DEUTSCHLAND IST KRANK

Ich habe meine Rede im Dienst des Flüchtlingsrats für die Demonstration am 9.3. etwas über- und ausgearbeitet:

DEUTSCHLAND IST KRANK

ABER ES GIBT EINE GUTE NACHRICHT: NICHT UNHEILBAR KRANK

(Eine Wahlempfehlung für alle, die keine andere Wahl haben)

Wir werden in diesen Tagen nicht nur von e i n e m Virus bedroht, sondern von einigen. Und gegen den gefährlichlichsten von diesen uns attackierenden Viren hilft keine Pille und kein Händewaschen.

Dieser Virus greift die gesamte Europäische Union an und hat sich auch in Deutschland längst massiv ausgebreitet – diese tödliche Krankheit besteht aus Neuen Rechten und Neo-Nazis, und ihre Symptome sind Rassismus, Anti-Feminismus, Homophobie, Antisemitismus und Islam-Feindlichkeit.

Diese Erkrankung ist schon soweit fortgeschritten, dass man den Geflüchteten, die sich an der türkisch-griechischen Grenze in einer katastrophalen, lebensbedrohlichen Situation befinden, nicht nur keine Hilfe gewährt, sondern ihnen Knarren ins Gesicht hält, um sie an der Flucht zu hindern.

Diese totale humanitäre Bankrotterklärung Deutschlands und des Friedensnobelpreisträgers EU hatte sich schon mit dem Verrat an den kurdischen Peschmerga-Streitkräften, die Europa gegen den Islamischen Staat verteidigt haben, angebahnt, und ebenso mit dem im November 2015 vereinbarten „Aktionsplan zur Begrenzung der Zuwanderung über die Türkei“. Dass der Despot Erdogan im Rahmen des Syrien-Kriegs jetzt diesem dreckigen Deal, der bisher insgesamt sechs Milliarden Euro wert war, diese miese Erpressungsaktion hinzugefügt hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Türkei und Griechenland tatsächlich erheblich größeren Belastungen durch Fluchtbewegungen ausgesetzt sind als Deutschland.

Das ist der Deal: Das reichste EU-Land legt Geld auf den Tisch, um von möglichst wenigen Geflüchteten gestört zu werden, oder anders interpretiert, um der AfD, die hauptsächlich vom Thema Flucht und Asyl und dem permanenten Anfeuern von irrationalen Ängsten lebt, weniger Futter zu geben. Man nennt das eine Milchmädchenrechnung, und die Quittungen für derartig böse Verrechnungen sehen in der Regel übel aus.

Die Quittung liegt an der EU- und NATO-Außengrenze, und dieser explosive Konflikt führt zu einer Steigerung des Nazi-Virus in Deutschland, die im Moment so noch nicht zu erwarten war – jetzt sieht es so aus, als hätten die Faschisten schon fast gewonnen: Neo-Nazis haben den bekannten antifaschistischen Slogan „Nie wieder Faschismus“ übernommen und mit ihrem „Nie wieder 2015!“ pervertiert. Das konnte man erwarten. Aber so gut wie alle PolitikerInnen der bürgerlichen Mitte stimmen ihnen zu – von CSU bis SPD und sogar von weiter links kommt der Schlachtruf „Nie wieder 2015!“ Als wäre der humanitäre Akt, die spontane Aufnahme von mehr Geflüchteten 2015, der symbolhaft mit Bundeskanzlerin Merkel verbunden ist, eine Katastrophe gewesen, unter der wir heute noch schwer zu leiden hätten.

Als damals von AfD-Politikern gefordert wurde, notfalls die EU-Grenzen gegen Flüchtende mit Waffengewalt zu sichern, war der Protest im bürgerlichen Lager groß – und heute wird die Grenze der „Festung Europa“ mit mehr Frontex-Soldaten dichtgemacht, und es wird nicht nur Tränengas eingesetzt, es wird geschossen. Die unsere Demokratie so tapfer bewahrenden PolitikerInnen finden das offensichtlich in Ordnung; das europäische Asylrecht, die Menschenrechte oder auch die sogenannten christlichen Werte interessieren sie offensichtlich nicht mehr besnders. Außer vielleicht, wenn eine Kamera in der Nähe ist.

Die auch mit Stimmen von ganz rechts gewählte EU-Präsidentin und ehemalige deutsche Verteidungsministerin Ursula von der Leyen bestärkt sogar die griechische Regierung darin, das EU-Asylrecht auszusetzen und damit zu brechen, denn das Problem Griechenlands ist vor allem die ausbleibende Unterstützung seiner EU-Partner, die tatsächlich glauben, allein mit ihrer Frontex-Truppe das griechische Problem lösen und die zunehmenden Flüchtlingsströme der Welt aufhalten zu können. Die Ermahnung der deutschen Präsidentin, dieses Asylrecht müsse bei aller verstärkten Sicherung der „Festung Europa“ gewährleistet bleiben, klingt etwa so wie das Flüstern eines psychopathischen Serienkillers, der seinem gefesselten Opfer versichert, es doch gar nicht töten zu wollen.

Eine ganz besondere, vor den AfD-Faschisten klein beigebende Aktion leistete sich der deutsche Bundestag: Ein am 4.3. von B90/Die Grünen eingebrachter Antrag(1), wenigstens 5000 besonders Schutzbedürftige aus dem Krisengebiet aufzunehmen, wurde mit fast allen Stimmen der Koalition plus jeweils allen Stimmen von AfD und FDP abgelehnt. Ist das vielleicht die Große Koalition der Zukunft? Nur die Grünen und Die Linke stimmten geschlossen dafür.

Nur 3 Stimmen der christlichen Parteien und nur 2 Stimmen der Sozialdemokraten waren für die Aufnahme der für Deutschland unproblematisch geringen Anzahl von 5000 Schutzbedürftigen. Da fallen mir keine auch nur halbwegs höflichen Kommentare mehr ein.

Falls dieses Abstimmungsergebnis für Sie wie eine Wahlempfehlung für die anstehende Kommunalwahl klingt, ist das Ihr Problem – tin Wahrheit ist es ein Kapitel aus den Geschichtsbüchern der Zukunft, die von HistorikerInnen geschrieben werden, die unabhängig von Parteieinflüssen von demokratischen Desastern aus der Zeit der Killer-Viren erzählen.

An der Einschätzung, dass es sich dabei um eine Bundestags-Katastrophe handelt, ändert auch die Spiegel-Online-Meldung vom 9.3. nicht viel: Da hat die Große Koalition entschieden, dass „1000 bis1500 (…) besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche“ aufgenommen werden. Hut ab! Das ist eine echt irre Leistung für eines der reichsten Länder der Welt, auf die allenfalls ein paar besonders schutzbedürftige Sozialdemokraten stolz sein werden, während die Christdemokraten wie erwartet ignoriert haben, was ihnen eine verrückte Alte wie ihre ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth zum Thema Migrationspolitik ins Gebetbuch geschrieben hat: „Jesus hätte uns wahrscheinlich aus dem Tempel gejagt, wenn er gesehen hätte, wie wir mit dem C umgehen.“(3)

Natürlich haben auch wir (z.B. vom Augsburger Flüchtlingsrat) mit einem gewissen Respekt zur Kenntnis genommen, dass der bayerische Ministerpräsident kürzlich an einer Demonstration gegen die AfD teilgenommen und gesprochen hat. Aber wir hören auch seinen „Nie wieder 2015!“-Schlachtruf und werden auch so schnell nicht vergessen, dass er, wie der heutige Innenminister Seehofer, in den Jahren nach 2015 auf eine Art gegen die Aufnahme von Geflüchteten gesprochen hat, die von der AfD kaum zu unterscheiden war. Die Frage stellt sich zwangsläufig, was Söders Äußerungen gegen die Rechten wert sind, wenn die deutschen Behörden nicht einmal in der Lage sind, Neo-Nazis davon abzuhalten, an der griechisch-türkischen Grenze einzumarschieren und Geflüchtete und HelferIinnen und Antifaschisten anzugreifen.

Das ist der Trugschluss der demokratischen Mitte: Sie stimmen in den Slogan der Rechten „Nie wieder 2015!“ ein und glauben, damit den Vormarsch der Rechten aufzuhalten. Sie ignorieren das universelle Menschenrecht auf Asyl und glauben, damit Europa zu bewahren. Wenn das ihre Vorstellung von Deutschland und Europa ist, dann kann ich da kaum noch was erkennen, was man bewahren müsste – mit der deutschen Geschichte im Rücken ist das etwas schwierig, und falls jemand seine Zeit damit verschwenden will, mit Volksvertretern vom rechten Rand darüber zu diskutieren, dann wünsche ich ihm alles Gute.

Aber die Hoffnung stirbt ja, wie allgemein bekannt, nicht so schnell: In der Bundesrepublik haben sich inzwischen 140 Städte und Landkreise zu „Sicheren Häfen“ erklärt (2) und sind bereit, Geflüchtete aufzunehmen. In Bayern sind es 13 Städte, die sogenannte Friedensstadt Augsburg ist nicht dabei (entsprechende Versuche wurden vom noch amtierenden Oberbürgermeister als „Symbolpolitik“ abgetan, ein Ausdruck, der für besonders mutige Christen erfunden wurde).

Die Bereitschaft dieser 140 bekommt nun mehr Power durch das ganz neue Gutachten einer Rechtsanwaltskanzlei, das laut Redaktionsnetzwerk Deutschland zu dem Schluss kommt: „Sowohl das Grundgesetz als auch das einfache Recht gewähren den deutschen Bundesländern substantiellen Spielraum, Maßnahmen zur Aufnahme von Flüchtenden aus humanitären Notlagen zu ergreifen.“

Das würde bedeuten, dass Bayern sehr wohl etwas tun könnte, falls man endlich aufhören würde, sich auf die Erwartung einer generellen EU-Haltung rauszureden; und falls man sich auf das Recht auf Asyl und christliche Werte besinnen möchte; und falls der Ministerpräsident und die anderen Demokraten es ernst damit meinen, gegen die AfD vorzugehen, die bei einer Bestätigung dieser Expertise einen ans Herz gehenden Tobsuchtsanfall bekommen müsste, wenn es eine Gerechtigkeit gäbe.

Und das heißt natürlich auch, dass von der Stadt Augsburg verstärkt gefordert werden muss, egal wie der Stadtrat in wenigen Tagen aussehen wird, sich den Sicheren Hafenstädten anzuschließen und auf die Bayerische Staatsregierung so einzuwirken, wie es für eine Stadt würdig ist, die sich als „Friedensstadt“ bezeichnet.

Keiner weiß im Moment, was der Corona-Virus alles verändern wird – aber todsicher ist, dass eine Ausbreitung der rechten und faschistischen Viren viel gefährlicher ist und zu Veränderungen führen wird, die wir verhindern können und müssen. Für mich und wahrscheinlich die meisten Antifaschisten ist es nicht lebenswichtig, stolz auf Deutschland zu sein – wir wären schon zufrieden damit, uns weniger dafür schämen zu müssen.

(1)https://www.bundestag.de/presse/hib/685224-685224

(2)https://seebruecke.org/startseite/sichere-haefen-in-deutschland/

(3)Welt.de, 19.11.2019

Augsburger Flüchtlingsrat

FIGHT FOR EVERYBODYS RIGHT TO PARTY !

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