BRECHTFESTIVAL AUGSBURG 2013 (7)

Zum Abschluss meiner Privatfeiertage eine Überdosis Musik. Was gibt es Schöneres als bei heftigem Schneefall vorm Fenster alle Platten rauszukramen und im Wohnzimmer Brecht-Vertonungen zu hören? Einiges. Hier ein paar Notizen (die nicht in der in der jungen Welt abgedruckten Serie erschienen).

1. DIE MUTTER („nach dem Buch des Genossen Gorki und vielen Erzählungen proletarischer Genossen“). Musik: Hanns Eisler. Aufnahme der Produktion der Theatermanufaktur in der Inszenierung von Ilse Scheer, 1980. Mit vielen „Lob“-Liedern: Lob des Kommunismus, des Lernens, des Revolutionärs, der Wlassowas, der dritten Sache, der Dialektik. Militärische Musik, jede U-Musik zurechtweisend, dabei natürlich zuviel tapfere Mutter-Musik. Wenn man sowas nicht gewohnt ist, klingt´s, möchte ich behaupten, großartig wie ´ne kalte Dusche.

 (Eine andere Brechtmutter)

Brecht zum Stück: „Für meine Aufgabe hielt ich es, von einer großen historischen Gestalt zu berichten, dem unbekannten Vorkämpfer der Menschheit. Zur Nacheiferung.“ Könnte die Berliner Band inspiriert haben, Mutter sollte Mutter vertonen. Besetzung hier: Masaki Mizuno Trompete, Takashi Ito Horn, Horst Zimmermann Schlagwerk, Rudolf Stodola Klavier. Franz Jung berichtet in seiner Autobiografie „Der Weg nach unten“, die Berliner Aufführung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ sei von Chaos und Streit geprägt und gefährdet gewesen, und Brecht habe sich erst dann zu konstruktiver Arbeit hinreißen lassen, nachdem ihm die Aufricht-Produktion (für die Franz Jung das Stück produzierte) auf den Rat von Helene Weigel hin zusagte, auch sein Stück (bzw. wohl eher das von Mitarbeiter Günther Weisenborn) „Die Mutter“ zur Aufführung zu bringen. So geschehen am 31.1.1932. In das Album legte ich dann einen Artikel, den Stefan Siegert Ende Januar für die jW-Serie „Musik zur Unzeit“ schrieb: „Das Kapital spielt Hanns Eisler“. Siegert beschwert sich da nebenbei, dass der 50. Todestag des jüdischen Kommunisten Eisler 2012 nichtmal annähernd so beachtet wurde wie Richard Wagner im Wagner-Jahr, das jetzt auf uns einschlägt, um dann auf das Jazztrio Das Kapital aufmerksam zu machen, das grade „im Geist Sonny Rollins´, Archie Shepps´, Fred Frith´oder Jimi Hendrix´“ die Doppel-CD „Conflicts & Conclusions“ mit ausschließlich Eisler-Werken veröffentlicht hat.

2. DREIGROSCHENOPER. Musik: Kurt Weill. Die bekanntesten Songs, gesungen von Lale Andersen. Mit Orchester unter der Leitung von Friedrich Schröder. 1957, Baccarola 60048 UU. Während ich die immer wieder unterhaltsamen Schlager höre – die auch Gil Evans gefielen, der für sein 1964er-Verve-Album „The Individualism of Gil Evans“ u.a. mit Wayne Shorter und Elvin Jones eine 9:59 lange Interpretation von „The Barbara Song“ einspielte – frage ich mich, woher ich diese hübsche 10-Inch habe; auch der kleine Aufkleber „3.00 Neckermann“ auf dem Cover hilft mir nicht weiter. Vermutlich aus der Sammlung der Oma eines Freundes meiner Tochter („Niemand will das Zeug, jetzt schmeiß ich´s weg“ – „Nein, bist du wahnsinnig!!!“), aus der mich jedoch „Die Heilsarmee“-DoLP viel mehr begeisterte. Als wir mit dem DJ Hoerspiel Ensemble eines Abends in Dortmund einen Auftritt mit bzw. vor Jürgen Kuttner hatten, schaute sich der Kuttner beim Soundcheck meine Plattenkiste an. Was mich schon etwas nervös machte. Ehe der große Artist Kuttner selbst ein weeenig nervös wurde, als er in meinem Koffer „Die Heilsarmee“ und andere derartige Geschütze entdeckte. Ich hatte natürlich geahnt, dass wir uns verdammt warm anziehen mussten, um an diesem Abend nicht mit dem „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ auf den Lippen unterzugehn. Es sollte viele Jahre später noch besser kommen:

 Die Schweizer wählten die Band der Heilsarmee (Foto:  http://www.heilsarmee.ch/eurovision/) zum Teilnehmer beim Europäischen Song Contest 2013. Dessen Verantwortlichen sofort der Arsch auf Grundeis ging: Die Band dürfe nicht Heilsarmee heißen und nicht in ihren Uniformen auftreten. Worauf der Armee-Pressesprecher verlautbarte, man werde beides zu regeln wissen. Das ist aber mal sicher: Die Truppe wird in jedem Fall besser aussehen als diese Bohlen-Tante namens Natalie Horler, selbst wenn sie im Einteiler mit Kopftuch auftreten sollte, und die Band-die-nicht-Heilsarmee-heißen-darf wird auch jede andere Brass-Bandal-Kapelle noch im Schlaf in den Chiemsee runterspielen.

