„Deniz Yücel im SZ-Interview, 16.5.: „Spießer und Knallchargen“
Journalist und Schriftsteller Deniz Yücel im SZ-Interview – zu den Gründen für seinen Rücktritt als PEN-Präsident. / Interview von Cornelius Pollmer
Abend dämmert im Innenhof von Schloss Friedenstein zu Gotha. Der am Vortag als PEN-Präsident zurückgetretene Deniz Yücel hat soeben an einer Podiumsdiskussion des PEN teilgenommen und seinen Vor-Vor-Vorgänger Johano Strasser nach wirklich allen Regeln der Redekunst angepöbelt. Kurz vor dem Interview ein letzter Zwischenfall. Ein weiteres PEN-Mitglied fotografiert Yücel dreiviertelheimlich vom Rand, Yücel läuft zum Gegenangriff über – Flüssigkeit spritzt auf Latz, Glas birst auf Boden, Handbesen kommt blitzartig zum Einsatz. Wären wir dann so weit?
Herr Yücel, Sie haben sich am Freitag mit einem großen Knall als PEN-Präsident verabschiedet und danach bei Twitter dargelegt, was und wen sie dort alles nicht mehr aushalten. Ihr letztes Wort?
Deniz Yücel: Auf Fragen nach internen Auseinandersetzungen im PEN habe ich lange Zeit gesagt: Über Internes sprechen wir intern. Nur wurden die Falschbehauptungen irgendwann so viel, dass ich meine persönliche Integrität verteidigen musste – und dabei immer versucht habe, die Interessen des Vereins zu wahren. Jetzt fühle ich mich nicht mehr verpflichtet, Schaden vom PEN abzuwenden. Und ich glaube, die Öffentlichkeit hat Anspruch zu erfahren, wie es um den deutschen PEN in Wirklichkeit bestellt ist, schließlich wird ein Projekt des Vereins mit Steuermitteln finanziert. Und das Ganze hat wehgetan. Es war nicht einfach, bei alledem Contenance zu wahren.
Ja, jedenfalls für meine Verhältnisse. Ich bin kein Grüßaugust und kein Verwaltungsbeamter. Was ich mache, mache ich mit Leidenschaft. Aber bei ein paar Sachen bin ich empfindlich: Wenn ich zum Beispiel auf die Frage, warum ich eine in Paris gestrandete südsudanesische Autorin dort abgeholt habe, antworte, dass sie Angst hatte, allein über die Grenze zu fahren – und diese Leute, die den PEN dominieren, darauf mit Hohn und Spott reagieren. Abstoßend. Das wühlt mich viel mehr auf als Bemerkungen von Vereinsmitgliedern über mich wie „Gastarbeiter“ oder „gebürtiger Türke und vielleicht deshalb so aggressiv“.
Womit genau fing der Konflikt PEN/Yücel an?
Damit, dass der damalige Generalsekretär des Vereins, Heinrich Peuckmann, einen Privatkrieg aus verletzter Eitelkeit begann. Er ist, wie er nicht müde wird zu betonen, Vielschriftsteller und Autor von mehr als 60 Büchern, und ich bin mir sicher, Ihre Leserinnen und Leser werden ihn aus regelmäßigen Rezensionen in der Süddeutschen kennen…
…und mit Heinrich Peuckmann sowie der Vorstandskollegin Astrid Vehstedt gab es eine Eskalation, die ich auch bedauere, weil ich zu spät die grundsätzliche Aussprache gesucht habe. Ich habe, anders als die beiden, Fehler eingeräumt und Verantwortung übernommen. Aber im Kern ging es um sachliche Konflikte und fachliche Qualifikation, insbesondere mit „Writers in Exile“…
… einem Programm zum Schutz bedrohter Autoren, das der PEN seit mehr als 20 Jahren betreibt mit zweckgebundenen öffentlichen Mitteln, inzwischen mehr als 600 000 Euro im Jahr.
