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HEUTE ÜBER MORGEN

auch kritische Anmerkungen von Optimal-Boss Christos Davidopoulos in der Süddeutschen … und dieser Newsletter: „am SA 16.04.16 ist R E C O R D   S T O R E  D A Y +++ LIMITIERTES, RARES, VINYL TOTAL & DIE HOCHZEITSKAPELLE  live  um 20:00 Uhr im Optimal Plattenladen,  Kolosseumstr. 6, München

OPTIMAL! ACTION! Mi 20.04.2016 DÜSTERBUSCH CITY LIGHTS  Lesung von/mit Alexander Kühne. Underground Musik Kultur in der ehemaligen DDR. Veranstalter: Heyne Hardcore.  Mo 02.05.2016 ALFRED HILSBERG – EIN LEBEN  FÜR DEN UNDERGROUND Lesung von/mit Christof Meueler



SPITZENSATZ (23)

AUTOREN SCHREIBEN, UM GELIEBT ZU WERDEN.

Stephan Maus, Stern 14/2016



EINE POSTKARTE

die nicht abgeschickt wurde. Wobei die serbische Postkartenpolitik – das wird man

Fuck the coca - Fuck the pizza - All we need is shljivovitza!

wohl auch mal erwähnen dürfen – nicht ganz unschuldig ist, weil man dort, wo man die Karte kauft, keine Briefmarke bekommt, sondern nur auf der Post, die man natürlich nie findet. Während man in Zagreb dieses Problem optimal gelöst hat.



DER KOMMISSAR VOM SCHWARZEN SEE

Nachdem wir im Norden Montenegros den „schwarzen See“, den 1400m hoch gelegenen Gletschersee Crno Jezero in der Nähe von Bijelo Polje besucht hatten, wurden wir auf dem Weg zurück zur Brücke über den Tara Canyon von einem Streifenpolizisten rausgewunken. Unser serbisches Nummernschild, sagte der Fahrer. Er blieb ruhig und gab ihm alle Papiere. Sie redeten. Der Polizist gab ihm die Papiere zurück und sie redeten weiter. Dann telefonierte der Polizist und der Fahrer lachte. Was ist denn los? Er hat gesagt, sein Chef muss heute auch nach Belgrad, ob wir ihn mitnehmen könnten. Wir konnten. Hättest du auch nein sagen können? Klar, sagte der Fahrer. Eigentlich hätte er niemanden mitnehmen dürfen, weil es ein Firmenauto war … was heißt hier eigentlich!

Der Polizist fuhr los, um den Chef abzuholen. Wir genossen die Aussicht über die ganze Hochebene, an deren Ende schneebedeckte Berge standen. Wer´s nicht in den Himalaya schafft, kann es sich hier ansehen.

Der Kriminalkommissar sah aus, wie man sich in Deutschland einen SEK-Mann in der Freizeit vorstellt: Turnschuhe, Trainingshose, Kapuzenjacke, Sporttasche, Haare etwa 0,5mm. Wir platzierten ihn neben dem Fahrer, sie konnten sich unterhalten. Der Kommissar sagte ihm, wo das Tempolimit kontrolliert wurde und wo er wieder auf die Tube drücken konnte, und er kannte die Wirtschaft an der Strecke, wo wir was essen sollten. Der Fahrer übersetzte, dass der Kommissar und seine Leute es seit einiger Zeit verstärkt mit deutschen Touristen zu tun hatten, die sich in der Natur dumm verhielten und gerettet werden mussten. Die beiden unterhielten sich so gut, dass wir kaum was übersetzt bekamen.

