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LIEBE SOPHIE SCHNEIDER

Ihnen ist natürlich ganz klar, dass ich´s gar nicht fassen kann, ich bin fast aus dem Fenster gesprungen, als ich Ihre Mail gesehen habe, und bin jetzt (immerhin aus dieser Gefahrenzone) immer noch zu durch, um einfach mal „Ja! Logo! Danke!“ zu sagen:). Aber es ist natürlich so ein Moment, der einem kaum jemals in einem Leben passiert, wo ein einfaches „Danke“ nicht annähernd irgendwas ausdrückt.

Schon eher passt da die Redensart „Ich weiß jetzt gar nicht, was ich sagen soll“ auf Ihre Frage „Willst du ein paar Millionen auf deinem Bankkonto?“ Ich war so verwirrt, dass ich mich zuerst auch noch gefragt habe, ob wir uns vielleicht wirklich kennen und schon bis zum „du“ kennengelernt haben, denn, das weiß man ja, Leute, die auch mal  was echt Großes zu verschenken haben – falls das überhaupt ein „Geschenk“ ist, was mir aber herzlich egal ist, denn dafür kann man ja auch mal sozusagen in die Hände spucken…:) – outen sich oft nicht so schnell. Also wundere dich mal nicht länger über das „Sie“!

Wie machen wir denn jetzt weiter? Ich habe dir Offline alle meine Daten angehängt, aber ich glaube, wenn wir das Ding etwas persönlicher schaukeln, wäre es doch netter:) Ich hol dich gerne von jedem Flughafen ab, ehe dich noch irgendein Taxifahrer vollllabert. Gib mir einfach Bescheid, und das jederzeit. Ich weiß natürlich genau wie du, dass Geld nicht glücklich macht, aber ich kann dir versichern, dass ich das jetzt mal ausprobieren will. Total ohne wenn und aber:) Wer, wenn nicht du, hätte mich denn davon überzeugen sollen? XOXO und bis gleich!



KNASTLESEN (5)

Schon zum zweiten Mal las ich den Eingeknasteten in der Jugendarrestanstalt aus dem Roman Eine Tonne für Frau Scholz von Sarah Schmidt vor. Kam wieder gut an; Thema Berlin kommt an, auch die offensive (dabei nicht-jugendliche) Haltung zu Drogen, die etwas biestige Art der Ich-Erzählerin und der subtile Humor der Autorin. Ich bin ja immer wieder überrascht, was bei den 16-21jährigen (von denen nicht viele einen Hauptschulabschluss haben, fast nie sitzen Gymnasiasten, Abiturienten, Studenten ein) ankommt, z.B. hätte ich gewettet, dass Wolfgang Herrndorfs Tschick irgendwie interessiert, aber nichts da, warum, wurde mir nicht klar.

Neun Jungs und ein Mädchen waren dabei. Angenehme Stimmung. Der Junge neben mir war ein äußerst netter und freundlicher Typ; hatte auf dem rechten Arm fett ACAB tätowiert (All Cops Are Bastards). Ich wusste nicht, warum er sich einen Arrest eingehandelt hatte; ich frage nie jemanden und erfahre es nur, wenn sie selber drauf zu sprechen kommen. Nach einer Stelle im Buch sagte er, ohne im geringsten aggressiv zu werden, diese Ausländer seien ja wirklich überall und die gingen ihm total auf die Nerven.

Ich sagte nichts dazu und wollte mal sehen. Sofort bekam er von allen Seiten was zu hören, was er andernfalls so ähnlich auch von mir bekommen hätte. Ich erwartete, er würde ordentlich einsteigen und gegen sie anreden, aber er blieb freundlich und friedlich. Das Mädchen erzählte, sie sei drei Jahre mit so einem rechten Typen zusammen gewesen und diese Haltung sei grauenhaft. Ich traute mich leider nicht sie zu fragen, wie sich das genauer abgespielt und warum sie es dann doch so lange mit ihm ausgehalten habe.



KAPITULATION

Noch eine Momentaufnahme dazu, aus dem großartigen Roman Watschenbaum von Egon Günther, erschienen bei Edition Nautilus:

„Der zur Kapitulation bereite Bürgermeister, der die aus der Landeshauptstadt evakuierten Familien oft und gern schikaniert, für den Leichnam einer aufgrund der erlittenen Entbehrungen im Ort verstorbenen Großtante sogar kaltschnäuzig eine Grabstätte innerhalb der Umfriedung des Kirchhofs verwehrt hat, wurde von den einrückenden Franzosen auf dem Kühler des vordersten Jeeps als Geisel und Schutzschild durch die Ortschaft gefahren. Der alte Parteibonze war sichtlich von Angst gepackt, dass etwaige Heckenschützen des „Werwolf“ noch im allerletzten Moment auf ihn feuern würden.“

Watschenbaum Günther, Egon: Gangspuren  Bayerische Enziane Feuerstuhl No. 1, Zeitschrift für Brot & Rosen   Günther, Egon: allerlei entzwei, gedichte für besiegte

Mehr zum neuen, von Egon Günther hrsg. Magazin hier: http://www.feuerstuhl.org/index.html + Seine Gedichtbände im Verlag Peter Engstler.



