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MEIN PROBLEM IST

dass ich mit zunehmendem Alter – (nicht nur dämliche Ausdrücke wie diesen zunehmend benutze, den ich natürlich lieber bei abnehmendem Mond äh Alter benutzen würde) – oft nicht mehr sicher bin, ob eine Meldung wahr oder mal wieder nur gut ausgedacht ist. So treffe ich auf der Facebookseite des Societyphilosophen Jan Off auf folgenden möglichen Tophammer:

„+++ Eilmeldung +++ Neueste Bluttests beweisen: Präsident Erdogan halb Kurde, halb Grieche +++“

Um meine Totalverwirrung zu bekämpfen, denke ich nun, dass es sich wohl eher um die Ente handelt, weil sie nun auch schon wieder zwei Wochen auf dem Buckel hat, ohne dass dem SoPhi, wie seine Freunde ihn nennen, etwas passiert wäre, was ich sogar selbst bezeugen kann. Ich kann nur hoffen, dass ich auch damit mal wieder richtig liege. Obwohl man mit zunehmendem Alter bekanntlich immer öfter falsch liegt.



IMMER EINE REISE WERT

https://zoebeck.wordpress.com/



VOM BAYRISCHEN LEITKULTUR

Diese besonders christlichen Christsozialen, die im Leben nicht mehr gemacht haben, außer juristische Seminare abzusitzen und in Parteiversammlungen abzuhängen, halten uns Vorträge über bayrische Leitkultur? Gibt es denn unter den vielen EU-Verordnungen keine, die diese Art geistiger Körperverletzung verbietet und bei Zuwiderhandlung einbuchtet?

Eine Anfrage im Landtag bzgl. des Zusammenhangs zwischen bayrischer Leitkultur und Integrationspflicht wurde laut Süddeutsche v. 24.6. so beantwortet: „Die Integrationspflicht ist an der Leitkultur auszurichten“. Und: „Die vorherrschenden Umgangsformen, Sitten und Gebräuche, die im Einklang mit Recht und Gesetz stehen, sind zu respektieren“. Selbst drittklassige Kabarettisten kommen mit sowas nicht weit.

Eine erhellende Präzisierung, worum´s da geht, findet sich in Konkret 4/16 in der Gremliza-Kolumne mit dem Titel „Er ist wieder da“. Gremliza zitiert aus einem Gespräch, das Michel Friedman mit seinem Talkgast von der CSU, Michael Frieser führte. Friedman zitiert den CSU-Landtagsfraktionsvorsitzenden Thomas Kreuzer mit „… wir wollen keine Multikulti-Gesellschaft, sondern wir wollen einen ganz klaren Maßstab, was wir bei der Integration erwarten, und das hat was mit der Leitkultur zu tun“, um dann diesen Frieser zu fragen: „Was ist denn die Leitkultur? Frieser: Die Leitkultur ist, was wir als christlich-jüdisches Abendland bezeichnen … Friedman: (…) Sie wollen mir doch nicht sagen, dass es eine christlich-jüdische Kultur gibt … Christlich-jüdisch – da kann ich nur sagen, als Jude: 2000 Jahre Verfolgung, dazwischen ein bisschen Pogrom, Blutspuren – das ist doch kein Vorbild …“ Und dann die Antwort vom Frieser: „Lenken wir nicht vom Thema ab“.

Da quälen mich folgende Fragen: Wie kaputt ist unser Bayern, wenn solche Frieser im Landtag abhängen können? Und was haben grundanständige Bayern getan, dass sie mit solchen Figuren abgestraft werden? Kann es also einen Gott geben, und wenn ja, ist er wirklich ein lieber?



GENAU WUSSTE ICH ES NICHT

Vor vier Tagen starb der unvergleichliche Autor Wolfgang Welt. Wer wissen will, was Popliteratur ist bzw. wozu sie fähig ist, muss seine Bücher lesen (die eine seltsame Karriere hinlegten, trotz Fürsprecher wie Peter Handke und Willi Winkler), auch um ermessen zu können, was für „Nullinger“ (Carl Weissner) da sowohl auf der Produzenten- wie Kritikerseite unterwegs sind. WW als ein Beispiel mehr, dass der Literaturbetrieb und sein Betriebsmanagement nur diejenigen an seinem nett gedeckten Tisch rumsitzen lässt, die sich an seine Regeln halten.

