Interessanter Bericht (vielen Dank) der f-book-Person „Theresa Heinewald“, 31.5.: „Arbeiten in Berlin-Mitte — Ich bin wütend, zornig, fassungslos. Und zutiefst erschrocken. Gestern und heute nahm ich als Gast an einer Besprechung verschiedener Bundesministerien teil, die mit der Fördrung von Projekten in der Wissenschaft, Kunst und Kultur sowie im Museumswesen beschäftigt sind. Um einen großen runden Tisch saßen ca. 20 Beamte, keiner unter dem Rang einer Referatsleiterin oder eines Referatsleiters. Es waren auch einige Abteilungsleiter dabei. Wir, die Gäste, saßen in der Reihe dahinter. Wir entstammen den Organisationen, die damit beauftragt werden, Förderung umzusetzen oder zu begleiten. Die Sitzung diente dazu, dass wir jetzt kurz vor der Verabschiedung des Bundeshaltes 2022 in der zweiten Reihe verstehen, welche Erwartungen die erste Reihe hat.
Von Franz Dobler |
31. Mai 2022 |
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Für alles, was jetzt kommt, möchte ich vorher eine Klausel geltend machen: Ich weiß, in der Ministerialbürokratie arbeiten viele Menschen, denen ihre Arbeit eine wichtige Angelegenheit ist und die ihre Arbeit auch im Interesse derjenigen machen, denen sie gilt. Doch, das glaube ich inzwischen auch zu wissen, diese Menschen sind eine Ausnahme. Deswegen: Liebe Ausnahme, ihr seid mit dem Folgenden nicht gemeint. Aber ich habe Mitleid mit euch, dass ihr von der Mehrheit, die ich meine, umgeben seid. Und offensichtlich ist diese Mehrheit oft euer Vorgesetzter.
Es war zum einen ein Schlachtfest derjenigen, die #IchbinHanna offensichtlich für ihren professionellen Beamtensadismus brauchen.
In einem Fall wurde besprochen, wie man Förderprojekte umsetzen soll, bei denen unsicher ist, wie lange sie laufen können, weil das zuständige Ministerium sich in Bezug auf das dazugehörige Programm nicht festlegen will. Vorschlag des zuständigen Abteilungsleiters: Diese Projekte kriegen einen monatlichen Bescheid, ob sie weitermachen dürfen. Auf den Hinweis der zweiten Reihe, dass auf dieser Grundlage doch keines der Projekte mit ihren Mitarbeitern Arbeitsverträge abschließen könne, kam der lakonische Kommentar.
„Dann sollen sie halt Werkverträge ausstellen. Das sind doch da noch junge Menschen. Das ist eine gute Erfahrung für die. Werkverträge sollte jeder mal haben.“
In einem anderen Fall gab es die Nachfrage, ob 2020 noch vor Corona gestartete Projekte jetzt verlängert werden können, weil sie ihre Ergebnisse nicht erreichen können. Ergebnis.
„Nein. Da ist jetzt zuviel Zeit vergangen. Die Ergebnisse sind egal. Das interessiert keinen mehr. Corona ist außerdem vorbei.“
Die zweite Reihe intervenierte, dass dies doch kein verantwortlicher Umgang mit Fördermitteln sei. Das wurde von der ersten Reihe als klare Grenzverletzung definiert.
„Die Verantwortung überlassen Sie mal uns.“
„Aber es sind öffentliche Gelder…“
„Für die wir ja wohl die Verantwortung tragen. Nicht Sie.“
„Dann werden Sie die Projekte darüber informieren, dass sie jetzt umsonst zwei Jahre gewartet haben?“
„Dazu sind Sie doch da.“
Das war bei den weiteren Punkten immer so. Wenn es unangenehm wurde, war die zweite Reihe zuständig. Die erste Reihe, die Ministerialbürokratie, macht sich die Hände nicht schmutzig im Umgang mit der Realität.
In der Mittagspause am Montag, das Gastgeberministerium hatte ein gigantisches Buffet aufgefahren, unterhielten sich die Referats- und Abteilungsleiter über die „Ideen der Politik“ bei neuen Förderprogrammen. Es waren Gespräche voller Verachtung und Missachtung. Ich fühlte mich ein wenig wie unter potentiellen Reichsbürgern. „Die da“, das waren Parlamentarier oder auch die Ministerinnen und Minister, hätten doch keine Ahnung und würden alles falsch machen. Früher wäre das besser gewesen. Welches früher man meinte, blieb unklar. Es wurde aber auch festgestellt, dass „die da“ jetzt Gelder in Institutionen schütten würden, die überhaupt nicht mit Geld umgehen können. Da wäre schon bei den Betreibern dieser Institutionen klar, dass sie entweder auf Grund ihrer Sozialisation oder Herkunft nur „Geld raffen“ oder es „rausschmeißen“ würden. Ja, struktureller Rassismus, das andere Wort sage ich jetzt nicht, macht auch vor der mittleren Leitungsebene der Bundesbürokratie nicht halt.
