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IMMER WIEDER WERDE

ich gefragt, ob es stimmt, und das geht mir langsam schon etwas auf die Nerven, was ich am Samstag in der (inzwischen auch schon wieder ehemaligen) Gebrueder-Galerie in München von der Bühne runter (von wo sonst, von oben runter vielleicht?!, soweit kommt´s noch) gesagt habe, als ich Die Damenkapelle ankündigte (nachdem ich nicht lange zuvor noch in Ruhe im Wirtshaus Schwalbe ein Biergulasch mit einer Halben gegessen hatte), dass mich dieselbe nämlich eines Tages als den einzigen Mann jemals gefragt hätte, ob ich nicht in ihre „Rockgruppe“ einsteigen wollte, worauf ich dann geantwortet hätte, ich wollte nicht. Warum soll das denn nicht stimmen? Das sind doch nicht die Sachen, die man erfindet. Und wir sind ja auch trotzdem immer noch Freunde. Meine Gründe der Ablehnung sind nicht schwierig zum Nachvollziehen, denn die Bedingungen lauteten, „du musst aber gescheit mitmachen“ und „du bleibst aber schön hinten und hältst dich zurück“. Welcher auch nur halbwegs anständige Künstler möchte sich denn dermaßen einengen lassen?! Was dabei für mich herausgekommen wäre, kann man sich an diesem Video gut ansehen, was wohl nicht übertrieben ist: http://www.youtube.com/watch?v=c1hMAflHgfs&context=C4234ca0ADvjVQa1PpcFPgSf8D7Mcg8FXNAlKYVaMkp5wxt1tQiAs= / Dass diese Die Damenkapelle jetzt eine Schallplatte bei der Echokammer gemacht hat, konnte ich damals natürlich nicht wissen. Aber ich bin mit meinem Nummer-1-Hobby (der Literatur) eh ganz zufrieden. Immerhin haben wir uns an einem Abend getroffen für eine Besprechung, und so kam es, dass ich auf einem Foto dabei war, obwohl dann nichts daraus wurde. Wie heißt es so schön: Je ne regresse rien!

damenkapelle

 



RY COODER (3)

Sein Buch „In den Straßen von Los Angeles“ geht im Moment in die Läden; Edition Tiamat, 288 S. Wir bleiben damit wie angekündigt beim Thema „Geschlecht und Mobilität“: In der Erzählung „Töten Sie mich, bitte“ geht´s vor allem auch um Billy Tipton, eine Musikerin, die als Mann auftritt und lebt (und in einer anderen Erzählung einen kurzen Auftritt als Geist bzw. Fake-Geist hat). Die Person hat Ry Cooder nicht erfunden, und ich bin im Glossar, das ich für das Buch geschrieben habe, darauf eingegangen:

„S. 102 Billy Tipton war kein Geist, sie wurde 1914 als Dorothy Lucille Tipton  geboren, begann mit etwa zwanzig als Mann aufzutreten und zu leben, und starb 1989 in jenem Spokane, Washington, zu dem er am Ende dieser Story aufbricht.  Zu Lebzeiten kannten ihre Geschichte wenige, nach dem Tod ging die Story durch die halbe Welt. „Billy wurde buchstäblich zum Aushängeschild eines neuen, zwischen Sex (biologisch) und Gender (gesellschaftlich) differenzierenden Bewusstseins, als er kurz nach seinem Tod auf dem Cover eines Ratgebers für Transvestiten und Transsexuelle erschien“, schreibt  Biografin Diane W. Middlebrook in Er war eine Frau (München, 1999). Was nichtmal alle seine fünf Ehefrauen wussten, von denen eine ein unerfahrener Teenager, eine andere jedoch ein Callgirl war. Keine hatte den Eindruck, eine Lesbe geheiratet zu haben, weil Tipton eben keine war, sondern ein „Nachahmungstalent“ und „geniale Illusionistin“, die nicht nur das Talent, sondern sozusagen die Aufgabe hatte, „sowohl die Rolle wie auch den Schauspieler, der sie spielte“, zu spielen. Tipton selbst hat keine Bekennerschreiben, nur Spuren hinterlassen. Unter den vielen, nie ganz greifenden Erklärungen, die sich um diesen Fall von „gender blending“ ranken, ist auch diese sicher nicht falsch: Was sollte ein weißes Mittelschichtmädchen sonst tun, wenn es in einer Jazzband spielen wollte? In dem einen Moment, als aus einer jenseits der Musikzentren sehr gut beschäftigten Band vielleicht eine bekannte hätte werden können, zog sich Tipton in die Provinz zurück und verlagerte seine Arbeit in eine Musikagentur. Er hatte Angst vor Popularität, sie hätte die Gefahr gesteigert, dass ihn jemand aus seinen Mädchentagen erkannte. Billy Tipton starb verarmt in seinem Wohnwagen, in den Armen des jüngsten seiner drei Adoptivsöhne. Der nach der Enttarnung bekannte, für ihn würde diese Frau immer sein Dad bleiben.“



PSYCHOFERNSEHEN

Der neue Burroughs-Dokumentarfilm von Yony Leiser ist allein schon wegen dem Auftritt von Genesis Breyser P-Orridge (Psychic TV/Throbbing Gristle) sehr zu empfehlen. Seine Kommentare sind die besten, gehaltvollsten, ernsthaftesten. Wohl auch, weil er mit seinen Arbeiten den Techniken von Burroughs am nächsten war, d.h. sie waren/sind für ihn tatsächlich wichtig (dagegen faseln Iggy Pop oder Patty Smith nur sinnloses Zeugs).

Und hier, nur noch paar Tage zu sehen, das großartige Portrait „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“ von Marie Losier.

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/sendung-verpasst#/beitrag/video/1565640/The-Ballad-of-Genesis-and-Lady-Jaye

Weiterführende Literatur zum Background: Rock Session 6, Hamburg 1982. Mit: Reinhold Brunner: Lähmende Begegnung mit der Gewalt – Throbbing Gristle am 10.11.80 im Frankfurter Städel; Walter Hartmann: Show me thee bunker darling… (Artikel und P-Orridge-Interview).

Genesis: „Damals, 76, bevor die Pistols Platten machten, haben unsere Songs den Punks da im ICA noch einen ziemlichen Schrecken eingejagt.“

Mehr zum Thema „Geschlecht und Mobilität“ gleich hier nach der Werbung!



HACK MACK JACKSON

waren ebenfalls wieder an der Arbeit, was uns zur Zeit, und bei dem Wetter besonders, auf den Gedanken bringt: wer solche Freunde hat, braucht selbst nicht mehr zu arbeiten… Hier ihr Heimatfilm zu „Country Heroes“ mit Andrew Jackson als Hank IV.

http://www.youtube.com/watch?v=-pzeMvmBcaU

 

 

 



DIE AERONAUTEN

sind nach 20 Jahren besser denn je, obwohl sie schon immer so gut waren. Wie uns Olifr M. Guz beim Konzert in Schrobenhausen (Name geändert) versicherte: „Wenn das Netz kaputt geht, machen wir wieder Cassetten.“

In dieser ungebrochen intelligent-intellektuellen Haltung spielten sie auch eine dumpfe, im übelsten Police-Style aufgetakelte Version des alten Hits „Freundin“. Das Format zum Jubiläum angemessen groß: Doppel-LP, Doppel-Single-CD, Doppel-Mp33/45 (Namen geändert) und was sonst noch geht! Hier noch ein Bild aus ihrer Jugend:



R.I.P. CARL WEISSNER

Er wurde am 24.1. tot in seiner Wohnung aufgefunden. Mein Nachruf „Blues für Carl-le-Nègre alias The Burning Boche“ heute in der Jungen Welt.

http://www.jungewelt.de/2012/01-27/012.php

 



WIR MACHEN HIER

ja keine Werbung, sondern Informatrainment oder sogar Itsmetainment, doch wenn einer unserer ersten Abonnenten, The Badgeman Hias Schaschko auch mal was Sinnvolles macht, wollen wir nicht nachstehen. Werbung mit, natürlich, Musik, und, warum nicht, Lionel Ri äh Messi!

http://www.youtube.com/watch?v=jvcanYtpZHc&feature=youtu.be

 



RY COODER (2)

Die angeblich ruhige Zeit kurz hinterm Baum ist wie immer eine gute, um an die zu denken, die oft weniger beachtet werden. Nein, diesmal ist von Schlagzeugern die Rede. Über die vielen verwirrenden Informationen, denen sie ausgesetzt sind – nichtmal für blonde Präsidentenchicks (um die es so gefährlich ruhig ist, als würde da ´ne Zündschnur schon brennen) restlos packbar, würde ich mal behaupten -, steht schon in Ry Cooders Erzählung ‚Bitte, töten Sie mich‘ geschrieben:

<Außerdem hatte ich Musikunterricht bei einem alkoholsüchtigen Zwerg namens Ray Diker. Das war zu der Zeit, als Gene Krupa der Held war, alle Schlagzeuger in der Stadt waren verrückt nach ihm. Ray aber sagte mir Folgendes: „Vergiss Krupa. Er spielt mit den Händen oben am Gesicht, als würde er Chop Suey essen. Wenn du isst, dann iss. Aber wenn du Schlagzeug spielst, lass deine Hände unten.“> (Das ganze und alle Abenteuer im März bei Edition Tiamat).

Wobei man nicht vergessen sollte, dass Topper Headon 1986 auf seinem Solo-Album Waking Up ‚Drummin´ Man‘ interpretierte.

Um unseren Freund Andreas Neumeister pi mal Daumen zu zitieren: Was macht eigentlich Headon heute? – Wenn er nicht Bob Geldofs Tochter Schlagzeugunterricht erteilen oder sonst einen Drecksjob in irgendeinem Hannover machen muss, wären wir schon mal etwas beruhigt.

 



EIN KLEINES GESCHENK

für unsere Abonnenten zum Weihnachtsfest und diesem angemessen, jedoch unterhaltsam wahrscheinlich für die meisten,  für einige womöglich nicht neu, eine Folge der zur Zeit besten deutschen „Fännsähn“(Fanny Müller)-Serie, die verständlicherweise live im schwarzen Loch nach Mitternacht angesiedelt ist:

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/sendung-verpasst/#/beitrag/video/1474514/Tichy:-„Der-futurologische-Kongress-„



WER KENNT CREWS? (Pt. 2)

Hier der Deutschlandfunkbeitrag zu „Scarlover“, inzwischen der dritte Crews-Roman auf deutsch, weshalb das Christkind nun doch den Verlag Mox & Maritz gesegnet hat.  Während es einen Song von Kris Kristofferson im Ohr hatte: „If you don´t like Hank Williams, Baby, you can kiss my ass.“

TÄTOWIERUNG UND ANDERE VERLETZUNGEN

Verletzungen, Wunden, Narben, Tätowierungen, Operationen, Unfälle, Verheiltes und verheilte Verwundungen, die wieder aufbrechen, sei es an Körper oder Seele, darum geht es in Harry Crews‘ Roman „Scarlover“, der auch in der deutschen Ausgabe „Scarlover“ heißt . Weil‘s natürlich besser klingt als „Narbenliebhaber“.

Der Amerikaner Harry Crews, 75, Autor von zwei Dutzend Romanen und einigen anderen Werken, hat als ehemaliger Boxer, Marinesoldat und Dozent für kreatives Schreiben sicher einige Erfahrungen mit Wunden und Narben gemacht. Seine Sicht ist abgeklärt: „Alle Narben strahlen so eine gewisse Schönheit aus“, sagte er einmal, „denn eine Narbe bedeutet, dass der Schmerz vorbei ist, die Wunde ist geschlossen und verheilt.“

Die Verletzungen, die das Leben seiner Hauptfigur Pete Butcher zugefügt hat, sind jedoch nur scheinbar verheilt. Als Jugendlicher hat er bei der Arbeit mit einem Spitzhammer unabsichtlich seinen Bruder so schwer verletzt, dass er für immer debil wurde. Und seine Eltern kamen bei einer Autofahrt, die sie nur aufgrund dieses debilen Bruders unternahmen, ums Leben. Mit diesen Lasten hat Pete Butcher sich in eine Kleinstadt in den Sümpfen Floridas zurückgezogen, nachdem er sich nach seiner Zeit als Marinesoldat erfolglos an einem Studium versucht hatte. Ein Gestrandeter, ein Typ mit einem Zimmer in einer Pension. Der in einer Papierfabrik am Bahnhof mit dem Rasta George schuftet, den alle den „versengten Nigger“ nennen, weil sein Rücken von Brandnarben gezeichnet ist.

(Einblendung Steve Earle/Delta Momma Blues, New West Rec. NW6165)

Typisch für den Autor Harry Crews: er beschreibt Arbeit und Arbeiter sehr genau. Und ebenso typisch, dass er dem Leser die Hintergründe von diesem Pete Butcher nicht einfach so mitteilt. Es vergehen ein paar Dutzend Seiten, in denen man seine Verletzungen und sein enormes Gewaltpotential erstmal nur unterschwellig wahrnimmt, ehe man die Hintergründe geliefert bekommt. Das ist Crews‘ Kunst: dieses Gemälde aus harter Arbeit mit einem einsamen Mann wird nur langsam aufgeschlitzt. Sehr filmisch, ohne große Erklärungen. Nach der klassischen Regel: action is character.

Irgendwie hat sich also dieser Pete Butcher an seinem Fluchtpunkt eingerichtet, als er sich in die Tochter der Nachbarn verliebt. Womit die Einsamkeit, die in Ordnung war, ins Chaos überführt wird. Überall platzen Verwundungen auf: die Mutter kommt nach einer Brustkrebsoperation nach Hause und bedient sich als altmodisch-gute Christin plötzlich einer schmutzigen Sprache, die alle schockiert (fuck you und scheiß drauf und verdammt nochmal). Ihre Tochter projiziert nun in einer panischen Reaktion darauf den Brustkrebs der Mutter auf sich selbst. Und der Vater: er stirbt an einem Herzinfarkt, während er mit Pete einen Baumstamm durchsägt. Pete Butcher, auf der Flucht vor seinen eigenen Todesgeschichten, ist wieder von Verletzung und Tod umgeben.

Typisch Harry Crews: aus diesem Tod des Vaters entwickelt sich eine über 100 Seiten lange Slapstick-Nummer als Kernstück einer Tragikomödie, inklusive des Gags, dass die schon ins Beerdigungsinstitut eingelieferte Leiche unter nicht einfachen Umständen illegal wieder nach Hause zurückgeholt wird. Denn die nach der Brustkrebsoperation etwas übergeschnappte Mutter ist in den Bann der Rasta-Religion geraten, wie Pete Butcher verblüfft feststellen muss – sein Kumpel, der „versengte Nigger“ George und seine Frau Linga leiten das Ritual: der Tote wird in den Sümpfen verbrannt. Und die durcheinander geratne Witwe fühlt sich nicht schlecht:

(Einblendung Dub Specialist/Kampala, Soul Jazz Rec. SJRCD103)

„Auf Beinen, die vom langen Sitzen etwas wacklig waren, ging sie auf den runden Fleck zu, an dem das Feuer gewesen war, und griff den Schädel ihres Ehemanns wie eine Bowlingkugel. Sie krümmte die beiden mittleren Finger ihrer rechten Hand in die Augenhöhlen und ihren Daumen in das, was einmal die Nase gewesen war. In klassischer Bowlermanier hob sie seinen Schädel bis in Schulterhöhe und Pete wurde von dem Gedanken durchzuckt, dass es genau das war, was sie vorhatte: ihn zu bowlen. Aber das tat sie nicht. Sie sah sich um, sah sie alle an, und sagte, <ich glaube, der Job ist getan>. Sie nickte dem Schädel zu. <Ich nehme nur das. Den Rest können die Tiere von George haben. Ich denke mal, an den Knochen lässt sich trefflich kauen. Letztlich haben sie so auch noch Sinn: er kann mit ihnen ja nichts mehr anfangen>.“

Als „Southern Gothic“ werden Harry Crews‘ Romane in den USA oft bezeichnet, als Südstaaten-Literatur mit einer speziell unheimlichen, morbiden Färbung. Das passt zu seinem 1993 veröffentlichten Roman „Scarlover“ sehr gut: präzise Alltagsschilderungen des Hillbilly-Milieus, das sich in den verdrehten und verletzten Seelen der Protagonisten verzerrt; das explosive Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne: in diesem Fall biedere Unterschicht gegen magisch-bizarre Rasta-Religion. Abgelegene Orte, die nach alten Zeiten riechen, ein schwermütiger Klang und grotesk-bodenständiger Humor – das könnte das Motto des Romans sein, wenn die Rasta-Frau Linga Pete Butcher erklärt: „Ohne Gott kann man leben. Der, ohne den es nicht geht, das ist der Teufel.“ Der Harry Crews ein fieses Happyend diktiert hat.

Kein Wunder also, dass Nick Cave diesen Crews schon sehr genau gelesen hat. Der den „Scarlover“ seinem Freund Sean Penn gewidmet hat. Genug des Namedroppings von Crews verehrenden Großkünstlern – wer denn noch, Johnny Depp, Sonic Youth, Lydia Lunch! Dass Harry Crews hierzulande kaum bekannt ist, sollte sich mit der dritten deutschen Ausgabe endlich ändern.

Harry Crews: Scarlover. Roman. Aus dem Amerikanischen von Stefan Ehlert. Geb., 360 S., € 17,80. Verlag Mox&Maritz, Bremen 2011