BOWIE ON BYTE

WAS IST MUSIK / von und mit Klaus Walter, auf Byte.fm : Sonntag, 8.1., 19 Uhr, Wiederholung Mittwoch, 11.1., 8 Uhr
70-1+40 = Bowie : Am 8.Januar 2017 wäre David Bowie 70 geworden. Wäre er nicht am 10. Januar 2016 gestorben. Am 14.Januar 1977 erschien Bowies Album „Low“. Drei Jahrestage. (Subscribe: email hidden; JavaScript is required)
„Ganz anders Low: Von einer glamourösen Sublimierung des Wahns kann hier nicht mehr die Rede sein. Stattdessen geht es um die Geisteskrankheit als nüchterne Realität – um die Empfindung eigener Empfindungslosigkeit –, ganz im Sinn einer Aussage Bowies aus dem Jahr 1993, die ernstzunehmen sich lohnt: »Insanity was a real possibility in my life.«* Iggy Pop, der sich 1975 in eine Nervenheilanstalt einweisen ließ, meinte später, vielleicht habe Bowie nur aus diesem Grund mit ihm zusammenarbeiten wollen (und Bowie sei im Übrigen der Einzige gewesen, der ihn dort regelmäßig besucht habe). Für beide barg die Insellage Westberlins ein Versprechen auf Genesung und Vitalisierung zugleich. Es war möglich, dort relativ anonym zu leben und trotzdem an kreativen Szenen teilzuhaben. Für Bowie war Berlin auch eine Stadt, durch die er unerkannt mit dem Fahrrad fahren konnte, unter freiem Himmel ohne Zuschauer, von einer echten Welt aus Straßen, Häusern und Geschäften umgeben.

Der Kontrast zu den hysterischen Rückkopplungsschleifen des Londoner Glam Rock und des kalifornischen Medienzirkus hätte kaum größer sein können. Nicht zufällig bildete das Wort »brain« eine Zentralvokabel in den Texten der Ziggy Stardust-Ära (»put a peephole in my brain«, »your laughter is sucked in their brains«, »my brain hurt like a warehouse«, »my brain hurts a lot«, »I’m busting up my brains for the words«, »all the knives seem to lacerate your brain« usw.). Immer wieder ging es dabei um die Projektion einer imaginären Welt aus dem eigenen Kopf hinaus oder in diesen hinein. Dagegen handeln fast alle Songs auf der ersten Seite von Low, jedenfalls die mit Gesangstexten, von tatsächlichen Innenräumen mit vier Wänden, einem Boden und einer Decke: »I’ve been / Breaking glass in your room again«, »Don’t look at the carpet / I drew something awful on it« (»Breaking Glass«), »Deep in your room, you never leave your room« (»What in the World«), »Blue blue electric blue / That’s the colour of my room / Where I will live« (»Sound and Vision«). Auf Iggy Pops zeitgleich erschienenem Stück »Dum Dum Boys« heißt es: »The walls close in and I need some noise« (The Idiot). Und 1980 beginnt Bowies Song »Scary Monsters (and Super Creeps)« mit der Zeile: »She had a horror of rooms.«
Einschluss und Leerlauf sind zentrale Motive der ersten Seite von Low, mit ihren fragmentarischen Songs, die wie aus dem Nichts eingeblendet werden, um dann ohne erkennbares Ziel wieder zu verschwinden. Tiefe Apathie – »love won’t Make you cry« (»What in the World«), »I never touch you« (»Breaking Glass«) – kommt in polternden, grell abgemischten Rhythmen daher, deren Hektik nirgendwohin zu führen scheint. »Always Crashing in the Same Car«, das noch am meisten an klassische Songstrukturen erinnernde Stück, zeichnet das Bild eines sich planlos um sich selbst drehenden Autos: »I was going round and round the hotel garage.« Eigentlich ist das Auto ja ein Rock’n’Roll-Gefährt – der vielleicht erste Rock’n’Roll-Song überhaupt, Jackie Brenstons »Rocket 88« (1951), handelte vom Autofahren, und eines von Bowies Lieblingsbüchern als Teenager war Jack Kerouacs On the Road –, aber auf Low entpuppt sich sogar Geschwindigkeit als Betäubungsmittel. Wohl deshalb auch überlagern sich planlos vorbrechende Drums mit lethargischen Soundeffekten, als ob das eine gleichbedeutend mit dem anderen wäre.“ Aus: Frank Kelleter: „David Bowie. 100 Seiten“ (erscheint dieser Tage bei Reclam) http://byte.us10.list-manage.com/track/click?u=5855ec7f923be81b1783ecc5c&id=a73f9a900d&e=5bbbf9966e

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