Unvergesslich, wie er (als Musikkritiker) 1982 im Musikexpress eine Gestalt wie Heinz-Rudolf Kunze von Anfang an nicht mit seinem dumpfen Angeberblödsinn durchkommen lassen wollte: „Heinz-Rudolf Kunze ist eine Null. Er selber weiß es am besten. Frei und holprig nach Kleists Gedicht ‚Glückwunsch‘: ‚Ich gratuliere Heinz Rudolf, denn ewig wirst du leben / Wer keinen Geist besitzt, hat keinen aufzugeben.'“

In seinen Romanen wie Peggy Sue ging es um eine andere Art von Genauigkeit — „Die Zeit der Beweglichkeit war vorbei. Zu Hause, auf der Wohnzimmer-Couch fing ich an zu heulen, weil der Wagen im Arsch war, weil ich knapp dem Tod entronnen war, weil ich wieder zu Hause sein mußte. Genau wußte ich es nicht.“

  Welt, Wolfgang: Fischsuppe

Fischsuppe, 2014 im Peter Engstler Verlag erschienen, war sein letzter kurzer Roman.

 

 



ÜBER MERLE HAGGARD

der vor einem Monat von uns gegangen ist, hat Musikjournalist und -veranstalter Berthold Seliger einen so langen wie interessanten und politischen Artikel geschrieben, ausgehend von einem Konzert beim „Austin Rodeo“ 2013, das „kaum einer der fürs SXSW-Festival von weither Angereisten auch nur registriert hatte“:

„Mal abgesehen davon, daß in den meisten Songs der Popkultur und speziell in der unserer Tage, bei all den Wandas und AnnenMeyKantereits, weder Arbeiter*innen noch Haltung überhaupt zu finden sind und allein deswegen schon jeder Song eines Merle Haggard mehr wiegt als die ganze Jahrzehntproduktion der genannten Bands. Die längere Version des Textes ist online, mit zahlreichen Videos; diese Version dient auch einer Werkeinführung für diejenigen, die Merle Haggard noch kaum kennen:“
Seligers Video von Haggards Einfahrt und den ersten Songs:
https://www.youtube.com/watch?v=ysSulrMpXig


ANOTHER TRIKONT HIGHLIGHT

nach dem großartigen Vol. 1 jetzt Vol. 2: Modern Ethiopian Dance Grooves Inspired By Swinging Addis. Compiled by JJ Whitefield. „Im Gegensatz zum ersten, vielbesprochenen und vielgeliebten Album Beyond Addis – Contemporary Jazz & Funk inspired by Etiopian Sounds from the 70’s das auf den Ethio-Jazzsound von Mulatu Astatke aufbaut, vereint Beyond Addis – Vol. 2 moderne Interpretationen des Sounds der Hotelbands aus derm Addis Abeba der 1970er.“

 

„Die Zeit von 1969 bis 1974 gilt als eine wundersame musikalische Kreativitätsexplosion, für die es auch im globalen Kontext kaum Entsprechungen gibt. Durch Addis Abeba tobten Soul, Funk, Fusion und Jazz, hin und wieder sogar Rock. Die Musiker bewegten sich mit größter Souveränität durch die westlichen Stilistiken, hielten sich jedoch keine Sekunde mit Imitationen auf, sondern bedienten sich dieser Stilelemente zum Erreichen höherer Ziele. Es schien eher darum zu gehen, dem reichen Schatz äthiopischer Musik, ihren Skalen und Gesangsstilistiken durch die Bereitstellung neuer musikalischer Umgebungen zu Diensten zu sein.“ TAZ



HANS FRICK (6): Berlin, 19.6.

TERROR IN SCHWARZWEISS

Eine Frick-Verfilmung in der Saless-Retro

Manchmal sind sogar in der Literaturzone klare Worte nötig: „Ich weiß, dass es in meinem Land nur einige wenige Schriftsteller gibt, die das Papier wert sind, auf dem ihre Bücher gedruckt werden. Einer von ihnen ist Hans Frick.“ Schrieb Jörg Fauser 1979 über einen Autor, der schon damals nicht so bekannt war, wie er heute sein sollte.

Ein Optimist könnte zur Zeit auf die Idee kommen, dass sich die Wiederentdeckung von Hans Frick (1930-2003) anbahnt. Kürzlich sendete der Hessische Rundfunk ein langes Feature von Hanne Kulessa, und – was etwa so selten ist wie ein Selbstmordattentäter in Dresden – an diesem Sonntag läuft im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin der Film „Hans – Ein Junge in Deutschland“ (nach dem Roman „Die blaue Stunde“), innerhalb einer Retrospektive mit Filmen des iranischen Regisseurs Sohrab Shahid Saless (1944-1998), die zur Ausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ gezeigt wird.