Der Fahrer aß dann wie immer Cevapi und rührte, wie der Kommissar, den Salat nicht an. Ich habe vergessen, was ich gegessen habe, aber es war gut. Meine Frau hatte Fisch, der auch gut war. Warum kann ich mich an ihr, aber nicht an mein Essen erinnern? Der Kommissar telefonierte viel. Falls ich´s richtig verstanden habe, hatte er Urlaub und fuhr zu seiner Frau nach Belgrad, wo er mal einige Zeit als Security an der montenegrinischen Botschaft eingesetzt war. Ich fragte mich, ob man ihn strafversetzt hatte. Im Film landet der Kommissar dann ja immer in der Natur; kann mich an keinen umgekehrten Fall erinnern.

Der Fahrer war so begeistert wie verblüfft, dass im Fernseher dieses Restaurants an der Straße doch tatsächlich eine Doku über Pina Bausch lief und erzählte dem Kommissar einiges über die Tänzerin und Regisseurin, von der auch ich keine Ahnung hatte (außer Wuppertal, das hat man sich gemerkt). Der Grund wurde nicht herausgefunden, also warum diese Doku a) mitten am Nachmittag lief und b) hier im Fernseher.

Der Kommissar stieg ziemlich am Anfang in den Blockbergen von Belgrad aus. Zuletzt gab er dem Fahrer seine Karte. Super, sagte der Fahrer, sollte ich in Montenegro jemals ein Problem haben, soll ich ihn anrufen. Ich musste daran denken, dass der Bibliotheksleiter mit dem stellvertretenden deutschen Botschafter viel über Politik diskutiert hatte; bald würde darüber abgestimmt werden, ob sich Montenegro auf die Seite Rußlands oder der EU stellen würde; der Bibliotheksleiter hoffte auf die EU und befürchtete, dass es im Moment nicht besser als 50/50 stand. Der Botschafter erklärte mir, dass Montenegro ein unbedeutendes Land war, allerdings mit einem Zugang zum Meer, an dem Rußland sehr interessiert war. Auf der Fahrt durch die Berge viele Häuser und Hütten, die nach Armut aussahen, und der Fahrer erzählte, dass es hier Wölfe und Bären gab und jeder eine Waffe hatte. Der Kommissar erzählte, dass hier jeder legal Schnaps brannte (was ja in der EU nicht so gern gesehen wird); bei Andrzej Stasiuk in Fado gelesen, dass hier noch das Gesetz der Blutrache galt und dass es nirgendwo in Europa innerhalb weniger Kilometer so riesige Unterschiede zwischen arm (Berge) und reich (Küste) gab bzw. einem Leben, das wie seit Jahrhunderten ablief, und einem, das wie in einem topmodernen TV-Magazin aussah … Es konnte also auf keinen Fall was schaden, wenn man einen Kommissar in Montenegro kannte, dem man mal geholfen hatte.

Inzwischen war es Nacht, wir waren seit zehn Stunden unterwegs, am Bahnhof wurde der Verkehr nervenzerfetzend zäh, die Arschloch!-Rufe des Fahrers häuften sich – und dann reichte es ihm plötzlich, er zischte ab wie in einem Highway-Cop-Film, überholte alles auf Teufel-komm-raus und brach in wenigen Minuten einen Berg von Verkehrsregeln. Dennoch hatten wir auch ohne den Kommissar überhaupt keine Angst.

Später gab es keine Einigung über die Frage, ob die spontane Mitfahrgelegenheit für den Kommissar typisch Balkan oder typisch Montenegro war. Und wenige Tage später bekam ich sogar noch eine verblüffende Polizeistory …



DIE FARBE DER FARBE

Mit der Farbe der Farbe stimmte was nicht. Ich glaube, es ging um rot. Zweimal in zwei Tagen. Beim  ersten Mal dachte ich mir nichts, also erst mal nicht viel. Dann kam ein zweiter Verkäufer. Schaute den Tausender an, winkte ab. Beim Rausgehen begegnete ich dem Security-Mann, den der Verkäufer an der Kasse schon benachrichtigt hatte, ohne dass ich es bemerkte. Dann das zweite Mal. Drei Leute in der italienischen Bar-Bäckerei sahen sich genau an, ob mit der Farbe der Farbe tatsächlich was nicht stimmte, und ich fing langsam ebenfalls an, über die Farbe der Farbe nachzudenken. Wieder kam jemand dazu und winkte nach kurzer Prüfung ab. (Während der Banker, bei dem ich am Tag vor dem Abflug Geld tauschen wollte, nicht mal wusste, welches Geld in Serbien gebraucht wird).

Und ein Rom, dem ich einen Schein aus dieser Bankomat-Serie gab, fing sogar an, auf mich einzureden. Aber dann doch nicht wegen der Farbe. Er dachte nur das, was ich auch gedacht hätte. Wenn dir jemand einen Tausender gibt, gibt er der vielleicht noch einen, also bleib dran. Es ist so ähnlich wie mit den Notizen, die man sich unterwegs macht; wenn du tausend gemacht hast, von denen du nicht mehr weißt, wie du sie überblicken, ordnen oder sonstwie verarbeiten kannst, dann bleib einfach dran und mach noch Tausend mehr.

Wie Selman Trtovac am „Tag der Weisheiten“ (wie wir ihn nannten) meinte: Ein Künstler darf sich nicht so ernst nehmen, sonst kommt nur Scheiße dabei raus. (Oder hat er gesagt: darf sich nicht immer so ernst nehmen? Ich muss nicht in meinen Notizen nachsehen, um zu wissen, dass ich es nicht genau notiert habe.)

Bildergebnis für tausend dinar

DON’T DO THIS AT HOME!



MAN MUSS ETWAS ZEIT MITBRINGEN

nicht nur in den großen fremden Städten, sondern auch wenn man mit Edo Popovic an einem sonnigen Tag durch das Zentrum von Zagreb spaziert. Der Schriftsteller wird von vielen Leuten freudig begrüßt (z.B. Roman Simic, dessen Bücher in Deutschland ebenfalls bei Voland&Quist erscheinen). Für das Wochenmagazin Express schreibt er regelmäßig (meistens politische) Artikel; wenn nichts von ihm im Heft steht, kommen besorgte Anrufe, ob man ihn etwa zensiert habe, was beim Express jedoch nicht passiert. Ist sicher nicht der Fall, dass er im Text sanftmütiger mit der neuen Rechtsregierung und speziell ihrem Ganzweitrechts-Kulturminister umspringt als im persönlichen Gespräch. Edo flucht, dass diese Typen ihm die Zeit stehlen.

Das Magazin hat auch eine Krimi-Buchreihe gestartet, in der demnächst sein neues Buch erscheint, an dem er in diesen Minuten vermutlich am Showdown arbeitet, falls er nicht mit der Katze diskutiert; ich dachte, die Katze heißt „Matzschcke“, aber Macke heißt Katze, das habe ich bei der Abreise im Bahnhof gesehen, wo ein Buchantiquar eine Menge ausgebreitet hatte, auch einen Katzenbildband. Jedenfalls ist Matzschcke vorsichtig über meinen Bauch geschlichen, als ich auf der Küchenbank lag, nachdem wir die Ausfahrt Zagreb-Süd genommen hatten und ehe wir in die Sportsbar Asterix gingen. Ich empfehle alles von ihm zu lesen und vielleicht mit „Ausfahrt Zagreb-Süd“ anzufangen, oder doch mit den „Tattoogeschichten“ (in Zusammenarbeit mit dem Comiczeichner Igor Hofbauer)? Neu als Taschenbuch sein erster Roman „Mitternachtsboogie“.

Hier ein 13´-Beitrag über das aktuelle Zagreb und einige Künstler: http://www.arte.tv/magazine/metropolis/de/zagreb-metropolis   # Bei der Party am Ende ist dann auch Edos Sohn Sven dabei, der in der jungen Literaturszene mitmischt, sein erstes Buch veröffentlicht hat, viel über Musik schreibt (und für ein Online-Magazin meine Shortstory „Helden“ übersetzt hat, worauf ich sehr stolz bin).

