Hier der Deutschlandfunkbeitrag zu „Scarlover“, inzwischen der dritte Crews-Roman auf deutsch, weshalb das Christkind nun doch den Verlag Mox & Maritz gesegnet hat. Während es einen Song von Kris Kristofferson im Ohr hatte: „If you don´t like Hank Williams, Baby, you can kiss my ass.“
TÄTOWIERUNG UND ANDERE VERLETZUNGEN
Verletzungen, Wunden, Narben, Tätowierungen, Operationen, Unfälle, Verheiltes und verheilte Verwundungen, die wieder aufbrechen, sei es an Körper oder Seele, darum geht es in Harry Crews‘ Roman „Scarlover“, der auch in der deutschen Ausgabe „Scarlover“ heißt . Weil‘s natürlich besser klingt als „Narbenliebhaber“.
Der Amerikaner Harry Crews, 75, Autor von zwei Dutzend Romanen und einigen anderen Werken, hat als ehemaliger Boxer, Marinesoldat und Dozent für kreatives Schreiben sicher einige Erfahrungen mit Wunden und Narben gemacht. Seine Sicht ist abgeklärt: „Alle Narben strahlen so eine gewisse Schönheit aus“, sagte er einmal, „denn eine Narbe bedeutet, dass der Schmerz vorbei ist, die Wunde ist geschlossen und verheilt.“
Die Verletzungen, die das Leben seiner Hauptfigur Pete Butcher zugefügt hat, sind jedoch nur scheinbar verheilt. Als Jugendlicher hat er bei der Arbeit mit einem Spitzhammer unabsichtlich seinen Bruder so schwer verletzt, dass er für immer debil wurde. Und seine Eltern kamen bei einer Autofahrt, die sie nur aufgrund dieses debilen Bruders unternahmen, ums Leben. Mit diesen Lasten hat Pete Butcher sich in eine Kleinstadt in den Sümpfen Floridas zurückgezogen, nachdem er sich nach seiner Zeit als Marinesoldat erfolglos an einem Studium versucht hatte. Ein Gestrandeter, ein Typ mit einem Zimmer in einer Pension. Der in einer Papierfabrik am Bahnhof mit dem Rasta George schuftet, den alle den „versengten Nigger“ nennen, weil sein Rücken von Brandnarben gezeichnet ist.
(Einblendung Steve Earle/Delta Momma Blues, New West Rec. NW6165)
Typisch für den Autor Harry Crews: er beschreibt Arbeit und Arbeiter sehr genau. Und ebenso typisch, dass er dem Leser die Hintergründe von diesem Pete Butcher nicht einfach so mitteilt. Es vergehen ein paar Dutzend Seiten, in denen man seine Verletzungen und sein enormes Gewaltpotential erstmal nur unterschwellig wahrnimmt, ehe man die Hintergründe geliefert bekommt. Das ist Crews‘ Kunst: dieses Gemälde aus harter Arbeit mit einem einsamen Mann wird nur langsam aufgeschlitzt. Sehr filmisch, ohne große Erklärungen. Nach der klassischen Regel: action is character.
Irgendwie hat sich also dieser Pete Butcher an seinem Fluchtpunkt eingerichtet, als er sich in die Tochter der Nachbarn verliebt. Womit die Einsamkeit, die in Ordnung war, ins Chaos überführt wird. Überall platzen Verwundungen auf: die Mutter kommt nach einer Brustkrebsoperation nach Hause und bedient sich als altmodisch-gute Christin plötzlich einer schmutzigen Sprache, die alle schockiert (fuck you und scheiß drauf und verdammt nochmal). Ihre Tochter projiziert nun in einer panischen Reaktion darauf den Brustkrebs der Mutter auf sich selbst. Und der Vater: er stirbt an einem Herzinfarkt, während er mit Pete einen Baumstamm durchsägt. Pete Butcher, auf der Flucht vor seinen eigenen Todesgeschichten, ist wieder von Verletzung und Tod umgeben.
Typisch Harry Crews: aus diesem Tod des Vaters entwickelt sich eine über 100 Seiten lange Slapstick-Nummer als Kernstück einer Tragikomödie, inklusive des Gags, dass die schon ins Beerdigungsinstitut eingelieferte Leiche unter nicht einfachen Umständen illegal wieder nach Hause zurückgeholt wird. Denn die nach der Brustkrebsoperation etwas übergeschnappte Mutter ist in den Bann der Rasta-Religion geraten, wie Pete Butcher verblüfft feststellen muss – sein Kumpel, der „versengte Nigger“ George und seine Frau Linga leiten das Ritual: der Tote wird in den Sümpfen verbrannt. Und die durcheinander geratne Witwe fühlt sich nicht schlecht:
(Einblendung Dub Specialist/Kampala, Soul Jazz Rec. SJRCD103)
„Auf Beinen, die vom langen Sitzen etwas wacklig waren, ging sie auf den runden Fleck zu, an dem das Feuer gewesen war, und griff den Schädel ihres Ehemanns wie eine Bowlingkugel. Sie krümmte die beiden mittleren Finger ihrer rechten Hand in die Augenhöhlen und ihren Daumen in das, was einmal die Nase gewesen war. In klassischer Bowlermanier hob sie seinen Schädel bis in Schulterhöhe und Pete wurde von dem Gedanken durchzuckt, dass es genau das war, was sie vorhatte: ihn zu bowlen. Aber das tat sie nicht. Sie sah sich um, sah sie alle an, und sagte, <ich glaube, der Job ist getan>. Sie nickte dem Schädel zu. <Ich nehme nur das. Den Rest können die Tiere von George haben. Ich denke mal, an den Knochen lässt sich trefflich kauen. Letztlich haben sie so auch noch Sinn: er kann mit ihnen ja nichts mehr anfangen>.“
Als „Southern Gothic“ werden Harry Crews‘ Romane in den USA oft bezeichnet, als Südstaaten-Literatur mit einer speziell unheimlichen, morbiden Färbung. Das passt zu seinem 1993 veröffentlichten Roman „Scarlover“ sehr gut: präzise Alltagsschilderungen des Hillbilly-Milieus, das sich in den verdrehten und verletzten Seelen der Protagonisten verzerrt; das explosive Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne: in diesem Fall biedere Unterschicht gegen magisch-bizarre Rasta-Religion. Abgelegene Orte, die nach alten Zeiten riechen, ein schwermütiger Klang und grotesk-bodenständiger Humor – das könnte das Motto des Romans sein, wenn die Rasta-Frau Linga Pete Butcher erklärt: „Ohne Gott kann man leben. Der, ohne den es nicht geht, das ist der Teufel.“ Der Harry Crews ein fieses Happyend diktiert hat.
Kein Wunder also, dass Nick Cave diesen Crews schon sehr genau gelesen hat. Der den „Scarlover“ seinem Freund Sean Penn gewidmet hat. Genug des Namedroppings von Crews verehrenden Großkünstlern – wer denn noch, Johnny Depp, Sonic Youth, Lydia Lunch! Dass Harry Crews hierzulande kaum bekannt ist, sollte sich mit der dritten deutschen Ausgabe endlich ändern.
Harry Crews: Scarlover. Roman. Aus dem Amerikanischen von Stefan Ehlert. Geb., 360 S., € 17,80. Verlag Mox&Maritz, Bremen 2011