Der autobiografische Roman „Die Blaue Stunde“ ist der Schlüssel zu Fricks Werk. Er beschreibt seine Kindheit und Jugend im Frankfurt der Nazi- und Nachkriegsjahre und das arme, harte Leben seiner alleinerziehenden Mutter. Sie wurde als „dreckige Judenhure“ beschimpft, weil sie ein uneheliches Kind von einem jüdischen Kunsthändler hatte. Der „Halbjude“ Hans Frick wuchs mit der Angst auf, die Nazis könnten ihn jederzeit abholen, und er wusste, was sie mit den Juden und anderen machten, die nicht in ihr Deutschenbild passten.

Diese Angst prägte Fricks Leben, wurde zum Antrieb seines Schreibens und ist in allen seinen Werken spürbar. Schon in seinem ersten Roman „Breinitzer oder die andere Schuld“ hatte er 1965 mit den Deutschen und ihrer Nazi-Vergangenheit auf eine Art abgerechnet, die nichts mit Aufarbeitung zu tun hatte, sondern im Gegenteil ihre Schuld in die Gegenwart transportierte. Der zentrale Satz klingt bis heute nicht wie von gestern: „Sie haben es getan und sie werden es jederzeit wieder tun, wenn es ihnen gestattet wird.“ Nicht zufällig meldete sich Fritz Bauer, der Generalstaatsanwalt im so genannten Ausschwitz-Prozess, bei diesem herausragenden neuen Autor, und sie wurden Freunde.

Das Drehbuch zu „Hans – Ein Junge in Deutschland“, der sechs Jahre nach dem Roman 1985 erschien, schrieben Saless und Frick gemeinsam. Auch insofern bemerkenswert, weil Frick zu dem Zeitpunkt kaum noch geschrieben hat. Als Autor, der schonungslos von seinen Dämonen, Kämpfen und Niederlagen erzählte, vom Unfalltod seines kleinen Sohns ebenso wie von Alkoholismus, erreichte er mit dem Roman „Die Flucht nach Casablanca“ 1980 den Endpunkt. Er habe sich, erzählte er mir einmal, zwischen Weiterschreiben und Weiterleben entscheiden müssen.

Saless´ Filme werden im Programmheft als „unnachahmliche, minimalistische Zeitbilder, die einem den Atem abschnüren“ beschrieben, als „Filme, die terrorisieren, die aber auch etwas freisetzen.“ Und speziell dieser hochgradig beklemmende, düstere Schwarzweiß-Film „ist ein quintessentieller Saless-Film auch deshalb, weil er die Reflektion von Außenseiterschaft direkt mit einer Intervention in deutsche Erinnerungspolitik verbindet, die in ihrer Radikalität höchstens mit Rossellinis Germania anno zero vergleichbar ist. Wobei Hans das Jahr 1945 eben gerade nicht als eine ‚Stunde Null‘ erlebt.“

Saless hatte in Wien und Paris Film studiert und im Iran Dokumentar- und Spielfilme gedreht, als er 1975 vor dem Schah-Regime nach Westdeutschland flüchtete. Seine „deutschen Filme entstanden im Zuge ständiger, oft polemisch ausgetragener Auseinandersetzungen mit Filmförderung und Fernsehredakteuren.“ Seine letzten Jahre in den USA waren „geprägt von schweren Krankheiten, Armut und einem selbstzerstörerischen Lebensstil.“

Für diesen Film trafen zwei radikale Außenseiter aufeinander, die ihre Lebenserfahrungen in Bezug zur Gesellschaft setzten und auf eine Art in Kunst verwandelten, die einem im comedysierten Deutschland der Gegenwart nicht nur fremd, sondern schockierend brutal vorkommt. Wird schon kein Zufall sein, dass beide so vergessen sind.

19.6. 19h, Deutsches Historisches Museum: Hans – Ein Junge in Deutschland. BRD/F/CSSR, 1985. 148 Min. Geflüchtete haben bei allen Vorführungen der Filmreihe freien Eintritt. Die Retrospektive läuft noch bis 1. Juli.



WIE ES IST

„Es ist ein Kniefall vor den Rechtspopulisten“, kommentiert Felix Werdermann im neuen der Freitag das Integrationsgesetz, und endet damit: „Die Organisation Pro Asyl hat schon recht: Es handelt sich um ein Desintegrationsgesetz.“

Den Weg bis zu diesem Desaster kann man ein wenig nachvollziehen durch das Portrait über diesem Kommentar: Ein Typ, der Jahrzehnte lang durch die CDU marschiert ist, dann im Windschatten der FAZ Herausgeber der Märkischen Allgemeinen wurde, um in der lächerlichen Parodie des verblödeten englischen Gentleman immer noch frei herumzulaufen. Deshalb hätten wir nichts dagegen, wenn in diesem Gauland, das auch durch eine SPD-Figur wie Sarrazin gezeichnet ist, wieder die vier ehemals sog. Besatzungsmächte nach den Rechten sehen würden.