Die Auseinandersetzung war: Gehört „Writers in Exile“ zum PEN oder ist es ein eigener Bereich? Es geht da um Fragen wie: Wen nehmen wir ins Programm auf? Wessen Veröffentlichungen in welchem Verlag werden gefördert? Wo unterhalten wir Wohnungen? Das sind nicht nur Verwaltungsfragen, das hat Auswirkungen auf die Menschen, denen dieser Verein vorgibt zu helfen. Ein Beispiel kurz vor meiner Zeit: Der belarussische Autor Sasha Filipenko, meines Erachtens ein kommender Nobelpreiskandidat, wollte in dieses Programm. Die Geschäftsstelle des PEN wies ihm eine Wohnung in Kamen zu – wo PEN-Generalsekretär Peuckmann lebt. Und auf dieser Kölner Veranstaltung im März, wo ich beinahe den Dritten Weltkrieg angezettelt hätte…
… der Lit.Cologne, wo Sie eine von der Nato durchgesetzte Flugverbotszone über der Ukraine forderten, was Ihnen viel Kritik auch aus dem PEN einbrachte…
… genau. Da war auch Sasha Filipenko auf dem Podium. Später erzählte er mir, was vorgefallen war. Er sagte, seine Frau und er hätten die Wohnung in Kamen abgelehnt, weil sie dachten: In dieser Kleinstadt gehen wir zugrunde. Er sei nicht vor Lukaschenko geflohen, damit ihm noch irgendwer befiehlt, was er tun und lassen soll. Er hat dann etwas Befristetes in der Schweiz bekommen, sein Aufenthaltsstatus ist weiterhin unklar. Als wir dann im Präsidium darüber sprachen, sagte mein Vorstandskollege Joachim Helfer: „Wir suchen keine Mieter für Wohnungen, wir helfen verfolgten Autoren unter anderem dadurch, dass wir ihnen Wohnungen zur Verfügung stellen.“ Darum ging es.
Was ist Ihre Lehre daraus?
Der PEN schmückt sich mehr als 20 Jahren mit diesem Programm. Mit meinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Präsidium wollte ich diese Arbeit besser machen, denn der Verein erledigt sie – das muss man einfach sagen – sehr schlecht für das viele Geld, was er dafür bekommt, und im Vergleich zum Verwaltungsaufwand. Da werden zum Beispiel Lesungen organisiert, zu der eine Handvoll Zuschauer kommen, was den Zuständigen aber egal ist, weil ihnen die Erfüllung der Planvorgabe reicht. Zudem wird auf intransparente Weise an den Gremien des Vereins vorbei über die Verwendung von Steuermitteln entschieden. Ich glaube, die Bundeskulturbeauftragte Claudia Roth und die Bundesregierung wären gut beraten, dieses tolle Programm einem Träger zu übergeben, der es effektiver, professioneller und mit mehr Empathie macht.
Sie beklagen darüber hinaus einen „kolonialherrenhaften Umgang“ mit Stipendiaten. Was meinen Sie damit?
Was muss man von einem Verein halten, dessen Generalsekretär der russischen Autorin Angelina Polonskaja am Abend des 24. Februars bekräftigt, dass ihr Stipendium beendet wurde und ihr Visum ablaufen würde und sie zurück nach Russland müsse? Wenn auf mein Eingreifen – und auf meinen Verweis auf die neue Situation durch den Ukraine-Krieg – Angelina Polonskajas angebliche Verfehlungen aufgelistet werden, die sich lesen wie Klassenbucheinträge? In dieser Diskussion habe ich gesagt: Wir machen Solidarität nicht von Wohlverhalten abhängig. Für Angelina Polonskaja haben wir dann eine Zwischenlösung gefunden. Das Gespräch mit ihr war für mich das schwerste nach meinem Rücktritt. Aber ich bin ja nicht aus der Welt. Diesem Verein bin ich keine Loyalität mehr schuldig. Ihr schon.
