40 JAHRE BEAR FAMILY RECORDS

Aus diesem Anlass ist eine 3CD+DVD-Box erschienen. Mit 72 unveröffentlichten Songs. Die Bedeutung lässt sich daran ermessen, dass Ry Cooder nicht nur einen Song beigesteuert hat, sondern singt, dass er sich nach seinem Tod eine Bear Family-Box mit seinem Werk wünscht. Mein Beitrag zum 308-Seiten-Buch im LP-Format (leicht gekürzt auch in der jungen Welt v. 21.9. erschienen) jetzt hier:

40 Years Bear Family Records (3-CD/1-DVD) BAM BEAR BAM

Ich versuche mich zu erinnern, wann ich Bear Family Records zum ersten Mal mitbekommen habe. Es fällt mir nicht ein, aber ich bin mir sicher, es wird, wie es nicht selten in so einem Fall passiert, während ich das hier schreibe irgendwann Klick machen. Ich bin selbst gespannt und werde sofort breaking the news einblenden.

Natürlich muss ich zu der Zeit auf die Bear Family getroffen sein, als ich angefangen habe, mich auch noch für Countrymusik zu interessieren; das war, wie bei nicht wenigen in meinem Alter, die mit der Neuen Deutschen Welle wenig am Hut hatten, Mitte der 1980er-Jahre von den Cramps und Tav Falco Panther Burns langsam vorbereitet und mit Charlie Feathers dann zentriert worden.

Schön wäre, wenn ich jetzt sagen könnte, dass ich mit dem frühen, 1978 erschienenen Bear-Album The Unissued Johnny Cash in die Countrywelt eingetreten wäre … ich will hier, ausnahmsweise, der besseren Story jedoch nicht den Vorzug geben. Allerdings war es dieses Album, durch das ich erstmals Kontakt mit Bear-Mastermind Richard Weize hatte, denn von dieser LP wollte ich den Cash-Song „Wo ist zuhause, Mama“ als Eröffnung für die erste Sammlung mit Perlen Deutschsprachiger Popmusik, die ich 1994 für das Trikont-Label zusammenstellte.

Auf dem Unissued-Album, das ja nicht nur schon im Titel sowohl auf das Absurde im Musikgeschäft als auch auf das Kapital und ein Verdienst von Bear Family hinweist, steht auf der Cover-Rückseite nicht nur „BFX 15016“, sondern auch „CBS Special Products“, auf dem Label mit der Ergänzung „Sonderproduktion für Bear Family Records“. Damit sind die Probleme, die wir hatten, angedeutet. Wir konnten das Okay für Cashs deutsch gesungene Version von „Five Feet High and Rising“ nicht von Bear Family, sondern nur von Columbia Broadcasting System bekommen. Nach einigen Telefonaten hatte ich nichtmal herausgefunden, in welcher CBS-Abteilung die Rechte lagen, ich wurde wie in einer verdammten Kafka-Story von da nach dort geschickt und niemand wusste irgendwas.

Es war dann Richard Weize, der mir erklärte, warum ich mich nicht darüber wundern sollte. Das Okay für den Song konnte er uns nicht geben, aber er gab mir personelle Verbindungen, und ich sollte mich auf ihn berufen. Als wir endlich den einen CBS-Mann, der berechtigt war, uns mit seiner Unterschrift die Rechte zu geben, auftrieben, saß der doch tatsächlich – weiß der Teufel, wie´s dazu gekommen war – in Holland!

Ich würde keinen Cent darauf wetten, dass ich das auch ohne Richard geschafft hätte. Und ich würde nicht vermuten, dass er für die Produktion eines anderen Labels bereitwillig ´ne helfende Hand bot, weil er verzweifelt gegen die Langeweile kämpfte.

Etwa zu dieser Zeit fing ich an, eine Menge über Country zu schreiben.* Wenn man dieses Feld nicht nur anhand von Neuerscheinungen beackert, sondern sozusagen von weit hinten aufzurollen versucht, um sich auch nur halbwegs sowas wie einen Durchblick zu verschaffen, wird einem ganz schnell klar, dass das ohne Bear-Produkte nicht geht.

Vor allem die CD-Boxen und Compilations ergeben nicht nur den ultimativen musikalischen Grundstock, sondern mit den ebenfalls zurecht vielgerühmten Begleitbüchern und Booklets, mit ihren Fotos und Discografien, das bestmögliche Hintergrundmaterial, ohne das man nicht sinnvoll über Musik schreiben kann. Umfangreiche Meisterwerke wie die beiden A Shot In The Dark-Sammlungen sind zugleich Lexikon, Bildband, Geschichtsbuch; oder auch nicht zu schlagende Statements gegen eine Only-in-it-for-the-Money-Haltung, die uns noch nie viel mehr als Ballermannsound in verschiedenen Verkleidungen geliefert hat. Die Texte von Colin Escott, um hier wenigstens den für mich wichtigsten der ausnahmslos hervorragenden Bear-Schreiber zu nennen, habe ich sogar genauestens gelesen, wenn mich der Künstler, um den es ging, auch das konnte mal vorkommen, nicht besonders interessierte, und keine Sekunde war verschwendet.

