergen von Auschwitz etc. in Deutschland nicht so weitermachen könnte – (damit quasi auch eine Antwort auf das vollidiotische Hasspredigen von Sarrazinfiguren vorwegnehmend). Das Beckmannkernergesicht, das dann runterfiel, das war wahres Dschungelcamp.



SPITZENSATZ II

Die jeweils neueste Ausgabe von Konkret ist wie immer eine 1a-Quelle für unpackbare, unschlagbare Sätze. Speziell die kommentierte Zitatsammlung „Gremlizas Express“ ist allein schon den Kauf des Magazins wert. Hier ein poetischer Diamant des Zeit-Herausgebers Giovanni di Lorenzo, den Konkret-Herausgeber Gremliza aus der Frankfurter Allgemeinen gefischt hat:

„Wenige Stunden vor dem Tod des Papstes, berichtet Lorenzo, habe er die Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale aufgesucht und dabei eine paradox anmutende Erfahrung gemacht: ‚Nicht wir waren ihm, dem Papst, im Sterben nahe, sondern der Papst war sterbend bei uns‘.“

Und in der Konkret-Rubrik „Herrschaftszeiten“ darf er natürlich (oder schon naturgemäß) nicht fehlen, unser fast schon Lieblingsadeliger, der große Filmschaffende Henckel von Donnersmarck, der, egal wo und wann, immer die ganz großen, im Sinne Deutschlands auch besonders aussagekräftigen Sätze herausproduziert, in einem Ausmaß, dass man schon fast den Hut ziehen muss, dass er nebenbei auch noch Filmewerke hinkriegen kann. Hier  ein auf der Berlinale 2009 vom Stapel gelassenes Flackschiff:

„Hätte Deutschland den Ersten Weltkrieg gewonnen, wären Sebastian Koch und Ulrich Tukur genauso große Stars wie George Clooney und Johnny Depp.“ – Moment, es gibt tatsächlich noch einen drauf: „Das hat mit politischen Zufälligkeiten zu tun.“

Melancholische Stimmung vor dem Jahreswechsel: Ich glaube, die Speerspitze des deutschen Adels wird selbst dann noch Europa regieren, wenn sogar Éinzeller nicht mehr überleben können.



WEIHNACHTSGEDICHT

Die Süddeutsche Zeitung hatte gefragt, ob auch ich für die Ausgabe vom 23.12. ein Gedicht, in dem irgendwie „Stille Nacht“ vorkommt, schreiben könnte. Folgendes fiel für mich vom Himmel:

RUHE, KINDER! JONATHAN MEESE SPRICHT IN BILD!

Stille Nacht, stille Nacht – wir hören jetzt auch einmal

wieder AC/DC, bis dass es kracht.

Heut besucht uns der Freiherr vom Karl-Theodor.

Viel Glück wünscht er uns im AC/DC-T-Shirt.

Schaut aber schon auch scheißneu aus.

Ruhe, Kinder! Marius Müller-Westernhagen spricht in BILD!

Ein Schneechaos wieder auf der Hartz 4 und

mein Kopf ist ein brennendes Auto.

Wer will das selber gestrickte Unterhemd

mit dem Aufdruck schwarz auf weiß (oder umgekehrt)

Freiherrin vom Stephanie loves u 2

beim RTL-zwo gewinnen?

Die Mutti kniet breit unterm Bäumchen und

in meinem Kopf geht es zu wie nach

der letzten Zugabe von der AC/DC-Coverband.

Ruhe, Kinder! Jonathan Meese spricht in BILD!



BEAR FAMILY BOSS

und mehr noch das Herz der einzigartigen Plattenfirma, the one and only Richard Weize, hat anlässlich des 35jährigen Firmenjubiläums im SZ-Magazin-Blog von Johannes Wächter ein sehr interessantes Interview gegeben. Wie immer gradraus und informativ.

Eine Bemerkung zu Johnny Cash: Er werde „inzwischen hochgejubelt ohne Ende – ich halte ihn nicht so für eine Lichtgestalt. Sein Problem war, dass er von 365 Tagen im Jahr 330 auf Tour war, weil er sich nichts anderes vorstellen konnte.“ So ist es, da gibts gar nichts rumzujammern für Fans, die Cash für ’ne Art Ersatzjesus halten, der den Abflug irgendwie nicht geschafft hat.

Als wir vor ein paar Jahren gemeinsam auf Tour waren, saßen wir zusammen mit Nils Koppruch spät nachts in einer Hotelbar und Richard erzählte was über die Cash-Dylan-Tapes, von denen offiziell nur ein Song jemals erschienen ist. Er glaube, er sei der einzige, der wisse, wo die Originalaufnahmen im Bunker von Columbia zu finden seien, sagte Richard (und vermutlich fügte er sowas hinzu wie: die ganze Bande hat doch eh keine Ahnung). Wir glaubten ihm voll und ganz.

