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WIE SO OFT

die Empfehlung an unsere Abonnenten, den neuen Freitag zu lesen. Hier ein Artikel, über den man auch bei Hitze nachdenken kann:

https://www.freitag.de/autoren/nils-markwardt/wo-bleibt-der-stolz



SOMMER MIT NANCY & SID

Unser Freund Klaus Bittermann hat nicht nur einen Truck Bücher verlegt, sondern nach seinen so komischen wie erfolgreichen Kreuzberg-Anekdoten (z.B. „Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol“) endlich wieder einen Roman geschrieben (in einer Besprechung war zu lesen, es sei sein erster, aber das stimmt nur, wenn man nicht bemerkt hat, dass er unter dem Pseudonym Artur Cravan drei tolle Polit-Thriller veröffentlicht hat). Weil wir es keinen Funken besser sagen könnten als Frank Goosen, blenden wir seine Besprechung hier in voller Länge ein:

„Sie suchen noch ein Buch für den Urlaub, haben es aber nicht so mit dem Zeug, das in den großen Buchhandlungen stapelweise im Eingangsbereich herumliegt? Dann empfiehlt Ihr freundlicher Literaturdienstleister heute mal „Sid Schlebrowskis kurzer Sommer der Anarchie und seine Suche nach dem Glück“ von Klaus Bittermann. Bittermann ist laut Klappentext eine „Verlegerlegende“. Dass er den Text wahrscheinlich selbst geschrieben hat, ändert nichts am Wahrheitsgehalt dieses Satzes. Seit 37 Jahren betreibt er den Kleinverlag edition tiamat, und das tut er ganz alleine.

„Sid Schlebrowski“ ist die Geschichte von zwei Kids, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sid, der eigentlich Michael heißt, sich aber nach Sid Vicious von den Sex Pistols nennt, ist ein schüchterner, minderjähriger Provinzpunk mit einem saufenden Vater, der mal Boxer war. Nancy heißt wirklich so, ist auch erst sechzehn und stammt aus einer wohlhabenden Adelsfamilie. Der Roman spielt hauptsächlich im Sommer 1980 und beginnt, als Sid in den schwarzen Citroen steigt, den Nancy ihrem Vater geklaut hat, aber das ist nicht das richtige Wort, eigentlich war das eine Enteignungsaktion.

 Die beiden ziehen durch Süddeutschland, Österreich und Italien, logieren in Luxushotels und reisen ab, ohne zu bezahlen. Sie erleichtern Menschen, die es sich leisten können und die meistens auch einiges auf dem Kerbholz haben, um Geld, Schmuck und teure Klamotten. Unterwegs treffen sie immer wieder auf Menschen, die ihnen helfen: ein kommunistisches Ehepaar, das im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat oder einen Tankwart, der über den Tod seines Sohnes noch lange nicht hinweg ist und Fahrer einer bestimmten Automarke einfach nicht ausstehen kann, weshalb er Sid und Nancy davonkommen lässt, als sie auch an der Tankstelle das Bezahlen unterlassen. Das alles basiert auf einer alten Zeitungsmeldung, die Bittermann jahrzehntelang aufbewahrt hat, ist also so (oder so ähnlich) tatsächlich passiert.

Das Buch durchzieht ein steter Hauch von Anarchie. Bittermann hat ein großes Herz für die Ausgestoßenen, Nicht-Angepassten, die Outlaws. Man wird ganz wehmütig und möchte beim Lesen die ganze Zeit Udo Lindenberg singen, das Lied von den zwei Geflippten, die durch nichts zu bremsen sind, aber das wäre als musikalische Analogie vielleicht zu platt. Und deshalb ist ein zentrales Stück in diesem Buch „Searching for a heart“ von Warren Zevon: „Certain individuals aren’t sticking with the plan“. Das ist zwar von 1991, aber das Buch endet ja auch nicht in dem Jahr, in dem es angefangen hat. Und da Klaus Bittermann, obschon seit Äonen in Berlin ansässig, Anhänger des BVB ist, darf man auch noch vermuten, dass der Held seines Romans nicht zufällig den Namen von Elwin Schlebrowski trägt, einem Mitglied der Dortmunder Meistermannschaft von 1956.

