WIR MUSSTEN LANGE WARTEN

auf die Trikont-Compilation SONGS OF GASTARBEITER VOL. 2 und vielleicht sogar verdammt lange. Aber die Sammler-Historiker Imran Ayata & Bülent Kullukcu haben es in diesen acht Jahren wieder so phantastisch gemacht, dass ich mich frage, warum ich jemals davon unbeeinflussten Germanen-/Brit-Pop hören wollte … Vol. 2 mit größerem Spektrum: neben türkischem Gastarbeiterpop gibt es griechischen und spanischen und mit Sonny Thet einen Blick zurück in den kambodschanischen „Bruderstaat der DDR“. Track 4 „No Seguiré“ von Dimension 77 haben übrigens FSK mal gecovert (okay, ich kann mich täuschen, aber es klingt wie die Wahrheit, ich schwöre).

Speziell gefeiert wird dabei Ozan Ata Canani (der letztes Jahr ein großes Comeback-Album veröffentlichte (siehe unten) und „unermüdlich betont, dass er ohne Songs of Gastarbeiter [Vol.1] nicht zurück zur Musik gefunden hätte“) mit dem das Album eröffnenden Shantel-Remix von „Alle Menschen dieser Erde“, das er im Schlusstrack in der „Acoustic Babo Version“ solo spielt, ein Solidaritätssong so groß wie ein Brecht-Klassiker.

Falls dieses Land Manieren hätte, würde es sich mal richtig für die Sound- und anderen Arbeiten bei diesen Leuten bedanken, aber von einem Land, das nicht mal seine sich ständig vermehrenden Nazis in den Griff bekommt, sollte man besser nichts erwarten.

https://trikont.de/shop/compilations/songs-of-gastarbeiter/songs-of-gastarbeiter-vol-2/

Songs Of Gastarbeiter 2 als CD trikont.de / CD, 2LP, MC und Digital (2* Vinyl im Schuber mit eingelegtem Booklet der CD-Edition inkl. Vinyl-only-Bonus-Tracks und Mp3-Download / CD / MP3 Download). ACHTUNG: Der LP-Versand ist wg langer Herstellungszeiten erst im Frühsommer möglich.

Ich schrieb in Konkret Nr.6/2021 in der Rubrik „Platte des Monats“ über Ozan Ata Cananis Album Warte mein Land, warte (Staatsakt/Fun In The Church):

In diesem Jahr ist das „deutsch-türkische Anwerbeabkommen“ 60 Jahre alt. Damit wurden der deutschen Wirtschaft Arbeitskräfte zugeführt, die nach zwei Jahren wieder heimgehen sollten. Wie es sich in Deutschland als „Gastarbeiter“ anfühlt, davon erzählt Saz-Spieler und Songschreiber Ozan Ata Canani eine Menge.

Dass er heute „Migrant“ genannt wird, ist für den deutschen Staatsangehörigen kein Fortschritt. Er ist mit „Ausländer Raus!“-Schildern aufgewachsen und sagt, dass es heute schlimmer ist. Der Name der Band, in der er vor 40 Jahren spielte, klingt aktuell: Die Kanaken. Um den immer wieder auftauchenden Heimat- und Leitkultur-Debatten der Germanen, die immer auch gegen andere jeder Art gerichtet sind, entgegenzutreten. Orient-Beat gegen Nazi-Rock, Canani-Lieder gegen Politiker-Sonntagsreden, „Kanak Sprak“ gegen die „Heimatschutz“-Armee. Denn „wir sind ja nicht zum Spaß hier“ (Deniz Yücel).

Auf Warte mein Land, warte, seinem ersten Album nach drei Cassetten von damals, präsentiert Ozan Ata Canani seine ganze Geschichte. Elf Songs, neue und alte, auch sein kleiner Hit „Deutsche Freunde“ von 1978, alles neu eingespielt mit Band. Geboren in Südost-Anatolien, wurde er von seinen Eltern als kleiner Junge nachgeholt. Er war so gut an der Langhalslaute Saz, dass er schon mit dreizehn von seinem Idol, dem alevitisch-türkischen Dichter und Sänger Aşık Mahzuni Şerif in Köln auf die Bühne geholt und sogar eingeladen wurde, mit auf Tournee zu gehen; was nicht nur ein streng muslimischer Vater nicht erlaubt hätte. Der Junge war aber nicht zu stoppen und gab sich diesen Künstlernamen: sein Rufname Ata ergänzt mit „Canani“ (der mit dem Herzen gibt und nimmt) und „Ozan“ (Dichter und Sänger), dessen Aufgabe sein Vorbild Aşık Serif darin sah, „die Problematiken seiner Zeit in seinen Liedern abzubilden“, und daran hat sich der Ozan Canani gehalten.