Viel öfter aber kam es vor, dass ich mir eine Bear-Ausgrabung anhörte, kaum fassen konnte, dass ich von einem Floyd Tillman oder Jenks ‚Tex‘ Carman oder Charlie Adams noch nie was mitbekommen hatte, und mir vor Begeisterung die Klappe runterfiel. So ähnlich muss ich paar Sekunden aus der Wäsche geschaut haben, als ich in Nashville in der Country Music Hall of Fame and Museum in den Vitrinen im Eingangsbereich einige Bear-Boxen entdeckte. Ehe mir klar wurde, dass das doch zu erwarten war, weil diese Gesamtausgaben, die sowohl Stars als auch heute fast Vergessene mit der gleichen Sorgfalt behandeln, weltweit einzigartig sind.

Als ich Richard Weize später kennenlernte, war auch wieder Johnny Cash im Spiel. Um die Bear-Cash-Hörbuch-Biografie zu promoten, wurde 2004 eine Tournee organisiert: Sprecher Peter Lohmeyer las daraus vor und spielte zusammen mit Nils Koppruch und Günter Märtens unter dem Bandnamen Hotel Rex** ein paar Songs, ich war mit einigen Stellen aus meiner zwei Jahre zuvor erschienenen Cash-Biografie – für die mir Richard abermals mit Erzählungen, Material und Telefonnummern behilflich gewesen war – eine Ergänzung dazu (war im Boot, obwohl mein Buch bei einem anderen Verlag war), Richard Weize und Birgit Niels betreuten den Bear-Stand und Rüdiger Ladwig (heute Trocadero Records) fungierte als Tourleiter. Das waren gute und schöne Tage und Abende.

Speziell eine Nacht mit Koppruch und Weize hat sich in meine Erinnerung eingebrannt, als wir uns an einer einsamen Hotelbar unterhielten und Richard ausführlich von seiner Arbeit erzählte und wir Frage nach Frage abfeuerten … die Cash-Dylan-Bootlegs, die Musikindustrie, Country & Politik, Country & Deutschland, Country & Schlager, Deutschland & Nazischläger …

Aufgrund meiner Kenntnis des Labels und nach einigen Telefonaten und Interviews, die ich gelesen hatte, war ich nicht wirklich überrascht zu erleben, dass der Chef eines weltbekannten Labels sich keineswegs so verhielt, wie es ein Unternehmensberater dem Chef eines weltbekannten Labels dringend empfehlen würde … Mensch, Weize, jetzt legen´se sich doch mal ´n anständiges Chefgehabe zu! … Umso schöner, dass er das imposante Bear-Schiff schon so lange so glücklich steuert, was er, wie er immer wieder betont, ohne sein Team nicht schaffen würde. Das ist etwas, das einem manchmal auffällt und das man leicht vergisst: die, die am meisten auf´m Kasten haben, scheinen es oft am wenigsten nötig zu haben, einem ihren Kasten ständig oder leichtfertig vorzuführen.

Aus seiner fast schon beiläufigen Bemerkung, er habe hinreichend Grund zur Annahme, er sei heute wohl der einzige Mensch, der wüsste, an welcher Stelle im Regal des gigantischen Archivbergs sich die Cash-Dylan-Originaltapes befinden, hätte jemand auch eine große Nummer machen können … Wie ich es sehe, gibt’s nur ein echtes Problem bei Weize: es wurde noch keine Möglichkeit erfunden, wie man das Wissen in seinem Kopf downloaden könnte.

Es war dann eine Art Echo zu diesem Abend, als wir uns zuletzt vor einem Jahr trafen. Wir saßen ein paar Minuten auf einer kleinen Bank auf dem Dach des Hamburger Bunkers, kurz vor dem Beginn des Memorial-Konzerts für unseren Freund Nils Koppruch, der unfassbar überraschend und früh verstorben war. Ich weiß nicht mehr, worüber wir gesprochen haben. Wir haben vor allem versucht, Haltung zu bewahren.

Und damit kann ich mich wie erhofft – breaking the news – an mein erstes Bear-Album erinnern. Es war eines, auf dem noch nicht das stand, was seit vielen Jahren auf jedem Bear-Produkt zu lesen ist: „Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall.“ Und ich bin mir sicher, dass ich damals dachte, dass nur solche, nur diese wenigen Plattenfirmenfamilien überleben werden, die mehr in Kopf und Herz haben als nur Musik. Und obwohl dieser Gedanke oft genug keine größere Bedeutung mehr zu haben scheint als ein Traum, den man vergessen hat, denke ich das bis heute.

* Was by the way seit einigen Jahren, speziell als Freelancer für Printmedien, kaum noch möglich ist, wenn man dabei auch noch einen Gedanken an so exzentrische Dinge wie Miete und einen Shot Whisky verschwendet.

** vgl. „Nicht die Bienen“ auf 30!!! Years Bear Family Records, CD2. Und drei Songs auf CD1 der Nils Koppruch+Fink Werkschau auf Trocadero.

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