Ein Buch, das einen nachdenken lässt, ob man nicht mal wieder ein teures Auto anzünden sollte. Muss ja nicht das eigene sein.“ (Ausblende Goosen)

Außerdem können Sie online beim Freitag Bittermanns Essay zu Lenny Bruce´ 50. Todestag nachlesen (oder auch den Text in voller Länge in seiner Sammlung „The Crazy Never Die – Amerikanische Rebellen in der populären Kultur“):

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/fuck-aus-dem-off

  gebrauchtes Buch – Cravan, Artur – Tod in der Schonzeit



DIESE GUTEN DEUTSCHEN

Während ich mich frage, was die Frau SPD-Abgeordnete Petra Hinz gerade macht, und wieviele Drehbuchschreiber an dieser netten Geschichte schon dran sind, und ob man nicht ein Buch mit den interessanteren sozialdemokratischen Personalstories seit sagen wir Sarrazin schlampig machen sollte, und warum diese das Abitur und eine Jurakarriere vortäuschende Frau Hinz es für eine gute Idee hielt, unter diesen Umständen ihre Angestellten zu traktieren, und ob ein psychopathisches Gebrüll eine gute Anfangsszene wäre, und was da an Verschwörungskram mitlaufen könnte, fällt mir dann doch vor allem ein ziemlich gutes Plakat der Roma-Initiative Köln ein:

Das alltägliche Kavaliersdelikt

Versicherungsbetrug Steuerhinterziehung Fahrerflucht Schwarzfahren Schmuggeln (Zollvergehen) Alkohol am Steuer Umweltverschmutzung Aufsichtspflichtverletzung Kindesmißhandlung Reisegepäckbetrug Gefälligkeits-Quittungen Schwarzarbeit Pfuscharbeit Krankfeiern Ladendiebstahl Üble Nachrede Verleumdung Kinderarbeit Verbotenes Glücksspiel Urkundenfälschung Kauf von Hehlerware Betrug beim Autoverkauf Unterschlagung Privattelefonieren im Betrieb Mitgehenlassen von Firmeneigentum Schwarzgeld Schweizer Konten Nötigung Prostitutionstourismus Vergewaltigung in der Ehe Kindesvernachlässigung Erbschleicherei Entmündigung von Verwandten Rentenerschleichung durch angebliche Invalidität Ausbeutung von Lehrlingen Schwarzhören und -sehen Spesenfälschung Raubvideokopien Verletzung des Jugendschutzes Denunziation Fundunterschlagung Rechnungen vordatieren Überhöhte Rechnungen Unterlassene Hilfeleistung Überhöhte Geschwindigkeit Nächtliche Ruhestörung Sogenannte Gefälligkeits-Falschaussagen vor Gericht Erschlichenes Zeugengeld Diebstahl in Hotels Gefälschte Belege Klau aus Bibliotheken „Organisieren“ Aktive und passive Bestechung

Und dann das Maul aufreißen über ein paar Kinder, die klauen, um zu überleben!



BEI DEN MIESEN

„Wir leben in miesen Zeiten. Wie mies sie sind, kann man daran erkennen, für wen es gerade glänzend läuft (…) während fast alle Zeitungen gegen das Sinken ihrer Auflagen kämpfen, gab die ‚Junge Freiheit‘ bekannt, ihre sei im letzten Jahr um 16 Prozent gewachsen. Kaum eine Firma des rechten Milieus scheint jedoch so im Einklang mit dem regressiven Zeitgeist zu sein wie der Kopp-Verlag. Was in den Neunzigern als Nebenbeschäftigung eines Polizisten mit Ufo-Faible begann (…) 80 Beschäftigten ausgewachsen (…) Umsatz sei zuletzt um 10 bis 20 Prozent gewachsen.“ (Paul Simon: Die Wahrheit über den Volksverrat, in: konkret 8/16)



SCHOCK / HANS FRICK (7)

„Am 22. März 1944, während eines schweren Luftangriffs, erfuhr ich, was ich schon lange geahnt hatte, nämlich, daß er Jude und ich somit Halbjude war. Während die Flak schoß, in der Nähe Bomben einschlugen und Häuser einstürzten, sprachen wir im Luftschutzkeller über meinen Vater. Meine blinde und krebskranke Großmutter lag, am ganzen Körper zitternd, auf einem Strohsack, die Hausbewohner schrien. Manche knieten und beteten. Meine Mutter aber war ganz ruhig, das Inferno schien sie nicht zu berühren. Ich nahm es wahr, aber mehr wie Hintergrundgeräusche. Der Schock, den die Gewißheit, Halbjude zu sein, in mir ausgelöst hatte, war viel größer als die Angst.“ – Hans Frick (*3.8.1930), Die blaue Stunde, 1979

