DESERT TRAIN
Von Franz Dobler | 22. September 2015 | Kategorie: Musik | Kommentare deaktiviert für DESERT TRAINLydia Daher & Tatafull / Was der Wind bringt
Lydia Daher & Tatafull / Was der Wind bringt
Die Mauer in den Köpfen. Zum Beispiel. Ist sicher einer der interessantesten Begriffe, die wir dem Fall der Mauer zu verdanken haben; wo zuvor angenehme Leere war, stand plötzlich eine Mauer. Damit muss man erstmal klarkommen. Andere Begriffe begreifen wir nicht auf Anhieb, weil sie brandneu sind und wir sie noch nicht in den Griff bekommen. Dabei sind uns oft Politiker eine große Hilfe.
Das MdB Volker Ullrich (CSU) ist gerne eine besonders große Hilfe. Geht keiner Herausforderung aus dem Weg. Lädt zu einem Informations- und Diskussionsabend ein: „Wie geht die Politik mit der großen Herausforderung Asyl um?“ Dabei habe es, sagt die Zeitung, keine Hassäußerungen gegeben, sondern sachliche Fragen und Beiträge. Wäre ja noch schöner! Das MdB habe das Engagement vieler Deutscher gelobt, aber auch gemahnt, man müsse die Bedenken besorgter Bürger ernst nehmen – denn: „Es gibt eine Grenze für die kulturelle Aufnahmekapazität.“ Wovon spricht das MdB? Frage ich mich mit geradezu unmenschlicher Sachlichkeit. Es gibt also jetzt eine Grenze für die kulturelle Aufnahmekapazität – gut, aber auch bei uns in Bayern? Damit muss man erstmal klarkommen. Und dabei ruhig Blut bewahren.
Zuerst habe ich mich gefragt, woher kenne ich denn dieses MdB? Wo ich mich doch nicht besonders für Politik interessiere und für die eifrigen jungen Seehoferwasserträger auch nicht. Dann ist es mir eingefallen. Dieses relativ neue MdB hat seinen Gang nach Berlin nämlich erstaunlich gut vorbereitet, und im Februar 2013 schrieb ich für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung diesen Kommentar dazu:
„Wer wissen will, wie es um die Christlich Soziale Union in Bayerns drittgrößter Stadt wirklich steht, der muss den Bayernhäuptling anrufen. Das Lied, das Ministerpräsident Seehofer nicht zum ersten Mal zum Besten geben könnte, wäre einige Nummern härter als die neue Rockscheibe vom Heino.
Nachdem die Augsburger CSU allein schon in jüngster Zeit mit Stichworten wie Parteiabspaltung, Parteiausschlussverfahren oder Stadtratsmehrheitsverlust glänzte, ist es jetzt der Ordnungsreferent Volker Ullrich, der mal richtig ins Rampenlicht drängt. Hat er doch letzten Montag glatt Polizei und Justiz in der Augsburger Allgemeinen einmarschieren lassen, um einen Verbrecher seiner verdienten Strafe zuführen zu können, der ihn in einem Online-Kommentar beleidigt hatte. Ja, und wie hat ihn der Kerl beschimpft? „Du ganz du dreckige Drecks…“ vielleicht oder sogar „Oberförster“? Wäre ja noch gegangen. Aber die Beleidigung war halt doch irgendwas mit „Rechtsbeugung.“ Was in Zusammenhang mit „Straßenstrichabschaffung“ oder wie das heißt natürlich nicht mehr lustig ist.
Es ist so: Der Ordnungs- und CSU-Politiker Volker Ullrich (37) will ja bekanntlich nach Berlin. Man möge ihm diesen Lebenstraum also doch bitte erfüllen und ausnahmsweise ohne Wahlen und solche Sperenzchen. Wird doch wohl einmal möglich sein. Ein Mann aus der Brechtstadt, mehr muss man doch nicht sagen.“
Soviel zu meiner persönlichen Grenze für kulturelle Aufnahmekapazität.
das mir selber mal eingefallen, in junge Welt und in Superbastard erschienen und halbwegs aktuell geblieben ist:
IN MÜNCHEN VOR DEM KRIEG
Der Vater
ist ein Tisch ohne Decke
Die Mutter
liegt auf ihm ohne Kopf
Der Bruder
zeigt ihn herum auf der Wiesn
Die Schwester
jodelt im großen Zelt
Der Mann
der sie am Arsch leckt ist ein Nazi
Und auch er
macht es schön und gut.
TRIKONT
SCHAMONI
OFFLABEL
ES GIBT EXAKT VIER SCHRIFTSTELLER, MIT DENEN ICH MICH GERNE MAL UNTERHALTEN WÜRDE. DREI DAVON SIND TOT UND DEN VIERTEN TREFF ICH IMMER NICHT. Jan Off
heißt der neue Laden vom tollen Label. Hier das Video von der Eröffnung. München, Bayerstr. 4 . Live am 18.9. Das Hobos feat. Franz Dobler im Improvisationsgebiet.