Er war tatsächlich erst 15, als er 1978 den Song schrieb, der ihn bekannt machte, ihm eine Musikkarriere versprach und heute wie ein Spiegel für seine Ups-und-downs ist. „Deutsche Freunde“ wurde sein signature song. Eine Anklage gegen diese angeblichen Freunde, die die Gastarbeiter brauchen, aber nur „als Schweißer, als Hilfsarbeiter, als Drecks-und Müllarbeiter“, und auf sie runterschauen und sie wieder abschieben wollen, wenn´s eine Krise gibt. „Es ist Atas Jahrhundertlied“, schreibt Musikforscher und DJ Booty Carrell in seinen Liner Notes, „und erscheint aus heutiger Sicht wie eine Prophezeiung“, denn es stellt auch die nie erledigte Frage: „Und die Kinder dieser Menschen sind geteilt in zwei Welten — ich bin Ata und frage euch, wo wir jetzt hingehören?“ Für sich hat er das inzwischen beantwortet: Die Türkei ist für ihn „nur noch ein Urlaubsland“ (in das er jetzt besser nicht einreisen sollte), und nach unserem Telefonat wird er von Leverkusen nach Köln fahren, um seine drei Enkelkinder zu besuchen.

Inspiriert von dem berühmten Max-Frisch-Satz „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen“ war dieser Teenager also der erste, der einige gleichermaßen anatolischen wie deutschen Songs in die Diskussion oder auch Party reinbrachte. In seiner eigenen neuen Sprache, mit dem Mut, auf den Tisch zu hauen und für sich und die anderen Respekt einzufordern. Er kam damit in eine WDR-Dokumentation und 1982 in Alfred Bioleks populäre Sendung „Bio´s Bahnhof“. Und blieb doch zwischen den Stühlen hängen: den einen war´s wohl zu deutsch und den Deutschen sein Orient-Sound mit der Elektro-Saz zu fremd – erst 30 Jahre später wurden für den Sänger wieder ein paar Scheinwerfer mehr aufgebaut.

Die Gastarbeiterkinder Imran Ayata und Bülent Kullukcu, musikalisch sozialisiert mit Fugazi, Hüsker Dü und DAF, veröffentlichten auf dem Label Trikont 2013 die Compilation Songs of Gastarbeiter Vol. 1 (Vol. 2 kommt diesen Herbst), eine unglaubliche Lektion in Undergroundforschung, und da war „Deutsche Freunde“ Track Nr. 1; sogar frisch eingespielt, weil die Originalaufnahmen von seiner Ex-Frau entsorgt worden waren. Comeback für Ozan Ata Canani. Junge Migrant*innen interessierten sich für diese/ihre wenig bekannten Geschichten lange vor Rap, unter den Germanos gab es einen kleinen Orient-Balkan-Trend, angeschoben von Fatih Akins Film Crossing The Bridge – The Sound of Istanbul oder DJ Shantel und beim wie immer international informierten Trikont-Label vor allem von DJ Ipek Ipekcioglu („Import Export a la Turka“ u.a.) und Yuriy Gurzhy („Russendisko“ u.a.).

Für mich unvergesslich, wie ich irgendwann 2018 den Optimal Plattenladen in München betrat und der Chef und Gastarbeiterkind Christos Davidopoulos sofort sagte, ich müsste diese neue Single sofort hören! Dann donnerte Ata Catanis Song „Alle Menschen dieser Erde“ durch den Laden, ein Lied zum Losheulen, „alle Menschen groß und klein, wollen glücklich sein“, ein Solidaritätslied von Brecht´schem Ausmaß – und ein funky Orient-Pop-Dancetrack, das wird man wohl noch sagen müssen, und kann´s von einigen Songs sagen, neben denen jetzt einige dieser melancholischen Liebeslieder stehen, die alle Exilanten-Migranten-Tschuschen-Kanaken überall zu allen Zeiten singen. Es war quasi die Vorab-Single zu dieser LP, ebenfalls auf dem Staatsakt-Sublabel Fun In The Church, mit Karaoke-Version als b-Seite. Es ist auch ein Zeichen von Gerechtigkeit, dass das Album jetzt bei einem der in jeder Hinsicht besten deutschen Labels erscheint.

Es kommt mir etwas unfair vor, dass der politische Sänger hier den Musiker etwas verdrängt (obwohl ich das Instrumental „Maraşlım“ ständig höre, das man auch wie ein Echo auf Dick Dales Surf-Hit „Misirlou“ hören kann, den er ja aus dem griechich-türkisch-arabischen Raum importiert hat), aber das ist eben unvermeidlich. Für den Künstler ist das Album „voller realer Erfahrungen, die über Gastarbeiter erzählen“ und „von der Arbeitswelt der ausländischen Arbeitnehmer Deutschlands“. Mit einem todtraurigen Titelsong: Der Plan und Traum von vielen, irgendwann in die alte Heimat zurückzukehren, hat sich nie erfüllt, auch für seine Eltern nicht. Und sogar der sozusagen totalintegrierte Ata Canani kennt diese Sehnsucht und singt „warte mein Land, warte, ich komm ganz gewiss“ mal zurück, mit der bitteren Pointe, dass es dann „im Sarg ist.“

Wir haben uns auch darüber unterhalten, wie man seine Musik denn nennen kann. Sicher ist, dass sie (wie er auch von allen singt, denen „aus Italien, aus Portugal, aus Spanien, aus Griechenland und Jugoslawien“) eine starke Mischung ist und nichts Nationalistisches oder Authentisches, dieser unsinnige Ausdruck, der immer auftaucht, wenn was als „Worldmusic“ deklariert wird. „Lieder und Texte, deutsch und türkisch, basierend auf anatolischer Volksmusik“, sagt Ozar Ata Canani. Mit Anadolu Folk-Pop könnte er auch leben. Ganz egal. Ich würde gerne mit mehr Platten von ihm weiterleben.

 

 

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