Bildergebnis für hans frick bücher die blaue stundeDie Flucht nach Casablanca: Frick, Hans:

HANS FRICK



TAGEBUCH EINES ÜBEREIFRIGEN MUSIKSTUDENTEN (4)

30.07.2016 paul ansell´s number nine lp movin´ on (s.2) coolsville 2000 / chuck higgins lp ph.d (1) carosello 1981 / san antonio kid lp s.t. (1) off label 2016  / die aeronauten 2lp too big to fail (3) ritchie 2012 / oum shatt lp s.t. (1/2) snowhite 2016 / saam schlamminger video trailer II youtube 2014 / chronomad lp s.t. (2) alien transistor 2003 / mohamed mounir lp s.t. (2) monsun 1989 / to rococo rot cd .cd (1-4) kitty-yo 1996 / live: alif / harrycane orchestra / julius orlando & the heliocentrics / bombino.



STANDING

Im Winter 2012 hat mein alter Freund und Berater Dr. Hubl Greiner mit den Dreharbeiten angefangen, und nach diversen anderen Projekten ist jetzt auch „Standing“ draußen, und steht auch noch auf dem großartigen Videoportal Dbate. Natürlich bin ich der Falscheste, der den 45´-Film irgendwie bewerten könnte, an dem neben Andreas Niedermann (Buch) und HF Coltello (Musik) einige Freunde mitgearbeitet haben, aber an eine Weisheit meines Großvaters erinnere ich mich besonders gern: Ich mag nicht alle Männer, die ich bin.

STANDING – Ein Portrait des Schriftstellers Franz Dobler



AUDI MOTOR ZEITGEIST

Unter den Musikjournalisten ist Berthold Seliger (www.bseliger.de) inzwischen eine Art Chefermittler, könnte man sagen. In einer Abteilung, in der in den letzten Jahren viele Stellen eingespart wurden, muss man sagen. Seinen neuesten Fall hat er für das Klassikmagazin VAN beschrieben, „einen Artikel über den von der Audi AG finanzierten Film „Black Mountain“. Es geht um Wagners Parsifal, um Audis Zeitgeist, um Kultur-Sponsoring in der Klassikbranche und um Pop-Künstler*innen und Schauspieler*innen, die, wie Tom Waits sagte, unbedingt „Sperma für das Ei der Industrie“ sein wollen“: „Blackout Mountain – Ein Zeitgeist-Projekt von Audi“:
https://van.atavist.com/blackout-mountain


HEISSE SACHE IN 24321 LÜTJENBURG

Faszination Meer - Galerie Richter

Abb.: Guido Sieber. Eröffnung 31.7. 18h, Ende 17.9. GALERIE RICHTER · Niederstraße 19a · 24321 Lütjenburg. Galerie-richter.de ## Weiterhin erhältlich: Guido Sieber/Franz Dobler: Rock´n´Roll Fever.



AN JEDEM VERDAMMTEN FREITAG

ab 17 Uhr moderiert Klaus Walter, der im Nebenberuf als Radiolegende tätig ist, auf byteFM die Sendung „taz.mixtape“ und jeden verdammten Sonntag ab 19 Uhr ebenfalls dort seine eigene Sendung „Was ist Musik?“ Aus gegebenem Anlass heute mal sein Newsletter in voller Länge:

ByteFM     taz.mixtape / Tanzen gegen Terror, Baile, Gustafsson, Balzer, Blood Orange, Molotow
Dance the pain away 1: Wieder und wieder Attentate in der Welt. Dabei gilt: Vergesst das Schöne nicht. Alltagsfluchten in Zeiten der Krise sind dringend notwendig. Katrin Gottschalk empfiehlt Tanzen gegen den Terror.
Dance the pain away 2: Techno bringt Frieden, Liebe, Zukunft. Julian Weber findet bei neuer elektronischer Tanzmusik und altem Adorno Trost und Zuflucht ob des gefühlten Weltuntergangs: Ausgehen hält die Gesellschaft zusammen.
Es herrscht in Brasilien eine Art kultureller Apartheid. Vincent Rosenblatt begleitet als Fotograf die Kultur des Baile Funk in den Favelas von Rio. Kurz vor Olympia spricht er im Interview über die symbolische Bedeutung der Bailes.
Kontrolle, um alles zu geben, Brechreiz nach Konzerten. Franziska Buhre porträtiert den hyperaktiven schwedischen Saxofonisten Mats Gustafsson. Beim Berliner A l´arme! Festival präsentiert er zwei seiner wichtigsten Bands.
Geknickter Phallus ruft nach Mama. Ulrich Gutmair lauscht im Berliner Berghain der sonoren Stimme Jens Balzers. Der Redakteur der Berliner Zeitung stellt sein Buch vor: „Pop – ein Panorama der Gegenwart.“ Ganz hier & jetzt.
„Not black enough, too black, too queer, not queer in the right way.” Juliane Streich ist beglückt von den anti-identitären Verwandlungen des afrobritischen Musikers Dev Hynes, der als Blood Orange Popsongs für eine freie Stadt macht.
Beton tropft von der Decke. Jan Paersch blättert in einem schicken Coffee Table Fotoband über die wechselvolle Geschichte des Hamburger Molotow-Clubs. Auch Peaches war da: „Finally a fucking Rock´n´Roll Club in Germany!“
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Freitag, 22.7., 17 Uhr

