Mein seit vielen Jahren geschätzter Edition-Tiamat-Kollege Hartmut El Kurdi hat heute morgen einmal mehr ein starkes Statement veröffentlicht:
„Ich glaube, dass es naiver weißer Mittelschichts-Unsinn ist zu glauben, man müsse Verständnis für Rassisten, Faschisten, Verschwörungsschwurbler und wissenschaftsfeindliche/anti-intellektuelle Esoteriker aufbringen, man müsse mit ihnen reden, ihre Anliegen ernst nehmen, sie dann aber im Gespräch überzeugen, dass sie falsch liegen. Pardon, dazu bin ich sozialisations- und herkunftsbedingt nicht in der Lage. Aber nicht nur meine migrantische Herkunft hindert mich daran. Ja, die auch, weil ich weiß, dass die Reichsbürger und andere Nazis mir persönlich – wie allen Menschen mit vermeintlich oder tatsächlich nichtdeutschen Wurzeln – ans Leder wollen; ich mich also nicht nur bedroht fühle, sondern schon öfter real bedroht wurde. Und das nicht erst seit 2015 als mit Pegida zum ersten Mal Rechtsradikale zu zehntausenden auf die Straßen strömten. Mit Leuten, die mich verletzen, umbringen oder aus Deutschland rausschmeißen wollen, verhandele ich nicht. Aber tatsächlich ist es vor allem meine deutsche Herkunft, die mich hindert, so naiv zu sein. Werte deutsche Mitbürger: Wir hier wissen ganz genau, dass mit diesen Leuten nicht zu reden ist. Dass deren Weltbild komplett verquer, krank und noch dazu unerschütterlich ist. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wir wissen, dass die niemals an die Macht kommen dürfen. Weil wir wissen, was dann passiert. Und wir wissen, wie sie an die Macht kommen: Nicht indem sie bei Wahlen die Mehrheit der Stimmen erringen. Sondern, in dem man sie gewähren lässt, indem man sie als Gesprächs- und Verhandlungspartner ernst nimmt, indem man denkt, hier und da sagen sie gar nicht so falsche Dinge. Indem man zusammen mit ihnen demonstriert. Mit ihnen koaliert. Und indem man sagt: Die haben wir unter Kontrolle / So schlimm sind die ja gar nicht / Lass sie doch in der Regierung beweisen, ob sie was können…. Und indem sich ihre Gegner nicht einig sind.
Faschismus braucht keine 100 Prozent überzeugte Faschisten. 20 Prozent reichen, wenn die anderen 80 Prozent den Mund halten, mitlaufen, die Faschisten machen lassen. MIt anderen Worten: Wenn die anderen 80 Prozent keine erklärten, aktiven Antifaschisten sind.
Olaf Sundermeyer berichtete heute für die ARD von der Corona-Leugner-Demo in Berlin. Er sagte, er schätze den Anteil der erkennbar Rechtsradikalen, Reichsbürger und QAnon-Anhänger bei der Demo auf 20 Prozent. Diese 20 Prozent haben gereicht, um Bilder von Nazis zu produzieren, die den Reichstag stürmen wollen. Diese 20 Prozent waren genug, um vielen Schwarzen, Menschen mit Migrationshintergrund, PoCs in Berlin das Gefühl zu geben, dass es sicherer ist, heute nicht vor die Tür zu gehen. Und den anderen 80 Prozent der Demo-Teilnehmer ist das offensichtlich wurscht. Es ist ihnen egal, mit wem sie demonstrieren, wer von ihren Mitdemonstranten täglich bedroht wird, sie stehen mit ihren Regenbogen- und Peace-Fahnen neben Reichs- und Reichskriegsflaggen, sie singen und trommeln neben Leuten, die „Arier“-T-Shirts tragen, sie marschieren mit bekannten Nazis wie Sellner und dem „Volkslehrer“. Und sie beleidigen und bedrohen selbst Journalisten und skandieren „Lügenpresse“. Das Schlimme ist nicht, dass sie diese oder jene Corona-Maßnahme nicht mögen oder dass sie nicht glauben, was das RKI, Spahn und Lauterbach sagen. Das Schlimme ist, dass sie gar nicht in Betracht ziehen, dass sie vielleicht Unrecht haben könnte und sie dann durch ihre Weigerung Masken zu tragen und Abstand zu halten Menschenleben gefährden. Und genau so egal ist es diesen wohlstandsverwahrlosten Egoisten, dass die Leute, mit denen sie demonstrieren, allen PoCs die Existenzberechtigung in diesem Land absprechen. Und deren Leben gefährden und bedrohen. Ich habe kein Verständnis für diese Ignoranten und ich will auch kein Verständnis haben. Denn die Geschichte lehrt uns, dass diese Wegkucker, Verharmloser, Beschwichtiger genauso gefährlich sind wie die Faschisten. Weil sie zulassen, dass die Faschisten tun können, was Faschisten eben so tun. Und wir wissen, was das ist.“ (Facebook)