Heute Vormittag eskalierte ein Streit zwischen drei Beamten aus zwei Ministerien. Es ging um die Frage, warum das eine Haus ein Programm weiterführen wolle, was offensichtlich nur Linksradikale bediene. Das betroffene Haus reagierte scharf.
„Wir arbeiten nie mit Linksradikalen. Wir schauen uns vorher genau an, woher wer kommt. Und da ist gleich links neben der Mitte Schluss.“
Die Diskussion wurde erst unterbrochen, als ein Referatsleiter feststellte, dass die zweite Reihe angefangen hatte mitzuschreiben. Wir wurden gebeten, dass zu lassen.
Zwischendurch ging der realitätsfremde Zynismus gegenüber Mitarbeitern in Projekten weiter. Für ein Programm wurde beschlossen, dass man es jetzt erstmal bis Ende 2022 unterbricht. Was wird mit den Mitarbeitern?
„Ein halbes Jahr Arbeitslosigkeit schadet doch bitte niemanden. Wir haben einen Sozialstaat.“
Der Satz wurde fröhlich von einer Referatsleiterin in dem Raum trompetet. Sie hatte mir beim Kaffee am Montag erzählt, dass im September ihr 30jähriges Betriebsjubiläum ansteht. 30 Jahre Beamtin seit dem Studium. Was bitte weiß sie vom bundesdeutschen Sozialstaat?
Dann wurde es sehr bitter. Ganz am Anfang am Montag hatten wir eine gemeinsame Runde des Selbstlobes. Es ging um die Feststellung, warum die Gemeinschaft der Ministerien und der Förderorganisationen in der aktuellen Krise unglaubliche humanitäre Institutionen sind. Jeder durfte aufzählen, wen er in der Ukraine kennt und warum er dem Land schon besonders verbunden ist. Peinlich, wenn Kursk dann in der Ukraine liegt.
„Ach so, ist es nicht? Naja mein Großvater sagte, er war damals in Kursk in der Ukraine bei der großen Schlacht.“
Es ging darum, wer welche Solidaritätsaktion persönlich oder in Zusammenarbeit mit ganz oben ins Leben gerufen hat. Einer berichtete sogar stolz, dass er die Rede für ein nicht unbedeutendes Regierungsmtiglied schreiben durfte. Wir waren aller in großer Rührung ob unserer Großartigkeit.
Heute ein Tag später, ging es um praktische Fragen, wie Kulturprojekte aktuell mit ihren Partnern in der Ukraine zusammenarbeiten könnten. Jetzt war kein Selbstlob mehr da sondern es wurde eine ganze Armee von schweren Bürowaffen aufgefahren. Fast jede Frage der zweiten Reihe wurde abgewiesen.
„Dazu exisitert keine Regelung.“
„Das ist zuwendungsrechtlich nicht möglich.“
„Hierfür sind Prüfvorgänge notwendig. Vorher nichts unternehmen.“
„Dieses Problem wurde noch nicht gelöst.“
Und so weiter. Peinlich daran: alle Fragen aus der zweiten Reihe entstammen einen Fragenkatalog, der seit März bei den Ministerien liegt. Sie hatten bis heute einfach keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Wahrscheinlich stand das Selbstlob die ganze Zeit im Weg.
Das sind nur Beispiele einer ganzen Orgie von ministerialer Missachtung gegenüber denen, für die man eigentlichen da sein sollte und einer unglaublichen zur Schau gestellten Arroganz der Macht. Es wird Zeit, dass wir, egal ob in der zweiten Reihe oder woanders, wieder klar machen, dass diese Macht nur geliehen ist. Und dass sie mit Verantwortung verbunden ist. Wer sie nicht wahrnimmt, der handelt verantwortungslos. Und das ist wohl die zutreffendste Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes der bundesdeutschen Ministerialbürokratie: Eine inzwischen viel zu große Ansammlung verantwortungsloster Beamter, gefangen in ihrer eigenen, von der Realität abgekoppelten Welt. Von den Ausnahmen abgesehen.
Ich entschuldige die Suada. Es musste mal raus.“