Leider ja. Stella Nyanzi, die auch in Gotha gesprochen hat, wurde im Uganda wegen eines Gedichts auf Facebook verhaftet, sie saß ein Jahr im Knast, dann bot man ihr an: Du kommst raus, wenn du kooperierst und deinen Fehler eingestehst. Sie sagte Nein und saß deswegen noch länger im Knast. Und so jemandem wird von der „Writers in Exile“-Beauftragten Astrid Vehstedt gesagt: Nicht twittern, Klappe halten. Das ist kolonialherrenhaft, das ist mangelnde Empathie und eine politische Bankrotterklärung.
Was ist, aus Ihrer Sicht, am PEN alles kaputt?
Die Diskrepanz zwischen der Realität des PEN und der Ahnengalerie, die man dort vor sich herträgt mit Alfred Kerr und Dolf Sternberger und Heinrich Böll, ist riesig. Die Realität des PEN besteht darin, dass er in Geiselhaft genommen wurde von einem Haufen selbstgerechter, lächerlicher Möchtegernliteraten, die diesen Verein brauchen, um sich selbst als Teil der literarischen oder publizistischen Elite zu wähnen. Dafür pflegen sie diesen Popanz, um sich selbst im Abglanz des Honorationenhaften aufzuwerten. Und dazu nutzen sie das von Steuermitteln geförderte Programm, um sich als Wohltäter zu fühlen, ohne sich für die verfolgten Autoren wirklich zu interessieren. Die Mehrheit im PEN gehört solchen Leuten. Ich nenne keine Namen, Sie würden sie eh nicht kennen.
So etwas lässt sich ja immer ändern.
Das haben wir versucht. Und eine Reihe von namhaften deutschen Autorinnen und Autoren haben uns dabei unterstützt und an dieser Tagung teilgenommen, viele von ihnen zum ersten Mal.
Jetzt waren Sie ja der Präsident.
Das für mich Neue und Reizvolle war die Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen und meine eigene Geschichte in einer sinnvollen Weise zu nutzen. Es reicht ja nicht, irgendwelche VIP-Leute in der Politik direkt anrufen zu können. Ich bin Journalist, jemanden anrufen zu können, ist nichts Besonderes, Scheißefinden und Besserwissen ist unser Job. Doch dann ergab sich diese Möglichkeit, im Sinne der Werte des Vereins verfolgten Kolleginnen und Kollegen praktisch zu helfen. Das war für mich neu, das war reizvoll. Klar habe ich auch meine zwei Cents zum Ukraine-Krieg abgegeben. Aber das war für mich nur Zugabe, dafür brauche ich den PEN nicht.
Aber dann steht doch im Ergebnis: Sie können nicht mehr machen, was Ihnen wichtig ist, weil Sie die Funktion nicht mehr haben, die es dafür braucht. Ist das nicht der größere Schaden?
Natürlich. Aber es ging nicht mehr.
Warum war es keine Möglichkeit, die Härten auszuhalten, für die höhere Sache?
Das habe ich in den vergangenen Monaten gemacht. Aber ich habe mich am Freitag, obwohl der Abwahlantrag gegen mich gescheitert war, zum Rücktritt entschlossen, weil der Antrag gegen Heinrich Peuckmann mit noch größerer Deutlichkeit scheiterte, gegen einen, noch einmal, in jeglicher Hinsicht indiskutablen Generalsekretär. Dann wurde mein Vorstandskollege Joachim Helfer, der ein toller Mensch ist und nicht nur als Schatzmeister einen großartigen Job gemacht hat, abgewählt, und es brach Johlen und Feixen los. Die Abwahl von Ralf Nestmeyer, der dritte Vorstandskollege und einer der erfolgreichsten Reisebuchautoren in Deutschland, wurde damit begründet, dass er sich zu sehr um politische Gefangene und zu wenig um die Literatur gekümmert habe. Anders gesagt: dass er seine Arbeit als „Writers in Prison“-Beauftragter gemacht hat. Was diese Leute mit literarischen Aufgaben des PEN meinen, sind zum Beispiel Videos mit dem Titel „Literarische Plätzchen“ für eine Handvoll Klicks auf Facebook. Jedenfalls waren wir in der Mehrheit dieses Präsidiums ein tolles Team. Als das zerschossen wurde, dachte ich: Nee, ich will nicht mehr.
