DAS „MICHEL-SYNDROM“

„»Der Osten macht’s!« und »Der Osten steht auf« – das waren die Hauptparolen der AfD in den zurückliegenden Landtagswahlkämpfen in Thüringen und Sachsen. Der Erfolg dieser Agitation war schlagend, ein Musterbeispiel dafür, wie Identitätspolitik funktioniert: als Appell ans kollektive Ressentiment, der jede Sachfrage von Infrastruktur- und Sozialpolitik (…) nahezu komplett vom Tisch wischte. (…) Das spezifische Element des Rebellischen des im heutigen Ostdeutschland deutlich weiter als in Westdeutschland verbreiteten Autoritarismus ist damit noch nicht recht erfasst; ein Element, das

Wolfgang Pohrt 1990 bereits als »Michel-Syndrom« definierte:

Dieser Typus »fühlt sich aller von ihm selber ausgeübten Brutalität zum Trotz doch immer als der deutsche Michel, den die ganze Welt übers Ohr haut und aufs Kreuz legt« und »der ungefähr folgendes zu Protokoll geben würde, wenn er reden könnte: Allen geht es besser als mir, und das liegt nur daran, daß ich zu anständig und zu gutmütig bin. Mein Leben lang wurde ich eigentlich betrogen, übervorteilt, hintergangen und verkannt. Stets wurde mir vorenthalten, was mir zusteht. Weil ich immer zu kurz kam und nie auf meine Kosten, bin ich gekränkt und beleidigt. Ich verspüre Nachholbedarf und besitze Anspruch auf Wiedergutmachung, die Welt schuldet mir was.«““

Auszug aus dem Essay „Antipolitik für Zurückgebliebene“ von Uli Krug in der seit heute erhältlichen neuen Ausgabe der Jungle World: https://jungle.world/inhalt/2024/38

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