HANS FRICK

einer der großen deutschen Schriftsteller, wäre heute 85 geworden. Anfang Februar 2003 war ich gezwungen, einen Nachruf auf ihn zu schreiben (abgedruckt auch in Sterne und Straßen, Edition Tiamat, 2004):

UM SEIN LEBEN SCHREIBEN

»Die Lesungen in Frankfurt (im völlig überfüllten Jazzkeller mit MANGELSDORFF) und in Stuttgart waren gut«, schrieb der Frankfurter Schriftsteller Hans Frick im September 1977 an den Presse-Chef des Bertelsmann Verlags, wo gerade sein neues Buch Die Blaue Stunde herausgekommen war.

Es war scheinbar eine gute Zeit für den 47-jährigen etablierten Autor. Der Regisseur Helmut Käutner hatte soeben seinen 1972 veröffentlichten Roman Mulligans Traum angemessen großartig verfilmt, mit Helmut Qualtinger in der Hauptrolle. Und es war nicht irgendjemand, sondern Jörg Fauser, der 1979 für das Berliner Tip-Magazin in einer langen »Hommage an Hans Frick«, die zugleich eine Tirade gegen die deutsche Gegenwartsliteratur war, dies schrieb: »Ich weiß, dass es in meinem Land nur einige wenige Schriftsteller gibt, die das Papier wert sind, auf dem ihre Bücher gedruckt werden. Einer von ihnen ist Hans Frick.«

Der etwa zur selben Zeit Schluss machte. Mit Schreiben. Er hatte sich fast tot gesoffen, schaffte es, sich für ein Weiterleben ohne Schreiben zu entscheiden und verschwand nach Spanien. Sein letzter Roman Die Flucht nach Casablanca erschien 1980, die Geschichte eines ehemaligen Boxers, der den Alkohol nicht besiegen und in der Gesellschaft keinen erträglichen Platz finden kann und von einem neuen Leben träumt.

Alle Romane von Hans Frick sind düstere, verzweifelte, quälende Ausflüge in die Hölle auf Erden. In seinem Debüt Breinitzer oder Die andere Schuld erzählte er 1965 von einem KZ-Arzt, der in Visionen von seinen Opfern verfolgt wird und sich selbst vor Gericht zu bringen versucht, erfolglos, schließlich ist der Judenvernichtungs-Kram im Nachkriegsdeutschland längst abgehakt. Fricks Blick auf die BRD hatte nichts Versöhnliches: »Sie haben es getan und sie werden es jederzeit wieder tun, wenn es ihnen gestattet wird.«

Erich Maria Remarque schrieb eine Hymne darüber im Spiegel – und Frick eine Neufassung seines Debüts, die 1979 mit dem Titel Breinitzer herauskam (gewidmet seinem Freund Fritz Bauer, der im so genannten Ausschwitz-Prozess Generalstaatsanwalt war).

Das Thema Nazis/BRD war auch in Der Plan des Stefan Kaminsky präsent, der im Frankfurter Zuhälter-Milieu angesiedelt war. Frick stellte eine Verbindung her zwischen gnadenlosem Geldmachen und der herrschenden Ansicht, mit den Nazi-Verbrechen wäre genug abgerechnet.

Stilistisch und thematisch wurde der Autor zurecht immer wieder mit Kafka verglichen. Nur mit dem Roman Dannys Traum veröffentlichte er 1975 etwas für seine Verhältnisse leichteres, in der Nähe eines Thrillers und eines Johannes Mario Simmel; aber seine Hauptperson, der Unterschicht-Rock’n’Roll-Junge Danny schaffte es natürlich nicht in ein besseres Leben.

Über die persönlichen Dämonen, die hinter seinen Romanen standen und ihn dann besiegen sollten, schrieb Frick autobiographische Berichte mit geradezu brutaler Offenheit. Nachdem sein kleiner Sohn von einem Auto tot gefahren wurde, schrieb er Henri (1970), danach das Tagebuch einer Entziehung (1973). Und in Die Blaue Stunde erzählte er von seiner Jugend im Frankfurt der Nazi- und Nachkriegsjahre und vom elend armen Leben seiner Mutter. Sie wohnten in der Ginnheimer Straße, dann in der Lahnstraße, und überall wurde die Mutter als »dreckige Judenhure« beschimpft, weil sie ein uneheliches Kind von einem jüdischen Kunsthändler hatte. Der »Halbjude« Hans Frick wuchs mit der Angst auf, die Nazis könnten ihn jederzeit abholen – und er wusste, was sie mit den Juden machten.

Ich muss es betonen, diese autobiographischen Berichte sind nicht nur Dokumente, sondern gehören zum stärksten der deutschen Nachkriegsliteratur.

Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren hatte Frick leider einen treuen Freund: Selbstzweifel. Er hatte nie ein Gymnasium besucht oder studiert, sondern sich als Vertreter und Arbeiter durchgeschlagen, und die Ansicht, ein Schriftsteller könnte etwas erfinden, immer abgelehnt. Als er dann zwei Flaschen Cognac pro Tag brauchte, um seinen Stoff in Sprache zu übersetzen, hörte er auf, um sein Leben zu schreiben.

Seine kleine Mansardenwohnung in Frankfurt behielt er bis zuletzt. Einmal jährlich kehrte er mit seiner Frau Karin zurück, um diverse Krankheiten behandeln zu lassen. Als ich ihn dort im Herbst 2001 besuchte – jemand hatte ihm mein Buch Bierherz gegeben, in dem ich mich mit nur ein paar Zeilen vor seinem großen Werk verbeugte, und er lud mich ein – erzählte er vom Glück, dass er mit dem Schreiben aufhören, nach Spanien ziehen und dann Häuser renovieren konnte(*:s.unten); dasselbe habe er übrigens Jörg Fauser empfohlen, als er ihm Jahre nach diesem Artikel einmal begegnete. Der ehemalige Boxer war schon schwer angeschlagen, der Körper, nicht der Kopf. Er war nicht unglücklich oder überrascht, dass sein Werk seit Jahren so gründlich vergessen ist. Er unterhielt sich viel lieber, ein Fan mit riesigem Wissen, über Jazz und Country, und ich war auch glücklich, dass er zu den wenigen Menschen gehörte, für die das keine unversöhnlichen Gegensätze sind.

Natürlich musste ich mich in Rage reden. War das vielleicht keine Schande! Dass sein Werk so vergessen wurde, und Jesus, wenn man sich die Autoren seiner Generation so anschaute, stilistisch, inhaltlich! Er erzählte ein paar Schoten, wie er sich brüllend mit diesem und jenem auf der Buchmesse gestritten hatte, und ich sagte, ach, verflucht, warum war es denn ausgerechnet er, der aufhören musste.

Er winkte ab. Er winkte sanft lächelnd ab. Weit weg von dem ganzen Mist.

Hans Frick starb nach Monate langem, schweren Leiden am dritten Februar 2003 im Alter von 72 Jahren in einem Krankenhaus in Huelva, Spanien.

(* Nachtrag: hier hatte ich etwas missverstanden, Hans Frick hatte zwar ein Haus renoviert, aber dann keinen Job draus gemacht…)