Von seinen vielen Großtaten fand ich in letzter Zeit die Serie „Dim Lights, Thick Smoke And Hillbilly Music“ besonders. Von 1945-55 je ein CD-langer Blick auf die „Country & Western Hit Parade“ des Jahres, ausgewählt und jeder Song ausführlich kommentiert von Colin Escott, und deshalb sind da nicht nur Hits, sondern auch Nicht-Hits, die jedoch starke Wirkung zeigten.

Gipfel von Richards totaler Leidenschaft, die nicht selten geradezu kommerzfeindlich zu sein scheint, ist für mich Jenks „Tex“ Carman, „the Hillbilly Hula“, vielleicht auch „Cow Punk“, wie ein Album benannt wurde, in jedem Fall maximal ab-, über- und aufgedreht, nicht nur, wenn er auch noch im vollen Indianerkopfschmuck hawaiianisch-texanisch spielt. Dabei Hasil Hadkins technisch absolut erreichend, also ebenfalls jenseits üblicher Gitarrentechnikvorstellungen. Die Messlatte für alles, was sich crazy Musiker nennt bzw. das anstrebt.

Das ganze Interview mit Richard Weize: sz-magazin.sueddeutsche.de/blogs



Spitzensatz

Es müsste eine Kulturbehörde geben – geleitet von Steffi zu Guttenberg, wenn’s sein muss, mit dem „Journalisten“ Günter Jauch im Beratungsgremium, drunter wird’s kaum gehn – die einem einen Finderlohn zahlt, wenn man im Netz Spitzensätze findet und weitergibt, und hierfür den Höchstsatz:

„Er sieht aus wie 74, macht auf 30, ist aber 45 und seit 3 Jahren in Pension, und ich folge ihm in Gedanken in seine Schweinsbraten durchfurzte Wohnung, wo er zusammen mit Hundi lebt, den er als einzigen auf der Welt lieb hat, weil der ihn nie betrügt und immer so dankbar schaut, wenn er ihm eine neue Dose gegrillten Neger aufmacht.“ (Andreas Niedermann)

Den großartigen Block meines Freundkollegen Andreas Niedermann muss man lesen (Verbindung s. rechte Spalte). Und sein neues Buch, den kurzen Roman „Die Katzen von Kapsali“. Den man bei seinem beachtenswerten Songdog Verlag bestellen kann („unbedingt“, wie Friedrich Ani zu sagen pflegt). Ein Buch über Arbeiten, Jobs, Ein- und Ausstellung.

„Ich entstamme einem Milieu, in dem Arbeiten gleichgesetzt war mit Leben. Ich fing auch schon sehr früh damit an und hatte meinen ersten, regelmäßigen Job mit 10“, sagt der Autor in einem kurzen Interview im Anhang, und: „beinahe alle Schriftsteller in der Schweiz waren Lehrer. Bis auf einige, großartige Ausnahmen. Man bezog ein gutes Lehrergehalt und erledigte das Bücherschreiben in den Ferien. Für mich war und ist Schriftstellersein eher eine Art zu leben…“

Zugabe aus dem Buch: „Die ganze Nacht über Vibration und Gebrumm. Ich versuchte etwas Schlaf zu finden. In einem Pullman-Sessel. Inmitten all der Deutschen, die gleich eine Art Camp errichtet hatten. Mit Schlafsäcken, Decken, Rucksäcken, Kulturbeuteln und Plastikflaschen. Die paar Griechen, die es hier ebenfalls gab, hatten sich in die Sessel gefläzt und losgeschnarcht. Das können die. Ich dagegen kriegte kaum ein Auge zu.“



ROCK’N’ROLL FEVER II

Text aus dem Buch, Ergänzung zur vorhergehenden Eintragung:

RICHARD BERRY (Abb. 102) Noch ein One-Hit-Wonder. Doch bei ihm steht ein großes Werk hinter einem der besten Hits, die je geschrieben wurden: „Louie, Louie“. Der 20-jährige Sänger und Komponist hatte es 1955 in der Pause zwischen zwei Auftritten geschrieben, das Potential hörte niemand. Erst 1957 veröffentlichte er sein Original mit den Pharaos, und weil er dabei war, seinen Sound zu verändern, gab er zum R´n´B eine Spur Calypso. Als mir Guido das vorspielte, kam es mir sofort wie die beste Version vor, die ich je gehört hatte.