http://stockwerk23.tumblr.com/
via nevver.tumblr.com
Vorgelesen aus Unter Brüdern von John Fante. 11 Jungs und ein Mädchen, darunter ein Problemfall, wie ich schon beim Reinkommen durch den Stress unter den Cops mitbekam. Der Junge war soeben eingefahren und laut eigenen Angaben auf Ecstasy u.a. Ich habe allerdings nicht gewusst, dass er in der Gruppe sein würde und er ist mir auch nicht aufgefallen. Kurz vor Ende wurde er rausgeholt, und ich hatte auch nicht mal bemerkt, dass er eingeschlafen war. Als wir fertig waren, bekam ich am Ausgang mit, dass er ermahnt wurde: wenn er wieder einschlafen würde, dann würde die Gruppe, wo er jetzt hinmusste, abgebrochen. Ich sagte, einschlafen wäre ja nicht schlimm, es wäre schlimmer, wenn jemand die Gruppe kaputt macht. Kam bei der Chefin natürlich nicht gut an. Manchmal hat sie schon ein Humordefizit – der Jugendarrest wird demnächst geschlossen und in ein Kaff außerhalb verlegt, und ich sagte zu ihr, wenn der Arrest dicht macht, was soll ich denn dann machen in meiner Freizeit? Aber sie kapierte den Witz nicht.
Die beiden Jungs, die mich eine Woche vorher gebeten hatten, aus Unter Brüdern weiter zu lesen, waren jedoch nicht mehr dabei. Also fing ich wieder mit dem grandiosen ersten Kapitel an. Bei der hohen Teilnehmerzahl hatte ich erwartet, dass es chaotisch werden würde, aber denkste. Letztes Mal wurde mehr gelacht, Details kamen besser an, auch der Fante-Witz. Aber einer war jetzt dabei, der besonders auf das Italo-Thema ansprang. Und es stellte sich raus, dass er alle Scorsese-Filme kannte – mit 19! Sogar DeNiros weniger bekannten Film In den Straßen der Bronx, außerdem Heat und Sopranos sowieso, ein echter Mafiafilmspezialist, eine Bildung, die man sich erstmal draufschaffen muss. Wir saßen im Knast und beballerten uns mit Mafiafilmwissen. Ich war überrascht, als er sagte, er würde draußen nie ein Buch lesen.
Am Anfang hatten, was selten vorkommt (und ich frage nie), fast alle erzählt, warum sie da waren. Die meisten BTM, (nur) einer wegen Beleidigung und KV, einer wegen Facebook-Beleidigung, das Mädchen wegen Schwarzfahren. Sie sagte dann nichts mehr, ich konnte sie mit nichts ermuntern, die Frage, ob sie einen von diesen Filmen kennen würde, verneinte sie. Der Junge links neben mir mit den langen Locken saß wegen 0,7g Shit. Er hatte sechs Romane von John Irving in den Knast mitgebracht. Ich erzählte ihm, dass Irving kürzlich in Deutschland war und bei der Beerdigung seines Freundes Günter Grass die Grabrede gehalten habe. Er schaute mich total verblüfft an und meinte, er wäre hingefahren, wenn er draußen gewesen wäre. Mann.
Als im Buch „Redondo Beach“ vorkommt (wo der Erzähler lebt), erwähnte ich zur Verdeutlichung Two and a half Men, wo ja immer wieder der Strand eingeblendet wird. Einer sagte, das sei aber Malibu. Na gut, verdammt. Und der Irving-Fan sagte auf meine Frage, ob sie die Serie denn kennen würden: Nein. – Was? Das gibt´s doch nicht! – Dann lachte er sich kaputt. Er hatte mich verarscht. Das kennt ja wohl jeder!
Mit einem Deutschrussen redete ich vor allem über das Tabu, den eigenen Vater zu schlagen. Klar, sowas geht gar nicht, versteht und kennt jeder. Solche Stellen – auch wie sich die Eltern und Kinder gegenseitig wüst beschimpfen – rufen Kichern hervor, auch großes Erstaunen, dass sowas in einem Buch zur Sprache kommt. Ich erzählte ihnen den üblichen Spruch meiner Mutter: Wer die Eltern haut, dem wächst die Hand zum Grab hinaus! Ich versuchte ihn etwas rauszulocken und sagte, was wäre aber, wenn der Vater den Sohn töten will und der muss in Notwehr sein Leben schützen? Er wich aus, dann müsste jemand dazwischen gehen und das verhindern. Auch weitere aber-wenn-Fragen führten aber nicht weiter.
Jemand erzählte von einem realen Fall, dass eine Frau in sehr hohem Alter ihrem ebenfalls sehr alten Mann gestanden habe, ihn einmal vor Jahrzehnten betrogen zu haben, und daraufhin habe sich der Mann scheiden lassen. Diskussion: absurde Sache; sie hätte es doch nach so langer Zeit nicht sagen müssen … – Ich: Sehr alte oder kurz vor dem Tod stehende Menschen hätten oft das Bedürfnis, solche Sachen zu gestehen. Und erzählte, wie meine Mutter, schon im Sterbebett, mir erstmals erzählte, dass ihr Vater sieben Jahre im Knast gewesen war.
„In ihren Sonntagsanzügen warteten die Sargträger trübsinnig und suchten Schutz vor der Sonne unter einer großen Ulme, an diesem heißen, freudlosen Nachmittag. Es waren Zarlingo, Cavallaro, Antrilli, Mascarini, Benedetti und Rocco Mangone. Sie sahen so schön aus wie alte Steine, die man über ein Stück Hügellandschaft verstreut hatte.“
Wir haben nie genug Zeit, um mehr als ein paar Seiten zu schaffen; kommen, bei Romanen, nie bis zum Schluss. Manchmal fragt mich jemand, warum ich denn nicht jeden Tag kommen könnte.