liegt vor, wenn jemand mit klarem Blick das eigene oder nähere Umfeld analysiert und keinen Bonus gewährt: Doris Akraps taz-Kommentar zu den Ereignissen btr. Frankfurter Buchmesse 2021 ist eine selten couragierte Kritik gegen diesen letztlich blinden Aktionismus (den sie „Schnappatmungsaktivismus“ nennt), der nur schnelle Zustimmung aus den eigenen Reihen erreichen will:
Auszug: „Der Boykottaufruf in diesem Jahr wegen der Anwesenheit rechter Verlage traf übrigens mangels Rechter – es gab nur einen Stand, den die Polizei dorthin platziert hatte, wo sie ihn am besten überwachen konnte – übrigens vor allem genau jene Verlage, die die Bücher der größten Empörungsaktivisten veröffentlichen. Aber ach, das bisschen Widerspruch wird einfach überbrüllt: Ihr habt keine Empathie. Ihr interessiert euch nur für Weißwein (…) Die Nazis hingegen haben die Provonummer auf der Messe offenbar ausgespielt und sich längst auf einen anderen, ihnen viel mehr Aufmerksamkeit bringenden Weg gemacht – an die polnische Grenze. Um den dort strandenden Flüchtlingen ohne Buchvertrag, ohne Kolumnenplatz und ohne Talkshowprominenz zu sagen: Ihr seid hier nicht willkommen. Klar, es ist nicht ausgeschlossen, dass Schwarze auf der Buchmesse genauso wie überall anders im Land von Rassisten angepöbelt, bedroht oder gar tätlich angegriffen werden. Aber würden in einer deutschen Stadt so viel sicht- und unsichtbare private wie staatliche Sicherheitsdienste wie auf den Frankfurter Messegängen patrouillieren, würde man mit Recht von Überwachungsstaat sprechen.
Nun aber haftet ihr [der Buchmesse] dank des Schnappatmungsaktivismus das Bild an, dass ihre Stände und Bühnen bloß noch Tarnung seien, hinter denen Nazis ihren Provokationen und Mordfantasien an Schwarzen ungehindert nachgehen können. Wo aber bleibt eigentlich die Empathie der Schnappatmungsaktivisten mit all den Journalisten und Schriftstellerinnen wie Can Dündar oder Aslı Erdoğan, die von einem ganzen Regime verfolgt werden und für die ein Auftritt auf der Buchmesse eine Gelegenheit ist, überhaupt öffentlich zu sprechen? Alle diese Autoren und Autorinnen waren durch den gratismutigen Boykottaufruf dazu genötigt, ihre Anwesenheit auf der Frankfurter Buchmesse zu rechtfertigen. Für solche Feinheiten aber reicht die Empathie des Empörungsaktivismus nicht. Man müsste dazu halt kurz mal den Blick vom eigenen Bauchnabel abwenden (…)“
https://taz.de/Debatte-um-die-Frankfurter-Buchmesse/!5808581/