Die Single war nur ein kleiner Erfolg in der Los Angeles-Region, und weil Richard Geld für die Heirat mit Dorothy brauchte, nahm die Tragödie ihren Lauf: für 50$ warf er alle Rechte aus dem Fenster. Der Ruf von „Louie Louie“ verbreitete sich unter den Nightclub-Bands, ehe die Beat-Version der Kingsmen 1963 dermaßen einschlug, dass sogar das FBI alarmiert wurde. Von besorgten Eltern, die ihre Teens davon gefährdet glaubten. Im Namen von „ITOM“ (Interstate Transportation of Obscene Material) wurde der Text zwei Jahre untersucht, auch bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Berry und einige Kingsmen wurden befragt. Offizielles Ergebnis: der Song sei „unverständlich bei jeder Geschwindigkeit“; man kann sich den ganzen Ordner bei Louielouie.net bestellen. Positiver Effekt: der Spezialeinsatz wurde von Radioboykotten begleitet, was Louie bekannt, berüchtigt, gefährlich machte. Aus dem Hit wurde ein Superhit, gefolgt von hunderten Covers.

Richard Berry, „one of the great underdogs in the American music story“, konnte erst am Ende seines Lebens ein wenig davon profitierten. Aus dem Berg von Einspielungen sei auf die außergewöhnliche der 39 Clocks verwiesen, die sozusagen den FBI-Einsatz in den Partyoldie wieder einbauten und, vom Ballermann der Neuen Deutschen Welle umzingelt, ein düster hämmerndes „Psychotic Louie Louie“ schufen.



EINE BOTSCHAFT AUS

der Hölle würde man das in einem romantischen Anfall nennen… Im Studio von Klaus Walter hatten wir an einem Endeseptemberabend ein paar Stunden lang eine Sendung zu „Rock’n’Roll Fever“ für Byte.fm aufgenommen. Gegen Ende unterhielten wir uns über den viel zu frühen Tod des geschätzten Kollegen Martin Büsser. Ein paar Tage vorher hatte es ihn erwischt; Klaus Walter hatte einen Nachruf für die junge Welt geschrieben.

Dann wählte ich den letzten Song aus, „Psychotic Louie Louie“ von den 39 Clocks, womit sie die einzige deutsche Band in der Sendung waren; das „Louie Louie“-Original von Richard Berry erhält als einer der größten Songs aller Zeiten im Buch etwas Raum.

Wir hatten die Sendung live aufgenommen, und als der Song beendet war, war auch die Aufnahme beendet. Klaus Walter speicherte ab, klickte dann auf seinen Posteingang und sagte eine Sekunde später: „Rüdiger Klose ist gestorben.“ Der oft für das Duo 39 Clocks Schlagzeug gespielt hatte. Auch er viel zu jung gestorben, weit vor einer Rente.

Später im Hotel, während ich im TV total ratlos beobachtete, wie gelassen sich Fatih Akin mit dieser Thea Dorn durch die Stadtlandschaft bewegte – warum macht’n der das mit?, fragte mich, und was erzählt’n die eigentlich die ganze Zeit? – hielt ich laut (obwohl ich allein war), betrunken von den Todesmeldungen – klingelt jetzt gleich das Scheißtelefon?, fragte ich mich – einen Sermon gegen die Ungerechtigkeit des Lebens.

Das Video auf Youtube.  „From Hell“ eingeben. Die beste Tonqualität hat’s natürlich nicht….



ROCK’N’ROLL FEVER

Der Band „Rock’n’Roll Fever“ mit Gemälden und Zeichnungen von Guido Sieber und Texten von mir ist ab jetzt im Handel. Edel Verlag, Caricatura Museum Edition. 240 Seiten, 348 Abbildungen, 39.90

Die Ausstellung bis Ende Januar 2011 im Caricatura Museum Frankfurt, danach in Kassel. Mehr dazu bei caricatura-museum.de und atelier-sieber.de

Erste Pressestimmen: „Kein Rocklexikon, sondern ein Buch voller Geschichten… das geht wunderbar zusammen“ (Klaus Walter). „Drastisch, fiebrig, übergenau“ (Ambros Waibel/taz).  „Zwar hat jeder schon einmal  vom großen Rock’n’Roll-Schwindel gehört, selten aber ist er von Gospel bis Prince so plakativ in Szene gesetzt worden“ (FAZ). „…enzyklopädisches Text-Bild-Kompendium aus radikal subjektiver Sicht“ (Welt).  „… mehr als eine ziemlich komische Seite“ (Frankfurter Rundschau). „****“ (von 5, Musikexpress). „Tolles Buch“ (Christos Davidopoulos/Optimal Records München).

Und nach 25 Jahren im Buchstabensteinbruch bin ich endlich erstmals hier: „Schrecklich böse, entlarvend…“ (Bild).

Als Nachtrag zu den John Lennon-Feiern dieser Textauszug: „YOKO ONO (Abb. 253) Viele werfen ihr vor, die Beatles getrennt zu haben – warum wirft niemand diversen Stones-Frauen vor, dass sie nicht die Eier hatten, die Stones zu trennen?“