WAS IST MUSIK / Emanzipation im Wald – E-Mail-Talk mit JaKönigJa I
Jakobus Durstewitz: Wir wollen das Rad nicht neu erfinden mit der Musik, aber wir wollen am liebsten ’ne Musik haben, die wir so noch nicht gehört haben. Dann freuen wir uns am meisten. Sobald das zu sehr in irgendein Genre geht, was wir machen, wenn man plötzlich ein Stück hat und sieht, das ist Jazz oder so Bebop-mäßig, das können wir nicht bringen, da haben wir keine Lust zu, das interessiert uns nicht. Das können andere besser.
Ebba Durstewitz: Ja.
Ebba Durstewitz: …Werdegang der Bildungsbürgertochter, musikalische Früherziehung, dann sehr früh Klavierunterricht, ich glaube mit fünf oder sechs, das ging aber total in die Hose, weil mein Klavierlehrer nicht gemerkt hat, dass ich keine Noten lesen konnte, ich hab das einfach nicht kapiert. Und irgendwann später, so mit zwölf, dreizehn, bekam ich dann wieder Lust aufs Klavier…
Jakobus: Da warst Du verknallt in den Cellisten..
Ebba: Nee, nee, das war mit fünfzehn.
Jakobus: Achso.
Jakobus: Meine erste Gitarre war die Wandergitarre meiner Schwester, auf der ich die ersten Peter Bursch-Drei-Akkord-Stück gespielt habe und dann sofort in ne Punkband eingestiegen bin und mir irgendwo ne E-Gitarre gelie-hen (?), nee gekauft habe, für fünfzig Mark.
Ebba Durstewitz ist Lusitanistin, Literaturwissenschaftlerin, Abteilung portugiesisch. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über Chico Buarque, den großen Songwriter und Autor. Ebbas Liebe zur brasilianischen Popmusik und Literatur spiegelt sich bei JaKönigJa…
Ebba: …weil ich da viel mehr kennengelernt habe, wie man schreiben kann und wie man sich frei machen kann von Gedanken, wie man nicht schreiben will und vor lauter Gedanken, wie man nicht schreiben will schreibt man lieber gar nichts…, weil es falsch sein könnte und ich glaube, ein Schlüsselerlebnis war tatsächlich Claryce Lispector.
Claryce Lispector, 1920 in eine jüdische Familie in der Ukraine geboren, als Kind in Brasilien gestrandet und dort zu einer gefeierten Autorin geworden, die wiederum Jahrzehnte nach ihrem Tod Spuren hinterläßt auf „Emanzipation im Wald“.
Ebba: Von Claryce Lispector, die ich wahnsinnig toll finde, die brasilianische Autorin, da kommt viel her, was auf den letzten drei Platten da ist, also auch auf dieser Platte. Also das Verhältnis zur Natur, aber die Natur eher als was Fremdes oder Abstraktes, Claryce Lispector geht es darum: können Steine fühlen? Ich möchte eine Pflanze sein, aber ohne, dass das was Esoterisches oder Transzendentales bei ihr hat, sondern immer so ganz sachlich.
Jakobus: Jetzt kann ich mich selbst bestäuben?
Ebba: Ja, genau.
Jakobus: Ich als Pflanze.
Ebba: Genau, HmHm.
„Emanzipation im Wald“ ist der Titel des neuen Albums von JaKönigJa. Bei Was ist Musik reden Ebba und Jakobus Durstewitz über unrasierte Elfen, das ICH im Popsong, Antarktis-Grusel, Liebe zu Brahms, keine Liebe zu Belcanto, das Näherkommen der Einschläge, Einsteins Relativitätstheorie… und einiges mehr. Drei Sendungen lang. Plus drei Wiederholungen.
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Sonntag, 31.7. 2016, 19 Uhr, Wiederholung Mittwoch. 3.8., 8 Uhr
Sonntag, 7.8 2016, 19 Uhr, Wiederholung Mittwoch. 10.8., 8 Uhr
Sonntag, 14.8. 2016, 19 Uhr, Wiederholung Mittwoch. 17.8., 8 Uhr
Einschalten – oder als Freund von ByteFM  im ByteFM Archiv nachhören.

Was ist Musik? Nur noch eine Stunde. Warum?
Liebe Hörer_innen von ByteFM (wer das nicht ist, kann sich die weitere Lektüre sparen)
Das Internetradio ByteFM sendet seit 2008. Ebenso lange mache ich dort die Sendung „Was ist Musik“, immer sonntags um 20 Uhr. In den ersten zwei Jahren war die Sendung drei Stunden lang, seit 2010 zwei Stunden.
Wie alle Autoren-Sendungen bei ByteFM (im Unterschied zu den redaktionell gestalteten) wird „Was ist Musik“ nicht honoriert.
Zwei Stunden Sendezeit ohne inhaltliche Vorgaben oder Beschränkungen, das ist ein Geschenk und ein Privileg, das es in dieser Form im öffentlich-rechtlichen Radio praktisch nicht (mehr) gibt. Zwei Stunden Sendezeit so zu füllen, dass es interessant bleibt, auf der Höhe der Zeit und den Ansprüchen der Hörer_innen genügt – und den eigenen – das ist eine Aufgabe, die viel Einsatz erfordert und viel Zeit. Zeit und Arbeit, für die es kein Geld gibt, Zeit, die ich brauche, um anderweitig Geld zu verdienen. Die Möglichkeiten, im deutschsprachigen Radio mit popkulturellen Themen Geld zu verdienen, haben sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert, man braucht also mehr Zeit, um genug Geld zu verdienen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich mich entschlossen habe, meine Sendung ab sofort auf eine Stunde pro Woche zu kürzen.
Dazu noch ein paar allgemeinere Überlegungen: Zu den Besonderheiten der digitalen Marktwirtschaft gehört der Umstand, dass immer mehr qualifizierte Popkulturarbeit im Internet stattfindet – für immer weniger Geld. Das gilt für schreibende Kritiker wie für Radiomacher. ByteFM hat 2009 den Grimme Online Award bekommen. In der Begründung erinnert die Jury an alte Zeiten: „…bevor der kommerzielle Umbruch der Radiosender den geschmacksbildenden Radio-DJ durch den chartgesteuerten Computer ersetzte. Dass erst ein neues Medium genau das auferstehen lässt, was viele mit Wehmut an die früher vor dem alten Medium verbrachten Stunden zurückdenken lässt, mag Ironie des Schicksals sein. Doch ist `ByteFM´ kein verklärter Blick in die Vergangenheit, sondern eine von Musikliebhabern für Musikliebhaber gestaltete Plattform…“
Die niedlichen „Musikliebhaber“ sind zum großen Teil Musikjournalisten mit viel Erfahrung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Deren qualifizierte popkulturelle Arbeit ist im Zuge des nun schon zwei Jahrzehnte andauernden „kommerziellen Umbruchs“ immer weniger gefragt. Mit dem Siegeszug des kommerziellen Privatradios, der übrigens mit dem Fall der Berliner Mauer zusammenfällt, hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland von der Popkritik weitgehend verabschiedet – ruhmreiche Ausnahmen bestätigen die Regel. Entsprechende Sendungen wurden auf nächtliche Sendeplätze verschoben oder ganz abgeschafft. Meine Sendung „Der Ball ist rund“ beim Hessischen Rundfunk wurde Ende 2008 nach 24 Jahren eingestellt – knapp ein Jahr nach dem erfolgreichen Start von ByteFM…
Die Folge dieser Entwicklung: Popkritik-Profis reamateurisieren sich zwangsfreiwillig und senden unter Praktikantenbedingungen bei einem Internetradio wie ByteFM. Selbstverwirklichung gegen Selbstausbeutung – die Tauschformel der Prekaritätsökonomie. Was die Grimme-Jury in ihrer Eloge verschweigt: Dass die possierlichen „Musikliebhaber“ sich nicht bloß selbst ausbeuten, sondern dass sie unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen sämtliche Qualitätsstandards unterschreiten müssen, die bei orthodox ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Programmen üblich sind. Von dem Geld, das bei ByteFM in ein aktuelles Zwei-Stunden-Magazin fließt, könnte ein öffentlich-rechtliches Radiofeuilleton keine zwei Minuten senden. Das ist ein weiterer Grund für die Reduzierung der Sendezeit von „Was ist Musik“: die permanente Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit. Wenn eine Sendung ständig unter Zeit/Geld-Druck entstehen muss, dann drückt das die Qualität und damit die Freude an der Arbeit. Dann bleibt mal eine holprige Moderation drin, die man unter anderen Bedingungen noch einmal aufgenommen hätte, ein schiefer Übergang wird nicht noch mal neu produziert, es fehlt die Zeit, einen Mod-Text auszuformulieren, also redet man redundantes Zeug usw usw…die Qualität leidet. ByteFM wiederum, also die Redaktion und Ruben Jonas Schnell, der Gründer des Radios, haben keine Mittel, um unbezahlte Mitarbeiter_innen dazu zu bewegen, eine Sendung evtl. noch mal neu aufzunehmen oder anders zu gestalten. Das sind die Schattenseiten der vom Grimme-Institut gefeierten Musikliebhaberei. Und bitte rede jetzt niemand von der Romantik des Unperfekten oder vom Charme des Dilettierens, beides verbraucht sich schneller als man „Das Beste aus den Achtzigern, den Neunzigern und von heute“ sagen kann.
In der Medienberichterstattung wird immer wieder betont, dass ein Internetradio wie ByteFM im Bereich der Popkultur das leistet, was die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen qua Auftrag leisten müssten – aber nur sehr eingeschränkt tun. Ohne eine halbwegs angemessene Finanzierung kann ByteFM das nicht leisten. Die Haupteinnahmequelle ist der Freundeskreis von ByteFM. Für 50 Euro – nicht am Tag, nicht im Monat – im Jahr kann man Mitglied werden und hat so Zugang zum Archiv, kann also Sendungen nach eigener Wahl anhören, wann man will. Dazu gibt es weitere Privilegien wie Verlosungen von Konzertkarten und Ähnliches. Wenn Ihr ByteFM unterstützen wollt, dann werdet Mitglied des Freundeskreises, Ihr könnt auch mehr zahlen als 50 Euro.
Selbstverständlich freuen wir uns auch über begabte Crowdfunderinnen oder Ölmilliardäre, die unser Radio sponsern wollen. Bis diese sich gemeldet haben bleibt „Was ist Musik“ bei einer Stunde Sendezeit, Sonntag 20 bis 21 Uhr, das selbe gilt für „Vierundzwanzig/Sieben – die Woche im Pop“, ab sofort am Montag, 18 bis 19 Uhr.
Diese Sendung heißt Was ist Musik, weil die Antwort darauf ist: alles.
Danke für die Aufmerksamkeit, Klaus Walter