NICHTS ZU DANKEN

Laut meinem Kenntnisstand musste ich die Vermutung haben, dass Bundespolizisten relativ gut ausgebildet sind. So war ich doch etwas überrascht über eine Äußerung der Beamtin Claudia Pechstein, die in ihrer knapp bemessenen Freizeit auch fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin geworden war.

Die 44-Jährige, die in Uniform vor dem Bundesgerichtshof erschien, sagte laut Presseberichten: „Wir Sportler sind scheinbar Menschen zweiter Klasse.“ Das ist auch mein Eindruck, dass erfolgreiche deutsche Sportler keine Menschen zweiter Klasse sind. Selbst dann nicht, wenn sie nicht wissen was „scheinbar“ bedeutet: Der Schein trügt, die Realität sieht anders aus. Falls man etwas bei Tasse ist, versteht man, was die Beamtin damit sagen wollte: dass sie und andere Leidensgenossen anscheinend Menschen zweiter Klasse sind. „Anscheinend“ ist ein Wort, dem mit höchster Vorsicht begegnet werden sollte: wenn meine Oma sagen würde, „anscheinend bin ich die Größte“, hätte ihr nicht einmal Muhammad Ali das Gegenteil beweisen können.

Diesen ihren falsch ausgedrückten Eindruck präzisierte Polizistin Pechstein auch noch mit diesem Vergleich: „Jeder Flüchtling, der nach Deutschland kommt, genießt Rechtsschutz. Wir Sportler nicht.“ Meine Oma hätte dazu, zweifellos nicht ganz passend, nur geknurrt: Dann hätten Sie halt was Gescheites gelernt! Während wir die angespannte Situation der Beamtensportlerin in dieser Situation verstehen können und über ein passenderes Beispiel nachdenken. Vielleicht so: „Jeder besoffene bayrische Mann, der seine Frau absticht, weil sie zu blöd war, das Finanzamt richtig zu bescheißen, genießt Rechtsschutz. Wir Sportler nicht.“

Wir wissen nicht, was die uniformierte Exeisschnelllaufläuferin dazu sagen würde. Aber wir helfen immer gern. Wenn die Sportabteilung Probleme hat, muss eben die Abteilung für Sprache und Zweifel antreten. Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn die verschiedenen Rädchen auf die anderen Rädchen achten. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende. Und denken Sie daran: Das Eis kann immer dünn sein!



HANS FRICK (5)

http://www.hr-online.de/website/suche/home/mediaplayer.jsp?mkey=60873164&type=a&xtmc=hans frick&xtcr=1

Blaue Stunden- Auf den Spuren des Schriftstellers Hans Frick. Feature von Hanne Kulessa. 53´
„Hans Frick wurde 1930 in Frankfurt am Main geboren. Es gibt wohl keinen anderen Frankfurter Schriftsteller, der diese Stadt so hart porträtiert hat wie der im Gallusviertel aufgewachsene „Juddebub“. Mit dreißig Jahren schrieb Frick seinen ersten Roman, in dem ein KZ-Arzt, verfolgt von Schuld und Alpträumen, versucht, einen Prozess gegen sich selbst zu erwirken. „Breinitzer oder Die andere Schuld“ erschien 1965. Frick war befreundet mit dem Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, mit dem Philosophen Georg Lukács, mit dem Schriftsteller Erich Maria Remarque. Er, der Autodidakt, der uneheliche Sohn einer Arbeiterin, fand große Anerkennung, aber seine Lebensangst und seine Wut auf die Gesellschaft blieben. Er schrieb sich in vielen Romanen, Hörspielen, Filmen diese Angst vom Leib, trank gegen sie an, aber trotz des immensen Alkoholkonsums blieb sie seine ständige Begleiterin. „Wann werde ich abgeholt?“ Diese Frage aus der Kindheit verfolgte ihn bis zum Schluss. Hans Frick veröffentlichte 1980 sein letztes Buch „Die Flucht nach Casablanca“. Danach zog er mit seiner Frau Karin zuerst nach Portugal, dann nach Spanien, wo er 2003 starb. Das Feature von Hanne Kulessa folgt den literarischen Spuren, die Hans Frick in Frankfurt hinterlassen hat, es kommen Weggefährten zu Wort und Frick selbst mit Auszügen aus Interviews und Lesungen.“ (hr 2016)