Edo Popovic, Zagreb, 5.4.2016 (c by Goethe Institut Zagreb) +++ Und ein Bild vom Abend in Bijelo Polje, im Veranstaltungssaal des Kulturzentrums, links Bibliotheksleiter Edin Smailovic, rechts Selman Trtovac (an den Namen der Übersetzerin kann ich mich nicht erinnern, sie erzählte, dass sie lange in Berlin gelebt hat und die Tochter eines Generalkonsuls ist). Ab diesem Abend fiel mir auf, dass „Krimiroman“ ein auf dem Balkan gängiges Wort ist.

Am nächsten Morgen kaufte ich mir an der Tankstelle die Wochenendausgabe der Zeitung Informer (48 strana, 40 centi) und fand Worte, die mir bekannt vorkamen: kredit, Socijaldemokrate, politicki subjekti, tragikomicnim, mafije, kontekst, problem, depresija, snajperisti, seks, und aus dem horoskop lernte ich, dass lav der Löwe ist und Lejdi Gaga ein Ovan oder Widder.



KEINE DISKUSSION

Bildergebnis für internationaler tag roma 2016Bildergebnis für internationaler tag roma 2016



UND DANN STEHT MAN WIEDER

auf und bekommt die traurige Nachricht, dass Merle Haggard vorgestern, an seinem 79. Geburtstag gestorben ist. Keiner der ganz großen Songschreiber hatte mehr Missverständnisse zu ertragen als er.

Merle Haggard Willie Nelson Django and Jimmie album cover



DEN GEIST VON ALBERT AYLER

habe ich dann vielleicht im Haus gegenüber entdeckt. Das so kaputt aussieht von außen, als ginge nichts mehr. Aber falsch. Im durchaus eleganten ersten Stock die Jazzband, sechs junge Männer, überwiegend in kurzen Hosen.  Wenn ich irgendwas ablehne, dann Musiker in kurzen Hosen. Aber sie sind echt gut. Als hätten sie diese Art Jazz erfunden, funky und mit Saxophon etc drüber über der stabilen Contrabass/Schlagzeug-Basis, wie Albert Ayler, wahnsinnig energievoll, Standards spielend und zerlegend. Ich erinnerte mich an die unglaublichen Konzerte von Shannon Jackson und James Blood Ulmer anfangs der 80er-Jahre, die alles weggeballert haben. Das Publikum jetzt so 50 Leute, ziemlich jung, ich und noch eine Oma waren sicher die ältesten. Aber die Kinder kennen wahrscheinlich keinen James Blood. So what, wie schon Miles gesagt hat. Man muss gar nichts wissen, um gute Musiker zu erkennen. Also, fuckin great. Und weiterhin ein Rätsel, warum Belgrad Jazz City ist. Wir bleiben dran!



BTR JAZZ CITY BELGRADE

kann ich im Moment ergänzen – unabhängig von der Tatsache, dass ich ausgerechnet hier nun erstmals das erste Album von Chic gehört habe, auch das erste von Josipa Lisac übrigens, was aber zu Kroatien gehört, falls man das so sehen will, aber Edo sagt (verkürzt aber nicht falsch wiedergegeben): fuck this Balkan shit, wir sind alle Balkonien – dass Selman Trtovac meinte, dieser Jazz sei ja nur für die Touristen. Aber hey, dachte ich, Jazz, in welchen Formen auch immer, ist ja nicht grade angesagt… Er schickte dann sofort sein lautes, großes, ansteckendes Lachen hinterher. Also nach wie vor, ich weiß nicht, warum das hier so ist. Heute in einem Restaurant Essen, also keine Kneipe, und was lief, Jazzstandards und viele Sachen, die nach Tony Allen, also AfroJazz, SoulJazz etc klangen. In welchem deutschen Restaurant hast du das denn? So. Jetzt gehe ich in das Haus gegenüber. Das klingt nach einer Live-Band. Und wonach klingt es?

Bildergebnis für josipa lisac