Sendung verpasst? Wiederholung verschlafen? Mitglieder unseres Fördervereins „Freunde von ByteFM“ haben Zugriff  auf unser komplettes Archiv. Sie können dann sämtliche Sendungen per Mausklick starten. Die Sendungen lassen sich beliebig oft abspielen.
Durch Eure Mitgliedschaft im Verein „Freunde von ByteFM“ helft Ihr, ByteFM wirtschaftlich abzusichern, damit wir Euch unser Programm noch lange anbieten können. Und es verbessern können. Die Autorensendungen von ByteFM können nach wie vor nicht honoriert werden, das hat Folgen für die Qualität.
Alle weiteren Infos auf der ByteFM Homepage über die Menüpunkte: ByteFM Archiv oder Freunde von ByteFM
Werbeunterbrechung:
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Hören, aber wie ? ByteFM lässt sich nicht nur am Computer hören. Freistehende Internet Radios, die kabellos via Wlan oder über ein DSL Kabel mit einem Router verbunden sind, lassen sich in der Küche und im Badezimmer positionieren, genau wie das gute alte Radio. Diese Radiogeräte sind schon unter 100 Euro zu haben. Tausende von Sendern sind über diese InternetRadios zu empfangen – natürlich auch das Programm von ByteFM.

Was ist Musik: sonntags 19-20 Uhr Kontakt: wasistmusik[at]byte.fm Schreibt auch an diese Adresse, wenn Ihr den Was ist Musik-Newsletter bekommen wollt. Sorry für doppelsendungen. mail nicht mehr erhalten? antworten mit betreff: austragen