Wie geht es Ihnen jetzt mit dem Rücktritt?
Es tut schon weh. Zum einen die Art der Auseinandersetzung. Aber es tut auch weh, weil ich diese Aufgabe gerne gemacht habe und diese Kombination PEN und ich gut hätte passen können. Aber es war von der Mehrheit nicht gewollt. Okay. Ich bin zwar auch erleichtert, dass es vorbei ist, aber ich nehme Verletzungen mit. Was nachhallt, ist auch der Auftritt von drei Mitarbeitern der Geschäftsstelle…
… der Vorwurf von Mobbing wurde gegen Sie erhoben. Eine Kollegin sagte am Freitag in Ihre Richtung und die des Vorstandes: Ihr habt mich nicht gesehen.
Ich hatte mit ihrem Arbeitsbereich praktisch keinen Kontakt, dafür gab es nie eine Veranlassung. Und als wir als Präsidium zwei Mal um Aussprache baten, gehörte sie zu den Mitarbeitern, die das abgelehnt haben. Inzwischen weiß ich: Dieser Auftritt war inszeniert von Leuten, die diese Mitarbeiterin wochenlang bearbeitet und instrumentalisiert haben. Zwei andere Mitarbeiter haben mir hinterher gesagt, dass sie meinen Rücktritt bedauern. Ich hätte mir gewünscht, dass auch sie sich zu Wort gemeldet hätten. Aber ich verstehe, dass sie als Angestellte das gescheut haben. Ich habe sie auch nicht gebeten. Meine Kämpfe führe ich selber.
Inszenierung, Polemik – das wird auch Ihnen vorgeworfen.
Ach, Polemik, da gibt es ein schönes Wort von Hermann Gremliza: Die Polemik ist ein Stilmittel der Aufklärung und als solches in Deutschland ebenso unbeliebt wie die Aufklärung selbst. Ich bin in diesem Sinne ein Freund von Polemik. Und Show: Warum nicht? Das war ja der Auftrag an mich: Höhere Aufmerksamkeit für den PEN! Aber eine geplante Inszenierung, ein Schlachtplan für die Jahrestagung – den hatte ich nicht, das war vielleicht ein Fehler.
Den hatten sie wirklich nicht?
Nein. Ich wollte auch deswegen, dass die Kamerateams nach der Begrüßung die Tagung verlassen, weil ich kein Interesse daran hatte, dass diese Irren und Wichtigtuer die Gelegenheit nutzen würden, in die „Tagesthemen“ zu kommen und den Verein der Lächerlichkeit preiszugeben. Wäre ich noch Präsident, würde es mir leidtun, dass ich es nicht geschafft habe, sie davon abzuhalten, noch vor der Begrüßung loszulegen. Jetzt finde ich es gut, dass man diese Bilder vom PEN gesehen hat, weil seine Realität genau das ist – er ist nicht die altehrwürdige Schriftstellervereinigung. Also, alt ja, ehrwürdig weniger. Der PEN wird dominiert von einem Haufen Spießern und Knallchargen, die sich jetzt freuen dürfen, ihren Verein von Türken und Schwulen zurückerobert zu haben.
Ausgeschlossen, dass Sie Ihren Rücktritt in ein paar Tagen bereuen?
Ja, ich habe einen Job bei der Welt und ein Privatleben. Am Ende meiner Rede habe ich gesagt: Take it or leave it, PEN. Der Verein hat sich gegen mein Team und damit gegen mich entschieden. Man war gerade so bereit, mich als prominente Galionsfigur für diese Bratwurstbude zu dulden. Aber dafür stehe ich nicht zur Verfügung.
Wie ist der PEN zu retten?
So gut ich die Idee PEN finde und seine Werte, fürchte ich: Dieser Verein ist nicht mehr zu retten.“
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Deniz Yücel ergänzt auf Facebook, 16.5.: