DEPP VS JAMES

Am 7.3. wurde an dieser Stelle behauptet, Johnny Depps Literaturkenntnisse seien nicht auf die Spiegel-Bestsellerliste seines Landes beschränkt. Hier ein Artikel dazu, den ich anlässlich einer Lesung von Darius James am 14.2.2003 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte:

Voodoo-Priester der Popliteratur

Stimmt das jetzt eigentlich?! Ist die Popliteratur wirklich abgehakt und zugenäht? Oder ist das nur mal wieder so’ne Stimmung im Feuilleton? Ach. Ganz egal. Der afroamerikanische Autor und Journalist Darius James, der in Berlin lebt, muss sich davon nicht betroffen fühlen.

Er hat noch nie geschrieben wie der nette Junge von nebenan, der so nett schreibt wie er seine Platten liebevoll pflegt. In seinem neuen Buch „Voodoo Stew” (Verbrecher Verlag) erzählt James, dass er in seiner Jugend ganz andere Ziele hatte: „Ungeachtet meiner Jungfräulichkeit war ich entschlossen, Zuhälter zu werden. Nicht so ein Gorilla-Zuhälter wie Iceberg Slim, eher ein Guerilla-Zuhälter, der die Welt wie Fanon sah und die körperlichen Fähigkeiten eines Bruce Lee besaß, aber besser gekleidet war als die meisten Mitglieder der Black Panther Party.”

Über die entsprechenden Filme veröffentlichte James 1995 das angemessen wilde Standardwerk „That’s Blaxploitation!” Kein bürokratisch-ordentliches Filmbuch, sondern durchlöchert von Autobiografie, Geschichte der afroamerikanischen Kultur allgemein, Satire, Slang, Abschweifungen und den politischen Hintergründen sowieso. Das Ziel, mit diesem Buch das Interesse an der Black Panther Party neu zu entfachen, sei ihm aber, meinte er einmal, nicht gelungen. An eine Übersetzung hat sich bisher niemand gewagt, im neuen Buch gibt’s eine Probe, die Einleitung zum „Ratgeber für den schwarzen Mann: Wie man mit der verblüffenden Macht des Voodoo weiße Frauen verführt”. Auch in seinem Roman „Negrophobia” (Maas Verlag, 1995) benutzte er die weißen Klischee-Vorstellungen: In einem von Voodoo-Zauber ausgelösten Horror-Trip wird das blonde Girl Bubbles Brazil so lange mit ihren rassistischen Bildern konfrontiert, bis sie geheilt ist.

Darius James sieht sein Schreiben in der Tradition des afroamerikanischen, mündlichen Geschichtenerzählens und der Satire. Auch in den journalistischen Arbeiten, die jetzt in „Voodoo Stew” versammelt sind, geht es um beides: unterhalten und aufklären. In der Nähe des Tragischen das Komische: Endlich kommt das berühmte Ufo, um alle farbigen und schwarzen Menschen in eine bessere Welt zu bringen – aber was tun die Geretteten? Sie streiten sich. James bewegt sich innerhalb seiner Themen bewunderswert frei, seine Mischung aus persönlichen Erlebnissen, assoziativem Denken und intensiven Recherchen ist spannend, hat mit Journalistenschulenjournalismus wenig zu tun und bringt immer Außergewöhnliches. Den Hauptteil bilden zwei große Stücke, über die berühmte Plattenfirma Atlantic das eine, über die Dreharbeiten des Films „From Hell” das andere.

In seiner „Depesche aus der Hölle” schildert Darius James seinen Besuch in Prag, als die Hughes Brothers dort ihre Jack The Ripper-Version „From Hell” drehten und er sich dies fragte: Warum drehten die Brüder, die mit ihrem Hip-Hop-Drama „Menace II Society” berühmt geworden waren, jetzt einen 19.-Jh.-Kostümschinken? Zwischen den Diskussionen um schwarze Kultur und Protestformen wird die Antwort langsam eingekreist: weil „From Hell” eigentlich ein Film über Rassismus, Klassenschranken und die Kriegsschauplätze Mann-gegen-Frau und Reich-gegen-Arm ist. Und schließlich erzählt der Journalist von Besuch eines in der Nähe liegenden Orts, der an die reale Hölle erinnert: die Gedenkstätte des KZ Theresienstadt. Auch die war einmal die Kulisse für einen Film: „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt”.

Am Film-Set sei es auch zu einem Gespräch mit Hauptdarsteller Johnny Depp gekommen, der sich als Kenner der neuesten afroamerikanischen Literatur erwiesen habe. Johnny Depp wusste nicht, wen er da vor sich hatte und erzählte Darius James begeistert von seinem Roman: „Negrophobia. Kennst du das Buch?” Und als James sich geouted hatte, sank Depp „passend zum Viktorianischen Kostüm auf ein Knie” und sagte: „Ich verbeuge mich vor Ihnen, Sir!”

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