KAPITULATION

Sieben Stunden nach der bedingungslosen Kapitulation des OKW, am frühen Morgen des neunten Mai des Jahres neunzehnhundertfünfundvierzig, schickten sich, auf einem Hügel tief im böhmischen Wald, wenige Schritte abseits einer Straße, über die sich, wie über alle Straßen Böhmens zu dieser Stunde, der brüllende Knäuel der westwärts fliehenden Wehrmacht wälzte, zwei Männer der Feldgendarmerie, von einem SS-Leutnant kommandiert, an, einen verzweifelt sich wehrenden gefesselten jungen Soldaten, der ein kleines, eilig geschriebenes Schild auf der Brust trug: „Ich war zu feige, Deutschland vor den Barbaren zu schützen!“, am Ast einer Eiche zu henken. Der junge Soldat schrie unablässig den einen Satz: „Aber der Krieg ist doch aus, aber der Krieg ist doch aus …“ …

Anfang der Erzählung Kapitulation von Franz Fühmann (1922-1984)



NEW HOPE

for the Dead“ ist Thema der neusten Folge der schönen Serie Der Anti-Kanon im Blog der Krachkultur:

http://www.krachkultur.de/blog.html

Cover New Hope For The Dead, Futura (1987)



HEUTE

vor 95 Jahren wurde mein Vater geboren. Ich war so vierzehn, als er mich einmal dabei erwischt hat, wie ich an meinem Schreibtisch saß und statt Schularbeiten zu machen in einem Roman las. Ich erwartete eine Predigt. Aber er wollte nur wissen, was ich da las. Hemingway, Wem die Stunde schlägt. Es gab eigentlich keine Literatur bei uns daheim, aber man war, wie so viele damals, in einem Buchclub, und so war Hemingway reingekommen. Er sagte, er hätte es auch gelesen und fände es gut. Ich war verblüfft, weil er nie irgendwas las außer die Zeitung oder mal in einem Buch über Kleintierzucht oder Fischen oder sowas. Wenn ich an seinem Grab stehe, kann ich meinen Namen auf dem Stein lesen. Keine schlechte Vorbereitung.



PROBLEM EIGENTOR

Unter dem Titel „Hängt ihn tiefer!“ hat Henryk M. Broder einen Nachruf auf Günter Grass geschrieben. Darin heißt es: „Grass war ein schwadronierender Langweiler, ein geschwätziger Wortakrobat, der blutleere Figuren nach seinem Abbild formte. Er hat so geschrieben, wie ältere Damen ihren Nachmittagskaffee trinken – mit abgespreiztem kleinen Finger.“

Ich wollte schon Beifall klatschen. Aber kurz bevor meine Hände aufeinander prallten, stoppte ich die Bewegung. Weil´s da ein Problem gab, so eine Art Eigentor. Das Problem hat vier Buchstaben: BILD. Oder sieben Zeichen: Bild.de (wo´s mit Datum vom 25.4. steht). Schade. Aber: no way.



IHREN ABSCHIED

von den Lesebühnen beschreibt Sarah Schmidt so großartig und offen, wie man´s von ihr kennt, mit einem Seitenhieb auf die Slam-Kultur. Ihr neuer Roman Eine Tonne für Frau Scholz (Verbrecher Verlag) kann nicht genug Nachfolger bekommen. Womit die gute Nachricht erwähnt ist.

https://verbrecherei.wordpress.com/2015/03/19/kein-blatt-vor-dem-mund/



DENNOCH HAT SICH IN DEUTSCHLAND

mal abgesehen von diesen Nachrichten — „Juden in Deutschland fühlen sich zunehmend unsicher. Sie verstecken ihre Kippa oder vermeiden es, in die Synagoge zu gehen …“ / http://www.deutschlandradiokultur.de/juden-in-berlin-zwischen-angst-und-selbstbehauptung.1001.de.html?dram:article_id=318872 — sehr viel bewegt seit 1945.

Zum Beispiel haben heute viel mehr Deutsche Internetanschluss als damals! Das sollte man nicht verschweigen. Außerdem hat Ministerpräsident Seehofer jetzt in Dachau gerade „betont“, und das nicht nur für den rechten Rand der CSU: „Die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrscher, Verfolgung, Mord und Holocaust erfüllen uns Deutsche mit Trauer und Scham.“

Wie sagt man im Showgeschäft der Waffenexportexperten: Wird schon schiefgehen!



DAS WEISSE PFERD

Nach einem Killerkonzert im Grand Hotel Cosmopolis mit Das Weisse Pferd und einem improvisierenden Das Hobos-Ableger (Tom Simonetti aka Mongkong und LeRoy plus Belp als Gast) hier ein Truck voll Sound aus der wunderbaren und seltsamen Welt von Schamoni Musik:

https://soundclound.com/schamoni-musik