3. LOST IN THE STARS – THE MUSIC OF KURT WEILL. Eine unfassbar große Platte, die ich immer wieder höre, vom großen Musikinszenator und Ideengeber Hal Willner 1985 für A&M entworfen und produziert, mir vorliegend als Amiga-Übernahme von 1989. Ja, die DDR war so böse wie kein Staat je zuvor, aber sie hatte ein staatseigenes Label, aber lassen wir das. Eine Stunde mit Steve Weisberg, Sting/Dominic Muldowney, The Fowler Brothers/Standard Ridgway, Marianne Faithfull/Chris Spedding, Van Dyke Parks, Schuckett/Butler/Dorough/Shipley/Petersen, Armadillo String Quartett, John Zorn mit „Der kleine Leutnant des lieben Gottes“, Lou Reed, Carla Bley/Phil Woods, Tom Waits, Dagmar Krause, Mark Bingham/Johnny Adams/ Aaron Neville, Todd Rundgren/Gary Windo, Charlie Haden/Sharon Freeman und zuletzt nochmal Van Dyke Parks mit „In No Man´s Land“. Es gibt einen Song auf der Platte, den ich so unerträglich finde, dass ich die Nadel heben muss, nein, Sting ist´s nicht, der es sozusagen nicht wagt, seinen Sting gegen Weill zu erheben. „Lost In The Stars ist ursprünglich der titel des letzten bühnenwerks (1949) von kurt weill, einer musikalischen tragödie im geiste der antiapartheid“ und würdigt in dieser Form „einen komponisten, der es zeit seines lebens sehr ernst nahm, unterhaltende musik zu schreiben“, schrieb Jörg Mischke in seinen Liner-Notes. Auf der Cover-Rückseite eine deutsche Geschichte in Preisen: oben „16,10 M“ wurde mit Kugelschreiber durchgestrichen und mit „5.-“ korrigiert, dann mit einem kleinen Aufkleber nochmal korrigiert: „€ 7,99“.

  Im Album ein Artikel aus der Süddeutschen von Stefan Mayr über Brecht als Lehrling Karl Valentins: „… Aus dem Jahr 1920 existiert eine Fotografie, die Brecht Flöte spielend neben dem Tuba blasenden Karl Valentin und Liesl Karlstadt zeigt. Manche behaupten gar, dass das Trio auf dem Oktoberfest eine Schaubude bespielte. Doch einen Beleg hierfür gibt es nicht. Das Foto ist anlässlich des Sketches „Oktoberfestschau“ entstanden … Brecht hat dabei nie mitgespielt. Warum er dennoch auf dem Foto auftaucht, wird ein Rätsel bleiben.“ Weniger rätselhaft ist, was Franz Jung über Brecht/Weill während der „Mahagonny“-Produktion schrieb: „Dabei beschuldigten sie sich gegenseitig, der eine verhindere nicht nur eine ursprüngliche Leistung des andern, sondern unterdrücke und verwässere sie obendrein … sie sind sich geradezu aus dem Weg gegangen … aber sie haben auch nicht übereinander gesprochen zu Dritten.“

4. DIE DREIGROSCHENOPER. Gesamtaufnahme, 3-LP-Box mit Programmheft und Edition Suhrkamp-Ausgabe. Polydor 1968. Mit u.a. Helmut Qualtinger, Franz Josef Degenhardt, Karin Baal, Berta Drews, Hans Clarin. Musikalische Leitung: James Last. Der von der Sache „nicht sonderlich angetan“ war, schreibt Wikipedia, „er hielt die Musik von Kurt Weill eher für berechenbar als herausragend, hatte dann aber doch Ideen zur Realisierung.

 Sein Werk führte zu Ärger mit Lotte Lenya, der Witwe Weills, welche die Rechte nicht freigeben wollte, weil ein E-Bass den akustischen Bass ersetzen sollte. Sie konnte aber davon überzeugt werden, dass das Werk keinen Schaden nehmen würde.“ Irgendwo im Berg meiner Singles ist eine mit Lotte Lenya vergraben. Aber sie zu finden, würde auch wieder nur zu Riesenärger führen. Den ich gerne in Kauf nehmen würde, wenn er mich zu Lotte Lenya führen würde. So ärgert man sich immer weiter. Bis der Ärger dann zum richtigen Ärger führt.

Tags: