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TOPCOVERS DER WELT Nr.98

(Wir bereuen, dass wir einst geschworen haben, an einem Sonntag keine Kommentare abzugeben.)



MARTIN BÜSSER

starb vor zwei Jahren, einer unserer wenigen tollen Schreiber und Denker über Musik und Popkultur – durchaus passend, dass ich im Moment Ella Guru von Cpt Beefheart höre – und, hier wohl angebracht zu sagen: „viel zu früh“, mit verdammten knapp über 40 Jahren.

Wäre nett, wenn er mir hier in meinem Hotelzimmer am Berliner Hauptbahnhof Gesellschaft leisten würde. Die Flasche American Straight Ranch Wood Bourbon Whiskey ist fast zuviel für mich. Da wäre der Beistand von so einem guten Geist willkommen.

Genug der Intimitäten, die unter uns Facebookers bleiben – wer´s nicht kennt, möge reingehen:

http://www.ventil-verlag.de/autor.php?uid=9&sid=abab88bc40fd0901de806cfbc27caf47



TOPCOVERS DER WELT Nr.99

Teufelswerk

 



HOTLIST 2012

Ein neuer Bücherherbst bricht wieder einmal an! Und er ist spannender als die alten! Und als Höhepunkt die Frage, wer von der neuen Hotlist was reißen wird. Tschuldigense, wenn ich Sie in diesen nervenzerfetzenden Stunden mit meiner persönlichen Hotlist 2012 langweile. Weil, zugegeben, die Kandidaten und ihre Bücher ausnahmslos schon von den Literaturfeuilletons bis runter nach Passau totgeritten wurden. Aber das ist eben mein Geschmack (zu dem ich auch stehe). Wenn mir Prof. Dr. Marschmeyer eine Million gibt, muss er sich wegen der Verteilung(*) und wegen den Medien keine Sorgen machen. Und jetzt in alphabetischer Reihenfolge:

COLTELLO, HF: Einige Abenteuer und seltsame Begegnungen im Leben des stillen Kommandeurs. Salis Verlag

DROSTE, Wiglaf: Sprichst du noch oder kommunizierst du schon? Edition Tiamat

DUBBE, Daniel: Underground oder Die Bewährung. Maro Verlag

GOETTLE, Gabriele: Der Augenblick. Kunstmann Verlag

NIEDERMANN, Andreas: Goldene Tage. Songdog Verlag

NIVEN, John: Music from Big Pink. Heyne Hardcore Verlag

OFF, Jan: Happy Endstadium. Ventil Verlag

OSWALD, Georg M.: Unter Feinden. Piper Verlag

PÉLIEU-WASHBURN, Claude: Störgeräusche vom Telegraphendraht. Verlag Peter Engstler

PLOOG, Jürgen: Unterwegssein ist alles – Tagebuch Berlin-New York. [SIC]-Literaturverlag

POPOVIC, Edo: Tattoogeschichten. Verlag Voland&Quist

RAMADAN, Jasmin: Das Schwein unter den Fischen. Tropen/Klett-Cotta Verlag

RAMONE, Dee Dee: Chelsea Horror Hotel. Milena Verlag

SALLIS, James: Driver 2. Liebeskind Verlag

STRICKER, Tiny: Ein Mercedes für Täbris. Maro Verlag

THOMPSON, Jim: In die finstere Nacht. Heyne Hardcore Verlag

WERNING, Heiko: Schlimme Nächte. Edition Tiamat

(*) Nur einen kleinen Teil der Summe hielte ich mich für berechtigt für mich zu behalten, da mich diese Autoren physisch und psychisch bei meiner Arbeit behindert haben.



EINE (ECHTE!) PIRATIN

In den größeren Städten fand er im Bahnhof immer ein Buch, das ihn eine Weile begleiten sollte, und in der nahen Umgebung meistens einen Gebrauchtwaren-Importexport-Schuppen, in dem er was zu lesen fand, das aus dem Neuwarenangebot schon lange verschwunden war und ihn so reizte, wie ihn auch eine Kalaschnikow von 1947 gereizt hätte.

In Leipzig zog er aus einer Kiste, die unter einem Arsenal sensationeller Wassergewehre auf dem Boden stand, Piratin Fu heraus, die schon einiges mitgemacht hatte, seit sie von Robert H. Sperling auf die deutsch lesende Menschheit losgelassen worden war. Gisela Kopp hatte gleich auf die erste Seite der Lizenzausgabe für die Mitglieder der Stuttgarter Hausbücherei schwungvoll groß ihren Namen geschrieben. In der Hocke las er die ersten Zeilen.

Ich bin Fu, die Tigerin. Meine Landsleute sagen, ich hätte tausend Männer getötet. Das ist weit übertrieben. Trotzdem erheben sich alle Fischer im Perlflußdelta, wenn ich an Bord komme. Mit meinen sechsundzwanzig Jahren habe ich noch keine chinesische Frau gesehen, vor der Männer aufstehen. Ich meine gelbe, schlaue und mutvolle Männer, die zwischen Wasser und Himmel zu leben gewohnt sind. Warum ich diesen Bericht schreibe? Weil ich Silberdollars brauche – und zugleich jemanden mit diesen Seiten an den Galgen bringen will. Heilige Hölle, war das vielleicht kein Anfang? Er hatte in seinem Koffer nichtmal Platz für ein Gramm Heroin und er hatte das fast immer verfügbare weltweite Netz dabei, in dem er sich zu Tode surfen, lesen oder schauen konnte. Aber er fühlte sich besser, wenn er auch was dabei hatte, das er in die Hand nehmen konnte. Außerdem war die Piratin Fu sicher viel zu schlau, um sich im Netz mit derartigen Bekenntnissen zu präsentieren. Eines der Fotos zeigte die lachende Kriegerin, die sich auch als Luxuscallgirl tarnen konnte.

Jedes Buch 50 Cent, sagte der Ladenbesitzer, und wenn du zehn nimmst, eins umsonst. Er fand heraus, dass er es mit  1500 Prozent Gewinn verkaufen konnte. Was ihn aufgrund seiner Wohnsituation hundertprozentig überfordert hätte. Ihre Liaison hielt nur vier Tage. Dann musste er Piratin Fu in einem Zug liegen lassen. Sie lag lieber in einem Zug als in einem Hotel. Das war sicher.



GRAM PARSONS

starb heute vor 39 Jahren. Für den Band SZ-Diskothek 1974 schrieb ich dies über ihn:

In My Hour Of Darkness

Das Leben des Gram Parsons war kurz, heftig, tragisch. Ein düsteres und durchgeknalltes Rock’n’Roll-Märchen: mit dem genialen Künstler und vielen Drogen, mit geerbten Millionen und einem gestohlenen Sarg.

Gram Parsons lebte nicht mehr, als im Januar 1974 sein zweites Solo-Album „Grievous Angel“ erschien; dieser verletzte, kaputte, traurige Engel, das        war er selbst. Nach den Aufnahmen in Hollywood fuhr Parsons mit Freunden zu seinem besonderen Ort im Joshua Tree Nationalpark, um auszuruhen, umgeben von Wüste und Felsen. Dort starb er am 19. September 1973 mit 26 Jahren in einem Motelzimmer an einer Überdosis verschiedener Drogen.  Seinem chaotischen Leben hatte er ein schmales Werk abgerungen, in dem es nicht einen kleinen Hit gab; auch das letzte Album war trotz diesem Tod und seiner irren Geschichte danach ein Misserfolg. Von den vier Platten mit anderen Bands schaffte es eine in den unteren Bereich der Top-100-Charts. Nur eine kleine Szene wusste, dass dieses unzuverlässig-unproduktive Genie ein bedeutendes Werk geschaffen hatte.

Wenige Jahre später wurde jede Produktion, die Parsons geprägt hatte, als Meilenstein gefeiert, er selbst als Pionier der Verbindung Country und Rock, als Erneuerer beider Genres. 1946 in Winter Haven, Florida, geboren, arbeitete er sich als Teenager schnellstens mit diversen Bands durch den Rock’n’Roll- und Folk-Rock-Katalog. Im Hintergrund seiner frühen Drogensucht: eine von Selbstmord und Alkohol zerstörte Familie und ihre mit Orangen-Plantagen angehäuften Millionen, die er als schlechte Basis für einen Country-Rocker betrachtete. In Los Angeles bekam seine International Submarine Band 1967 einen Vertrag bei Lee Hazelwoods Label, Parsons innovative „Cosmic American Music“ wurde von den Stars der L.A.-Szene bewundert.

Die Geschichte von Genie und Desaster konnte beginnen. Als die erste Country-Rock-Platte aller Zeiten erschien, gab’s die Band nicht mehr. Parsons war zu den Byrds gesprungen; angeheuert als Klavierspieler, setzte sich der Sänger-Gitarrist mit seiner Sound-Vision durch. Die fertigen Aufnahmen wurden von Hazelwood gestoppt, Parsons war bei ihm unter Vertrag und deshalb erschien 1968 „seine“ Byrds-Platte „Sweetheart Of The Rodeo“ (mit einer Ausnahme) ohne seinen Gesang. Weil er nicht im rassistischen Süd-Afrika spielen wollte (oder wegen seiner panischen Flugangst), verließ er die Band. Nach „seiner“ großartigen ersten LP mit den Flying Burrito Brothers wurde er wegen unkontrollierbarem Drogenkonsum gefeuert. Den Rolling Stones erteilte er Country-Lektionen, die auf ihren Platten dieser Jahre Spuren hinterließen; sein Freund Keith Richards wollte seine Solo-LP produzieren, aber selbst dieser Junkie schreckte dann vor dem Junkie Parsons zurück. Und: so weiter.

Dass er mit „GP“ (1973) und dem letzten Album seine Vollendung erreichte, lag auch daran: er arbeitete mit hochverehrten Musikern aus Elvis´ Live-Band und wollte sich vor ihnen keine Blöße geben; und mit seiner Duett-Sängerin, der damals unbekannten Emmylou Harris, verband ihn eine geradezu magische (musikalische) Beziehung. Mit ihr schrieb er seinen letzten Song, das Gebet „In My Hour Of Darkness“, eine Erinnerung an drei verstorbene Freunde. Bei der Beerdigung von Clarence White (von dem die zweite Strophe erzählt) hatte ihn das kirchliche Zeremoniell (angeblich) abgestoßen und er forderte von seinem Roadmanager das Versprechen, ihn eines Tages vor sowas zu bewahren. Und deshalb klaute der Freund den Sarg von Parsons am Flughafen, fuhr ihn zurück nach Joshua Tree und versuchte die Leiche zu verbrennen. Man weiß, es war eine eher dumpfe Aktion. Im Gegensatz zur puren Schönheit von Gram Parsons´ Musik.

 



TOPCOVERS DER WELT Nr.100

Wir haben viele Zuschriften bekommen, das sei doch sicher mal wieder nur so´n verdammter Fake.

Ja. Aber wir machen hier keine Fakes. Mit gar nichts.

Ja. Null. Scheiß auf beschissene Fakes.

Ja. Nicht bei uns. Nie.

Ja. So wahr uns Gott helfe. Oder wer auch immer.

Ja. Wir rufen die alle an. Wir lieben die alle.

Ja. Je mehr, desto besser. Basta. Hier ist die Nr. 100!



HANK WILLIAMS

wurde heute vor 89 Jahren geboren. Ich habe mehrere Beiträge über seine Musik und Bedeutung geschrieben. Zuletzt ein Nachwort für den Comicroman Lost Highway von Soren Glosimodt Mosdal (Edition Moderne, 2011). Seinem speziellen Blick entsprechend, sind die Gespenster ein Thema. Und das geht so:

HILLBILLY GEISTERBAHN

Das Jahr 1953 begann nicht gut für Billie Jean Williams. Die 19-jährige Ehefrau des Countrystars Hank Williams war bei ihren Eltern, als am Morgen des Neujahrstags der Anruf kam. Sie beobachtete ihren Vater am Telefon und wusste sofort, dass ihr Mann schon wieder in irgendwas reingeraten war. Dann nahm ihr Vater sie in den Arm und überbrachte ihr die Nachricht vom Tod.

Sie schrie und weinte und sagte zu ihrem Vater, er solle dort anrufen, „ich sagte: ‚Sie sollen ihn nicht anrühren! Manchmal täuscht er nur vor, dass er schläft!’ Ich befürchtete, dass sie ihn lebendig begraben würden.“

Die Geisterbahn, in der Hank Williams durch sein Leben rauschte, hatte nach 29 Jahren die Endstation erreicht. Während der Geisterbahnfahrt hatten sich einige Monster und Gespenster vor ihm aufgebaut, und als die Bahn ihre letzte Runde drehte, tobte ein Blizzard, vor dem sich selbst der Heilige Geist verkrochen hatte.

Ich weiß nichts über Gespenster. Nur dass sie in diesen Situationen gern auftauchen. Man weiß wenig darüber. Und man weiß auch nicht, wann Hank Williams starb, im letzten Hotel, auf der Rückbank des Cadillac, am letzten Ende des Jahres 1952 oder in den ersten Stunden des nächsten Jahres? Ist das wichtig? Ist an der Sache irgendwas gespenstisch? Oder wollen wir es nur etwas seltsam nennen? War der Aufbruch in die vorhergesagte weisse Hölle, um zum Konzert im zwei Tagesreisen entfernten Clanton, Ohio, zu kommen, eine Dummheit oder doch nur Gottes Wille? Sicher ist, dass Hank falsch lag, als er dem erschöpften Fahrer erklärte, Jesus sei ihr Ersatzfahrer. Und sicher ist, dass sein Sarg wenige Tage nach der Beerdigung ausgegraben wurde.

20.000 Menschen waren bei seiner Beerdigung, und es heißt, dass es in Montgomery, der Hauptstadt Alabamas, nie eine größere Trauergemeinde gab. Das Besondere war, berichtete der Fiddler Jerry Rivers, dass Menschen aus allen Schichten dabei waren, „ein grauhaariger Funktionär im konservativen blauen Anzug, junge Männer in Lederjacken, alte Frauen mit Kopftüchern, weinende junge Mädchen in glänzender Seide, Weiße und Farbige, Männer in Luftwaffenuniform und Männer in der Westerntracht der Entertainer.“ Dieses Spektrum hatte mit dem Image von Countrymusik wenig zu tun.

Dreitausend war es vergönnt, an der Messe in der Stadthalle teilzunehmen, Hanks Leichnam zu sehen, die weiße Bibel in seinen Händen. Im ersten Rang hatte man 200 Afroamerikaner von den Weißen separiert. Ich stelle mir vor, dass Rosa Parks unter ihnen saß, die nur drei Jahre später den berühmten Busstreik in Montgomery beginnen sollte. Wurde sie von Typen angestarrt, die nachts in Gespensterklamotten schlüpften? Man weiß immer zu wenig. Die Klanmänner mochten sicher nicht den Blues, aus dem die Hanksongs gekrochen waren.

Er betonte es immer wieder. Seine wichtigste musikalische Lehre habe er als Junge bei dem schwarzen Straßenmusiker Rufus Payne alias Tee-Tot erhalten. Die Mutter schimpfte, gottverdammich, haste denn nichts Besseres zu tun als „lollygag around niggertown all day?!“ Diese Lehre war nichts Besonderes, kaum ein bedeutender Countrymusiker aus dieser Zeit hat nicht bei einem Bluessänger/gitarristen gelernt. Es ist grotesk und gespenstisch, wenn jemand glaubt, Country wäre eine reinweiße Musik. Aber es war ungewöhnlich, dass der Star, zu dem Hank Williams mit seinem 1949er-Hit „Lovesick Blues“ geworden war, sich öffentlich vor so einem Tee-Tot, einem Tee-mit-Schnaps saufenden „Nigger“, verneigte. Bei einem Festakt in Montgomery hatte er Tee-Tot sogar ehren wollen und ließ nach ihm suchen: Rufus Payne lag seit 1939 in einem Armengrab.

Kein anderer Countrysongwriter vor oder nach Hiram Williams war so stark bluesinfiziert. Nicht nur musikalisch. Die hoffnungslose Variante des Blues war ein Teil seiner Persönlichkeit, ein verzweifelter Zug in seinem Charakter, der ihn nicht älter als 29 werden ließ.

Mit „Move It On Over“ hatte Hank Williams 1947 seinen ersten Erfolg gehabt. Eingespielt mit Fiddle, Bass und vier Gitarren, von denen Zeke Turners elektrische scharf nach vorn gemischt war, war es einer der ersten Songs, die Rock’n’Roll ankündigten. Und natürlich war es dann die Live-Fast-Die-Young-Story, die ihn für alle Generationen von Musikern zum Held machten. Der Held, der sich nicht kontrollieren konnte und ließ. Der lieber schnell ausbrannte. Sich aus dunkelster Seele Songs schnitt. Heulte, brüllte, Scheiße baute. Seine Ehehölle rücksichtslos besang und mit perfektem Gespür für Rhythmus. Auf seine Ehefrau Audrey schoss. Ein katastrophaler Geschäftsmann. Der geil auf Erfolg war, aber auf lukrative Filmangebote spuckte. Unsummen verschleuderte, größte Konzerte platzen ließ. Unfähig, die Bremse zu ziehen. Zugedröhnt sein Publikum beschimpfte. Genie und  Knalltüte. Jagen, Fischen, Monster-Comics. Die manisch erträumte heile Familie und die Unfähigkeit zu einem irgendwiiiie normalen Leben: die Kluft, aus der gern Gespenster kommen.

Aber dann an einem Nachmittag ein paar Klassiker hinkritzeln und sie alle in ein paar Stunden komplett fertig aufnehmen.

Das ist der Rock’n’Roll, den Millionen junger Menschen im Kopf haben, wenn sie sich im Übungsraum treffen. Ich glaube, es war Kinky Friedman, der davor warnte: Alle wollen Hank Williams sein, aber keiner will so sterben. Dieser eher an ein Promi-Dasein geknüpfte Hank-Traum sieht in der Countryindustrie von heute besonders blöd aus. Auf die von allen angehimmelte Himmelsgestalt Hank beruft sich (so hat es Dale Watson in einem Song beschrieben) auch noch der Sänger, dessen größtes Problem im Leben war, während einer einwöchigen Tournee in einem Hotelzimmer gelandet zu sein, wo der Fernseher kaputt war.

Williams kam aus einer anderen Welt. Als er Anfang der 40er seine Band formierte, ging er zuerst in einen Waffenladen, um jedem Musiker einen Totschläger zu kaufen. Denn in den Schuppen, in denen sie spielten, bräuchten sie sowas, erklärte er ihnen. Gelegentlich schlug Lum York den Standbass für die Drifting Cowboys, und seine Job war es, dazwischen ein paar Witze zu erzählen. Er pappte sich farbige Punkte, so genannte Polka Dots ins Gesicht und machte Blödsinn. Wenige Tage vor seinem Tod wollte ihn Hank wieder in seine Band holen, aber Lum hatte ein gutes Engagement bei Lefty Frizzell. Außerdem hatte Hank keine Band mehr. Sie hatte das Chaos nicht mehr ausgehalten. Sein Name hatte kaum an Glanz verloren, doch er spielte fast nur noch in den miesen Schuppen seiner Vergangenheit. Manager und Ärzte verpassten ihm harte Medikamentencocktails, damit er auf der Bühne irgendwas bieten konnte und weiter Geld abwarf.

Ein Leben auf Tournee sah damals anders aus. Die glorreichen Jahre von 1949 bis 1951 verbrachten sie meistens im Auto, fuhren eingeklemmt die Nacht und den nächsten Tag durch zum nächsten Konzert. 1949 hatte Hank über drei Millionen Platten verkauft, aber es gab diese Tourneeriesenbusse noch nicht. Exakt in diesen Jahren blühte Nashville zur Countrymusikindustriestadt auf. Die Grand Ole Opry wurde zur berühmtesten Konzerthalle mit Radioshow und Künstlertruppe. Selbst die großen New Yorker Labels waren angekommen, immer mehr Aufnahmestudios wurden benötigt, die jeden Tag Musiker brauchten. Wer’s schaffte, sich einen festen Job zu besorgen, ersparte sich die nervtötenden endlosen Autofahrten. Die für Hank Williams’ schweres Rückenleiden Gift waren. Weshalb sein Hang zu betäubenden Mitteln jeder Art immer wieder angefeuert wurde. Er hatte zu seinem letzten Konzert fliegen wollen – doch der Schneesturm stürzte auf die Welt wie ein Monster. Das Auto war der passende Ort für das Ende.

Und war es nicht etwas seltsam, dass in diesen Tagen „I’ll Never Get Out Of This World Alive“ im Radio ertönte, eine seiner letzten Aufnahmen, die erst der Tod an die Spitze der Charts schob. Genau einen Tag nach Hanks Tod wurde der erste von vielen Ich-erzähl-euch-die-Hankstory-Songs aufgenommen. Bald darauf war Hanks „Kaw-Liga“, der traurige Holzindianer, der mit seinem geliebten Holzindianermädchen nicht zusammenkommen kann, ein Nr.-1-Hit. Mit dem früh gealterten, ausgebrannten Williams war es immer schwieriger geworden, Geschäfte zu machen. Der größte Country-Werbeträger, die Grand Ole Opry hatte ihn wegen Unzuverlässigkeit gefeuert. Er hatte als stärkster Motor für ein aufstrebendes Musikgeschäft gedient, in dessen geordneten Bahnen für so einen unberechenbaren, anders funktionierenden Typen kein Platz mehr war. Es war einfacher, mit dem Toten klarzukommen. Die großen Geschäfte sollten noch kommen.

Soren Mosdal lässt einige Gespenster gegen sein Skelett aus Fakten antanzen. Ein nie verfilmtes Skript von Paul Schrader habe ihn inspiriert, erzählte er in einem Interview, und sein großartiger Comicroman könnte auch als würdiger Teil 2 von Taxi Driver gesehen werden. Die Aussagen des Ersatzfahrers Charles Carr ergaben nie mehr als das, was Mosdal zeigt: die Cops, die ihn anhielten, zwei Damen im Hotel; andere von Carrs Angaben waren nur widersprüchlich. Als man an der Leiche frische Spuren von schweren Schlägen fand, hatte er keine Erklärung dafür. Lost Highway zeigt, was der vollkommen überforderte 18-jährige erlebt hatte: eine Höllenfahrt.

Die Gespenster um Hank veranstalteten noch länger ein tolles Hullygully. Ihr wisst ja, dass ihr es auch anders nennen könnt. Colin Escott, der die beste Hankbiographie schrieb, nannte dieses Kapitel „Schreckliche Abgründe“, und was ich davon erwähne, ist nur ein Bruchteil: Zuerst ließ der Grand Ole Opry-Konzern Plakate drucken, die mit dem großen Hank warben, obwohl sie ihn doch gefeuert hatten; das war der Anfang der Legende vom netten Kerl. Hanks junge Ehefrau war nach zwei Wochen wieder munter, als sie auf den Vorschlag eines geschäftstüchtigen Burschen einging, mit einer Band als „Mrs. Hank Williams“ auf Tour zu gehen. Hanks noch nicht lang von ihm geschiedene Frau Audrey ging ebenfalls als „Mrs. Hank Williams“ auf Tour. Das bestes Schlachtfeld ihres zehnjährigen Ehekriegs war, dass Audrey in Hanks Band mitsingen wollte, aber kein Talent hatte und mit zunehmendem Erfolg ausgeschlossen war. Jetzt hatte sie endlich eine freie (sehr kurze) Bahn ins heiß ersehnte Showbusiness. Als sie das Management für den kleinen Hank Williams Jr. übernahm, der zum Countrystar und Sarah Palin-Fan heranreifen sollte, organisierte sie sein erstes Konzert in Clanton, Ohio, in dem Konzertsaal, den sein Daddy damals nicht mehr erreicht hatte. Dagegen waren die folgenden Erbschafts- und Songrechtekämpfe fast harmlos.

Hank und seine neue Frau Billie Jean hatten im letzten August dreimal an einem Tag geheiratet. Zwei der Zeremonien fanden auf der Bühne in New Orleans statt. Für zwei Shows, in deren Verlauf Hank sang und dann seiner Braut das Ja-Wort gab, waren über 10.000 Tickets verkauft worden. Wer seine Musik nicht versteht, könnte zumindest diese Geschäftsidee zukunftsweisend nennen. 1953 heiratete Billie Jean wieder einen Countrysänger, Johnny Horton, ein Mann, der an spiritistischen Sitzungen teilnahm und an Seelenwanderung glaubte. Er hasste es, auf Tournee zu gehen. Er starb 1960 auf der Rückfahrt nach einem Konzert in Austin, als ein Betrunkener in sie reinfuhr. Johnny Hortons letzte Bühne war die, auf der auch Billies Jeans Gatte Hank Williams sein letztes Konzert gegeben hatte.

Hanks Geburtsname war Hiram, nach einem König aus dem Alten Testament. Es vergingen zehn Jahre, ehe auf dem Standesamt sein Name eingetragen wurde, und dann war er falsch geschrieben: Hiriam. Ein Priester sagte, er solle sich keine Gedanken deswegen machen, das sei kein schlechtes Omen. Aber der amerikanische Süden war ein seltsames Religionsgebiet. Manche wälzten sich schreiend auf dem Boden, wenn Jesus mit ihnen sprach, und andere bissen einer Klapperschlange den Kopf ab, um die Stimme Jesu endlich zu hören.

Am 17. Januar 1953 wurde der Sarg wieder ausgegraben. Unter ihm lagen die Überreste französischer Soldaten, die exhumiert werden mussten. Hanks Leiche wurde umgebettet, nachts, um keine Gerüchte aufkommen zu lassen. Doch „einige mitternächtliche Passanten sahen, wie der Sarg im flackernden Lampenschein über den Friedhof getragen wurde.“

Und da war eine Stimme, die „I Saw The Light“ summte. Manchmal kannst du sie auch heute noch hören. In dem Moment, wenn die Nadel springt.



WAS VERGESSEN

Es müssen in der Nähe nicht Bomben aus dem Boden geholt werden, um das Gefühl zu haben, dass die unglaublichen Heldentaten der Deutschen im 20. Jh. nicht ganz so begraben, vergessen, vergeben sind, wie sie das gern hätten. Da könnse z.B. gern mal Ihren griechischen Nachbarn fragen, falls er nicht grade damit beschäftigt ist, Ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Oder sich was anhören:

3 CDs, 183 Min., Booklet. Konzeption/Regie: Evelyn Steinthaler, Klaus Sander. Supposé Verlag, Berlin 2012.

Aus dem Verlagstext: „Käthes Eltern, beide überzeugte Sozialdemokraten, leben und arbeiten in Wien. Mit wachsendem Druck des Regimes setzen sie sich mit anderen Gleichgesinnten im Untergrund zur Wehr; auch Käthe wird immer mehr Teil dieses politischen Kampfes. Der Tod ihrer Mutter und die Grausamkeiten der Nationalsozialisten lassen sie schließlich das politische Erbe ihrer Eltern antreten, und so setzt sie die Arbeit bis zur ihrer Verhaftung im Alleingang fort. Nach langem Aufenthalt in den Wiener Gefängnissen wird sie 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück überführt.

Heute ist Käthe Sasso 86 Jahre und lebt allein in ihrem Haus in Winzendorf. Ihre dramatischen Erinnerungen hindern sie nicht daran, ein modernes Leben zu führen. Seit ihrer Flucht aus Ravensbrück setzt sie sich unermüdlich für das Andenken der hingerichteten WiderstandskämferInnen der „Gruppe 40″ auf dem Wiener Zentralfriedhof ein. Für ihr Engagement wurde sie u. a. mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Republik Österreich ausgezeichnet. Sie bleibt eine Kämpferin – nicht nur in Worten, auch in der Tat.“

 



SPITZENSATZ (5)

„Luxus verbinde ich nicht mit materiellen Dingen, sondern mit Werten: Entspannung und Zeit, das ist Luxus pur.“

(Quelle: Millionsfun.com)

Luxus und Praxis (Werbung)